Aktenzeichen Au 2 K 16.1155
Leitsatz
Der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Sehhilfen ist mit höherrangigem Recht vereinbar. (redaktioneller Leitsatz)
Dem Dienstherrn ist es grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Verletzung des Wesenskerns des Fürsorgeprinzips wegen unzumutbarer Belastungen des Beamten durch Aufwendungen für eine Gleitsichtbrille als medizinisches Hilfsmittel liegt nicht vor, da es sich hierbei um einmalige Kosten innerhalb eines längeren Zeitraums handelt, die auch von einer lediglich eine Mindestpension beziehenden Ruhestandsbeamtin getragen werden können. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der ablehnende Beihilfebescheid des Landesamts für Finanzen vom 25. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 26. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Beihilfeleistungen für die mit Rechnungen vom 30. März 2016 in Höhe von 783,00 EUR und 243,90 EUR nachgewiesenen Aufwendungen zur Anschaffung einer (Gleitsicht-)Brille und einer (Gleitsicht-)Sonnenbrille, da kein Fall der in § 22 BayBhV geregelten Voraussetzungen für eine Beihilfefähigkeit vorliegt und der dadurch bewirkte Ausschluss rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 1, Abs. 5, § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Ein Beihilfeanspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus Art. 96 BayBG i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1, § 7 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 BayBhV. Nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG erhalten Beamte Beihilfeleistungen zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge. Nach § 7 Abs. 1 BayBhV sind Aufwendungen „nach den folgenden Vorschriften“ beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig sowie der Höhe nach angemessen sind und ihre Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. § 22 Abs. 1 BayBhV regelt als eine diesen Grundsatz konkretisierende Norm die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Sehhilfen. Danach sind bei der Klägerin Sehhilfen nur im Fall des Vorliegens einer der in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis Buchst. d BayBhV genannten Indikationen beihilfefähig. Da darüber hinaus der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit für Sehhilfen für Volljährige nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV bzw. deren Beschränkung auf einige wenige Fälle von Blindheit oder der Blindheit nahekommende Sehschwächen in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBhV jedenfalls bei Vorliegen einer „gravierenden Sehschwäche“ gegen das in § 45 Abs. 1 BeamtStG für die Beamten der Länder einfach gesetzlich geregelte und in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgeprinzip verstößt, wonach der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treuverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten zu sorgen hat (BayVGH, U.v. 14.7.2015 – 14 B 13.654 – NVwZ-RR 2016, 151), werden vom Beklagten im Vorgriff auf eine beabsichtigte Änderung von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBhV in der Form einer unter Buchst. e erfolgenden Ergänzung der Indikationen um den Fall der „gravierenden Sehschwäche ab 10,0 dpt“ auch Aufwendungen für Sehhilfen als beihilfefähig behandelt, die zur Korrektur von Sehschwächen ab 10,0 dpt augenärztlich verordnet sind.
Bei der Klägerin liegen jedoch weder die in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBhV genannten Indikationen vor, noch leidet sie an einer „gravierenden Sehschwäche ab 10,0 dpt“. Es besteht in Bezug auf deren Sehschwäche auch keine Situation, die mit im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2015 entschieden Fall (F rechts – 12,5 dpt, links – 4,5 dpt; N rechts – 10,0 dpt, links – 2,0 dpt; Diagnose myopia permagna) vergleichbar ist. Die Klägerin weist mit F rechts + 1,75 dpt, links + 1,25 dpt; N rechts 4,00 dpt, links + 3,50 dpt nur eine moderate Sehschwäche auf, die nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ohne Sehhilfe nicht einer faktischen Blindheit gleichkommt und es ihr unmöglich macht, die wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens zu bewerkstelligen. Insbesondere ist bei ihr als Ruhestandsbeamtin auch nicht auf besondere berufliche Anforderungen abzustellen, weshalb sich auch keine andere Bewertung wegen einer beispielsweise bestehenden Notwendigkeit der Benutzung einer Brille für dienstlich erforderliche Fahrten mit einem Kraftfahrzeug ergibt (BVerwG, U. v. 15.12.1983 – 2 C 66.81 – ZBR 1984, 274; U.v. 30.6.1983 – 2 C 36.81 – NVwZ 1985, 417).
Im Übrigen stehen keine Zweifel an der Wirksamkeit der Vorschriften der BayBhV und ihre jeweiligen Ausführungsbestimmungen. Insbesondere ist der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Sehhilfen neben der soeben genannten Ausnahme mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Ablehnung der weitergehenden Beihilfeleistung über diese Fälle hinaus verletzt nicht die Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG). Die Beihilferegelungen sind selbst eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht, so dass Ansprüche aus dieser Pflicht des Dienstherrn nur abgeleitet werden können, wenn sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt wäre (BVerwG, U. v. 10.6.1999 – 2 C 29.98 – BayVBl 2000, 25). Ihrem Wesen nach ist die Beihilfe eine Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem Umfang hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern. Dabei ergänzt die Beihilfe nach der ihr zugrunde liegenden Konzeption lediglich die Alimentation des Beamten (BVerwG, U. v. 20.3.2008 – 2 C 49.07 – BVerwGE 131, 20 = NVwZ 2008, 1129).
Der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten soll auch im Krankheits- und Pflegefall gesichert werden. Dem Dienstherrn ist es daher grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Denn die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht forderte keine lückenlose Erstattung aller Kosten in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und Todesfällen, die durch die Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung nicht gedeckt sind. Der Dienstherr muss zwar eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall gewährleisten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er die Aufwendungen eines medizinisch notwendigen Arzneimittels in jedem Fall erstatten muss. Er kann grundsätzlich bestimmte Medikamente und Hilfsmittel ganz oder teilweise von der Beihilfe ausschließen, solange er dadurch den Maßstab des medizinisch Gebotenen nicht unterschreitet (BVerfG, B. v. 13.11.1990 – 2 BvR 3/88 – BVerfGE 83, 89; BVerwG, U. v. 28.5.2008 – 2 C 24.07 – DVBl 2008, 1193; BayVGH, U. v. 14.7.2015 – 14 B 13.654 – NVwZ-RR 2016, 151).
Insbesondere ist es dem Gesetz- und Verordnungsgebern rechtlich möglich, die Beihilfeleistungen für Hilfsmittel – wie einer Gleitsichtbrille – ähnlich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 33 Abs. 2 SGB V i. V. m. § 12 Abs. 1 Spiegelstrich 2 der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung der letzten Änderung vom 12. Dezember 2015 zu beschränken (vgl. SG Berlin, U. v. 23.4.2013 – S 89 KR 2044/10 – juris).
Dabei ergibt sich auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dadurch, dass nur für bestimmte Diagnosen eine Beihilfegewährung vorgesehen ist. Hinsichtlich der Schwere der Sehbeeinträchtigungen wurde nach Auffassung des Verordnungsgebers keine bloß quantitativ bedeutsame Unterscheidung getroffen. Vielmehr ergibt sich aus den in § 22 Abs. 1 Nr. 2 BayBhV genannten Ausnahmefällen – wie auch aus dem nach den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung zusätzlich abgeleiteten Ausnahmefall der „gravierenden Sehschwäche“ – ein qualitativer Unterschied in der Beeinträchtigung, weshalb ein genügender sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung vorliegt. Aus diesem Grund liegt mit Art. 96 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b BayBG auch eine genügende Verordnungsermächtigung für den vorgenommenen Ausschluss vor, weil nach qualitativ unterschiedlichen Indikationen unterschieden wurde (VG Ansbach, U. v. 21.6.2016 – AN 1 K 16.00384 – juris Rn. 36).
Auch liegt keine Verletzung des Wesenskerns des Fürsorgeprinzips wegen unzumutbarer Belastungen des Beamten durch die Aufwendungen für die Brille als medizinisches Hilfsmittel vor (vgl. zur Unzumutbarkeit BVerwG, U. v. 10.10.2013 – 5 C 32.12 – BVerwGE 148, 106 = ZBR 2014, 134; VG Bayreuth, U. v. 23.2.2015 – B 5 K 14.1 – juris Rn. 28). Eine derartige unzumutbare Belastung für die Klägerin durch die verbleibenden ungedeckten Aufwendungen ist hier nicht gegeben, da es sich bei den Aufwendungen für die Gleitsichtbrillen lediglich um einmalige Kosten innerhalb eines längeren Zeitraums handelt, die – auf diesen bezogen – jedenfalls als auch von einer lediglich eine Mindestpension beziehenden Ruhestandsbeamtin leistbar gesehen werden müssen.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin für die Benutzung des privaten Autos auf die Sehhilfen angewiesen ist. Dass sich hieraus eine Unzumutbarkeit der Kostentragung ergeben würde, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 718,83 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.