Medizinrecht

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Aktenzeichen  S 9 P 52/15

Datum:
23.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 140452
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 21.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2015 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Über die Klage kann nach Anhörung der Beteiligten nach § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und weil der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen im Sinne des § 45 b SGB XI in der bis zum 31.12.2014 gültigen Fassung noch einen Anspruch auf die Gewährung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen im Sinne des § 45 b SGB XI in der ab dem 01.01.2015 gültigen Fassung.
Die Grundvoraussetzung für die Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen bzw. zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen besteht darin, dass der betreffende Versicherte die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI erfüllt. Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten lediglich Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist Leistungen nach dem Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB XI. Dies sind nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI (1.) Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie (2.) Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Nach § 45 a Abs. 2 SGB XI sind für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, folgende Schädigungen und Fähigkeitsstörungen maßgebend:
1. unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz);
2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen;
3. unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen;
4. tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation;
5. im situativen Kontext inadäquates Verhalten;
6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen;
7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung;
8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben;
9. Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus;
10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren;
11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen;
12. ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten;
13. zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall beim Kläger nach Überzeugung der erkennenden Kammer nicht erfüllt. Denn zum einen gehört der Kläger nicht zu dem in § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI definierten Personenkreis der Pflegebedürftigen der Pflegestufen I, II und III bzw. der Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Zum anderen liegt beim Kläger keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz im Sinne des § 45 a Abs. 2 SGB XI vor.
Diese Überzeugung gewinnt die erkennende Kammer aus dem Gutachten von Frau Dr. C. vom 04.01.2016, das zu dem Ergebnis kommt, dass beim Kläger keinerlei Bedarf in der Grundpflege bestehe und dass der Kläger nicht aufgrund demenzbedingter Fähigkeitsstörungen, aufgrund einer geistigen Behinderung oder aufgrund einer psychischen Erkrankung auf Dauer in seiner Alltagskompetenz erheblich oder in erhöhtem Maße eingeschränkt sei. Insoweit wird in dem Gutachten vom 04.01.2016 im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger über eine für die Grundpflege ausreichende Mobilität mit vollständig durchführbaren Funktionsgriffen und sicherer selbstständiger Steh-, Geh- und Transferfähigkeit verfüge. Für die grundpflegerische Versorgung des Klägers bestehe weder ein krankheitsbedingter Hilfebedarf noch würden tatsächlich von Pflegepersonen Hilfen für die Grundpflege geleistet. Unter Berücksichtigung der Vorbegutachtungen sei festzustellen, dass der Kläger keinen regelmäßigen dauerhaften krankheitsbedingten Hilfebedarf für die Grundpflege oder die hauswirtschaftliche Versorgung aufweise. Bezüglich der Einschränkung der Alltagskompetenz sei festzustellen, dass der Schwerpunkt der Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet aufgrund einer Persönlichkeitsstörung des Klägers liege. Da in dem Gutachten von Prof. S vom 28.02.2015 eine Depression ausgeschlossen worden sei, können Items des Assessment, die sich auf eine Depression beziehen, nicht mit „Ja“ beantwortet werden. Eine therapieresistente Depression bestehe erst recht nicht. Da Prof. S auch eine echte schizophrene Störung ausgeschlossen habe, seien weitere Items des Assessment, die sich auf Schizophrenie bezögen, mit „Nein“ zu beantworten. Der Kläger zeige zwar paranoide Züge, diese zögen aber keinen täglichen dauerhaften Betreuungsaufwand nach sich. Weitere Items des Assessment zielten auf demenzbedingte Fähigkeitsstörungen ab, die beim Kläger nachweislich nicht vorlägen. Bezüglich weiterer Items des Assessment sei festzustellen, dass es nicht zu einem unkontrollierten Verlassen des Wohnbereichs komme. Der Kläger sei durchaus in der Lage, regelmäßig zum Einkaufen seine Wohnung zu verlassen und auch das Mittagessen in der Stadt einzunehmen. Es liege auch keine demenzbedingte Störung vor, die den Kläger dazu veranlasse, mit gefährlichen Gegenständen oder potentiell gefährdenden Substanzen unsachgemäß umzugehen. Er zeige auch nicht ein im situativen Kontext inadäquates Verhalten, das einen erhöhten Betreuungsaufwand nach sich ziehe. Ohne Zweifel habe der Kläger sein Leben unkonventionell organisiert und mute sein Wohnumfeld für Außenstehende chaotisch an. Jedoch bedingten seine speziellen Lebensumstände keinen täglichen und regelmäßigen Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf. Eine echte Störung des Tag-Nacht-Rhythmus liege ebenfalls nicht vor, denn wie der Kläger seinen Tag strukturiere, bleibe letztendlich ihm selbst überlassen. Ein verschobener Tag-Nacht-Rhythmus mit langem Schlafen und langem Aufbleiben ziehe per se noch keinen erhöhten Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf nach sich. Auch die übrigen Items des Assessment seien mit „Nein“ zu beantworten.
Die erkennende Kammer folgt der Einschätzung der Gutachterin Dr. C., die im Gutachten vom 04.01.2016 mit ausführlicher, überzeugender und fundierter Begründung ohne innere Widersprüche das oben dargestellte Ergebnis herleitet. Die Gutachterin hat dieses Ergebnis überzeugend und nachvollziehbar dargestellt. Bezüglich der Einzelheiten wird ausdrücklich auf den Inhalt des Gutachtens vom 04.01.2016, das von der erkennenden Kammer bei der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, Bezug genommen. Durchgreifende Einwendungen gegen den Inhalt und das Ergebnis dieses Gutachtens wurden nach Auffassung der erkennenden Kammer von Klägerseite nicht vorgebracht. Auf dieser Grundlage ist die erkennende Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger weder pflegebedürftig im Sinne der Einordnung in die Pflegestufen I, II oder III ist noch einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege hat und dass beim Kläger eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz nicht vorliegt.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Begehren erfolglos blieb.


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