Medizinrecht

Kein Abschiebungsverbot mangels konkreter Gefahr für Leib und Leben

Aktenzeichen  M 17 K 17.32949

Datum:
20.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nur vor bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; eine der medizinischen Versorgung in Deutschland gleichwertige Versorgung im Herkunftsland wird nicht vorausgesetzt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik bedarf es zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 47723). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 19. April 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid vom 23. Januar 2017 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt; dieser hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG), der entgegen der Auffassung der Klägerseite sowohl Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG als auch zu § 60 Abs. 7 AufenthG enthält.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a. – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Das Attest vom 27. Februar 2014 ist mittlerweile über drei Jahre alt und kann daher nicht mehr zur Beurteilung des Gesundheitszustands des Klägers und eines darauf gestützten Abschiebungsverbots herangezogen werden.
In dem Befundbericht vom 5. Dezember 2016 ist insbesondere aufgeführt, dass beim Kläger geminderte Konzentration, Hyperarousal, gedrückte Stimmung, szenisches Wiedererleben, gehemmter Antrieb, Dissoziationen, Grübeln, Schlafstörungen und passive Todeswünsche, aber keine Suizidalität vorliege und ihm Mirtazapin verordnet werde. Die erfolgreiche Behandlung der seelischen Erkrankung erfordere ein verlässliches medizinisches Umfeld, das unter anderem regelmäßige Arztbesuche umfasse. Bei einer Abschiebung sei eine zügige und dramatische Verschlechterung wahrscheinlich. In der aktuellen ärztlichen Stellungnahme vom … Januar 2017 werden die Symptome des Berichts vom *. Dezember 2016 im Wesentlichen bestätigt und eine Zunahme von Todeswünschen festgestellt. Der Kläger denke aus Verzweiflung über eine mögliche erzwungene Rückkehr darüber nach, sich umzubringen.
Diese Atteste genügen aber nicht den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; vgl. a. § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG). Hinzukommt, dass der Kläger, obwohl er angeblich seit mindestens drei Jahren an psychischen Problemen leidet, offenbar keine psychotherapeutische Behandlung benötigt, so dass auch insoweit nicht von einer relevanten Gefährdung, insbesondere nicht von einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Rückkehr alsbald wesentlich verschlechtern würde, und damit von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der – sehr pauschalen – Feststellung in der ärztlichen Stellungnahme vom … Januar 2017, der Kläger denke darüber nach, sich umzubringen. Zum einen stellt ein etwaiger Selbstmordversuch grundsätzlich kein greifbares und konkretes Ereignis dar, das ein Abschiebungshindernis begründen könnte. Zum anderen wäre die Suizidgefahr hier laut dieser Stellungnahme auf die anstehende Abschiebung bzw. deren Vollzug zurückzuführen, so dass es sich um kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 AufenthG, sondern allenfalls um ein inlandsbezogenenes Vollstreckungshindernis handelt (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 84, 86), das nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann. Hinzukommt, dass der Kläger etwaige Selbstmordabsichten in der mündlichen Verhandlung mit keinem Wort erwähnt hat. Dieser gab vielmehr lediglich an, Schlafstörungen zu haben, unter Stress zu stehen und sehr schnell verbal aggressiv zu werden. Dies stellt aber keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar.
2. Dass der Kläger nicht arbeitsfähig ist, ist aus den Attesten nicht ersichtlich. Vielmehr gibt der Kläger selbst an, zurzeit als Kommissionierer zu arbeiten. Es ist daher davon auszugehen, dass er in der Lage wäre, sich in Afghanistan ein Existenzminimum zu erwirtschaften, zumal ihn seine Verwandten finanziell unterstützen können. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist somit ebenfalls nicht gegeben (st. Rspr. des BayVGH, vgl. z.B. B.v. 32.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5).
3. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag war insoweit abzulehnen. Zum einen wurde dieser nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt. Die Verspätung wurde nicht genügend entschuldigt und die beantragte Beweisaufnahme würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern (vgl. § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG, § 87b Abs. 3 VwGO). Die Klagepartei war über die Verpflichtung nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG und die Folgen einer Fristversäumung auch belehrt worden. Zum andern wurde nicht substantiiert dargelegt, in wieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde als die, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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