Medizinrecht

Keine Dynamisierung der Asylbewerberleistungen

Aktenzeichen  S 5 AY 137/20

Datum:
19.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41130
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AsylbLG § 3
SGB XII § 28a, § 40 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Auch wenn die Asylbewerberleistungen entgegen der gesetzlichen Verpflichtung nicht ab 2017 dynamisiert wurden, ergibt sich kein höherer Anspruch direkt aus dem Gesetz. (Rn. 19 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2020 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand.
D.
Kl. hat für den streitigen Zeitraum (Januar 2018 bis August 2018) keinen Anspruch auf Auszahlung von Leistungen nach § 3 AsylbLG a.F. (a.F. = in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 [BGBl. I, S. 390]) von mehr als 320,14 €. Dieser Betrag ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 8 Nr.1 AsylbLG (135,00 € für den notwendigen persönlichen Bedarf) und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG (219,00 € für den notwendigen Bedarf) abzüglich der Aufwendungen für „Wohnen, Energie, Strom“ in Höhe von 33,86 €.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen, auch im Hinblick darauf, dass es das BMAS bisher versäumt hat, die sich nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG a.F. ergebenden Geldbeträge entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG seit dem 01.01.2017 fortzuschreiben.
Das Gericht vermag sich – ebenso wie das Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 08.07.2019 – S 28 AY 48/19 ER -, juris – der vom Kl. vertretenen Rechtsauffassung (die auch das Sozialgericht Stade, Urteil vom 13.11.2018 – S 19 AY 15/18 -, das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 – L 8 AY 49/18 – Rdnr. 20ff, juris; das Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 15.04.2019 – S 40 AY 23/19 ER – Rdnr. 18ff, juris vertreten, wonach sich ein solcher Anspruch auf Leistungsanpassung/Dynamisierung direkt aus dem Gesetz ergebe), nicht anzuschließen.
Zwar enthält die in § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG genannte Regelung eine eindeutige Verpflichtung, die Leistungen entsprechend der Veränderungsrate nach dem SGB XII anzupassen. Diese Verpflichtung richtet sich aber allein gegen die Bundesregierung bzw. das BMAS, soweit dieses jeweils spätestens bis zum 01. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben hat (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG a.F.). Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient dabei der Dynamisierung der Leistungen, damit ein jahrelanges statistisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen ende (vgl. Wahrendorf, SGB XII/AsylbLG, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 3 AsylbLG, Rdnr. 67). Zwar hat es das BMAS entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung unterlassen, die Leistungen nach dem AsylbLG seit dem 01.01. 017 entsprechend anzupassen, weil der Bundesrat in seiner 952.Sitzung am 16.12.2016 dem am 01.12.2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 18/9985), mit dem die Höhe der Geldbeträge für die Zeit ab 01.01.2017 festgesetzt werden sollten, nicht zugestimmt hat (vgl. BR-Drs. 713/16[B]). In Ermangelung einer gesetzlichen Neufestsetzung konnte daher aus rechtlichen Gründen für die Zeit ab 01.01.2017 eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. durch die Bundesregierung nicht erfolgen und ist erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290) mit Wirkung ab 01.09.2019 erfolgt.
Im Hinblick auf das vom Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 AsylbLG so ausgestaltete Verfahren der Fortschreibung hält sich das Gericht aber weder für berechtigt, die Geldbeträge nach dem AsylbLG der Höhe nach selbst zu bestimmen noch die zuständige Behörde zu deren Anwendung zu verpflichten. Denn dies ist allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner ihm durch § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. eröffneten normsetzenden Kompetenz und nicht Aufgabe der mit der Durchführung des AsylbLG betrauten Behörden, die sich an dem (ebenfalls) verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu orientieren haben – und damit auch nicht Aufgabe der für die Verwaltungskontrolle der das AsylbLG vollziehenden Behörden zuständigen Sozialgerichte (ebenso: Hohm in: ZfSH/SGB 2019, 68, 72).
Die vom Gericht vertretene Auffassung wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien zum Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290); vgl. insb. die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsverbandes vom 29.05.2019, Ausschussdrucksache 19(11)363, S. 72 f.; darin heißt es u.a.: „Nachzahlungen für die Jahre 2017 und 2018 sind jedoch seitens des Gesetzgebers nicht vorgesehen. Dies sieht jedenfalls die Sozialgerichtsbarkeit offenkundig anders, Die sozialgerichtlichen Entscheidungen er-rechnen die Nachzahlungsansprüche unmittelbar aus den in § 3 Abs. 4 AsylbLG verpflichtenden Regelungen zur Fortschreibung des Regelsatzes auf der Grundlage der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweils maßgeblichen Regel-bedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen (so SG Stade, Urteil vom 13.11.2018 – S 19 AY 15/18 -; SG Stade, Beschluss vom 6.3.2019 – S 19 AY 1/19 -; LSG Nds-Brem, Beschl. vom 1.11.2018 – L 8 AY 37/18 B ER -;, siehe auch: PKH-Beschl. des LSG NRW v. 11.7.2017 – L 20 AY 4/17 B – und LSG Nds-Brem, Beschluss vom 2.11.2017 – L 8 AY 22/17 B – zur Höhe der Grundleistungen). Für das Gericht steht somit – auf der Grundlage der Gesetzesbegründung – fest, dass der Gesetzgeber die Problematik gesehen, aber für den Zeitraum von 01.01.2017 bis 31.08.2019 bewusst von einer Erhöhung der Grundleistungen abgesehen hat.
Im Gegenteil ergibt sich aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 19/10052 – B. Lösung), dass der Gesetzgeber für in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachte Leistungsbezieher keine Erhöhung wollte; dort heißt es: „Dabei wird im AsylbLG wegen der abweichenden Bedarfslage eine gesonderte Bedarfsstufe für die Unterbringung in Sammelunterkünften geschaffen. Die Anteile für Strom und Wohnungsinstandhaltungskosten (Abteilung 4) werden aus den Bedarfssätzen für den notwendigen Bedarf im AsylbLG ausgegliedert, da diese Leistungen im AsylbLG von den Leistungsbehörden – wie der Hausrat – als Sachleistungen erbracht werden. Hierdurch liegt der Gesamtbetrag aus notwendigem und notwendigem persönlichem Bedarf, im Falle einer vollständigen Bedarfsdeckung durch Geldleistungen, im Durchschnitt unter den bisherigen, seit dem Jahr 2016 unveränderten Werten“.
Damit war es dem Gericht nicht möglich, dem Überprüfungsantrag bzw. dem Antrag auf höhere Leistungen d. in einer Gemeinschaftsunterkunft lebenden Kl. zu entsprechen; die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Berufung zugelassen gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.


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