Medizinrecht

Gesundheitsschädigung in Folge der Freiheitsentziehung – Versorgungsanspruch

Aktenzeichen  L 15 VU 3/13

Datum:
31.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21625
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BVG § 29, § 30 Abs. 1, Abs. 2
StrRehaG § 21 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Für einen Aufschub nach § 29 BVG ist grundsätzlich ein konkretes Angebot der Verwaltung erforderlich, das etwa nach Ziel, Zeit, Ort, Inhalt, Dauer und Veranstalter der Reha-Maßnahme sowie nach begleitenden Leistungen bestimmt ist. (Rn. 62)
2. Einem Betroffenen steht in sämtlichen in § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG genannten Fällen eine Erhöhung des GdS nur zu, wenn die in diesen Tatbeständen beschriebenen beruflichen Nachteile ihn subjektiv besonders treffen. (Rn. 47 – 49 und 57)
3. Weder bei der Beurteilung, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil als Ausdruck einer besonderen Berufsbetroffenheit vorliegt, noch bei der Erhöhung des GdS ist eine rein schematische Erhöhung zulässig; es ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. (Rn. 57)

Verfahrensgang

S 5 U 3/11 2013-01-30 GeB SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung wird der Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Januar 2013 und unter Abänderung des Bescheids vom 8. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2011 verurteilt, dem Kläger eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 50 für den Zeitraum vom 1. November 2007 bis 31. März 2012 und in Höhe von 40 für die Zeit ab 1. April 2012 zu zahlen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtlichen Kosten zu 2/3 zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und ist statthaft (§ 151 Abs. 1, §§ 143, 144 SGG).
Sie ist auch begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente gem. § 30 Abs. 1 BVG mit einem GdS von 50 für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis 31.03.2012 und in Höhe von 40 ab 01.04.2012 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit gem. § 30 Abs. 2 BVG. Der Gerichtsbescheid des SG und die angefochtenen Verwaltungsakte des Beklagten sind daher antragsgemäß entsprechend abzuändern.
Streitgegenstand ist vorliegend die Zuerkennung einer Beschädigtenrente unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinn von § 30 Abs. 2 BVG. Diese kann nicht isolierter Streitgegenstand sein; bei ihr handelt es sich lediglich um einen Teilfaktor zur Bemessung des GdS, der wiederum nur Tatbestandsmerkmal für Leistungsansprüche ist (vgl. das Urteil des Senats vom 19.07.2011 – L 15 VG 20/10), sodass es hinsichtlich des Streitgegenstands nicht darauf ankommt, wann dieser Aspekt in das Verfahren eingeführt worden ist.
Vom Kläger zu keiner Zeit beantragt worden ist die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs (BSA) nach § 30 Abs. 3 BVG. Sie ist daher nicht Streitgegenstand. Der Anspruch auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG ist gegenüber dem BSA nach § 30 Abs. 3 BVG selbständig. Eine gegenseitige Abhängigkeit besteht nicht (vgl. das Urteil des Senats vom 23.05.2017 – L 15 VU 1/11). Der Anspruch auf BSA setzt nicht das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins voraus (BSG, Urteil vom 28.04.2005 – B 9a/9 VJ 1/04 R, m.w.N.), was erst recht umgekehrt gilt.
1. Wie das SG zutreffend entschieden hat, ergibt sich ein höherer GdS als 40 bzw. 30 nicht aufgrund einer anderen Bewertung der funktionellen Einschränkungen durch die festgestellten Schädigungsfolgen bzw. durch die Feststellung anderer (weiterer) Schädigungsfolgen gemäß § 30 Abs. 1 BVG. Hierfür fehlt aufgrund der überzeugenden Darlegungen in den eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. A. und der Fachärztin D., ferner aufgrund des Befundberichts von PD Dr. C. vom 25.05.2016, jeglicher Ansatzpunkt. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen der genannten Gutachter zu eigen. Sowohl der von Amts wegen beauftragte Facharzt als auch die gemäß § 109 SGG bestellte Gutachterin kommen plausibel zu dem letztlich auch unbestrittenen Ergebnis, dass für die psychiatrischen Gesundheitsstörungen des Klägers bis März 2012 ein GdS von 40 und seitdem, nach der von PD Dr. C. attestierten Besserung, ein solcher von 30 zutreffend ist. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb hier eine höhere Einstufung sachgerecht sein sollte.
2. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Höherbewertung des GdS wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach §§ 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG, 30 Abs. 2 BVG ab 01.11.2007 um 10.
Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG, § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG. Nach § 30 Abs. 2 BVG ist der GdS höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er aufgrund der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann, zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist, oder infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist.
Unter dem vor der Schädigung ausgeübten Beruf ist nur der letzte vor der Schädigung ausgeübte Beruf zu verstehen (Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, § 30, Rn. 16). Den Regelbeispielen des § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG ist gemeinsam, dass die beruflichen Nachteile den Beschädigten besonderes treffen, weil sie in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht das Maß der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben erheblich übersteigen. Soweit das besondere berufliche Betroffensein in den mit der Schädigung verbundenen Nachteilen besteht, müssen diese Nachteile zu einer erheblich höheren Erwerbsminderung als nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Arbeitsleben führen (BSG, Urteil vom 09.05.1979 – 9 RV 71/78).
Eine rechtserhebliche besondere berufliche Betroffenheit ist nach § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVG gegeben, wenn infolge der Schädigung ein sozial gleichwertiger Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Dabei sind nicht nur die Einkommensverhältnisse ausschlaggebend; auch unabhängig von den Einkommensverhältnissen kann ein Beruf nach seiner gesellschaftlichen Bedeutung einen anderen gegenüber sozial ungleichwertig sein (BSG, a.a.O.).
Für die Kausalität zwischen den Schädigungsfolgen und der Berufsaufgabe bzw. der mangelnden Fähigkeit, einen sozial gleichwertigen Beruf auszuüben, gilt im sozialen Entschädigungsrecht – wie auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung – die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung als schädigendem Vorgang und dem Gesundheitsschaden voraus, sowie dass die Freiheitsentziehung für den Gesundheitsschaden und dieser für die berufliche Beeinträchtigung wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. z.B. das Urteil des Senats vom 23.05.2017 – L 15 VU 1/13, m.w.N.). Gab es neben den Schädigungsfolgen noch konkurrierende Ursachen für die berufliche Beeinträchtigung, z.B. schädigungsfremde Gesundheitsstörungen, Insolvenz o.ä., so waren die Schädigungsfolgen wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges im o.g. Sinn – verglichen mit den mehreren übrigen Umständen – annähernd gleichwertig waren. Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges mindestens so viel Gewicht hatten wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. das Urteil des BSG zur Kausalität bzgl. der Schädigungsfolgen vom 16.12.2014 – B 9 V 6/13 R).
Für den o.g. Ursachenzusammenhang genügt der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit ist – auch i.S. der besonderen beruflichen Betroffenheit und des BSA – zu bejahen, wenn mehr Gesichtspunkte für als gegen einen bestimmten Umstand – hier u.a. die behauptete berufliche Entwicklung – sprechen, so dass sich darauf die Überzeugung der Verwaltung oder des entscheidenden Gerichts gründen kann (BSG, a.a.O.). Es genügt nicht, dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann oder nur möglich ist; auch die „gute Möglichkeit“ genügt nicht (BSG, Urteil vom 19.03.1986 – 9a RVi 2/84).
Die Wahrscheinlichkeit erstreckt sich allerdings nicht auf die Beurteilung der zugrunde zu legenden Tatsachen. Diese müssen erwiesen sein (BSG, a.a.O.). Der hypothetische Berufsweg wird danach aufgrund festgestellter Tatsachen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen als hypothetischer Berufsweg für den Fall, dass die Schädigung nicht stattgefunden hätte, prognostiziert (vgl. BSG, Urteil vom 08.08.1984 – 9a RV 43/83).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist für den Senat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass der Kläger infolge der anerkannten Schädigungsfolgen in dem Beruf des CNC-Programmierers besonders betroffen ist, da er diesen nicht mehr ausüben kann. Zudem ist er infolge der Schädigung am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem plausibel begründeten Gutachten der Fachärztin D., aus der Arbeitgeberbescheinigung der Firma K. vom 21.11.2017 und aus den glaubhaften und nachvollziehbaren Schilderungen des Klägers.
So konnte der Kläger aufgrund seiner psychiatrischen Gesundheitsstörungen ab 01.06.2007 bei der genannten Firma nur mehr als Helfer in der Werkzeugausgabe eingesetzt werden. Später konnte der Kläger auch dort nicht mehr tätig sein; er kann nun nurmehr Bürotätigkeiten in einem Einzelzimmer verrichten, wo er ganz für sich alleine arbeitet, nur einen Vorgesetzten hat, Rechnungen prüft und somit keine Probleme mehr mit Kollegen hat. Er ist darauf angewiesen, dort ohne Kontakt zu anderen Kollegen zu arbeiten und die für ihn hinderlichen Störungen etc. zu vermeiden. Der Senat stimmt der Einschätzung der Bevollmächtigten, die diese bereits im o.g. Erörterungstermin zu der Tätigkeit als Werkzeugvorbereiter geäußert hat, zu, dass der Kläger quasi einen geschützten Arbeitsplatz innehat. Dies muss erst recht für die nunmehr ausgeübte Tätigkeit in dem Einzelbüro gelten.
Damit ist der Kläger nicht mehr in der Lage, den Beruf des CNC-Fräsers bzw. -Programmierers auszuüben. Erst recht kann er nicht mehr höhere Positionen einnehmen wie z.B. den des Produktionsmeisters. Wie das Unternehmen K. ausdrücklich bestätigt hat, ist es beim Kläger zu einer „Verschiebung vom Produzierenden zum Dienstleister“ gekommen und somit zu einer Lohneinbuße. Das Unternehmen hat ebenfalls klargestellt, dass es wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht mehr möglich gewesen ist, den Kläger – wie andere Facharbeiter auch – in ein Personalentwicklungsprogramm aufzunehmen. Hierdurch hat der Kläger keine zusätzlichen Qualifikationsmerkmale erreichen können; bei dem Unternehmen wäre es ansonsten möglich gewesen, durch spezifische Weiterbildungskonzeptionen nützliche Fähigkeiten zu erwerben, um höhere Positionen zu erreichen und somit auch mehr zu verdienen. Aus der Bescheinigung des Unternehmens vom 21.11.2017 ergibt sich auch, dass der Kläger hierdurch Lohneinbußen in erheblichen Umfang hinnehmen musste.
Zwar steht einem Betroffenen (in sämtlichen in § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG genannten Fällen) eine Erhöhung des GdS nur zu, wenn die in diesen Tatbeständen beschriebenen beruflichen Nachteile ihn subjektiv besonders treffen, weil sie in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht das Maß der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben erheblich übersteigen (vgl. BSG, Urteile vom 19.02.1969 – 10 RV 561/66 – und vom 15.12.1977 – 10 RV 19/77). Bei der Beurteilung, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil als Ausdruck einer besonderen Berufsbetroffenheit vorliegt, und bei der Erhöhung des GdS ist eine rein schematische Erhöhung aber nicht zulässig; es ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg vom 23.01.2015 – L 11 VU 24/10, m.w.N.).
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung, die gewisse Unschärfen in Kauf nimmt, und bei Beachtung der o.g. geltenden Maßgaben für die Erhöhung des GdS geht der Senat nach eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorliegend davon aus, dass die berufliche Schädigung des Klägers so groß ist, dass der Zuschlag um 10 angemessen ist. Von Bedeutung ist dabei unter anderem, dass der Kläger sowohl von einem Aufstieg im Beruf ausgeschlossen als auch nur noch an einem quasi geschützten Arbeitsplatz – isoliert in einem Einzelbüro ohne Kontakte zu Kollegen – einsetzbar ist. Berücksichtigt hat der Senat dabei auch die Verdienstangaben in der oben genannten Bescheinigung des Unternehmens K..
Eine außergewöhnlich große Beeinträchtigung im Sinne einer Erhöhung um 20 liegt nach dem Ergebnis des Verfahrens jedoch sicher nicht vor, nachdem der Kläger noch einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
Im Übrigen ist zwar dem Beklagten Recht zu geben, dass ein Anspruch auf Höherbewertung des GdS nach § 30 Abs. 2 BVG frühestens in dem Monat entsteht, in dem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben, sofern sie erfolgversprechend und zumutbar sind, abgeschlossen werden. Gleichwohl kann sich der Beklagte nicht auf den Anspruchsaufschub nach § 29 BVG berufen.
Die Regelung des § 29 BVG dient dazu, das Interesse des Beschädigten zu verstärken, an den Bemühungen des Trägers mitzuwirken. Die dazu angedrohte Sanktion, d.h. Beginn der in § 29 BVG genannten Leistungen erst nach Abschluss der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben, kann allerdings das Verhalten des Beschädigten – seine Mitwirkung – nur dann dem Normzweck entsprechend steuern, wenn er von dem drohenden Nachteil weiß, er also vorab über die leistungsrechtlichen Folgen fehlender Mitwirkung an erfolgversprechenden und zumutbaren Rehabilitationsmaßnahmen belehrt worden ist. Eine bloße Rehabilitationsaussicht genügt nicht (Rohr/Sträßer/Dahm, a.a.O., § 29, Rn. 2; BSG, Urteil vom 17.07.2008 – B 9/9a VS 1/06 R).
Weiter geht der Senat grundsätzlich davon aus, dass für einen Aufschub nach § 29 BVG ein konkretes Angebot der Verwaltung erforderlich ist, das etwa nach Ziel, Zeit, Ort, Inhalt, Dauer und Veranstalter der Reha-Maßnahme sowie nach begleitenden Leistungen bestimmt ist (vgl. Dau, in: Knickrehm, Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 29 BVG, Rn. 2). Hieran fehlt es vorliegend.
Unabhängig hiervon hält der Senat Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation für den Kläger auch nicht für erfolgversprechend und zumutbar. Diese Überzeugung hat er aus dem plausiblen Sachverständigengutachten der Fachärztin D. gewonnen. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die beim Kläger festgestellte Motivationslosigkeit krankheitsbedingt besteht; die behandlungsbedürftige psychische Störung ist Ursache für die fehlende Bereitschaft zur Rehabilitation. Da eine entsprechende Behandlung nur bei ausreichender Motivation erfolgversprechend ist, wie die Sachverständige überzeugend dargestellt hat, kann sie dem Kläger nicht als Grund für eine Leistungsversagung entgegengehalten werden (auch im Hinblick auf § 65 Sozialgesetzbuch Erstes Buch kann eine in der Person des Betroffenen liegende Krisensituation etc. einen wichtigen Grund, nicht mitzuwirken, darstellen, vgl. z.B. Hase, in BeckOK, § 65 SGB I, Rn. 2).
Im Übrigen können die Bedenken des Beklagten nicht durchgreifen.
a. Weder kann der Senat die Zweifel an der Objektivität der Arbeitgeberauskunft teilen. Es gibt keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Auskunft unrichtig sein sollte. Daher hat auch kein Anlass zu einer gerichtlichen Nachfrage bestanden.
b. Noch steht aus Sicht des Senats die Angabe des Klägers beim Sachverständigen Dr. A. entgegen, dass er mit seinem Beruf recht zufrieden sei und trotz gelegentlichem Umfallen den beruflichen Anforderungen doch gut gerecht werde. Denn die subjektiven Einschätzungen des Klägers widersprechen zwar seinem prozessualen Begehren und könnten unter Umständen diesbezüglich ein Indiz darstellen. Hiergegen stehen jedoch die Fakten, nämlich dass eben eine Herausnahme aus dem Produktionsprozess und eine (zweimalige) Versetzung in den Dienstleistungsbereich bzw. auf einen quasi geschützten Arbeitsplatz erforderlich gewesen sind. Es ist nicht näher aufzuklären, aus welchen Gründen der Kläger gegenüber dem genannten Gutachter Zufriedenheit gezeigt hat, d.h. gegebenenfalls, ob er sich seine berufliche Situation „schöngeredet“ hat. Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger erst später im Rahmen des prozessualen Vorgehens für die berufliche Problematik sensibilisiert worden ist. So ist die berufliche Betroffenheit auch erst spät in das Verfahren eingeführt worden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, wie die Arbeitgeberauskunft – wie oben dargelegt – anschaulich zeigt.
c. Weiter folgt ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem Versicherungsverlauf der gesetzlichen Rentenversicherung, in dem sich nach Auffassung des Beklagten ein „Einbruch“ hinsichtlich des Einkommens des Klägers ab 2007 nicht widerspiegelt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert worden ist, was einen Einbruch i.e.S. beim Einkommen nicht erwarten lässt. Im Übrigen dürfte nicht auszuschließen sein, dass der Arbeitgeber, der sich durch die zweimalige Umsetzung des Klägers auf geeignetere Arbeitsplätze bereits kulant gezeigt hat, in einem gewissen Rahmen einen Einbruch abgefedert haben könnte. Auf jeden Fall zeigt bereits die Arbeitgeberbestätigung mit der Lohnbescheinigung die berufliche Betroffenheit ungeachtet des Versicherungsverlaufs.
d. Schließlich überzeugt den Senat auch nicht die in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten geäußerte Auffassung, dass die berufliche Betroffenheit des Klägers bereits bei der Festsetzung des „medizinischen“ GdS nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ausreichend berücksichtigt sei. Denn die Härteregelung des § 30 Abs. 2 BVG weicht von der Vorgabe des Abs. 1 Satz 1 ab, den GdS nach den allgemeinen Auswirkungen in allen Lebensbereichen (nicht nur nach den Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben und unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf) zu bemessen: Der GdS ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte im beruflichen Bereich durch die Art der Schädigungsfolgen individuell besonders betroffen ist (vgl. Dau, a.a.O., § 30, Rn. 14).
Die Berufung und das gesamte gerichtliche Verfahren haben damit nun Erfolg. Der Gerichtsbescheid sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind abzuändern und der Beklagte ist zur Zahlung der Beschädigtenrente nach dem GdS in den oben genannten Höhen zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Kläger nun erfolgreich ist, zunächst jedoch (siehe Klageerhebung vor dem SG) einen GdS von 100 begehrt und die Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erst spät im Verfahren beantragt hat.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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