Medizinrecht

Feststellung eines Arbeitsunfalls

Aktenzeichen  S 2 U 253/16

Datum:
9.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 8 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Es besteht kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn persönliche betriebsfremde Beziehungen vorherrschen und den Zusammenhang eines tätlichen Angriffs mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 13.07.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Beklagte hat zu Recht das Ereignis vom 13.07.2015 nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide daher auch nicht in seinen Rechten verletzt.
Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, die infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) entstehen.
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist ( innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, dem Unfallereignis, geführt hat (Unfallkausalität) und letzteres einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat.
Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, in dem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit und damit die Merkmale eines Arbeitsunfalles sind nicht ohne weiteres ausgeschlossen, wenn der Versicherte einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer fällt. Trifft eine solche Angriffshandlung denjenigen, dem sie zugedacht war, sind für die Beantwortung der Frage, ob zwischen dem Angriff und der versicherten Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht, in der Regel die Beweggründe entscheidend, die den Angreifer zu diesem Vorgehen bestimmt haben. Sind diese in Umständen zu suchen, die in keiner Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten stehen, so fehlt es grundsätzlich an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (ständige Rechtsprechung des BSG, vergleiche etwa Urteil vom 19.03.1996, Az.: 2 RU 19/95 oder Urteil vom 30.06.1998, Az.: B 2 U 27/97 R).
Der Ablauf des Angriffs vom 13.07.2015 auf den Kläger ist in tatsächlicher Hinsicht zwischen den Beteiligten nicht streitig, so dass auch die erkennende Kammer den Ablauf, wie er sich aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt ergibt, ihrer Bewertung zugrunde legt.
Im Hinblick auf die Motivation des Täters, von dem der Angriff auf den Kläger ausging, ist die Kammer davon überzeugt, dass dieser aus persönlichen Gründen, hier aus Eifersucht heraus, den Angriff gegen den Kläger ausgeführt hat. Die zahlreichen Zeugenaussagen im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Täter vor dem Landgericht A-Stadt waren stets konstant und wurden umfangreich durchgeführt und dokumentiert. Außer bei den Aussagen des Täters selbst haben die Zeugen angegeben, dass der Täter aus Eifersucht gehandelt hat. Zur Überzeugung der Kammer ist davon auszugehen, dass die Angaben des Täters, er habe die Tat deshalb begehen wollen, da der Kläger seine Tochter mit dem Bus nach Hause habe fahren wollen, eine reine Schutzbehauptung ist.
Wie auch das Landgericht A-Stadt nach umfangreichen Ermittlungen und Einholung von Sachverständigengutachten für die Kammer zutreffend und überzeugend ausgeführt hat, ergibt sich aus den Zeugenaussagen ein anderes Bild.
Die 5. Strafkammer des Landgerichts A-Stadt hat ausgeführt, das tragende Motiv des Täters sei Eifersucht gewesen, da dieser wenige Tage vor dem Ereignis herausgefunden habe, dass seine Ehefrau ein sexuelles Verhältnis mit dem Kläger gehabt habe. Die Einlassungen des Täters, sein eigentliches Motiv der Tat sei gewesen, dass er sich eingebildet habe, dass seine Ehefrau nur eine Brücke für den Kläger gewesen sei, um sich an seine zwölfjährige Tochter heranzumachen, sei lediglich eine Schutzbehauptung. Die Ehefrau des Täters hat in umfangreichen Zeugenaussagen dargelegt, dass der Täter ihr vorgeschlagen habe, die Affäre zu beenden, sie aber auf diesen Vorschlag nicht eingegangen sei. Der Täter habe den Kläger als Liebhaber seiner Ehefrau wieder erkannt, nachdem er in der ehelichen Wohnung Kameras aufgestellt habe und den Kläger dann als Busfahrer erkannt habe. Die Ehefrau des Klägers hat auch zur Überzeugung der hiesigen Kammer, wie dies bereits auch dem Tatmotiv des Täters im Rahmen des Strafverfahrens zugrunde gelegt wurde, dargelegt, dass der Täter sich vor dem Ereignis nicht darüber geäußert habe, dass er sich wegen der Tochter Sorgen mache. Das Thema sämtlicher Auseinandersetzungen am Wochenende vor dem Ereignis sei gewesen, dass er ihr das Verhältnis vorgeworfen habe. Er habe sie als „Hure“ und „Schlampe“ beschimpft und dies auch wiederholt, als er den Kindern das Verhältnis offenbart habe. Der Täter habe sie auch geschubst und tätlich angegriffen. Auch die hiesige Kammer ist der Überzeugung, dass es sich um eine Schutzbehauptung des Täters handelt, wenn er im Nachhinein behauptet, dass nicht das Verhältnis zur Ehefrau, sondern die Sorge um die Tochter sein Tatmotiv bestimmt habe. Wie von der Strafkammer des Landgerichts A-Stadt ausgeführt, geht auch die Kammer in diesem Verfahren davon aus, dass der Täter sich im Nachhinein in einem besseren Licht darstellen wollte. Dafür spricht auch, dass er in der Hauptverhandlung nicht erklären konnte, aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte er den Kläger anzeigen wollte. Auch die Ausführungen des Täters, er habe den Kläger unmittelbar nachdem er in den Bus gestürmt sei und dann auf ihn eingestochen habe, aufgefordert, seine Tochter in Ruhe zu lassen, ist widerlegt. Der Kläger selbst hat in seiner Zeugenaussage angegeben, dass der Täter seine Tochter im Bus nicht erwähnt habe. Bestätigt wurde dies durch die Aussage der Ehefrau des Täters. Die Ehefrau des Täters hat ausgeführt, das Argument mit der Tochter sei erst nach der Tat aufgekommen. Ebenso wie die Kammer des Strafgerichts A-Stadt hat auch die hiesige Kammer keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Angaben des Klägers um eine Schutzbehauptung handelt.
Ergänzend wird ausgeführt, dass sich auch aus der Beschreibung in den medizinischen Unterlagen, zum Beispiel den Ausführungen des psychotherapeutischen Zentrums Bad Mergentheim vom 10.06.2016 über eine therapeutische Behandlung des Klägers ergibt, dass der Kläger aufgrund einer Beziehungstat infolge einer außerehelichen Affäre im Rahmen seiner Tätigkeit als Busfahrer attackiert wurde.
Für die Kammer steht nach Würdigung der umfangreichen Ermittlungsergebnisse fest, dass der Angriff des Täters auf den Kläger aus rein persönlicher Motivation heraus verübt wurde. Unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze, insbesondere der Rechtsprechung des BSG, besteht somit der erforderliche innere Zusammenhang des Ereignisses mit der versicherten Tätigkeit nicht. Es ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, dass besondere Umstände der versicherten Tätigkeit die Tat überhaupt erst ermöglicht oder entscheidend erleichtert haben. Im Übrigen bestand auch eine erhebliche Entdeckungsgefahr für den Täter, dessen Ehefrau bei der Tat selbst anwesend war und was sich auch anhand des Tathergangs, für den es mehrere Zeugen an der Bushaltestelle gab, realisiert hat. Bei einer solchen erheblichen Entdeckungsgefahr können besondere Umstände im vorgenannten Sinn nicht angenommen werden (vergleiche Ricke in: Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, Rn. 119 a).
Zwar befand sich der Kläger während des Ereignisses bei seiner Tätigkeit, der Unfallversicherungsschutz ist zur Überzeugung der Kammer jedoch deshalb entfallen, weil es keinen inneren Zusammenhang zwischen der Tat als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit gibt. Ein Überfall schließt einen Arbeitsunfall nur dann nicht aus, wenn die Beweggründe des Täters nicht dem persönlichen Bereich des Täters zugeordnet werden können und die Tat nicht von besonderen Verhältnissen der Tätigkeit begünstigt wurde. Dass entscheidend auf die Beweggründe des Täters abzustellen ist, folgt daraus, dass allein anhand dieses Kriteriums entschieden werden kann, ob eine zur Gewalttat entschlossene Person nur eine Möglichkeiten nutzt, seinem Opfer habhaft zu werden und sich damit keine der versicherten Tätigkeit innewohnende Gefahr verwirklicht, sondern eine allgemeine Gefahr, die dann nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung gerade nicht unter den Schutz dieser Versicherung fallen soll. Mit der Erwägung, dass betriebsfremde Beziehungen zwischen Täter und Opfer vorherrschen und den Zusammenhang des Überfalls mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen, rechtfertigt sich die Versagung des Unfallversicherungsschutzes in diesen Fällen.
Die Kammer hat darauf hingewiesen, dass auch aus ihrer Sicht ein solch weiter Versicherungsschutz in der Unfallversicherung nicht dem Normzweck entspricht (vergleiche Bayerisches LSG, Urteil vom 9.2.2011, Az.: L 18 U 418/09 und LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2012, Az.: L 2 U 71/11 sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2011, Az.: L 2 U 5633/10).
Aufgrund einer Gesamtwürdigung des Sachverhaltes, insbesondere aufgrund der Ermittlungen und Feststellungen des Urteils des Landgerichtes A-Stadt im Strafverfahren gegen den Täter, folgt die Kammer den rechtskräftigen Feststellungen des Landgerichtes, woraus sich ergibt, dass das Tatmotiv des Täters ausschließlich im Bereich der persönlichen Beziehung zwischen ihm und dem Kläger lag. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Täter aus Eifersucht den Kläger angegriffen hat. Der Besonderheit des Unfallortes kommt gegenüber der Motivation des aus Sicht der Kammer entschlossenen Täters nicht das Gewicht einer annähernd gleichwertigen Bedingung zu. Die Umstände des Tatortes sind gegenüber dem rein persönlich motivierten Angriff nur als unwesentliche Gelegenheitsursache anzusehen.
Für die Annahme einer Unfallkausalität zwischen Unfallereignis und versicherter Tätigkeit ist aus Sicht der Kammer bei dem dargelegten Sachverhalt kein Raum. Vielmehr ist die Kammer der Überzeugung, dass der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu versagen ist, weil betriebsfremde Beziehungen vorherrschen und den Zusammenhang des Angriffs mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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