Medizinrecht

Folgen verweigerter Mitwirkung an einer angeordneten Untersuchung zur Polizeidienstfähigkeit

Aktenzeichen  3 CS 20.1642

Datum:
7.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24783
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 2, Art. 128 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Ob und wann eine Störung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit eines Polizeibeamten beeinträchtigt, ist eine Frage, deren Entscheidung vorrangig dem Amtsarzt oder dem zuständigen Polizeiarzt zusteht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies gilt auch, wenn der Amts- bzw. Polizeiarzt kein Facharzt auf dem einschlägigen Fachgebiet ist; die Stellungnahme eines ggf. hinzugezogenen Facharztes wird dann dem Amts- bzw. Polizeiarzt zugerechnet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Beamte ist nicht berechtigt, die Teilnahme an einer amtsärztlichen Untersuchung davon abhängig zu machen, dass er Fragen zu den Tatsachen, die Grundlage der Zweifel an seinerPolizeidienstfähigkeit sind, nicht beantworten muss. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Beamte hat keinen Anspruch darauf, dass die Untersuchung nur unter Anwesenheit einer dritten Person stattfindet. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 S 20.1070 2020-07-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Die Feststellung der (fiktiven) Polizeidienstunfähigkeit des Antragstellers gemäß Art. 128 Abs. 1 Satz 3 BayBG i.V.m. Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBG unter Anordnung des Sofortvollzugs (Bescheid v. 6.3.2020) ist nach summarischer Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat sich der rechtmäßigen Verpflichtung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen (Untersuchungsanordnungen v. 21.5., 19./29.8. und 7.11.2019; vgl. BayVGH, B.v. 22.8.2019 – 3 CE 19.1507 – BA Rn. 5 ff.), ohne Nachweis eines hinreichenden Grundes entzogen, indem er bei den Untersuchungsterminen am 23. August 2019, 20. September 2019 und 12. Dezember 2019 seine gebotene Mitwirkung verweigerte.
Die Beschwerdebegründung enthält keine durchgreifenden Umstände, die einer amtsärztlichen Begutachtung in diesem Zeitraum entgegengestanden hätten.
1. Der Verweis auf die (vermeintlich) fehlende Qualifikation des Polizeiarztes Dr. K. als Facharzt für Arbeitsmedizin für die psychiatrische Untersuchung ist dazu nicht geeignet.
Die Gutachter des Ärztlichen Dienstes der Polizei sind kraft ihres Amtes dazu berufen, über Fragen nach der Geeignetheit zum Führen von Dienstwaffen, wie auch über die der Polizeidienstfähigkeit insgesamt, zu befinden. Für die Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Polizeibeamten bedarf es über die üblichen Kenntnisse eines Arztes hinausgehender besonderer Sachkunde. Diese bezieht sich insbesondere auf die Kenntnis der Belange des Polizeivollzugsdienstes und gründet sich zudem auf der Erfahrung aus einer Vielzahl von gleich oder ähnlich gelagerten Fällen. Ob und wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert beizumessen ist, mag unter Umständen ein Privatarzt, zumal ein Facharzt, besser beurteilen können. Ob und wann eine Störung mit Krankheitswert jedoch die Dienstfähigkeit beeinträchtigt, ist eine Frage, deren Entscheidung vorrangig dem Amtsarzt oder dem zuständigen Polizeiarzt zusteht (BVerwG, B.v. 8.3.2001 – 1 DB 8.01 – ZBR 2001, 297 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 6 ZB 19.538 – juris Rn. 16; OVG NW, B.v. 10.10. 2000 – 6 B 4554/00 – juris).
Begründete Zweifel an der Sachkunde des Amts- bzw. Polizeiarztes bestehen nicht. Zwar ist Dr. K. kein Facharzt für Psychiatrie, doch hätte er sich – falls dies erforderlich gewesen wäre – auf diesen Gebieten der Sachkunde entsprechender Fachärzte noch im Anschluss an seine Untersuchung bedienen und zur Erstellung seines Gutachtens auf Zusatzgutachten zurückgreifen können und dürfen. Die Stellungnahme des Facharztes wird dann dem Amtsarzt zugerechnet (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2001, a.a.O.). Die Beurteilung der Frage, ob ein entsprechendes fachärztliches Zusatzgutachten notwendig ist, verhinderte der Antragsteller jedoch bereits im Ansatz, indem er seine Untersuchung unter unzulässige Bedingungen stellte und damit seine erforderliche Mitwirkung verweigerte.
2. Auch der Verweis des Antragstellers darauf, dass Dr. K. vermeintlich (insbesondere wegen der Ereignisse am 12.12.2019) befangen sei, stellt keinen hinreichenden Grund für die Verweigerung seiner notwendigen Mitwirkung dar. Denn bereits vor dem 12. Dezember 2019 und unabhängig von den Befangenheitsvorwürfen, die der Bevollmächtigte des Antragstellers erstmals mit Schreiben vom 13./18. Februar 2020 geltend machte, hatte der Antragsteller bereits in den Vorgesprächen der Untersuchungstermine (23.8.2019, 20.9.2019 und 12.12.2019) klargestellt, zu den im Untersuchungsauftrag aufgeführten Ereignissen keine Fragen zu beantworten, soweit sie sich auf das nach wie vor anhängige Gerichtsverfahren M 5 K 19.2687 (Klageverfahren gegen die Untersuchungsaufforderung v. 21.5.2019) bezögen. Auch halte er daran fest, sich nicht umfassend und ohne der Anwesenheit einer dritten Person durch Dr. K. untersuchen zu lassen (Aktenvermerk v. 16.12.2019, Behördenakte S. 72). Die von der Beschwerde behaupteten (vermeintlichen) Befangenheitsgründe waren damit nicht kausal für die Weigerung des Antragstellers, sich vollumfänglich und vorbehaltlos durch Dr. K. untersuchen zu lassen.
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführte (BA Rn. 56) war der Antragsteller nicht berechtigt, die Untersuchung davon abhängig zu machen, dass er Fragen zu den Geschehnissen, die Gegenstand der Gutachtensaufforderung vom 21. Mai 2019 und damit (u.a.) des Klageverfahrens M 5 K 19.2687 sind, nicht beantworten müsse. Denn der Gutachter muss Fragen gerade zu den Tatsachen stellen können, die Grundlage der Zweifel an der Polizeidienstfähigkeit des Antragstellers sind, andernfalls die Begutachtung sinnlos wäre. Ob und wie der Antragsteller sodann diese Fragen beantwortet, obliegt allein ihm, die Bewertung und Schlussfolgerung aus den (gegebenenfalls auch versagten) Antworten trifft hingegen der Gutachter. Ein hinreichender Grund für eine „Vorab-Verweigerung“ der Untersuchung kann daraus jedenfalls nicht abgeleitet werden.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Untersuchung nur unter Anwesenheit einer dritten Person (der Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie Dr. H.) stattfindet (vgl. BA Rn. 59). Ein solcher kommt – wie der Senat bereits entschieden hat (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 3 CE 15.172 – juris Rn. 20) – nur unter Angabe besonderer Umstände, die die Anwesenheit einer dritten Person zwingend erforderlich machen, in Betracht. Solche sind hier nicht ersichtlich (vgl. BA Rn. 63).
Ist eine dritte Person bei einem psychiatrischen Explorationsgespräch anwesend, so ist zu befürchten, dass keine authentische Kommunikation zwischen dem Arzt und dem Probanden stattfindet. Eine verlässliche ärztliche Einschätzung und Begutachtung erfordert bei einer psychiatrischen Exploration ein unmittelbares und unbeeinflusstes ärztliches Gespräch (BayVGH, B.v. 23.2.2015 a.a.O.; OVG NW, B.v. 28.7.2014 – 6 A 1311/13 Rn. 23; OVG Hamburg, B.v. 15.6.2006 – 1 Bs 102/06 – juris Rn. 4; OVG RhPf, B.v. 11.6.2013 – 2 A 11071/12 – juris Rn. 4 ff. unter Bezugnahme auf die medizinische Literatur). Dies gilt auch für eine – wie der Antragsteller meint – „persönlich nicht involvierte“ Ärztin, die das Explorationsgespräch nicht durch eigene Bemerkungen zu beeinflussen beabsichtigt. Denn „beeinflussend“ kann schon die bloße Anwesenheit einer dritten Person (nicht nur eines nahen Angehörigen) sein. Für einen Gutachter kommt es aber gerade darauf an, einen Eindruck von einem Probanden zu bekommen, wie er sich darstellt, wenn keine Person (ihres Vertrauens) anwesend ist, etwa um Ängste, besondere seelische Blockierungen und Hemmnisse feststellen zu können. Dies sind sachliche und nachvollziehbare Gründe für die Ablehnung der Anwesenheit einer weiteren Person. Der Gefahr, wie sie das vom Antragsteller zitierte OLG Hamm (B.v. 3.2.2015 – II-14 UF 135/14 – juris Rn. 7) sieht, dass der Begutachtete keine Möglichkeit hat, unrichtige Wiedergaben innerhalb des Gutachtens belegen zu können, könnte auch durch andere Mittel (z.B. durch eigene schriftliche Notizen oder eine im Einverständnis der Beteiligten erfolgten Tonaufzeichnung – so das OLG Hamm selbst) begegnet werden. Entgegen der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (B.v. 23.2.2006 – L 4 B 33/06 SB – juris) schließt der Senat die Anwesenheit einer dritten Person nicht „generell“ aus, sondern hält dies unter besonderen Umständen – die sich aber nicht mit dem Hinweis des Antragstellers auf die vermeintliche Vorgesetztenfunktion des Dr. K. gegenüber der Polizeiärztin Dr. R. (Aktenvermerk v. 16.12.2019, Behördenakte S. 73) begründen lassen (dazu sogleich unter 3.) – durchaus für angezeigt.
3. Unabhängig davon führen nach summarischer Prüfung auch die in der Sache vorgebrachten Gründe nicht zu begründeten Zweifeln an der Unparteilichkeit und Neutralität des Amtsarztes. In der eidesstattlichen Versicherung vom 25. August 2020 stellte der Amtsarzt klar, dass er weder eine Beziehung zu derjenigen Polizeiärztin hatte oder hat noch mit ihr in näherer Bekanntschaft ist oder war, die mit dem Antragsteller eine Zeitlang eine intime Beziehung geführt hatte. Zudem hat er wahrheitsgemäß angegeben, als Leiter des Sachgebiets M1 nicht (unmittelbarer) Vorgesetzter dieser dem Sachgebiet M2 angehörigen Polizeiärztin zu sein. Selbst im Vertretungsfall übt Dr. K. als stellvertretender Leiter der den beiden Sachgebieten übergeordneten Stabsabteilung M nicht die unmittelbare Vorgesetztenfunktion gegenüber der besagten Polizeiärztin aus.
Auch rechtfertigt sein Verhalten am 12. Dezember 2019, indem er nach einer Gesprächsdauer von gut einer Stunde, bei der der Antragsteller mehrfach klargemacht hatte, dass er von seinem Standpunkt nicht abrückt (Aktenvermerk vom 16.12.2019, Behördenakte S. 73) mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und fragte, ob sich der Antragsteller jetzt begutachten lasse oder nicht, nicht die Besorgnis, er lasse bei der Erstellung seines ärztlichen Gutachtens die notwendige Objektivität zu Lasten des Antragstellers vermissen. Eine herabsetzende Kritik an der Person des Antragstellers im Sinne einer persönlichen Abwertung oder Voreingenommenheit lässt sich der Gemütsäußerung nicht entnehmen.
Dass Dr. K. den Antragsteller im Vorfeld der am 12. Dezember 2019 vorgesehenen amtsärztlichen Untersuchung nicht über die Anwesenheit von zwei Beamten des Polizeipräsidiums während des Vorgesprächs informierte, begründet ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit. Auch wenn dieses Vorgehen auf den Antragsteller wie ein „Überfall“ gewirkt haben mag, sollte ihm damit keine – wie der Bevollmächtigte meint – „Falle“ gestellt, sondern die rechtlichen Vorfragen zum Umfang seiner Mitwirkungspflicht durch das hierfür zuständige Polizeipräsidium erläutert werden, nachdem bereits die beiden vorausgegangenen Untersuchungstermine an dieser gescheitert waren.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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