Medizinrecht

Hinreichender substitutiver Krankenversicherungsschutz

Aktenzeichen  8 U 1054/17

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2018, 79
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VAG § 12 Abs. 1a S. 3
VVG § 193 Abs. 3 S. 3, § 205 Abs. 6 S. 2

 

Leitsatz

Den gesetzlichen Anforderungen an einen substitutiven Krankheitskostenversicherungsschutz entspricht es nicht, wenn ein Vertrag zwar keine die Obergrenze von 5.000 € übersteigenden Selbstbehalte, wohl aber ihnen der Höhe nach gleichkommende Erstattungsobergrenzen oder Eigenbeiträge vorsieht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 O 7905/15 2017-04-27 Endurteil LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az. 2 O 7905/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei und mit zutreffenden Erwägungen die auf Feststellung seiner wirksamen Vertragskündigung zum 31.12.2014 gerichteten Ansprüche des Klägers abgelehnt und folgerichtig die entsprechende negative Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen.
Es wird zunächst Bezug genommen auf die detaillierten und mit erkennbarer Sorgfalt ausgearbeiteten Gründe des angefochtenen Urteils, die den Senat überzeugen.
Ergänzend ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung vom 20.07.2017 und das weitere Berufungsvorbringen aus dem Schriftsatz vom 25.10.2017 noch auszuführen:
1. Der Kläger hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).
2. Die gegen die dem Urteil zu Grunde liegende Auslegung des § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG gerichteten Berufungsangriffe überzeugen nicht und bleiben in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG gilt:
Jede Person mit Wohnsitz im Inland ist verpflichtet, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und aufrechtzuerhalten; …
Das Landgericht hat in stringenter Argumentation und eng am Willen des Reformgesetzgebers orientiert festgestellt, dass die vom Kläger – im hier interessierenden Zeitraum ab 01.01.2015 bis 31.12.2016 – gehaltene private Krankenversicherung des britischen Versicherungsunternehmens „Aria Insurance Limited“ (vgl. Anl. K 1) nicht den gesetzlichen Anforderungen an einen substitutiven Krankenversicherungsschutz entspricht. Hierzu hat das Landgericht in überzeugender Manier die einschlägige Fachliteratur ausgewertet und veröffentlichte Rechtsprechung berücksichtigt. Es ist für den Senat nicht erkennbar, dass sich das Landgericht hierbei in Widerspruch zu anderweitiger veröffentlichter Fachmeinung gesetzt hätte (vgl.: Bach/Moser/Kalis VVG. 5. Aufl. 2015, § 193 Rn. 6-31; Langheid/Rixecker/Muschner VVG, 5. Aufl. 2016, § 193 Rn. 28-32; Prölss/Martin/Voit VVG, 29. Aufl. 2015, § 193 Rn. 8-20) – solche Widersprüchlichkeiten zeigt auch die Berufung nicht auf.
Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des Erstgerichts, allein die hier vom Kläger mit seinem britischen Krankenversicherer vereinbarten Erstattungsregeln verstießen gegen die gesetzliche Höchstgrenze von 5.000,00 € pro Kalenderjahr für Eigenleistungen des Versicherten und stünden deshalb einer Anerkennung einer die Vertragskündigung erst wirksam machenden (vgl. § 205 Abs. 6 Satz 2 VVG) Folgeversicherung entgegen, nicht zu beanstanden.
Die von der Berufung vorgetragenen Überlegungen, die vereinbarte Begrenzung der erstattungsfähigen „ambulanten Arzthonorare inklusive Arznei- und Verbandmittel“ auf maximal 5.000,00 € pro Kalenderjahr oder jene vereinbarte Grenze von 1.000,00 € jährlich für „ambulante Chirotherapie, Homöopathie u.a. sowie für Physiotherapie“ stellten keine Anhaltspunkte dafür dar, dass diese benannten Obergrenzen „den Kläger unangemessen benachteiligen würden im Vergleich zu einem deutschen Versicherungsvertrag“ und müssten auch nicht zwingend dazu führen, dass der Kläger „der Leistungspflicht des Sozialstaates anheimfallen würde“, liegen neben der Sache.
Weder eine „Benachteiligung des Klägers“ noch die „Zwanghaftigkeit der Sozialleistungspflicht“ sind geeignete Kriterien für die Beantwortung der Frage, ob der vom Kläger gehaltene Krankenversicherungsschutz bei einem britischen Versicherer den gesetzlichen Vorgaben des § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG gerecht wird.
Entscheidend ist allein, ob nach einer objektiven Beurteilung der Vertragslage, also insbesondere ohne Rücksicht auf den individuellen Gesundheitszustand des Versicherten im Zeitpunkt der Abgabe seiner Vertragserklärung (sei jener Istzustand dem Probanden bekannt oder unbekannt), „die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 Euro begrenzt ist“.
Dass dies hier nicht der Fall ist, hat das Landgericht unter Heranziehung der einzelnen Vertragsbestimmungen überzeugend dargelegt.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ausdrückliche „Selbstbehalte“ und vereinbarte „Obergrenzen“ für jährliche Erstattungsleistungen auf bestimmten Gebieten (für bestimmte versicherte Risiken) gleichbehandelt und damit „vermischt“ hat.
Nach dem oben zitierten Willen des Reformgesetzgebers, so wie er in den Gesetzesmaterialien ausgewiesen ist, sollten gerade nicht nur Selbstbehalte im klassischen Sinne erfasst werden, sondern überhaupt alle Eigenbeiträge der Versicherten, etwa über bestimmte Leistungsbegrenzungen hinausgehende Selbstzahlungen.
Um Langheid/Rixecker/Muschner (a.a.O., Rn. 30 m.w.N.) zu zitieren: Die Versicherungspflicht beinhaltet, dass für tariflich vorgesehene Leistungen absolute und prozentuale Selbstbehalte für jede zu versichernde Person „auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000,00 EUR begrenzt“ sein müssen. Diese Deckelung soll eine Umgehung der Versicherungspflicht verhindern (BT-Drs. 16/4247, 67). Ohne die gesetzliche Beschränkung könnten beliebig hohe Selbstbehalte zu besonders prämiengünstigen Bedingungen die Gefahr hervorrufen, dass die VN die Selbstbehalte nicht aufbringen könnten und wiederum dem Sozialstaat zur Last fallen würden. Das sollte verhindert werden, woraus sich ergibt, dass 5.000 EUR jährlich eine absolute Grenze für eine Eigenleistung der Versicherten darstellen. Das bedeutet, dass nicht nur Selbstbehalte im klassischen Sinne erfasst werden, sondern überhaupt alle Eigenbeiträge der Versicherten, etwa über bestimmte Leistungsbegrenzungen hinausgehende Selbstzahlungen (Hilfsmittel, therapeutische Leistungen oÄ).
Und ergänzend mit den Worten von Prölss/Martin/Voit (a.a.O., Rn. 14 m.w.N.): Hier spricht viel dafür, Leistungsausschlüsse in Versicherungen, die zur Erfüllung der Pflicht des § 193 Abs. 3 VVG dienen, am Leitbild einer Versicherung zu messen, die eine finanzielle Absicherung des Gesundheitsrisikos sicherstellt. Soweit solche Einschränkungen wirksam sind, stellt sich die Frage, ob diese einem Selbstbehalt gleichstehen. Eine solche Gleichstellung führt zu erheblichen praktischen Problemen, weil die Quantifizierung der Leistungseinschränkung kaum möglich ist. Im Ergebnis gewährt diese Lösung auch keine Deckung der Krankheitskosten, sondern führt dazu, dass die Versicherung der Versicherungspflicht nicht genügt und der Versicherungsnehmer sich darum bemühen muss, einen umfangreicheren Versicherungsschutz zu erhalten.
Es ist daher fernliegend und für den Senat nicht nachvollziehbar, wenn die Berufung behauptet, wenn Selbstbehalte und Obergrenzen einheitlich zusammen betrachtet würden, würde festzustellen sein, dass „kein deutscher Versicherungsvertrag diesen Vorgaben entspricht“.
Im Gegenteil: Dem auf „Versicherungssachen“ spezialisierten erkennenden Senat ist bekannt, dass in gewöhnlichen privaten Krankheitskostenversicherungsverträgen bei den gängigen inländischen Versicherern zwar häufig ein gewisser „Selbstbehalt“ vereinbart ist, der aber deutlich unter jener „5.000,- € – Grenze“ liegt (vgl. etwa § 12 Abs. 1a Satz 3 VAG a.F.: „Selbstbehalte von 300, 600, 900 oder 1200 Euro“). Eine darüber hinaus noch zusätzlich vereinbarte betragsmäßige Obergrenze für medizinisch notwendige ärztliche Heilbehandlungsmaßnahmen auf ambulanten und/oder stationärem Gebiet ist hingegen nicht gerichtsbekannt. Nach der ratio legis muss es als unzulässig angesehen werden, die gesetzlichen Selbstbehaltsgrenzen dadurch umgehen zu können, dass anstelle von ausdrücklichen Selbstbeteiligungen bloße Obergrenzen für Erstattungsleistungen vereinbart werden, die es wegen ihrer konkreten Höhe objektiv gerade nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, dass eine den Grenzbetrag übersteigende Eigenleistungspflicht des Versicherten entstehen könnte.
Verfehlt ist auch die Argumentation der Berufung, man dürfe nicht allein die für den Versicherten nachteiligen Vertragsklauseln betrachten, sondern müsse quasi gegenrechnend auch diejenigen Leistungen, „die der britische Versicherungsvertrag gewährt, eine deutsche Versicherung aber nicht erstatten würde“, in den Blick nehmen. Wenn der Versicherungsvertrag den gesetzlichen Anforderungen an eine substitutive Krankenversicherung nicht genügt, kann dies nicht durch anderweitiges „Bonusmaterial“ ausgeglichen werden.
Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang auch der „Versichererbestätigung“ (vgl. Anl. K 3 “Endorsement“) keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen.
Die Bestätigung, es bestehe für den Kläger ein Vertrag, bei dem die „Selbstbehalte für jede Person zur Vermeidung von Missverständnissen jährlich 5.000 EUR nicht überschreiten (im Sinne einer Krankheitskostenvollversicherung im Sinne des § 193 Abs. 3 VVG)“, ist schon im Ansatz nicht geeignet, die vom Landgericht zutreffend formulierten Bedenken auszuräumen.
Denn nach der ratio legis muss schon nach der objektiven Vertragsgestaltung gewährleistet sein, dass im Krankheitsfall der Versicherungspflichtige nicht über Gebühr belastet wird – mit diesem vom Reformgesetzgeber verfolgten Allgemeininteresse wäre es nicht zu vereinbaren, müsste im Notfall erst noch langwierig mit einem im Ausland ansässigen Versicherer abgeklärt werden, ob nun dessen Eintrittspflicht „zur Vermeidung von Missverständnissen“ besteht oder nicht.
Schließlich hat das Erstgericht auch überzeugend begründet, warum zudem das Fehlen eines vertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 3 VAG a.F.) hier zur Verneinung der Substitutionseignung der streitgegenständlichen britischen Krankenversicherung führt. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe wiederholen und vertiefen nur erstinstanzliches Vorbringen, ohne neue Argumente aufzuzeigen.
3. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben