Medizinrecht

Keine “Spontanberatungspflicht” zur möglichem Wartezeiterfüllung gem. § 262 SGB VI durch Mini-Job

Aktenzeichen  L 19 R 824/15

Datum:
15.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 34 Abs. 4, § 262
SGB X SGB X § 37 Abs. 2 S. 1, § 44

 

Leitsatz

Beratungen des Rententrägers zum baldigstmöglichen Renteneintritt verpflichten diesen nicht zum spontanen Hinweis auf die mögliche Wartezeiterfüllung zur Mindestrente gem. § 262 SGB VI infolge ausgeübten Mini-Jobs. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 R 583/14 2015-09-21 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.09.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat die Altersrente der Klägerin nach Beginn und Höhe zutreffend nach dem geltenden Recht bewilligt; insbesondere kann ein Beratungsfehler bzw. ein Beratungsunterlassen nicht festgestellt werden.
Nachdem der Altersrentenbescheid der Klägerin bereits bestandskräftig geworden ist, ist eine teilweise Rücknahme und Abänderung lediglich ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen möglich, etwa im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder des von der Rechtsprechung entwickelten sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. Seewald in: Kasseler Kommentar, Stand Juni 2012, vor § 38 SGB I, Rn. 120 ff). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Klägerin beweispflichtig.
Da im Fall der Klägerin dem Altersrentenbescheid nicht ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde gelegen hat und dabei auch nicht das Recht unrichtig angewandt worden ist – derartiges ist weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich -, scheidet § 44 SGB X als Rechtsgrundlage für eine Abänderung eindeutig aus.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch stellt die Haftung eines Leistungsträgers, hier also der Beklagten als Rentenversicherungsträger, für vorangegangenes, rechtswidriges Verhalten dar, durch das letztlich die Entstehung gesetzlicher Ansprüche ganz oder teilweise vereitelt worden ist (vgl. Seewald a.a.O. Rn. 123). Hierfür müsste ein Fehlverhalten der Beklagten insbesondere in Form einer falschen d.h. fehlerhaften Beratung oder des Unterlassens einer erforderlichen Beratung erforderlich vorgelegen haben. Für den Senat ergibt sich kein hinreichender Nachweis für ein derartiges Fehlverhalten der Beklagten.
Durch die Akte der Beklagten und die mitgeteilte Erinnerung der Klägerin sieht es der Senat als belegt an, dass zu mindestens an zwei Zeitpunkten ein persönlicher Kontakt der Klägerin mit der als Zeugin gehörten und im Beratungsdienst für die Beklagte tätigen Beraterin erfolgt ist. Da bei der Beklagten unmittelbare Aufzeichnungen über die Kontakte nicht mehr aufbewahrt sind, lässt sich der Inhalt der Kontakte nur aus der Erinnerung der Beteiligten, der aktenkundigen Ausdrucke und der Notizen der Klägerin rekonstruieren. Dabei hat die Zeugin keinerlei konkrete Erinnerung an die Kontakte, sie hat sich nur allgemein zu der bei ihr üblichen Vorgehensweise geäußert. Aber auch unter Einbeziehung der Aussagen der Klägerin und der von ihr gemachten Notizen ist nicht ersichtlich, dass die Beratung falsche Aussagen beinhaltet hätte.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen geht der Senat davon aus, dass für die Klägerin an den Beratungsterminen zwei Beratungsthemen im Vordergrund gestanden hatten, zum einen warum ihre Entgeltpunkte gegenüber einer früheren Auskunft zurückgegangen waren und zum anderen, ab wann und in welcher Form sie baldmöglichst eine Rente beziehen könne. Dass sich das Beratungsgespräch – ggf. an beiden Terminen – vermutlich nicht mit der Frage befasst hat, unter welchen Voraussetzungen die Vorschrift über Mindestentgeltpunkte (§ 262 SGB VI) zur Anwendung kommt und welche Auswirkungen dies auf die Höhe der Rente der Klägerin haben könnte, stellt für den Senat kein Unterlassen einer erforderlichen oder sich aufdrängenden Beratung dar. Da für das von der Klägerin nachgefragte Beratungsthema einer baldigen Rentengewährung bereits mehrere Alternativen zu bedenken und zu erklären waren, erscheint dem Senat eine Ausweitung der Beratung in Richtung Optimierung der Rentenhöhe nicht naheliegend und erst recht nicht als erforderlich. Hinsichtlich der damals tätig gewordenen Beraterin der Beklagten ist somit weder ein Beratungsfehler noch ein Beratungsunterlassen nachvollziehbar belegt.
Da weitere Beratungskontakte der Klägerin mit der Beklagten nicht geltend gemacht sind, kommt eine fehlerhafte Beratung der Klägerin durch die Beklagte in der Folgezeit ebenfalls nicht in Betracht.
Das Unterlassen einer auf das Verschieben des Rentenantrags gerichteten Spontanberatung durch die Beklagte in der Zeit nach der Rentenantragstellung löst zur Überzeugung des Senats ebenfalls keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus, da darin keine Pflichtverletzung gelegen hatte.
Erster überhaupt bedenkenswerter Ansatzpunkt für ein spontanes beratendes Tätigwerden der Beklagten, sind die Vorgänge vom 17.06.2009 bis 19.06.2009. Am ersten dieser Tage wurde eine Entscheidungsvorlage durchgearbeitet, am zweiten erfolgte eine maschinelle Kontenverarbeitung und am dritten wurde der rückwirkende Altersrentenbescheid erstellt und eine weitere Entscheidungsvorlage für eine Erwerbsminderungsrente durchgearbeitet. Am 17.06.2009 waren die Konteneinträge der Klägerin mit rentenrechtlichen Zeiten noch nicht erstellt. Es konnte im Rahmen der Prüfroutine lediglich auffallen, dass der Eintritt der dauerhaften Erwerbsminderung bereits deutlich vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt einer Altersrente gelegen hatte und deshalb unter Umständen eine vorherige Gewährung einer Erwerbsminderungsrente in Betracht kommen konnte. Genau diesbezüglich hat die Beklagte sich auch zu einer beratenden Rückfrage bei der Klägerin veranlasst gesehen. Die maschinellen Umsetzungen des Kontos und der Rentengewährung eigneten sich nicht zum Auslösen einer Spontanberatung. Daran ändert auch der im Bescheid vom 19.06.2009 enthaltene – regelhaft bei einer derartigen Sachlage aufgenommene – Hinweis, dass die spezielle Wartezeit von 35 Jahren noch nicht erreicht sei, nichts. Allenfalls die Klägerin hätte im Gefolge dieses Hinweises bei entsprechender Beratungsnachfrage, ob die Möglichkeit bestehe, noch eine höhere Rente erhalten zu können, Überlegungen auslösen können, ob § 262 SGB VI nicht doch noch zur Anwendung gebracht werden könnte.
Beim Ausfüllen der Entscheidungsvorlage bezüglich einer Erwerbsminderungsrente spielt die Thematik der 35-jährigen Wartezeit und des § 262 SGB VI regelmäßig überhaupt keine Rolle. Zur Überzeugung des Senats findet sich hier ebenfalls kein Ansatzpunkt, aus dem die Beklagte zu weiteren Prüfungen und Beratungen bzgl. § 262 SGB VI verpflichtet gewesen wäre.
Erst im Zuge der Erstellung des Bescheides vom 28.07.2009 und des diesen vorbereitenden Vermerkes vom 23.07.2009 könnte – womit die Klägerseite auch argumentiert hat -das Vorhandensein von Beitragszeiten und anderen rentenrechtlichen Zeiten, die sowohl bei der Erwerbsminderungsrente, als auch der Altersrente unberücksichtigt bleiben würden, erkannt worden sein oder hätte vielleicht auch auffallen müssen. Allerdings war selbst damit noch nicht eine Verknüpfung zu § 262 SGB VI zwangsläufig, so dass eine entsprechende Beratung sich nicht aufgedrängt hat. Hinzu kam vor allem, dass zu diesem Zeitpunkt der am 19.06.2009 zur Post gegebene und damit nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am 22.06.2009 als bekannt gegeben anzusehende Altersrentenbescheid bereits bestandskräftig geworden war (§ 84 Abs. 1 SGG) und damit eine Rücknahme des Rentenantrags nicht mehr für die Klägerin disponierbar war. Eine Beratung über die Veränderung des Altersrentenantrages wäre zu diesem Zeitpunkt wohl auch wegen § 34 Abs. 4 SGB VI ins Leere gelaufen, nachdem eine bindende Altersrentengewährung bereits vorgelegen hatte.
Nach alledem waren die angefochtenen und die zur Überprüfung stehenden Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.09.2015 war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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