Medizinrecht

Fortbestehen der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei stationärer Aufnahme am Tag nach der zuletzt aufgrund einer anderen Krankheit bescheinigten Arbeitsunfähigkeit

Aktenzeichen  L 4 KR 293/20

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25961
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 44 Abs. 1 S. 1, § 46 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 192 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Für den Fortbestand des Versicherungsschutzes nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich die Krankengeldansprüche nahtlos aneinander anschließen. (Rn. 29)
2. Eine nahtlose Abfolge von Krankengeldansprüchen liegt auch vor, wenn sich an eine abschnittsweise erfolgte Bewilligung von Krankengeld auf der Grundlage befristeter AU-Feststellungen gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ein weiterer Krankengeldanspruch – gestützt auf eine Krankenhausbehandlung (§ 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V) – unmittelbar anschließt. (Rn. 30)
3. Der Anspruch auf Krankengeld bei einem Krankenhausaufenthalt nach § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V entsteht am Tag des Beginns der Aufnahme in das Krankenhaus ab Tagesbeginn um 0 Uhr. (Rn. 28)
4. Das Fortbestehen der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V setzt keine Überlappung der Krankengeldansprüche voraus. (Rn. 29)
1. Der Beginn einer Behandlung iSv § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V ist tageweise zu bestimmten. Eine Krankenhausbehandlung „beginnt“ daher um 0:00 Uhr des Aufnahmetages (Fortführung von LSG Berlin-Brandenburg BeckRS 2019, 16990).  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den Fortbestand der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich das Beschäftigungsverhältnis und die anschließende Entstehung von Krankengeldansprüchen jeweils taggenau nahtlos aneinander anschließen, eine Überschneidung ist nicht erforderlich (Fortführung von BSG BeckRS 2012, 72145). Nahtlosigkeit liegt auch dann vor, wenn sich an eine abschnittsweise Bewilligung von Krankengeld auf der Grundlage befristeter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein auf einer Krankenhausbehandlung beruhender Krankengeldanspruch anschließt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um dieselbe oder eine andere Krankheit handelt. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 46 S. 2 SGB V in der seit dem 23.7.2015 gültigen Fassung vom 16.7.2015 ist nicht anwendbar, wenn die Entstehung des Krankengeldanspruchs auf § 46 S. 1 Nr. 1 SGB V beruht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 4 KR 257/18 2020-06-16 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Juni 2020 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2018 verurteilt, der Klägerin über den 12. Februar 2018 hinaus bis einschließlich 5. April 2018 Krankengeld zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von Krankengeld über den 12.02.2018 hinaus bis 05.04.2018.
Nach § 44 Abs. 1 S.1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für Krankengeld vorliegt (BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15).
Nach § 46 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld 1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, 2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Die Klägerin war bis zum 31.01.2018 als Arbeitnehmerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bei der Beklagten gesetzlich versichert. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im Anschluss daran die durch die Beschäftigtenversicherung begründete Mitgliedschaft der Klägerin wegen eines Anspruchs auf Krankengeld – gründend auf den AU-Bescheinigungen vom 23.01.2018 und 01.02.2018 – gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bis zum 12.02.2018 erhalten geblieben war. Sie blieb nach Überzeugung des Senats auch über den 12.02.2018 hinaus bis 05.04.2018 erhalten.
Gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten, solange u.a. ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Vorliegend schloss sich dem bis 12.02.2018 bestehenden Anspruch auf Krankengeld, beruhend auf der AU-Bescheinigung vom 01.02.2018, ein weiterer Anspruch, gestützt auf die Krankenhausbehandlung ab dem 13.02.2018, nahtlos an.
Nach § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld bei einem Krankenhausaufenthalt von ihrem Beginn an. Der Senat teilt die Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Urteil vom 22.05.2019, L 4 KR 94/18, wonach mit dem „Beginn der Behandlung“ im Krankenhaus nicht gemeint ist, dass erst ab dem Zeitpunkt einer förmlichen Aufnahme in die Sachgesamtheit des Krankenhauses an diesem Tag ein Anspruch auf Krankengeld entsteht. Gemeint ist vielmehr der Tag des Beginns der Krankenhausbehandlung in Abgrenzung zu anderen Tagen davor. Der Tag des Beginns der Aufnahme in das Krankenhaus ist somit der ganze Tag, also ab dem Tagesbeginn um 0.00 Uhr. Wie vom LSG Berlin-Brandenburg in der erwähnten Entscheidung zutreffend ausgeführt wird, zeigt dies nicht zuletzt die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V, wonach das Krankengeld für Kalendertage gezahlt wird, der Krankengeldanspruch also nur für ganze Kalendertage entsteht und besteht, d.h., unabhängig davon, wann die Krankenhausbehandlung an dem Aufnahmetag beginnt.
Die Aufrechterhaltung der Beschäftigtenversicherung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V setzt nach der Rechtsprechung des BSG keine Überschneidung von Beschäftigungsverhältnis und Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung voraus, sondern lediglich eine Nahtlosigkeit von Beschäftigung und Entstehung des Rechts auf die Sozialleistung, also die Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung in unmittelbarem zeitlichen Anschluss an das Beschäftigungsverhältnis (vgl. BSG, Urteil v. 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R). Dies belegten andere Fallgestaltungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, so das BSG in der vorgenannten Entscheidung, in denen sich der Anspruch auf die Sozialleistung ohne Überschneidung an das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis anschließt und dadurch die Mitgliedschaft aufrechterhält. Dem entspreche auch die Rechtsprechung des BSG in Fällen, in denen die Erhaltung der Mitgliedschaft Versicherter nach beendetem Beschäftigungsverhältnis durch den Krankengeldbezug bei abschnittsweiser Bewilligung auf der Grundlage befristeter AU-Feststellungen ab dem zweiten Bewilligungsabschnitt allein auf der Nahtlosigkeit der Krankengeld-Bewilligung beruhe. Bei fortdauernder AU, aber abschnittsweiser Krankengeld-Bewilligung könnten sich die Krankengeld-Ansprüche nur nahtlos aneinander anschließen, nicht aber überschneiden (BSG, a.a.O. Rn 16-18 nach juris).
Ausgehend hiervon ist der Einwand, der hier geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld über den 12.02.2018 hinaus scheitere daran, dass die Klägerin am 13.02.2018 nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei, weil der mit Ablauf des 12.02.2018 endende Krankengeld-Bewilligungsabschnitt sich nicht mit dem auf § 46 Satz 1 Nr.1 SGB V gestützten Krankengeldanspruch ab dem 13.02.2018 überlappt habe, nicht tragfähig. Denn für den Fortbestand der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist eine Überschneidung der Krankengeldansprüche nicht erforderlich. Dies verdeutlichen die vom BSG in oben erwähnter Entscheidung vom 10.05.2012 angesprochenen Fälle, in denen die Mitgliedschaft Versicherter nach beendetem Beschäftigungsverhältnis durch den Krankengeldbezug bei abschnittsweiser Bewilligung auf der Grundlage befristeter AU-Feststellungen nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fortbestand. Nach der bis 22.07.2015 geltenden Rechtslage waren die Versicherten gehalten, eine Folgekrankheitsbescheinigung spätestens am letzten Tag des Gültigkeitszeitraums der vorangegangenen AU-Bescheinigung zu erwirken. Dies war für den Fortbestand der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausreichend, obwohl der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis 22.07.2015 geltenden Fassung erst an dem Tag entstand, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgte und damit keine Überschneidung der Krankengeld-Bewilligungsabschnitte vorlag. Für den Fortbestand des Versicherungsschutzes nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es demnach erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich die Krankengeldansprüche nahtlos aneinander anschließen. Eine solche Nahtlosigkeit liegt im vorliegenden Fall im Hinblick auf den bis 12.02.2018 bestehenden Krankengeldanspruch und den auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V gestützten Anspruch ab 13.02.2018 – wie dargelegt – vor.
Dem streitgegenständlichen Anspruch auf Krankengeld über den 12.02.2018 hinaus steht auch nicht entgegen, dass der Krankenhausbehandlung ab dem 13.02.2018 eine andere Krankheit zugrunde lag als der Arbeitsunfähigkeit im vorangegangenen Krankengeld-Bewilligungsabschnitt. Eine gesetzliche Grundlage für das von der Beklagten geltend gemachte Erfordernis derselben Erkrankung in der hier vorliegenden Konstellation ist für den Senat nicht ersichtlich.
§ 46 Satz 2 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung ab 23.07.2015 ist vorliegend nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Zweck der Regelung ist die Sicherstellung des nahtlosen Leistungsbezuges und der Erhalt der Mitgliedschaft aufgrund des Krankengeldbezuges nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bei Folgebescheinigungen, die nach alter Rechtslage (bis 22.07.2015) als (geringfügig) verspätet ausgestellt zu werten waren (vgl. BT-Drs.18/4095, S. 80). Nur diese zum 23.07.2015 eingeführte Erleichterung der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes setzt voraus, dass weitere AU wegen derselben Krankheit bescheinigt wird. Die Vorschrift des § 46 Satz 2 SGB V greift im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht, weil die Entstehung eines Krankengeldanspruchs nach § 46 Satz 1 Nr. 1 SGBV im Streit steht.
Die Klägerin befand sich in unmittelbarem Anschluss an die Krankenhausbehandlung im Kreiskrankenhaus V (13.02. bis 22.02.2018) zur weiteren Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung in F (22.02. bis 15.03.2018), so dass der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V nahtlos bis 15.03.2018 erhalten blieb. Daran schloss sich aufgrund der von B ausgestellten Folgebescheinigung vom 15.03.2018 ein weiterer Krankengeldanspruch unmittelbar bis 05.04.2018 an.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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