Medizinrecht

Herausgabe des Führerscheins aufgrund ungeklärter Eignung den Gesundheitszustand betreffend

Aktenzeichen  M 26 S 17.87

Datum:
7.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3
VwZVG VwZVG Art. 37 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1 An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller sie mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Einer Gutachtensanordnung, die eine – wenn auch nur teilweise – fehlerhafte Fragestellung enthält, braucht der Betroffene daher nicht Folge zu leisten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Überprüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit ist ein Element der psychologischen Untersuchung der medizinisch-psychologischen Begutachtung und folglich von einer ärztlichen Abklärung bestehender Leistungsmängel zu trennen. Werden Fragestellungen der psychischen Leistungsfähigkeit zum Gegenstand (nur) einer ärztlichen Begutachtung gemacht, ist dies rechtswidrig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Dezember 2016 wird hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nrn. 5 und 6 angeordnet. Der Antragsgegner hat den Führerschein des Antragstellers vorläufig herauszugeben.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L und M.
Aufgrund polizeilicher Mitteilungen erhielt der Antragsgegner u.a. von folgenden Sachverhalten Kenntnis:
Am … Mai 2014 schlug der Antragsteller einem Kellner des zu dem Hotel des Antragstellers benachbarten Restaurants ins Gesicht und beschimpfte ihn. Eine von der Polizei zu dem Vorfall informatorisch befragte Mitarbeiterin des Antragstellers beschrieb den Antragsteller als in letzter Zeit aggressiv und unausgeglichen. Sie führte dies auf den Gesundheitszustand des Antragstellers zurück und mutmaßte den Beginn einer Demenz. Die Polizei traf keine eigenen entsprechenden Feststellungen. Das Verfahren wegen Körperverletzung wurde nach Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt.
Am … Juli 2014 kam es zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung des Antragstellers mit einem weiblichen Hotelgast. Von der Verfolgung wegen Körperverletzung wurde gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.
Am … Juni 2015 schlug der Antragsteller seiner Stieftochter mindestens fünfmal mit flacher Hand ins Gesicht, würgte sie, beschimpfte sie und drohte, sie umzubringen. Der sodann Flüchtenden fuhr der Antragsteller mit seinem PKW nach. Die Tochter habe deshalb zur Seite springen müssen. Nach den Ermittlungen der Polizei (Angabe der Ehefrau des Antragstellers) bestehe der Verdacht einer beginnenden Demenz beim Antragsteller. Er verweigere die ärztliche Behandlung. Am … Juli 2015 schlug der Antragsteller seiner damaligen Ehefrau mindestens zweimal ins Gesicht und würgte sie kurz. Die hinzugezogenen Polizeibeamten nahmen den Antragsteller als vergesslich war. Er wiederholte sich auffallend häufig. Wegen des Verdachts des Vorliegens einer psychischen Erkrankung wurde der Antragsteller in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Wegen zwei tatmehrheitlicher Fälle vorsätzlicher Körperverletzung wurde der Antragsteller mit Urteil vom 10. März 2016, rechtskräftig seit dem 24. März 2016, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Von der Verfolgung der Nötigung im Straßenverkehr, Bedrohung und Beleidigung wurde nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.
Am … Oktober 2015 ereignete sich erneut eine verbale und tätliche Auseinandersetzung mit einem weiblichen Hotelgast. Von der Verfolgung des Antragstellers wegen Körperverletzung wurde nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.
Am … Mai 2016 stellte die Polizei den Antragsteller Schlangenlinien fahrend auf der Bundesautobahn … fest. Bei der Verkehrskontrolle nahm die Polizei den Antragsteller als leicht verwirrt und unkonzentriert wahr. Er wiederholte Angaben und schaltete versehentlich den Scheibenwischer an. Er hatte Schwierigkeiten, ihn wieder auszuschalten, außerdem auch dabei, die Dokumente in seiner Brieftasche zu unterscheiden. Ein Atemalkoholtest ergab 0,00 Promille. Bei der Weiterfahrt des Antragstellers zeigten sich erneut Auffälligkeiten (langsames Fahren, Probleme beim Spurhalten, Betätigung des falschen Fahrtrichtungsanzeigers). Zwei weitere Schlangenlinienfahrten mit dem gleichen Kraftfahrzeug waren der Polizei bereits am … Januar 2016 und … Mai 2016 angezeigt worden.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2016 bat der Antragsgegner den Antragsteller um Vorlage eines ärztlichen Attestes des behandelnden Arztes zu Erkrankungen und Medikamenteneinnahme.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom … Juli 2016 und … August 2016 wurde bestritten, dass der Antragsteller der „Schlangenlinienfahrer“ auf der BAB … gewesen sei. Der Antragsteller sei erst nach der Abfahrt von der Autobahn angehalten worden. Fahrfehler bei der Weiterfahrt seien nicht passiert. Der Antragsteller sei an diesem Tag nur sehr müde und nervös wegen der hinter ihm herfahrenden Polizei gewesen. Auch die Ermittlungsverfahren rechtfertigten nicht die Überprüfung der Fahreignung. Sie seien entweder eingestellt worden oder beruhten auf dem Auseinanderbrechen der Ehe des Antragstellers. Die Ehe sei mittlerweile geschieden. Dem überreichten ärztlichen Attest eines Internisten bzw. Kardiologen vom … August 2016 ist zu entnehmen, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers in den vergangenen Jahren stabilisiert habe und keine Suchterkrankung vorliege. Der Antragsteller sei unter der aktuellen Medikation – die ebenso wie Diagnosen nicht näher ausgeführt wurde – uneingeschränkt fahrgeeignet.
Mit Schreiben vom 19. August 2016 bat der Antragsgegner ausführlich begründet um die Vorlage eines ärztlichen Attests zu Erkrankungen und verordneten Medikamenten.
Mit Schreiben vom … August 2016 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit, dass dieser Ramipril a** mg (1/2 Tablette), Amlordipin b* mg (eine Tablette), Metoprololsuccamat c** mg (1/2 Tablette) und Amiodaron d* … mg (zweimal täglich eine Tablette) einnehme. Die geäußerte Mutmaßung des Vorliegens einer beginnenden Demenz werde zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis zum 14. Dezember 2016 zu der Fragestellung auf, ob bei ihm Erkrankungen nach Nrn. 4 und 7 der Anlage 4 zur FeV vorliegen, welche die Fahreignung in Frage stellen, des Weiteren, ob die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs vorliege. Andernfalls sei die Frage zu beantworten, ob eine Kompensation (im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung) zu prüfen sei. Der Antragsgegner führte zur Frage nach der Leistungsfähigkeit u.a. aus, dass gemäß § 11 Abs. 1 und 2 i.V.m. mit Nr. 1 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 i.V.m. der Anlage 5 zur FeV über eine konsiliarische Untersuchung die psychophysische Leistungsfähigkeit zu überprüfen sei. Den an den Gutachter gerichteten Hinweisen auf Seite 9 des Schreibens ist zu entnehmen, dass das Vorliegen von Leistungsmängeln mit geeigneten, nach dem Stand der Wissenschaft standardisierten und unter Aspekten der Verkehrssicherheit validierten Verfahren zu klären sei. Die Klärung könne insbesondere konsiliarisch durch einen Psychologen erfolgen. Zur Frage der Kompensation könne der Gutachter eine medizinisch-psychologische Untersuchung für erforderlich halten.
Nach Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftahrzeugen der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L und M (Nr. 1 des Bescheids), forderte unter Androhung eines Zwangsgeldes von 250,00 EUR die Abgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids (Nrn. 2 und 4) und ordnete unter Nr. 3 die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an. Nrn. 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidungen.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens gerechtfertigt sei.
Mit Schriftsatz vom … Januar 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 10. Januar 2017, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage und beantragte die Aufhebung des Bescheids des Antragsgegners vom 29. Dezember 2016. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte er außerdem,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2016 wiederherzustellen sowie die Herausgabe des Führerscheins anzuordnen.
Zur Begründung wiederholte und vertiefte er den bisherigen Vortrag, wonach die Strafverfahren, auf die der Antragsgegner Bezug nehme, keinen Bezug zum Straßenverkehr aufwiesen. Aus den Verfahrensakten ließe sich auch kein Verdacht des Vorliegens einer Demenzerkrankung ableiten, der es rechtfertige, entgegen dem Aussagegehalt des vorgelegten ärztlichen Attests die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu fordern. Der Antragsteller sei als A* … dringend auf seinen Führerschein angewiesen.
Am … Januar 2017 ging der Führerschein des Antragstellers beim Antragsgegner ein.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2017 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 26 K 17.86 sowie auf die Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zum Teil unzulässig. Soweit er zulässig ist, ist er begründet.
1. Soweit sich der Antrag gegen die Zwangsgeldandrohung richtet, ist er unzulässig. Mit der Ablieferung des Führerscheins hat sich diese erledigt (s. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG). Ein Fall von Art. 37 Abs. 4 Satz 2 VwZVG liegt nicht vor. Es ist auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das angedrohte Zwangsgeld noch beitreiben wird.
2. Ansonsten ist der Antrag zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind.
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung hat die in der Hauptsache erhobene Klage Aussicht auf Erfolg, da danach der Bescheid des Antragsgegners vom 29. Dezember 2016 rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die anzustellende Interessenabwägung muss – trotz der sich aus der Behördenakte ergebenden Hinweise auf weitere fahreignungsrelevante Vorfälle in jüngerer Zeit (s. Bl. 171 ff. und 175 f. der Behördenakte) – zu Gunsten des Antragstellers ausfallen, weil kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids bestehen kann.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrungeeignetheit des Betroffenen muss insoweit nachgewiesen sein. Wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in den §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere durch die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081).
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller sie mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden (s. § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Nr. 1 Buchst. a Satz 2 der Anlage 4a zur FeV). Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen.
An einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung fehlt es hier. Auch aus Sicht des Gerichts bestand zwar aufgrund der in der Gutachtensanordnung geschilderten Vorfälle und Tatsachen ausreichend Anlass, im Hinblick auf beim Antragsteller in Betracht kommende Erkrankungen nach Nrn. 4 und 7 der Anlage 4 zur FeV eine Überprüfung seiner Fahreignung zu verlangen. Rechtswidrig sind jedoch die Frage nach der Leistungsfähigkeit und die damit im Zusammenhang stehende Frage, ob eine Kompensation zu prüfen ist. Ihre Beantwortung überschreitet den ärztlichen Begutachtungsrahmen.
Eine Überprüfung der (psychischen) Leistungsfähigkeit erfolgt regelmäßig anlässlich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung durch Leistungstests, da psychologische Testverfahren durchzuführen und ggf. auch Kompensationsmöglichkeiten zu prüfen sind (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 11 ZB 16.2285 – juris Rn. 14). Mit den psychologischen Testverfahren können die Belastbarkeit, die Orientierungs-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung sowie die Reaktionsfähigkeit untersucht werden (VGH BW, U.v. 11.8.2015 – 10 S 444/14 – VRS 129, 95; s. auch BayVGH, B.v. 15.6.2015 – 11 CS 15.969 – juris Rn. 14, B.v. 11.3.2015 – 11 CS 15.82 – juris Rn. 17). Die Überprüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit ist ein Element der psychologischen Untersuchung der medizinisch-psychologischen Begutachtung und folglich von einer ärztlichen Abklärung bestehender Leistungsmängel zu trennen (s. VG Würzburg, B.v. 27.7.2016 – W 6 S. 16.680 – juris; s. auch Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentierung der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, 2. Aufl. 2005 zu Kapitel 2.5.1, insbesondere S. 44 f.).
Die Beschränkung der Gutachtensanordnung auf eine ärztliche Begutachtung steht vorliegend der von der Antragsgegnerseite offenkundig beabsichtigten Verfahrensweise, nämlich dass der Arzt in der Begutachtungsstelle für Fahreignung in eigener Verantwortung psycho-physische Testverfahren unter – anscheinend in sein Ermessen gestellter – konsiliarischer Hinzuziehung eines Psychologen durchführen lässt, entgegen. Veranlasst der ärztliche Gutachter die ausweislich der Gutachtensanordnung heranzuziehenden Testverfahren – ggf. unter Heranziehung eines Psychologen – (s. Seite 7 oben und Nr. 4 Satz 1 und 2 auf Seite 9 der Gutachtensanordnung), würde dies zu einer unzulässigen Erweiterung des Prüfrahmens um psychologische Sachverhalte führen, die eben nicht in einem ärztlichen, sondern in einem medizinisch-psychologischen Gutachten zu klären wären. Die Behörde darf eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach dem Stufenverhältnis von § 11 Abs. 2 FeV und § 11 Abs. 3 Nr. 1 FeV aber erst fordern, wenn sie nach Würdigung eines zunächst eingeholten ärztlichen Gutachtens zusätzlich erforderlich ist. Sie darf die Entscheidung über die Durchführung der psychologischen Testverfahren und weiterer psychologischer Untersuchungen im Hinblick auf den damit verbundenen intensiveren Freiheitseingriff im Vergleich zu der ärztlichen Untersuchung nicht dem Gutachter überlassen, sondern hat sich an die gesetzlich vorgesehene, gestufte Vorgehensweise zu halten (so schon VG Würzburg, B.v. 13.2.2014 – W 6 S. 14.62 – juris).
Das Vorstehende ist auch im Hinblick auf Nr. 2 Satz 3 der Anlage 5 zur FeV nicht anders zu sehen. Nr. 2 der Anlage 5 ist entgegen der anscheinend bestehenden Auffassung der Antragsgegnerseite, die das Erfordernis einer konsiliarischen Untersuchung zur psycho-physischen Leistungsfähigkeit auf § 11 Abs. 1 und 2 Nr. 5 FeV i.V.m. Vorbemerkung 1 zu Anlage 4 zur FeV i.V.m. Anlage 5 zur FeV stützt (s. Seite 7 der Gutachtensanordnung vom 14.10.2016), hier gerade nicht anwendbar. Die Vorschrift betrifft nämlich einzig Erteilungssowie unter bestimmten Voraussetzungen Verlängerungsverfahren zu den Fahrerlaubnissen der D-Klassen und zur Fahrgastbeförderung und die insofern standartmäßig vorzulegenden Leistungsfähigkeitsnachweise, die vom Antragsteller für die Fahrerlaubnisklassen, die er innehat, gerade nicht zu erbringen sind (vgl. auch VG München, B.v. 18.8.2014 – M 6b S. 14.1952 – juris).
Die in Betracht kommende Notwendigkeit einer sich an eine ärztliche Begutachtung anschließenden medizinisch-psychologischen Untersuchung sieht zwar offenkundig auch der Antragsgegner, wenn er anknüpfend an die Frage nach der Leistungsfähigkeit die Folgefrage stellt, ob „andernfalls“ eine Kompensation (im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung) zu prüfen ist und außerdem unter Nr. 4 Satz 3 auf Seite 9 seiner Gutachtensanordnung vom 14. Oktober 2016 darauf verweist, dass zur Frage der Kompensation ergänzend ein medizinisch-psychologisches Gutachten empfohlen werden könne. Er übersieht insoweit jedoch schon, dass auch die Beantwortung der Frage, ob die Möglichkeit der Kompensation festgestellter Leistungsmängel noch weiterer Prüfung bedarf, eine psychologische Beurteilung der Testergebnisse erfordert, die der Arzt nicht zu leisten hat.
Einer Gutachtensanordnung, die eine – wenn auch nur teilweise – fehlerhafte Fragestellung enthält, braucht der Betroffene nicht Folge zu leisten (s. BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – juris Rn. 19). Aus der Nichtvorlage des im Ergebnis zu Unrecht geforderten Gutachtens durfte der Antragsgegner daher nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen schließen und deshalb auch nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Nichtbeibringung des Gutachtens stützen.
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung nicht standhält, kann es auch nicht bei dem Sofortvollzug der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen, hinsichtlich der Frist konkretisierten Verpflichtung des Antragstellers, den Führerschein abzuliefern, verbleiben. Der Führerschein ist an den Antragsteller herauszugeben (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung zu diesem Verfahren beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).


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