Aktenzeichen S 21 KR 332/15
SGB V § 27, §§ 107 ff.
Leitsatz
Zur Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der Gabe von Apherese-Thrombozytkonzentraten. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Die Beklagte/Widerklägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.896,76 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg formgerecht erhobene Klage wurde übereinstimmend für erledigt erklärt, die Widerklage hingegen ist abzuweisen. Die Beklagte/Widerklägerin hat keinen Rückerstattungsanspruch aus der Behandlung des Patienten Z. in Höhe von 948,38 Euro. Die Klägerin/Widerbeklagte hat der Beklagten/Widerklägerin zu Recht die Gabe der ATK in Rechnung gestellt.
1. Die Klage eines Krankenhauses bzw. Krankenhausträgers auf Zahlung einer noch ausstehenden Vergütung aus (unstreitigen) Behandlungen bzw. einer Krankenkasse auf Rückerstattung bereits geleisteter Zahlungen ist ein so genannter Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. BSG, 30.06.2009, B 1 KR 24/08 R m.w.Nachw.). Der Zahlungsanspruch ist auch konkret beziffert.
Die am 30.09.2011 erhobene Klage auf Zahlung von 948,38 € aus unstreitigen Behandlungen hat die Beklagte/Widerklägerin mit Schriftsatz vom 04.10.2012 aufgrund der zu dem damaligen Zeitpunkt herrschenden Rechtsauffassung hinsichtlich der Wirksamkeit der Aufrechnung anerkannt. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.06.2018 haben die Beteiligten daher die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt, so dass nur noch über die Widerklage zu entscheiden ist.
Das von der Beklagten/Widerklägerin geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiert auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB), dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung dienen. Wenn auch im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt ist, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist, ist jedoch allgemein anerkannt, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich zurückgefordert werden können (vgl. zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausleistungen BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R – juris). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt daher voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSG, Urteil vom 01.08.1991 – 6 RKa 9/89 – juris -). Ein öffentliches Rechtsverhältnis liegt hier zwischen den Beteiligten vor, da die Abrechnungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus nach den maßgeblichen §§ 107 ff. SGB V öffentlich-rechtlich geprägt sind (BSG, Urteil vom 21. August 1996 – 3 RK 2/96 -, SozR 3-2500 § 39 Nr. 4, Rn. 18). Die Beklagte/Widerklägerin hat jedoch mit der von ihr bereits 2012 geleisteten Vergütung für das Zusatzentgelt ZE84 im Rahmen der Behandlung des Herrn Z. keine Leistung ohne rechtlichen Grund erbracht. Die Klägerin/Widerbeklagte hat der Beklagten/Widerklägerin das Zusatzentgelt ZE84 zu Recht in Rechnung gestellt. Die Gabe der ATK war medizinisch erforderlich und wirtschaftlich.
Sowohl die Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung als auch die Verweildauer sowie der Umfang der von der Klägerin erbrachten Leistungen – einschließlich der Gabe von Thrombozytenkonzentraten – sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Umstritten ist ausschließlich, ob die Gabe der beiden Apherese-Thrombozytkonzentrate gerechtfertigt war oder aber die kostengünstigere Verabreichung von Poolprodukten ausgereicht hätte. Entsprechend hat die Beklagte auch die Rechnung der Klägerin in Höhe von 15.246,14 EUR bis auf den Betrag von 948,38 EUR (ZE 84.02) beglichen.
Die Abrechnung des Zusatzentgelts ZE 84.02 für die Behandlung des Versicherten durfte nur erfolgen, wenn die Gabe der beiden ATK medizinisch erforderlich und wirtschaftlich war. Ein Krankenhaus hat stets, auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen, einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 62/12 R – SozR 4-2500 § 12 Nr. 4). Bei unwirtschaftlicher Behandlung des Versicherten kann die Klägerin/Widerbeklagte allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger, ausreichender und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind (BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 2/15 R – SozR 4-2500 § 39 Nr. 23 m.w.N.). Die Wirtschaftlichkeit einer Krankenbehandlung beurteilt sich bezogen auf das jeweilige nach § 27 SGB V zulässige Behandlungsziel nach ihrer Eignung, ihrem Ausreichen und ihrer Notwendigkeit aus allein medizinischen Gründen sowie bei mehreren gleich geeigneten, ausreichenden und notwendigen Behandlungen nach ihren Kosten für die Krankenkasse.
Entgegen der Auffassung der Widerklägerin/Beklagten war die Gabe der ATK in diesem Sinne nicht unwirtschaftlich. Bislang liegen nämlich keine gesicherten Daten vor, die belegen, dass ATK und PTK im operativen Bereich gleich geeignet sind. Dies ergibt sich aus den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Herrn Prof. Dr. E.. Der Sachverständige verfügt als leitender Oberarzt des Zentrums für Transfusionsmedizin über eine besondere Sachkunde auf dem Gebiet der Transfusionsmedizin und hat die Fragen des Gerichts umfassend und schlüssig beantwortet. Der gerichtliche Sachverständige führt in seinem transfusionsmedizinischen Gutachten überzeugend aus, dass die wenigen Daten zu den Thrombozytenkonzentraten nahezu ausschließlich bei hämato-onkologischen Patienten erhoben worden sind und nicht ohne weiteres auf blutende oder blutungsgefährdete chirurgische Patienten übertragen werden können. Für diese Patientengruppe gebe es – im Gegensatz zu den hämatologisch-onkologisch behandelten Patienten – keine ausreichende wissenschaftliche Datenlage, um die Frage der Gleichwertigkeit von ATK und PTK bewerten zu können. Es lägen lediglich retrospektive Beobachtungsstudien vor, deren wissenschaftlicher Wert im Vergleich zu der Studienlage bei den hämatologisch-onkologisch behandelten Patienten geringer sei. Die Verabreichung von ATK sei daher Goldstandard zur Thrombozytensubstitution. Es lägen daher ausdrücklich und tatsächlich Besonderheiten in der Person des Patienten Herrn Z. vor, die den Einsatz von ATK auch im Nachhinein medizinisch begründen würden. Nach diesen Ausführungen ist es für die Kammer überzeugend, dass die mit der Substitution von ATK verbundene niedrigere Spenderexposition eine sinnvolle Präventivmaßnahme zum Schutz von Thrombozytenempfängern vor transfusionsassoziierten Infektionskrankheiten. Für die chirurgisch behandelten Patienten wie Herr Z. fehlen nahezu vollständig Daten, die hinsichtlich der Gleichwertigkeit von ATK und PTK irgendeine belastbare Aussage erlauben. ATK und PTK sind daher nicht gleichartig und damit nicht ohne weiteres austauschbar. Nach Auffassung der Kammer obliegt es aus diesem Grund dem behandelnden Arzt im Rahmen seiner Therapieverantwortung, die entsprechend geeigneten Produkte auszuwählen. Diese vom behandelnden Arzt eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung ist nach Auffassung der Kammer bei der bestehenden Datenlage im Nachhinein nicht justiziabel.
Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10.03.2015 (B 1 KR 2/15 R) nicht entgegen (vgl. dazu SG F-Stadt, 15.12.2016, S 15 KR 61/13 – juris). Zwar hat das BSG ausgeführt, ATK seien nur dann medizinisch notwendig, wenn bestimmte – hier nicht gegebene – Besonderheiten in der Person des Patienten vorlägen wie eine Autoimmunisierung gegen HLA Klasse I Antigene und HPA-Antigene sowie bei Refraktärität gegenüber Thrombozytentransfusionen, d.h. zweimalig ausbleibender Thrombozytenanstieg auf AB0 kompatible Thrombozytenkonzentrate nach Ausschluss nicht immunologischer Ursachen wie Fieber, Sepsis, Splenomegalie, Verbrauchskoagulopathie und chronischem Lebervenenverschluss. Hierbei hat sich das BSG jedoch ausschließlich auf die revisionsrechtlich bindenden (vgl. § 163 SGG) Feststellungen der Vorinstanz (LSG für das Saarland, Urteil vom 22.08.2012 – L 2 KR 39/09 -, juris) gestützt. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz hat das BSG damit nicht aufgestellt, es handelt sich um eine revisionsrechtlich gebundene Würdigung eines Einzelfalls. Das LSG für das Saarland hat nach Beweiserhebung und Auswertung der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgeführt, dass es im Jahr 2008 bei der nicht immunisierten Patientin in Bezug auf Risiko und Wirksamkeit nicht medizinisch indiziert gewesen sei, alleine Apheresekonzentrate zu verabreichen. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens bezüglich der Behandlung des Patienten Herrn Z. bestanden in diesem Einzelfall jedoch Besonderheiten, die dazu führten, dass die Gabe von ATK medizinisch erforderlich und wirtschaftlich war.
Nach alldem war die Gabe der ATK medizinisch erforderlich und wirtschaftlich. Die Beklagte/Widerklägerin hat keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin/Widerbeklagten.
2. Die Klageforderung hat die Beklagte/Widerklägerin mit Schreiben vom 23.06.2014 anerkannt. Klägerin/Widerbeklagte und Beklagte/Widerklägerin haben die Klage im Termin vom 15.06.2018 für erledigt erklärt. Die Widerklage wurde mit Urteil vom 15.06.2018 abgewiesen. Die Beklagte/Widerklägerin trägt daher gem. § 197a Abs. 1 SGG iVm §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.896,76 Euro festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 3, § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 52 Abs. 1 und 3, § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
In dem hier vorliegenden, nach § 197a Abs. 1 SGG kostenpflichtigen Klageverfahren werden gemäß § 1 Nr. 4 GKG Kosten erhoben, die sich nach dem Wert des Streitgegenstandes bestimmen, § 3 GKG. Dessen Höhe richtet sich gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache bzw., da ein bezifferter Klageanspruch geltend gemacht wurde, nach dem bezifferten Wert des Streitgegenstandes.
Da im Verfahren von der Beklagten Widerklage erhoben wurde, findet außerdem § 45 GKG Anwendung. § 45 GKG bestimmt grundsätzlich, dass in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, zusammengerechnet werden. Es ergibt sich daher ein Streitwert von 948,38 € (Klage) + 948,38 € (Widerklage) = 1.896,76 EUR.