Medizinrecht

Fehlzeiten, Glaubhaftmachung, Beitragszeiten, Widerspruchsbescheid

Aktenzeichen  L 19 R 36/17

Datum:
18.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41545
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
FRG § 15
FRG § 22 Abs. 3
SGB VI § 64

 

Leitsatz

Unterlagen, die nur Beginn und Ende der jeweiligen Beschäftigungszeiträume bescheinigen, aber keine Angaben zu etwaigen Ausfalltatbeständen während des Beschäftigungszeitraumes enthalten, sind nur als Mittel der Glaubhaftmachung, nicht aber als geeigneter Nachweis für eine lückenlose Beitragszahlung in den entsprechenden Zeiträumen anzuerkennen.

Verfahrensgang

S 9 R 854/16 2016-12-19 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.12.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin den Nachweis einer ununterbrochenen Beitragszahlung in den geltend gemachten Zeiträumen nicht erbracht hat.
Nachdem keine Begrenzung durch § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfolgt, kann es dahingestellt bleiben, ob die Beklagte ihre Entscheidung durch Bescheid vom 08.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2016 formal zu Recht im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens getroffen hatte, obwohl die Klägerin ihren Widerspruch gegen den Rentenbescheid vom 09.09.2015 noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens erweitert gehabt hatte.
Beim Rentenbescheid vom 09.09.2015 ist die Beklagte weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, noch hat sie das Recht falsch angewandt. Die gegenteiligen Behauptungen der Klägerin haben sich nicht mit der für einen vollen Nachweis erforderlichen Sicherheit nachweisen lassen. Beim Senat sind Restzweifel verblieben.
Die Rentenhöhe ergibt sich nach § 64 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) aus der Vervielfältigung der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert. Zu den Beitragszeiten, die für die Summe der Entgeltpunkte aufsummiert werden und die zu den persönlichen Entgeltpunkten führen (§ 66 SGB VI), zählen auch die in den sog. Vertreibungsgebieten zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 FRG. Bei der Klägerin betrifft dies die beiden von ihr benannten Zeiträume vom 17.08.1971 bis 25.07.1977 sowie vom 19.08.1977 bis 20.06.1990.
Für die Feststellung einer derartigen Beitragszeit als Grundlage der Rentenberechnung genügt es nach § 4 Abs. 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht ist, d.h. nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist. Dabei werden nach § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, solange sie nicht nachgewiesen sind, regelhaft die ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt, weil dies dem statistischen Regelfall der damals in Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten entspricht und der Gesetzgeber insoweit Vergleichbarkeit erreichen wollte. Nur wenn ausnahmsweise im Einzelfall die tatsächliche Belegungsdichte höher ist, d.h. insbesondere keine oder zumindest deutlich weniger nicht mit Beiträgen belegte Tage bzw. Zeiträume vorliegen, werden je nach den genauen Daten die Tabellenwerte für die gesamte Zeit oder Teilzeiträume zu 6/6 angerechnet. Der Nachweis ist im Sinne eines Vollbeweises zu führen, was erfordert, dass kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen darf (vgl. Urteil des Senats vom 15.02.2012, Az. L 19 R 8/10 m.w.N.).
Für die Frage, ob Beitragszeiten zu 6/6 anzurechnen sind, kommt es damit auf den Nachweis an, dass die geltend gemachten Zeiten nicht etwa durch Krankheitszeiten, unbezahlten Urlaub o.ä. unterbrochen worden sind. Offensichtlich kann mit Unterlagen, aus denen lediglich das Beschäftigungsverhältnis als solches und sein Beginn und Ende zu ersehen sind, dieser Nachweis nicht geführt werden.
Mit dem von der Klägerin vorgelegten Arbeitsbuch aus der ehemaligen Sowjetunion ist dieser Nachweis nicht geführt. Unterlagen, die nur Beginn und Ende der jeweiligen Beschäftigungszeiträume bescheinigen, aber keine Angaben zu etwaigen Ausfalltatbeständen während des Beschäftigungszeitraumes enthalten, werden von der Rechtsprechung regelmäßig nur als Mittel der Glaubhaftmachung, nicht aber als geeigneter Nachweis für eine lückenlose Beitragszahlung in den entsprechenden Zeiträumen anerkannt (z.B. BSG, Urt. v. 21.08.2008, Az. B 13/4 R 25/07 R; LSG Bayern, Urt. v. 17.01.2007, Az. L 19 R 584/05 – jeweils nach juris). Für den Vortrag der Klägerin, dass bei der Berufsgruppe der Lehrer eine andere Handhabung gegolten habe und in ihrem Arbeitsbuch Ausfallzeiten eingetragen worden wären, wenn sie angefallen wären, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Daran ändert auch die bestätigende Aussage der Zeugin B. nichts. Insbesondere hätten auch bei Beschäftigten, die im Einzelfall keine Ausfallzeiten gehabt haben, im Arbeitsbuch entsprechende Eintragsmöglichkeiten vorgesehen sein müssen, da im Vorhinein ja nicht bekannt gewesen sein konnte, dass keine Ausfallzeiten anfallen würden. Die aktenkundigen Inhalte des Arbeitsbuches der Klägerin lassen eine derartige Eintragungsmöglichkeit nicht erkennen.
Entscheidend für die Anerkennung von Zeiten nach § 15 FRG sind die in der ehemaligen Sowjetunion von der Beschäftigungsstelle abgeführten Beiträge zur Rentenversicherung. Eine Liste der tatsächlich gearbeiteten Arbeitstage kann, wenn sie als übereinstimmend mit den Originalunterlagen angesehen wird und auch sonst keine Zweifel an der Abführung der Beiträge bestehen, als Nachweismittel ausreichen. Hinsichtlich der von der Klägerin für die Zeit vom 17.08.1971 bis 25.07.1977 vorgelegten Bescheinigung Z 128 ergibt sich aus Sicht des Senats – wie schon des Sozialgerichts – dass diese Bescheinigung darlegt, dass dem Aussteller keine Angaben zu Ausfallzeiten möglich sind. Die von der Klägerin vertretene Lesart, dass damit bescheinigt werde, dass sie keinerlei Ausfallzeiten gehabt habe, überzeugt nicht. Einzig die Formulierung, dass „für die Klägerin“ keine Einträge vorhanden seien, anstatt der pauschalen Aussage, dass derartige Einträge nicht vorhanden seien, lässt diese Deutung zu, wobei aber die im nächsten Satz verweigerte Bescheinigung dann nicht nachzuvollziehen wäre. Aber allein die Tatsache, dass es bei dieser Bescheinigung zwei Lesarten geben mag, führt dazu, dass sie keine ausreichende Nachweisqualität hat. Andere Beweismittel für diesen Zeitraum existieren nicht. Es bleiben somit die Zweifel bestehen, ob in diesem Zeitraum tatsächlich keine Ausfallzeiten vorgelegen haben oder ob Ausfalltage nicht eingetragen und von den Arbeitstagen nicht in Abzug gebracht worden sind.
Die Klägerin hat zur Überzeugung des Senats den Nachweis einer Beschäftigung mit durchgehender Beitragszahlung, d.h. ohne bedeutsame Ausfallzeiten wie längere Krankheitszeiten oder unbezahlte Arbeitsunterbrechungen auch für die Zeit vom 19.08.1977 bis 20.06.1990 nicht geführt. Die in der Vergangenheit geltende Beweiserleichterung für eine Beschäftigung von mehr als 10 Jahren bei einem Arbeitgeber ist aufgehoben (§ 19 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. FRG a.F.). Unterlagen für diesen Zeitraum sind nicht aktenkundig.
Allerdings ist es nicht so, dass die Vorlage derartiger Unterlagen nicht von vornherein allgemein ausgeschlossen ist, wie sich daraus ableiten lässt, dass die Zeugin B. solche Unterlagen nach den Angaben der Beklagten beigebracht hat. Auch die Behauptung der Klägerin, dass sie schon einmal über solche Unterlagen verfügt gehabt habe, deutet in diese Richtung. Allerdings lässt sich der entsprechende Vortrag der Klägerin mit den aktenkundigen Abläufen der Klärung des Versicherungskontos in der Vergangenheit nicht zur Deckung bringen, so dass man wohl von Erinnerungsungenauigkeiten ausgehen muss. Den von der Klägerin angesprochenen Schwierigkeiten bei der Beschaffung derartiger Unterlagen in den Gebieten des früheren Aufenthalts hat der Gesetzgeber im Übrigen bereits gerade damit Rechnung getragen, dass er Beweiserleichterungen in Form von Glaubhaftmachung zugelassen hat und somit für den Regelfall die Beschaffung solcher Unterlagen entbehrlich ist.
Dass auf einen Zeugenbeweis ausschließlich zurückgegriffen werden dürfte, wenn schriftliche Beweismittel nicht zu erlangen sind, ist aus Sicht des Senats nicht zwingend so geregelt. Dass Zeugen für lange Zeiträume in der Vergangenheit, die noch dazu Jahrzehnte zurückliegen, taggenaue Angaben machen können, ist wohl nur im Ausnahmefall, insbesondere bei der Möglichkeit des Rückgriffs auf Aufzeichnungen, möglich. Im Fall der Klägerin liegen nur generalisierte Aussagen vor. Immerhin haben die Zeuginnen vermitteln können, dass sie in der Lage sein könnten, Aussagen zu Fehlzeiten der Klägerin zu machen, weil sie mit der gesundheitlichen Versorgung der Klägerin im Krankheitsfall, mit der Vertretung der Klägerin an der Arbeitsstelle und mit der Entlohnung von erkrankten Arbeitnehmern zu tun gehabt hatten. Die Zeugenaussage der Zeugin C. machte trotz des bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses den Eindruck einer ausreichenden Distanz und des Bemühens um ein erinnerungsgetragenes Bezeugen der damaligen Geschehnisse, wie sich an dem Einräumen der fehlenden Kenntnis zu auswärtigen Fortbildungen ersehen lässt. Die Zeugin B. zeigte sich stärker von den Vorgängen betroffen, aber auch ihr war das Bemühen um eine aus ihrer Sicht zutreffende Darstellung nicht abzusprechen.
Gleichwohl sieht der Senat keine so präzisen Angaben in den Zeugenaussagen, die es ihm erlauben würden, ohne verbleibende Restzweifel davon auszugehen, dass die Klägerin in den Jahren 1977 bis 1990 keine – oder zumindest keine bedeutsamen – Ausfallzeiten gehabt hatte. Die Ausführungen der Zeuginnen stellen sich weniger als Erinnerungsberichte als eindrucksgetragene Wertungen dar, wonach sie die Klägerin als Beschäftigte mit wenig bis sehr wenig Ausfallanlässen einschätzen. Auch nach Nachfragen bestehen beim Senat Zweifel, welche Ausfalltatbestände in welchem Umfang vorgelegen haben. So war die Rede davon, dass man bei Erkältungskrankheiten ohnehin auf die Arbeit gegangen sei, aber auch, dass so ein kurzer Ausfall ja keine Bedeutung haben könne. Die Angaben rund um die Schwangerschaft der Klägerin variieren deutlich und erst im Verlauf des Verfahrens hat sich gezeigt, dass bei dem Kind, das während des von den Zeugenaussagen angesprochenen Zeitraums geboren worden war, längere Zeiten der Kindererziehung ohne Beschäftigung rechtlich möglich waren und auch von der Klägerin in Anspruch genommen worden waren. Zu auswärtigen Fortbildungen der Klägerin existieren ebenfalls nur – wenn überhaupt – vage Erinnerungen. Die Zeugin B. vertritt wie die Klägerin die nach Kenntnis des Senats unzutreffende Auffassung, dass in Arbeitsbüchern in Russland bei Lehrkräften – ausnahmsweise und exklusiv – Fehlzeiten eingetragen worden wären, wenn solche vorgelegen hätten.
Für den Senat verbleibt es somit dabei, dass die strittigen Zeiten nach dem FRG – nur – als glaubhaft gemacht anzusehen sind. Die Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung sind im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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