Medizinrecht

Krankenversicherung – Anspruch auf Krankengeld – Erfordernis der gesonderten ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit bei ambulanter Behandlung im Krankenhaus – hier: Herzkatheteruntersuchung

Aktenzeichen  L 2 KR 894/19

Datum:
21.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 2. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2022:0421.L2KR894.19.00
Normen:
§ 44 Abs 1 SGB 5
§ 46 S 1 Nr 2 SGB 5
§ 115b SGB 5
Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Nach § 44 Abs 1 SGB V wird Krankengeld bei Krankenhausbehandlung nur dann gewährt, wenn der Versicherte auf Kosten der Krankenkasse “stationär” behandelt wird. Das umfasst die voll-, teil-, vor- und nachstationäre Behandlung. (Rn.23)


2. Erfolgt im Krankenhaus lediglich eine ambulante Behandlung, muss die Arbeitsunfähigkeit gesondert durch einen Arzt festgestellt werden, um den Anspruch auf Krankengeld zu erfüllen. (Rn.23)

Verfahrensgang

vorgehend SG Altenburg, 27. Mai 2019, S 5 KR 1622/18, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist im vorliegenden Fall der Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom 16. Februar 2018 bis 13. Januar 2019.
Der 1959 geborene Kläger, der bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, stand bis zum 31. Dezember 2017 in einem Beschäftigungsverhältnis. Seit 20. November 2017 war er arbeitsunfähig unter der Diagnose J44.99 G (chronische obstruktive Lungenkrankheit), I48.9 G (Vorhofflimmern und Vorhofflattern) und I50.9 G (Herzinsuffizienz).
Mit Bescheid vom 31. Januar 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger Krankengeld in Höhe eines täglichen Bruttobetrages von 36,03 Euro.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. G attestierte dem Kläger mit Bescheinigung vom 31. Januar 2018 und den o.a. Diagnosen Arbeitsunfähigkeit (AU) bis einschließlich 14. Februar 2018. An diesem Tag wurde der Kläger im Zentralklinikum B prästationär untersucht und am 15. Februar 2018 unter den Bedingungen des § 115b des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V – Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus) eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. Wegen des Entlassungsberichts vom 15. Februar 2018 wird auf Bl. 10ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen. Am 19. Februar 2018 stellte Dipl.-Med. G eine Folgebescheinigung AU bis einschließlich 5. März 2018 unter der alleinigen Diagnose I51.4 V (Verdacht auf Myokarditis) fest. Nachdem der Kläger diese AU-Bescheinigung bei der Beklagten vorgelegt hatte, lehnte diese mit Bescheid vom 26. Februar 2018 die Weiterzahlung von Krankengeld über den 15. Februar 2018 hinaus ab, da er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert sei. In seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er die Klinik erst am 15. Februar 2018 um 18:00 Uhr habe verlassen können. Am 16. Februar 2018 habe er sich bei seiner Ärztin vorgestellt. Er habe vom Personal am Tresen einen Termin für den folgenden Montag, den 19. Februar 2018, bekommen, da die Ärztin krank gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2018 zurück.
Der Kläger hat am 10. August 2018 vor dem Sozialgericht Altenburg Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass eine durchgehende AU vorgelegen habe. Am 16. Februar 2018 sei seine Hausärztin krank gewesen. Der erste mögliche Termin, sich wegen der AU nach der Entlassung aus der Klinik bei seiner Hausärztin vorzustellen, sei der 19. Februar 2018 gewesen. Das Sozialgericht Altenburg hat die Klage mit Urteil vom 27. Mai 2019 abgewiesen. Es fehle an der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der AU.
Gegen das dem Kläger am 19. Juni 2019 zugestellte Urteil hat dieser am 19. Juli 2019 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass ihm zumindest bis 24. August 2018 Krankengeld zustehe. Ein Ausnahmefall zum § 46 SGB V liege vor. Er sei wegen mehrerer Krankheiten am Herzen während des gesamten Zeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen. Am 15. Februar 2018 habe der operative Eingriff stattgefunden. Die Zentralklinik B habe er erst um 18:00 Uhr verlassen können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Tagesklinik bereits geschlossen und kein Arzt mehr für ihn erreichbar gewesen. Am 16. Februar 2018 habe er in den Vormittagsstunden die Praxisräume seiner Hausärztin Dipl.-Med. G aufgesucht, die er dort jedoch wegen Krankheit nicht angetroffen habe. Die Mitarbeiterin hinter dem Tresen der Hausarztpraxis G habe ihm gesagt, dass er seine Hausärztin heute nicht antreffen würde, er müsse sich bis nach dem Wochenende gedulden. Die Ärztin sei sehr wahrscheinlich wieder am 19. Februar 2018 in der Praxis erreichbar. Er sei am 16. Februar nicht über die negativen Konsequenzen in Folge der Zurückweisung seines Anliegens informiert worden.
Nach Auskunft der Beklagten im Berufungsverfahren hat der Kläger weitere AU-Bescheinigungen durchgehend bis 13. Januar 2019 eingereicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Mai 2019 und den Bescheid vom 26. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld vom 16. Februar 2018 bis 13. Januar 2019 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Entscheidungsgründe des Urteils und den Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2018.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 26. März 2020 (Az.: B 3 KR 9/19 R sowie B 3 KR 10/19 R) hat der Senat die Hausärztin Dipl.-Med. G schriftlich zu dem Gespräch am 16. Februar 2018 befragt sowie einen Auszug aus der Patientenkartei angefordert. Wegen der Einzelheiten wird auf den ausführlichen Bericht vom 7. Dezember 2020, Bl. 89 ff. der Gerichtsakte, sowie den Auszug aus der Patientenkartei, Bl. 92 der Gerichtsakte, Bezug genommen.
Der Kläger hat bezüglich dieser Auskunft u.a. am 27. Januar 2021 behauptet, K habe ihn darauf hingewiesen, dass die Ärztin auch rückwirkend krankschreiben könne, daher solle er am Montag wieder kommen. Auf Bl. 94 der Gerichtsakte wird Bezug genommen.
Auf Hinweis des Senatsvorsitzenden, dass auch für den 15. Februar 2018 wegen der nur ambulant erfolgten Behandlung in der Zentralklinik B eine weitere AU-Bescheinigung hätte ausgestellt werden müssen, trägt der Kläger vor, dass ihm bei der Aufnahme in B nicht bewusst gewesen sei, dass er nicht stationär aufgenommen worden war. Er sei in der Tagesklinik nach der Untersuchung gegen 17:00 Uhr geweckt worden und habe die Klinik um 18:00 Uhr verlassen müssen, weil diese dann schließe. Er sei mit dem Taxi nach Hause gefahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld vom 16. Februar 2018 bis zum 13. Januar 2019.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld ist § 44 Abs. 1 i.V.m. § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Dieser Anspruch entsteht von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 2015 bis 10. Mai 2019). Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von AU anschließende Folgefeststellungen (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R; BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R). Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 26. März 2020, B 3 KR 9/19 R, Rn. 14 nach juris).
Die Beschäftigung des Klägers und damit auch die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V endete am 31. Dezember 2017. Im Anschluss blieb die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur erhalten, solange der Kläger Anspruch auf Krankengeld hatte, was die fortbestehende AU infolge von stationärer Krankenhausbehandlung oder die fristgerechte Feststellung von AU durch einen Arzt voraussetzt.
Hier fehlt es jedenfalls an einer lückenlosen Feststellung der AU im Sinne des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V, so dass der Kläger ab 15. Februar 2018 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert war.
Nach § 46 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld 1. bei Krankenhausbehandlung von ihrem Beginn an, 2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an. Nach Satz 2 bleibt der Anspruch auf Krankengeld bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt.
Hier lag eine AU-Bescheinigung ausgestellt durch Dipl.-Med. G bis 14. Februar 2018 (Mittwoch) vor. Am 15. Februar 2018 befand sich der Kläger in der Zentralklinik B. Wie aus dem Entlassungsbericht der Klinik vom 15. Februar 2018 eindeutig hervorgeht, handelte es sich bei der Herzkatheteruntersuchung um eine ambulante Behandlung gemäß § 115b SGB V – Ambulantes Operieren im Krankenhaus -, so dass für diesen Tag die AU hätte ärztlich festgestellt werden müssen. Denn § 44 Abs. 1 SGB V sieht vor, dass Krankengeld bei Krankenhausbehandlung nur dann gewährt wird, wenn der Versicherte auf Kosten der Krankenkasse „stationär“ behandelt wird. Dementsprechend ist der Krankengeldanspruch nur in den Fällen vollstationärer, teilstationärer, vor- und nachstationärer Krankenhausbehandlung gegeben, ohne dass die AU gesondert durch einen Arzt festgestellt werden muss (vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 44 SGB V, Rdnr. 30). Für den Krankengeldanspruch wird nur der vorstehend beschriebenen Krankenhausbehandlung die gleiche Rechtswirkung wie die ärztliche Feststellung der AU beigemessen. Hier lag eine derartige Krankenhausbehandlung nicht vor, sondern nur eine ambulante Behandlung im Krankenhaus. Der Umstand, dass dem Kläger diese Tatsache nicht bewusst gewesen sein mag (vgl. allerdings die Angabe „keine stationäre Aufnahme“ in der von ihm unterschriebenen Erklärung, die der Berufungsschrift beigefügt war), ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, denn es kommt allein auf die objektive Sachlage an. Eine ärztliche Feststellung der AU ist am 15. Februar 2018 nicht erfolgt; insbesondere lässt sie sich nicht dem Entlassungsbericht der Zentralklinik B entnehmen.
Die erst am Montag, den 19. Februar 2018, ausgestellte Folgebescheinigung der Dipl.-Med. G vermag den Anspruch auf Krankengeld nicht zu erhalten, wobei der Senat im Hinblick auf die darin erstmals bezeichnete Diagnose I51.4 V zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass es sich im rechtlichen Sinne um „dieselbe“ Krankheit handelte wie die zuvor angegebenen Diagnosen I48.9 G und I50.9 G.
Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere Krankengeldgewährung nötigen AU-Feststellung unterbrach wegen der nicht eingreifenden Wirkung des § 192 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mangels aufrechterhaltender Pflichtmitgliedschaft des Versicherten mit Wirkung für die Zukunft den Krankenversicherungsschutz mit Krankengeldanspruch ab 15. Februar 2018. Denn rechtlich hat grundsätzlich der Versicherte im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche AU-Feststellung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG). In dem Merkblatt zum Krankengeld (Bl. 33 Verwaltungsakte) wird auch ausdrücklich auf das Erfordernis der Lückenlosigkeit hingewiesen. Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des BSG liegt hier nicht vor.
Der Kläger ist seiner Obliegenheit, alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare zu tun, um seine Ansprüche zu wahren, nicht nachgekommen. Er hat nicht vorgetragen, sich in der Zentralklinik B anlässlich der ambulanten Behandlung um eine AU-Bescheinigung bemüht zu haben. Dass er dies ggfs. aufgrund der fälschlichen Annahme, für eine Behandlung im Krankenhaus sei diese nicht notwendig, unterlassen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn ein der Beklagten zuzurechnendes Fehlverhalten Dritter liegt darin nicht. Auf die Vorgänge in der Praxis G am 16. Februar bzw. am 19. Februar 2018 kommt es daher nicht an.
Der Umstand, dass die Beklagte dem Kläger – entgegen den vorstehenden Ausführungen – für den 15. Februar 2018 noch Krankengeld gezahlt hat, rechtfertigt keine andere juristische Beurteilung. Denn eine rechtliche Bindungswirkung kommt dem für den hier in Rede stehenden Zeitraum nicht zu.
Dem Kläger steht auch kein nachgehender Leistungsanspruch (§ 19 Abs. 2 SGB V) für die Zeit ab dem 16. Februar 2018 bis zum 15. März 2018 zu. In diesem Zeitraum war der Kläger freiwillig versichert (§ 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V), sodass ein Krankengeldanspruch nicht auf § 19 Abs. 2 SGB V gestützt werden kann. Ein nachwirkender Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V verdrängt gemäß § 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V nur dann die obligatorische Anschlussversicherung, wenn aufgrund einer Prognose davon auszugehen ist, dass spätestens nach Ablauf eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall begründet und diese nachgewiesen wird (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. November 2021, L 4 KR 4148/20, Rn. 56 nach juris). Dies war hier nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlagen.


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