Aktenzeichen 25 U 4197/16
VVG § 192 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Die Versorgung mit Zahnimplantaten aus Keramik ist nicht medizinisch notwendig iSd § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK, weil diese Behandlungsmethode nicht ausreichend erforscht ist und ihre Vorteile wie leichtere Pflege und optische Verbesserung deren Nachteile wie schlechtere Verankerung, leichterer Bruch und höherer Knochenabbau nicht ausgleichen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer zahnärztlichen Behandlung mit Keramikimplantaten braucht der Krankenversicherer auch nicht die fiktiven (geringeren) Kosten einer Versorgung mit Implantaten aus einer Metalllegierung wie Titan zu erstatten, da die Versorgung mit Keramikimplantaten keine Übermaßbehandlung iSv § 5 Abs. 2 MB/KK, sondern eine eigene – medizinisch nicht notwendige – Behandlung darstellt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
21 O 1084/11 Ver 2016-08-26 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.08.2016, Az. 21 O 1084/11 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Behandlungskosten für die Versorgung mit Keramikimplantaten, da diese Behandlung medizinisch nicht notwendig war. Die von der Berufung aufgezeigten Gesichtspunkte rechtfertigen eine hiervon abweichende Beurteilung nicht.
1. Das Landgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers nicht durch einen unterlassenen Hinweis verletzt. Unabhängig davon hat der Kläger auch nicht dargetan, welche konkreten – nicht bereits dem Landgericht mitgeteilten – Tatsachen oder rechtliche Argumente er dem Landgericht vorgetragen hätte, wenn er vor Erlass des Urteils darauf hingewiesen worden wäre, dass das Landgericht eine medizinische Notwendigkeit verneint.
Der im Grundgesetz verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Worte kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren daher, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, wenn die Entscheidung auf keinen Gesichtspunkt gestützt ist, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte oder den ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu erkennen vermag (BVerfG, Urteil vom 08.07.1997 – 1 BvR 1934/93, NJW 1997, 2305). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist (BVerfG, Urteil vom 08.07.1997 – 1 BvR 1934/93, NJW 1997, 2305; BVerfG, Beschluss vom 29.05.1991 – 1 BvR 1383/90; BGH, Beschluss vom 16. 9. 2008 – X ZB 29/07). Jede Partei muss auch damit rechnen dass sich das Gericht der Rechtsauffassung des Gegners anschließt.
Wird von einer Partei die Verletzung einer Hinweispflicht geltend gemacht, so hat sie darzulegen, wie sie auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte, insbesondere was sie im Einzelnen vorgetragen hätte und wie sie weiter vorgegangen wäre (BGH, Beschluss vom 27.09.2016 – Az. XI ZB 12/14; BGH, Beschlüsse vom 26.04.2016 – Az. VI ZB 4/16, VI ZB 7/16, BGH, Beschluss vom 18.05.2011 – Az. IV ZB 6/10 BGH, Urteil vom 16.10.2008 – Az. III ZR 253/07, NJW 2009, 148 Rn. 10).
Vorliegend war zentrales Streitthema, ob die durchgeführte Behandlung mit Keramikimplantaten zahnmedizinisch notwendig war oder nicht; der Kläger hatte dazu bereits in der Klageschrift vorgetragen, dass eine solche zahnmedizinische Notwendigkeit gegeben war und dass es nicht verantwortbar war, den Kläger mit Titan oder einer anderen Metallegierung zu versorgen (Klage S. 4, Bl. 4 d.A.). Die Beklagte hatte ausgeführt, die Regulierung der prothetischen Versorgung mit Keramikimplantaten sei wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit abgelehnt worden (Klageerwiderung vom 05.08.2011, S. 2, Bl. 17 ff. d.A.) und ausdrücklich ausgeführt, sie bestreite die medizinische Notwendigkeit der Versorgung mit Keramikimplantaten (Klageerwiderung vom 05.08.2011, S. 4 Bl. 19 d.A.) und hierzu im Folgenden ausführlich Stellung bezogen. Das Landgericht hat daraufhin mit Beweisbeschluss vom 20.09.2011 eine Beweisaufnahme zu diesem streitigen Punkt angeordnet (Bl. 45 d.A.). Der gerichtlich bestellte Gutachter hat in seinem Gutachten dargelegt, dass das Einbringen von Zirkonoxid – Keramik – Implantaten medizinisch nicht notwendig war; für diese Behandlung gab es noch keine Langzeitdaten; es stand eine vorteilhafte und erprobte Alternativbehandlung – die Versorgung mit Titanimplantaten – zur Verfügung (vgl. Gutachten vom 26.07.2012, Bl. 81/113 d.A.; Ergänzungsgutachten vom 13.11.2012, Bl. 140/145 d.A.; Anhörung des Gutachters im Termin vom 20.11.2012, Protokoll Bl. 141,142 d.A.). Bei dieser Sachlage war bei Anwendung der zu erwartenden Sorgfalt erkennbar und auch zu erwarten, dass das Landgericht sich der Meinung der Beklagten anschließt, dass die Behandlung medizinisch nicht notwendig war. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Landgericht eine weitere Beweisaufnahme durchgeführt hat; nach damaliger (unzutreffender vgl. unten 5.) Rechtsauffassung des Landgerichts war die Beklagte verpflichtet, Kosten zu erstatten, die bei einer Versorgung mit Titanimplantaten angefallen wären; die Beklagte ist dieser Auffassung mit Schriftsatz vom 21.02.2013 S. 2, 5 (Bl. 155, 158 d.A.) dezidiert entgegengetreten.
Zudem hat der Kläger auch keine neuen Tatsachen oder rechtlichen Argumente dargelegt, die er dem Landgericht nach einem Hinweis vorgetragen hätte, sondern nur, dass er nochmals auf seine Argumente hingewiesen hätte und sie gegebenenfalls hätte untermauern können und dass er ergänzende Beweisanträge, wie Fragen an den Sachverständigen, hätte stellen können. Der Kläger hat allerdings nicht vorgetragen, welche zusätzlichen Fragen oder Beweisanträge er gestellt hätte oder was er konkret zusätzlich vorgetragen hätte und dass dadurch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.
2. Das Landgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers auch nicht durch eine unzureichende Beweisaufnahme verletzt. Das Landgericht hat umfassend Beweis zur medizinischen Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung mit Keramikimplantaten erhoben. Dass das Landgericht im Beweisbeschluss – ebenso wie der Kläger in der Klageschrift – eine Alternativbehandlung mit Titanimplantaten angesprochen hat, war nicht erforderlich, allerdings auch nicht fehlerhaft; schon gar nicht wird die Beweisaufnahme dadurch unzureichend. Bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung ist eine mögliche, anerkannte und vorteilhafte Alternativbehandlung stets in Betracht zu ziehen (vgl. unten 3.).
3. Das Landgericht hat auch den Begriff der medizinischen Notwendigkeit zutreffend ausgelegt. Für die medizinische Notwendigkeit genügt nicht alleine die medizinische Eignung einer Behandlung. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung ist zwar im Allgemeinen dann auszugehen, wenn sich eine Behandlungsmethode dazu eignet, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Für eine Eintrittspflicht des Versicherers genügt es auch, wenn es nach medizinischen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – Az. IV ZR 399/13, BeckRS 2015, 02507). Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie fundierter Vorgehensweise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet. Sie muss darüberhinaus erforderlich sein. Der Zweck des Krankenversicherungsvertrages besteht darin, Leistungen nur für solche Maßnahmen zu erbringen, die tatsächlich notwendig sind, um das Behandlungsziel zu erreichen. Sind mehrere Behandlungsmaßnahmen denkbar oder geeignet, besteht die Leistungspflicht deshalb nur für diejenige, die mit dem geringsten medizinischen Eingriff und Behandlungsumfang verbunden ist. § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK soll (ebenso wie § 1 der vorliegend vereinbarten AVB, Anlage K 4) einen sinnvollen Versicherungsschutz zu bezahlbaren Prämien sicherstellen. Aus medizinischer Sicht überzogene Maßnahmen stehen von vornherein nicht unter Versicherungsschutz. In diesem Sinn ist die Anwendung eines effektiven Leistungsmanagements auch bei der Prüfung der medizinischen Notwendigkeit erklärtes Ziel sowohl des § 1 MB/KK als auch der dieser Klausel zugrunde liegenden Norm des § 192 Abs. 1 VVG (Bach/Moser, PKV,5. Auflage 2015, MB/KK § 1 Rn. 90,91). Es sind die im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und auf sie bezogenen Heilbehandlung zu beachten (Bach/Moser, PKV,5. Auflage 2015, MB/KK § 1 Rn.91; BGH, Urteil vom 21.0 9. 2005 – IV ZR 113/04, r + s 2005, 512). Da die vorliegend gewählte Behandlungsmethode – Behandlung mit Keramikimplantaten – nach den nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. N., Direktor im Universitätsklinikum Erlangen für den Bereich Mund – Kiefer – und Gesichtschirurgie, nicht ausreichend erforscht war (Langzeitergebnisse der klinischen Erfolgsrate standen zum Behandlungszeitpunkt aus), da es eine anerkannte Behandlungsmethode – Titanimplantate – gab und da die Vorteile der Keramikimplantate (ggf. leichtere Pflege wegen geringerer Plaque – Zahnbelag – und optische Verbesserung bei Zahnfleischschwund) im Verhältnis zu den Nachteilen (schlechtere Verankerung, leichterer Bruch und höherer Knochenabbau) zu vernachlässigen sind, war die Behandlung mit Keramikimplantaten nicht erforderlich und damit nicht medizinisch notwendig. Für die Auslegung des Begriffs der medizinischen Notwendigkeit ist nicht entscheidend über welche medizinisch möglichen Behandlungen und Risiken eine ärztliche Aufklärung zu erfolgen hat. Diese (medizinische) Aufklärungspflicht des Arztes hat nichts damit zu tun, wie sich ein Patient versichert hat und welche Leistungen der Versicherer erbringen muss.
4. Zu Recht hat das Landgericht auch nicht die Kosten einer (fiktiven) Versorgung mit Titanimplantaten als erstattungsfähig angesehen. Vorliegend handelte es sich nicht um eine Heilbehandlung, die das medizinisch notwendige Maß übersteigt (§ 5 Nr. 2 der vorliegend vereinbarten AVB, Anlage K 4), sondern um eine eigene – medizinisch nicht notwendige – Behandlung, die nicht ersatzfähig ist (vgl. zur fehlenden Ersatzfähigkeit von hypothetischen Kosten: OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.2006 – Az. 12 U 38/06; OLG Köln, Urteil vom 09.11.1989 – Az. 5 U 54/89; Bach/Moser, PKV,5. Auflage 2015, MB/KK § 1 Rn. 24).
5. Schließlich ist die Beweiswürdigung der Landgerichts, das sich der Begutachtung angeschlossen hat, zutreffend und bindend. Das Selbstbestimmungsrecht des Klägers steht der Bewertung nicht entgegen. Das Landgericht stellt nicht in Abrede, dass der Kläger berechtigt war, sich mit Keramikimplantaten versorgen zu lassen. Davon ist jedoch die Frage zu trennen, ob der Kläger Kosten dieser Behandlung versichert hat.