Medizinrecht

Krankenhausabrechnung – Kodierfragen

Aktenzeichen  L 4 KR 579/15

Datum:
8.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116883
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 54 Abs. 5, § 153 Abs. 2
BGB § 387
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3, § 275
KHEntG § 7
KHG § 17b

 

Leitsatz

Zur Auslegung der Kodierrichtlinien (Rn. 26 – 39) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 1 KR 41/14 2015-11-05 GeB SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.11.2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 1.314,22 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG), jedoch unbegründet.
Zutreffend ist das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 23.06.2015 (B 1 KR 26/14 R) trotz Nicht-Durchführung eines Schlichtungsverfahrens von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Die Klage wurde bereits am 20.02.2014 erhoben; die Schlichtungsausschüsse auf Landesebene waren in Bayern zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingerichtet. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist begründet. Die Beklagte kann gegen den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aufrechnen (§ 387 BGB analog). Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts verwiesen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Der Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht hat. Die Vergütung für Krankenhausbehandlungen des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 S. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR – hier Version 2013) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 41/14 R). Nach Ansicht des BSG handelt es sich bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen um eine rechtliche Prüfung (BSG, B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8).
1) Der medizinische Sachverhalt, bezogen auf die Behandlung des B.F., ist geklärt und insoweit unstreitig. Dieser war vom 26.04.2013 bis 08.05.2013 im Krankenhaus A-Stadt zur operativen Versorgung einer traumatisch bedingten intertrochantären Femurfraktur in stationärer Behandlung. Es erfolgte die operative Versorgung. Dabei wurde eine Osteosynthese mit einer Vierloch-DHS durchgeführt, wegen der Instabilität der Fraktur wurde zusätzlich eine Trochanter-Stabilisierungsplatte eingebracht. Es erfolgte somit eine Versorgung der Fraktur durch eine Materialkombination, nämlich mit einer dynamischen Hüftschraube und einer Abstützplatte. Als Hauptdiagnose ist zu kodieren ICD-10-GM Kode S72.11 Femurfraktur: Intertrochantär, wie vom Sachverständigen Dr. S. bestätigt. Die Nebendiagnosen weisen vorliegend keine Erlösrelevanz auf.
2) ICD-10-GM und OPS sind die Grundlagen des G-DRG-Systems. Die Klägerin rechnete die stationäre Krankenhausbehandlung des Patienten B.F. nach dem G-DRG I08E ab. Dieser umfasst „andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur mit komplexem Eingriff oder äußerst schweren CC ( …)“. Dagegen hat der SMD der Beklagten auf G-DRG I08F abgestellt, der nur „andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur ohne komplexen Mehrfacheingriff ( …)“ umfasst. Gemäß dem Definitionshandbuch (Band 2 zu den G-DRG Version 2013) gehörten zu DRG I08E u.a. mindestens zwei Prozeduren `Große Eingriffe an der unteren Extremität (I08-13)´. Dies ist vorliegend nach Überzeugung des Senats durch die Anbringung zweier Osteosynthesematerialien erfüllt. Es handelt sich hierbei um einen komplexen Eingriff im Sinne des DRG I08E.
3) Streitig ist zwischen den Parteien hierbei, wie im DRG-System eine offene Reposition mit Stabilisierung durch Materialkombination abzubilden ist. Die Klägerin rechnete die stationäre Behandlung unter Zugrundelegung der Hauptdiagnose S. 72.11 (Femurfraktur, intertrochantär) und der Prozeduren 5-794.4f (offene Reposition einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens: Durch dynamische Kompressionsschraube: Femur proximal) und 5-794.2f (offene Reposition einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens: Durch Platte: Femur proximal) über die DRG-Fallpauschale I08 E ab – also unter doppelter Verwendung des Kode 5-794. Diese doppelte Kodierung sieht der Sachverständige als gerechtfertigt an:
Der vom Sozialgericht beauftragte Sachverständige Dr. S. kam – aus medizinischer Sicht – zu der Auffassung, dass die Versorgung der Fraktur bei B.F. mit dem Kode aus 5-79 zu kodieren ist. Die sachgerechte stabile Versorgung der bei dem Patienten vorliegenden Fraktur habe zwei Osteosynthesen erforderlich gemacht, nämlich die mit einer dynamischen Hüftschraube und die mit einer Abstützplatte. Beide dienten unmittelbar der Versorgung der Fraktur. Beide Verfahren `dynamische Hüftschraube´ und `Platte´ in Kombination bei der Osteosynthese einer Fraktur waren für die sachgerechte Versorgung der Fraktur medizinisch erforderlich. Allerdings ist die Frage der zutreffenden Kodierung bei geklärtem medizinischem Sachverhalt nicht dem Gutachter, sondern dem Gericht zu überlassen (s.o. unter Bezugnahme auf BSG, B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8). Normalerweise erfolgt die Versorgung der Fraktur durch ein Osteosynthesematerial wie z.B. der dynamischen Hüftschraube. Reicht dies jedoch vor allem zur Herstellung der notwendigen Stabilität nicht aus, kommt eine Materialkombination aus dynamischer Hüftschraube und Abstützplatte zur Anwendung. Ein derartiger Fall lag hier vor. Nach Einbringung der Hüftschraube war noch eine Instabilität gegeben, so dass auch noch eine Abstützplatte angebracht werden musste. Damit verbunden ist ein Mehraufwand im Rahmen der Operation, der grundsätzlich abrechnungsfähig ist.
Unstreitig ist, dass bei der Materialkombination der Kode 5-794.7f im Jahre 2013 nicht mehr zu kodieren ist. Bei diesem Kode findet sich nämlich der Hinweis darauf, dass er im G-DRG-System nicht verwendet werden darf.
Die inhaltliche Komponente der offenen Reposition ist durch den OPS-Kode 5-794.4f (offene Reposition einer Mehrfragmentfraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens: Durch dynamische Kompressionsschraube: Femur proximal) abgebildet.
Die Kodierung von 5-794.4f durch die Klägerin ist somit nicht zu beanstanden und wird auch von der Beklagten nicht beanstandet.
Unstreitig ist auch, dass bei Kombination von Osteosynthesematerialien grundsätzlich alle Komponenten einzeln zu kodieren sind.
Streitig ist lediglich, wie dieser hier vorliegende medizinische Sachverhalt durch Kodes aus dem OPS 2013 im Fallpauschalensystem (DRG-System) abzubilden ist bzw. konkret, ob zusätzlich zu dem Kode 5-794.4f auch der Kode 5-794.2f (offene Reposition einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens: Durch Platte: Femur proximal) zu kodieren ist oder nur der Zusatz-Kode 5-786 zum Zuge kommt.
Die Beklagte beruft sich auf die Grundsätze der Kodierrichtlinie, nämlich P001 f und P003d: Aus P001f ergibt sich, dass alle signifikanten Prozeduren, die vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zum Zeitpunkt der Entlassung vorgenommen wurden und im OPS abbildbar sind, zu kodieren sind. Es gilt das allgemeine Prinzip der monokausalen Kodierung von Prozeduren (vgl. P003d). Mehrfachkodierungen sind der Abrechnung komplexer Eingriffe vorbehalten und ausdrücklich mit entsprechenden Hinweisen zu versehen.
Die Argumentation der Beklagten, da die inhaltliche Komponente der offenen Reposition bereits durch den OPS-Kode 5-794.4f abgebildet sei, dürfe unter Berücksichtigung der Kodierrichtlinie die inhaltliche Komponente der offenen Reposition nicht noch einmal gesondert verschlüsselt werden, geht fehl. Die Stabilisierung durch Trochanterabstützplatte ist dabei nicht nur als eine ergänzende Maßnahme im Rahmen der einmaligen, operativen Versorgung der Fraktur des Femur zu sehen, sondern als weitere, eigenständig zu betrachtende Versorgung dieser Fraktur, da die Versorgung mit der dynamischen Hüftschraube nicht ausreichend war. Hüftschraube und Abstützplatte dienten jeweils einer sachgerechten stabilen Versorgung der Fraktur. Es erfolgte deshalb tatsächlich die Verwendung einer Kombination von Osteosynthesematerialien, weshalb alle Komponenten einzeln zu kodieren sind. Das Gebot der monokausalen Kodierung der Prozeduren steht dem somit nicht entgegen. Der zu entscheidende Fall unterscheidet sich insoweit auch von dem im Verfahren BSG v. 01.07.2014 (BSG, a.a.O.), auf den sich die Beklagte bezieht.
Ein weiteres Argument zugunsten der Klägerin ist der Hinweis in Kode 5.794.7f, der als solcher wie dargelegt unstreitig bei der Kodierung 2013 nicht mehr anzuwenden ist. Der Kode 5.794.7f „Durch Materialkombination“ enthält aber den Hinweis: „Diese Kodes sind im Geltungsbereich des G-DRG-Systems (§ 17b KHG) nicht zu verwenden, dafür sind bei Kombination von Osteosynthesematerialien während eines Eingriffs alle Komponenten einzeln zu kodieren.“ Dieser Hinweis bezieht sich dabei bereits nach seinem Wortlaut auf die Verwendung von mehreren Osteosynthesematerialen während eines Eingriffs. Die Kodes 5.794.4f und 5.794.2f sind also entgegen der Darlegung der Beklagten nicht nur dann zu verwenden, wenn zwei operative Eingriffe erfolgen.
Der Kode 5-786 beinhaltet als Exklusivum eine „Osteosynthese einer Fraktur“ sowie den Hinweis: „Dieser Kode ist ein Zusatzkode. Er ist zur Angabe eines zusätzlich durchgeführten Osteosyntheseverfahrens zu verwenden.“ Durch dieses Exklusivum ist die Verwendung eines Kodes aus 5-796 vorliegend ausgeschlossen. Die Argumentation der Beklagte, das Exklusivum greife nicht, da die Osteosynthese bereits mit einem OPS aus 5-79 abgebildet sei, ist vorliegend nicht zutreffend, da, wie dargelegt, auch die Platte für eine Stabilisierung der Fraktur erforderlich war. Die Versorgung der Fraktur erfolgte dabei durch eine Materialkombination aus dynamischer Hüftschraube und Abstützplatte. Bei der tatsächlich erfolgten Verwendung einer Kombination von Osteosynthesematerialien sind auch alle Komponenten einzeln zu kodieren. Insbesondere ist hier, wie der Sachverständige ausführte, nicht von einem Haupt- und Hilfsverfahren auszugehen.
Die Klägerin hat daher zutreffend den G-DRG I08E unter Berücksichtigung der OPS 5-794.4 f und 5-794.2 f kodiert. Die Beklagte durfte daher nicht mit der streitigen Forderung aufrechnen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist bezifferbar im Sinne des § 52 Abs. 3 S. 1 GKG und mit 1.314,22 EUR festzusetzen.


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