Medizinrecht

Genehmigungsfähigkeit einer Werbeanlage

Aktenzeichen  M 9 K 16.2007

Datum:
19.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG BayStrWG Art. 24 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 59 S. 1, Art 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Maßstab für die Prüfung im Rahmen des Art. 24 BayStrWG ist, ob eine abstrakte Gefährlichkeit gegeben ist. Diese liegt vor, wenn die Staatsstraße im Bereich des Baugrundstücks unübersichtlich ist und Fußgänger wegen der Situierung der Gehwege gezwungen sind, die Fahrbahn zu überqueren. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung. Die genehmigungspflichtige (1.) Werbeanlage ist nicht genehmigungsfähig (2.), weshalb die Ablehnungsentscheidung des Landratsamtes rechtmäßig war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die Werbeanlage ist genehmigungspflichtig, da Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO angesichts der Ausmaße der Werbeanlage und ihres Standortes nicht einschlägig ist. Auch Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO greift nicht, da keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StVO erforderlich ist. Der Standort der Werbeanlage befindet sich in einer geschlossenen Ortschaft (siehe auch Ziffer 2. Buchstabe a); die Werbeanlage erreicht keine Dimensionen, die den Verkehr außerhalb der geschlossenen Ortschaft stören könnte (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 StVO).
2. Die Werbeanlage ist nicht genehmigungsfähig, sie verstößt gegen die Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 BayStrWG.
Für die keinen Sonderbau darstellende Werbeanlage gilt zwar das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren, Art. 59 Satz 1 BayBO. Das Landratsamt durfte den Bauantrag über Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO aber auch aus anderen Gründen ablehnen (BayVGH, U. v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris). Vorliegend ist aus Sicht des Landratsamtes eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegeben; deswegen verweigerte auch das vonseiten des Landratsamtes beteiligte Staatliche Bauamt das nach Art. 24 Abs. 1 BayStrWG erforderliche Einvernehmen. Das Gericht hat in einer solchen Situation zu prüfen, ob das Einvernehmen zu Recht verweigert wurde und ob Gründe der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Baugenehmigung entgegenstehen (VG Würz-burg, U. v. 4.9.2012 – W 4 K 12.364 – juris).
Die Werbeanlage beeinträchtigt u. a. wegen der Sichtverhältnisse die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Art. 24 BayStrWG ist anwendbar (a). Ausreichend ist eine abstrakte Gefährlichkeit in der konkreten Situation (b), die vorliegend zu bejahen ist (c).
a) Art. 24 BayStrWG ist vorliegend anwendbar.
Das Baugrundstück liegt an einem Teil einer Staatsstraße (St …) innerhalb der geschlossenen Ortslage. Geschlossene Ortslage ist der Teil eines Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist (Zeitler, BayStrWG, Art. 4 Rn. 11). Maßgebend ist der tatsächliche Bebauungszusammenhang. Dieser ist vorliegend anhand der Feststellungen im Augenschein zu bejahen. Das Baugrundstück liegt eingebettet in einer auf Höhe des Grundstücks zusammenhängenden, beidseits der Staatsstraße bestehenden Bebauung.
Eine Anwendung des Art. 23 BayStrWG scheidet aus. Nach Art. 4 BayStrWG zu unterscheiden sind Erschließungs- und Verknüpfungsbereiche als Untergliederungen von Ortsdurchfahrten. Im Erschließungsbereich sind an- und hinterliegende Grundstücke mit der Staats- oder Kreisstraße durch gemeingebräuchliche Zufahrten und Zugänge verbunden und erschlossen; Verknüpfungsbereiche zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass sie ohne Zufahrten durch die geschlossene Ortslage geführt werden und nur mit dem Ortsstraßennetz verbunden sind (Zeitler, a. a. O., Rn. 22f.). Art. 23 BayStrWG gilt nur entlang der Teilstrecken der Ortsdurchfahrten, die ausschließlich der Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dienen und entlang der daran „nach außen“ anschließenden freien Strecken der Staats- und Kreisstraßen (Zeitler, a. a. O., Art. 23 Rn. 46).
Vorliegend bindet die Staatsstraße auf Höhe des Baugrundstücks nicht etwa nur einzelne Ortsteile an, sondern erschließt selbst direkt die an sie angebauten Häuser. Im Umfeld des Baugrundstücks haben alle Grundstücke eine direkte Zufahrt zur Ortsdurchfahrt.
b) Maßstab für die Prüfung im Rahmen des Art. 24 BayStrWG ist, ob eine abstrakte Gefährlichkeit gegeben ist.
Wenn die Klägerbevollmächtigte meint, es sei eine konkrete Verkehrsgefährdung oder gar die Feststellung eines Unfallschwerpunktes nötig, so verkennt sie, dass vorliegend nicht Art. 14 Abs. 2 BayBO als Ablehnungsgrund in Rede steht. Dieser fordert – in Abgrenzung zu den straßenrechtlichen Tatbeständen (vgl. dazu z. B. VG Ansbach, U. v. 4.5.2016 – AN 3 K 16.00277 – juris) – eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs. Es sei aber darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch für eine solche konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, sondern dass eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage bereits dann vorliegt, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (BayVGH, B. v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409). Mit anderen Worten ist kein Nachweis darüber zu erbringen, dass am streitgegenständlichen Bauort bereits Unfälle stattgefunden hätten o.Ä. (BayVGH, B. v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris).
Art. 24 BayStrWG hat insoweit einen anderen sachlichen Anwendungsbereich, als durch diese Norm bereits ein „normaler“ Verkehrsablauf geschützt wird, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. Bereits der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll geschützt werden, eine im Einzelfall bestehende gegenwärtige Gefahr braucht nicht zu befürchten sein (entschieden zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 9 Abs. 3a i. V. m. Abs. 3 FStrG, vgl. VG Ansbach, U. v. 4.5.2016 – AN 3 K 16.00277 – juris; BayVGH, B. v. 25.10.2011 – 15 ZB 10.2590; BayVGH, U. v. 16.10.1990 – 14 B 89.835).
Die Voraussetzungen des Art. 24 BayStrWG sind dabei für den zu entscheidenden Einzelfall festzustellen. Der Verweis auf Entscheidungen, die „für entsprechende Situationen“ eine Verkehrsgefährdung in diesem Sinne angenommen hätten, hilft von vorn herein nicht weiter.
c) Vorliegend ist eine abstrakte Gefährlichkeit in diesem Sinne zu bejahen. Die Kammer schließt sich nach den Erkenntnissen des Augenscheins unter Berücksichtigung der konkret vorgefundenen Verkehrssituation den Erwägungen des Staatlichen Bauamtes an, die in der mündlichen Verhandlung nochmals bekräftigt wurden.
Die St … ist im Bereich des Baugrundstücks unübersichtlich. Dies ergibt sich zum einen aus der auf Höhe des Baugrundstücks gegebenen S-Kurve, die für ortseinwärts fahrende Kraftfahrzeuge den Blick auf den weiteren Straßenverlauf stark einschränkt. Von Norden her kommend sind die in den Ortsteil einfahrenden Fahrzeuge dabei zudem noch mit erheblicher Geschwindigkeit unterwegs, wie der Augenschein gezeigt hat. Verkompliziert wird die Verkehrssituation zum anderen auch durch die Situierung der Gehwege. Zwar beginnt westlich der nach dem Baugrundstück befindlichen Abzweigung auch auf der ortseinwärts gesehen rechten Fahrbahnseite wieder ein Gehweg. Dies führt aber nicht etwa zu einer Entschärfung der Situation, sondern verkompliziert sie gerade. Ortsauswärts auf dem linken Gehweg gehende Fußgänger sind unmittelbar vor dem Baugrundstück gezwungen, die Straßenseite zu wechseln. Auch Anlieger aus dem südöstlichen Bereich des Ortsteils … werden genau an dieser Stelle die Straßenseite wechseln, wenn sie Orte jenseits der St … aufsuchen wollen, da sich eine Querung wegen des dort auf der ortseinwärts gesehen rechten Fahrbahnseite beginnenden Gehwegs anbietet. Entsprechende Beschwerden von Fußgängern, auf die das Landratsamt verweist, zeigen, ohne dass es darauf tragend ankommt, dass die so beschriebenen Straßenwechsel realistisch und problematisch sind. Die Verkehrssituation für die Fußgänger selbst als auch für in den Ortsteil ein- und aus ihm ausfahrende Kraftfahrzeuge stellt sich für den geplanten Standort der Werbeanlage als schwierig und komplex dar; sie erfordert eine erhöhte Konzentration von allen Verkehrsteilnehmern (vgl. zu den Argumenten „Kurvenbereich“ und „querende Fußgänger“ auch VG Augsburg, U. v. 10.6.2015 – Au 4 K 14.1686 – juris und VG Regensburg, U. v. 12.12.2013 – RO 2 K 13.1669 – juris). Angesichts dieser Situation ist eine weitere Ablenkung gerade der Kraftfahrzeugfahrer, wie sie von Werbeanlagen ausgeht, die ja gerade darauf gerichtet sind, Aufmerksamkeit zu erzeugen, nicht hinnehmbar. Es mag sein, dass Verkehrsteilnehmer in innerörtlichen gewerblich geprägten Bereichen (für einen entsprechenden Einzelfall entschieden von BayVGH, B. v. 30.7.2012 – 9 ZB 11.2280 – juris) an den Anblick von Werbeanlagen gewöhnt sind. Auch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird eine derartige Argumentation aber nicht etwa „pauschal“ anerkannt (vgl. BayVGH, B. v. 18.10.2012 – 11 ZB 12.1428 – juris). Abzustellen ist auf den Einzelfall. Im kleinen, ländlich geprägten Ortsteil … stellt die Werbeanlage nach Ansicht der Kammer eine Besonderheit dar, von der eine ablenkende Wirkung ausgehen wird. Angesichts dessen und wegen des gefährlichen Standorts – S-Kurve und querende Fußgänger – ist vorliegend eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu bejahen, ohne dass es entscheidend darauf ankäme, ob die Werbeanlage beleuchtet oder mit außergewöhnlich grellen Werbungen bestückt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt; sie ist damit kein Kostenrisiko eingegangen, weswegen es der Billigkeit entspricht, ihre außergerichtlichen Kosten auch nicht für erstattungsfähig zu erklären. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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