Medizinrecht

Kein Anspruch auf obdachlosenrechtliche Unterbringung in einem Einzelzimmer

Aktenzeichen  M 22 E 19.3680

Datum:
27.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19503
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei freilich die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ärztlicherseits lediglich empfohlen, dass der Betroffene in einem Einzelzimmer einer Obdachlosenunterkunft untergebracht wird, ist eine Einzelzimmerunterbringung nicht zwingend notwendig, so dass die Sicherheitsbehörde in ihrem Auswahlermessen nicht beschränkt wird. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt – bei verständiger Würdigung seines Vorbringens – im Wege der einstweiligen Anordnung die obdachlosenrechtliche Unterbringung durch die Antragsgegnerin in einem Einzelzimmer über das Ende der bisherigen Zuweisung zum 31. August 2019 hinaus.
Der Antragsteller bewohnt derzeit ein Einzelzimmer im Beherbergungsbetrieb „…“. Die Antragsgegnerin hat als Sicherheitsbehörde ein Belegrecht an den Bettplätzen dieses Beherbergungsbetriebs. Der Unterbringung des Antragstellers zugrunde liegt ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. März 2019, in dem diese dem Beherbergungsbetrieb mitgeteilt hat, dass der Antragsteller bis einschließlich 30. August 2019 einen Unterbringungsanspruch in einem Einzelzimmer nach sicherheitsrechtlichen Grundsätzen habe.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 28. Mai 2019 wurde der Antragsteller aufgefordert, innerhalb von sechs Wochen ein Attest bzw. ärztliches Gutachten vorzulegen, damit die weitere Berechtigung über die Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers überprüft werden könne. Sollte innerhalb dieses Zeitraums kein Attest vorgelegt werden, würde die Einzelzimmerberechtigung erlöschen und eine Umverteilung in ein Mehrbettzimmer erfolgen.
Der Antragsteller teilte mit E-Mail an die Antragsgegnerin vom 27. Juni 2019 unter anderem mit, dass in dem Schreiben vom 28. Mai 2019 keine gültige Rechtsgrundlage genannt sei, die ihn zur Vorlage eines Attestes verpflichte. In der Folge legte er kein ärztliches Attest vor.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. Juli 2019 teilte diese dem Antragsteller mit, dass die Einzelzimmerberechtigung zum 31. Juli 2019 erlösche, da bislang kein neuerliches Attest bzw. ärztliches Gutachten vorgelegt worden sei.
Daraufhin beantragte der Antragsteller am 30. Juli 2019 zur Niederschrift des Gerichts,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verpflichten, die mit Schreiben vom 16. Juli 2019 angekündigte Umverlegung in ein Mehrbettzimmer zum 1. August 2019 zu unterlassen und ihm weiterhin ein Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen.
Zur Begründung gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er sei – obwohl er über ein entsprechendes ärztliches Attest vom 4. Juli 2019 verfüge, das seine Einzelzimmerberechtigung nachweise – nicht bereit, dieses der Antragsgegnerin vorzulegen, da ihm keine Rechtsgrundlage hierfür genannt worden sei. Zudem sei zwischen ihm und dem Beherbergungsbetrieb überhaupt kein Beherbergungsvertrag zustande gekommen, da er den Betreiber der Unterkunft gar nicht kenne.
Mit der Antragstellung bei Gericht legte der Antragsteller ein ärztliches Attest vom 4. Juli 2019 vor. Demnach leide er an einer koronaren Herzerkrankung, was eine rauchfreie Unterbringung zwingend erforderlich mache. Die Krankheit sei dauerhaft; wegen einer Hüftarthrose sollten höhere Stockwerke und längere Gehstrecken vermieden werden. Die Unterbringung in einem Einzelzimmer sei empfehlenswert.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 31. Juli 2019, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Unterbringung Obdachloser bestehe keine Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers. Dies komme nur bei zwingenden gesundheitlichen Gründen in Betracht. Der Antragsteller habe trotz Hinweis von sich aus kein entsprechendes Attest vorgelegt.
Eine von der Antragsgegnerin eingeholte Stellungnahme der mit der Sache befassten Ärztin vom 12. Juli 2019 ergab, dass eine Einzelzimmerzuweisung als empfehlenswert, jedoch nicht zwingend notwendig eingeschätzt werde. Neben dem Attest vom 4. Juli 2019 sei deshalb ein Einzelzimmerberechtigungsschein nicht ausgestellt worden.
Die Antragsgegnerin teilte gegenüber dem Betreiber des Beherbergungsbetriebs „… … …“ mit Schreiben vom 1. August 2019 mit, dass der Anspruch des Antragstellers auf obdachlosenrechtliche Unterbringung zum 1. August 2019 ende. Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 2. August 2019 wurde schließlich dem Betreiber des Beherbergungsbetriebs „…straße 60, Haus 58+40“ mitgeteilt, dass der Antragsteller ab 1. August 2019 bis einschließlich 31. Januar 2020 im Zimmer D038 (Bett: 0001; kein Einzelzimmer) nach sicherheitsrechtlichen Grundsätzen unterzubringen sei.
Mit Schreiben des Gerichts vom 5. August 2019 bat das Gericht die Antragsgegnerin um Klarstellung, ob die ursprünglich bis 30. August 2019 laufende Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers im Beherbergungsbetrieb „…“ weiterhin gelte oder ob das Schreiben vom 16. Juli 2019 als Widerruf der Zuweisung zum 31. Juli 2019 zu verstehen sei.
Die Antragsgegnerin teilte daraufhin mit Schreiben vom 6. August 2019 mit, dass nach ihrer Auffassung der Widerruf der Zuweisung vom 27. März 2019 in die Pension „…“ konkludent mit der Zuweisung eines Mehrbettzimmers im Beherbergungsbetrieb „…straße 60, Haus 40+58“ vom 2. August 2019 erfolgt sei.
Der Antragsteller erhob am 7. August 2019 Klagen zur Niederschrift des Gerichts, mit denen er zum einen die Aufhebung des Bescheides vom 1. August 2019 (Beendigung der Unterbringung im Einzelzimmer in der „…“) sowie die Feststellung der Nichtigkeit dieses Bescheides beantragt (Az.: M 22 K 19.4006 und M 22 K 19.4007). Im Hinblick auf die erhobenen Klagen teilte die Antragsgegnerin dem Gericht am 9. August 2019 mit, dass eine Verlängerung der Unterbringung im Einzelzimmer im Beherbergungsbetrieb „…“ bis 31. August 2019 erfolge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer über den 31. August 2019 hinaus glaubhaft gemacht.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
2. Dies zugrunde gelegt hat der Antragsteller vorliegend einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
2.1 Die Antragsgegnerin hat als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Hierzu zählt auch die Beseitigung einer – unfreiwilligen – Obdachlosigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl 1995, 729), wobei ein Tätigwerden nicht den Eintritt der Obdachlosigkeit voraussetzt, sondern schon im Vorfeld, wenn eine solche unmittelbar bevorsteht, veranlasst ist. Aus dieser gesetzlichen Verpflichtung ergibt sich ein Anspruch des Betroffenen (zumindest) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Unterbringung durch die Behörde. Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient dabei nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei freilich die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.7.2005 – 4 C 05.1551). Dabei steht der Sicherheitsbehörde bei der Auswahl der Unterkunft ein weites Ermessen zu. Der Betroffene kann grundsätzlich nicht die Unterbringung in einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft geltend machen. Dementsprechend ist die Zurverfügungstellung eines Bettplatzes in einem Mehrbettzimmer zur Abwehr der sich aus der Obdachlosigkeit ergebenden Gefahren grundsätzlich ausreichend. Ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer ist nur unter engen Voraussetzungen, etwa aufgrund einer dahingehenden gesundheitlichen Notwendigkeit, denkbar.
2.2 Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an die Darlegung eines Anordnungsanspruchs auf Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers (die grundsätzliche Verpflichtung zur Unterbringung wird von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt) ist vorliegend nicht Genüge getan. Der Antragsteller hat durch die Vorlage der ärztlichen Stellungnahme vom 4. Juli 2019 insbesondere nicht glaubhaft machen können, dass das der Antragsgegnerin bei der Auswahl der Unterkunft zustehende Ermessen auf die Unterbringung in einem Einzelzimmer beschränkt wäre. Es wird lediglich empfohlen, dem Antragsteller zur Stressreduzierung ein Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen. Damit wird jedoch keine zwingend medizinisch indizierte Notwendigkeit der Unterbringung in einem Einzelzimmer zum Ausdruck gebracht. Dies ergibt sich auch in der klarstellenden Stellungnahme der den Antragsteller behandelnden Ärztin, wonach eine Einzelzimmerunterbringung gerade nicht zwingend notwendig sei. Im Ergebnis ist folglich davon auszugehen, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer nicht zusteht.
Es sei weiter darauf hingewiesen, dass die Praxis der Antragsgegnerin, die Notwendigkeit einer Unterbringung in einem Einzelzimmer durch in gewissen zeitlichen Abständen vorzulegende ärztliche Atteste bzw. Gutachten zu überprüfen, im Hinblick auf die voranstehenden Ausführungen nicht zu beanstanden ist. Weiter ist die Frage der Einzelzimmerberechtigung unabhängig davon zu beurteilen, wie die hier konkret gewählte Konstruktion der Antragsgegnerin zur Sofortunterbringung bei Obdachlosigkeit (Beauftragung eines Beherbergungsbetriebes mit entsprechenden Belegungsrecht sowie Zustandekommen eines Beherbergungsvertrages zwischen dem Untergebrachten und dem Beherbergungsbetrieb) rechtlich zu bewerten ist.
3. Der Antrag war dementsprechend mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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