Medizinrecht

Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes

Aktenzeichen  S 38 KA 45/19

Datum:
11.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2285
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 35 Abs. 1, § 103 Abs. 4
SGG § 197a

 

Leitsatz

1. Liegen keine Versorgungsgründe vor, kann die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens abgelehnt werden (§ 103 Absatz 3a S. 3 zweiter HS SGB V.). (Rn. 14 – 15)
2. Maßgeblich ist die tatsächliche Versorgungssituation. Ein besonderes Leistungsspektrum (Behandlung von schwer traumatisierten Patienten) kann dazu führen, dass trotz genereller Überversorgung im Bereich der Psychotherapie Versorgungsgründe einer Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nicht entgegenstehen.  (Rn. 14)

Tenor

I. Der Beschluss der Beklagten vom 23.01.2019, zugestellt am 01.02.2019, wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag erneut zu entscheiden.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage, es handelt sich um eine Anfechtungsund Verbescheidungsklage nach § 54 SGG, ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Der angefochtene Bescheid des Zulassungsausschusses ist aus mehreren Gründen als rechtswidrig anzusehen. Nach Auffassung des Gerichts hat der Zulassungsausschuss von dem ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht in sachgerechter Weise Gebrauch gemacht.
Nach § 103a Satz 1 SGB V entscheidet der Zulassungsausschuss auf Antrag des Vertragsarztes, ob ein Nachbesetzungsverfahren nach Abs. 4 für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll. Voraussetzung ist nach gefestigter Rechtsprechung zunächst, dass die Praxis fortführungsfähig und ein Praxissubstrat vorhanden ist. Diese Voraussetzung ist nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten unstrittig gegeben.
Der Beklagte hat aber den Antrag deshalb abgelehnt, weil er der Meinung ist, eine Nachbesetzung (zur Hälfte) sei aus Versorgungsgründen nicht erforderlich (§ 103 Absatz 3a S. 3 zweiter HS SGB V). Hierzu verweist er darauf, dass im Planungsbereich B-Stadt allein „59 Psychotherapeuten oberhalb der Sperrgrenze“ vorhanden seien und die anderen Psychotherapeuten im Planungsbereich ohne weiteres die Patienten übernehmen könnten.
Nach Auffassung des Gerichts reicht diese Begründung bei weitem nicht aus, den Antrag der Beigeladenen zu 1 auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens für den hälftigen Psychotherapeutensitz in B-Stadt abzulehnen. Bei § 103 Absatz 3a S. 3 zweiter HS SGB V handelt es sich um eine Ermessensvorschrift.
Der beklagte Zulassungsausschuss ist seiner Begründungspflicht nach § 35 Abs. 1 SGB X nur unzureichend nachgekommen. Es mag zwar zutreffen, dass eine extreme Überversorgung im Bereich der Psychotherapie im Planungsbereich B-Stadt generell vorhanden ist. Bei dieser Sachlage kann davon ausgegangen werden, dass für die Mehrzahl der (Durchschnitts-) Patienten, die psychotherapeutisch zu behandeln sind, von anderen Psychotherapeuten behandelt werden können, da genügend Behandlungskapazitäten vorhanden sind. In diesem Fall muss das Interesse des abgebenden Vertragsarztes an der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Interesse am Abbau der Überversorgung zurückstehen. Etwas anderes kann sich aber daraus ergeben, wenn – wie hier – das Leistungsspektrum von dem anderer Psychotherapeuten entscheidend abweicht.
Der beklagte Zulassungsausschuss hat zwar erwähnt, dass die Beigeladene zu 1 ein besonderes Behandlungsspektrum (Traumapatienten) aufweist. Es genügt aber nicht, diesen wesentlichen Aspekt im Rahmen der Ermessensentscheidung damit abzutun, dieses „besondere Leistungsspektrum führe nicht zu einer anderen Beurteilung“. Eine unzureichende Begründung des Verwaltungsaktes stellt einen Verstoß gegen die Begründungspflicht nach § 35 SGB X dar. Bei der Sachlage (besonderes Leistungsspektrum) drängt sich auf, dass trotz genereller Überversorgung im Bereich der Psychotherapie Versorgungsgründe einer Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nicht entgegenstehen. Der Beklagte übersieht nämlich, dass es nach gefestigter Rechtsprechung in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az B 6 KA 35/99 R; SG Marburg, Urteil vom 11.01.2017, Az S 12 KA 262/16). Hierzu haben keinerlei Untersuchungen in Form von Umfragen bei den anderen Psychotherapeuten stattgefunden, ob für das Patientenklientel (Traumapatienten), das die Beigeladene zu 1 behandelt, genügend Aufnahmekapazitäten dort bestehen würden, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1 sowohl schriftsätzlich, als auch mündlich in der mündlichen Verhandlung am 11.02.2020, an dessen Richtigkeit nach Auffassung des Gerichts an sich keinerlei Zweifel bestehen, gibt es aus nachvollziehbaren Gründen generell, aber auch im Planungsbereich B-Stadt kaum Therapeuten, die sich mit der Behandlung von schwer traumatisierten Patienten befassen. Dafür spricht auch der Vortrag der Beigeladenen zu 1, wonach die Wartezeit in ihrer Praxis ca. 2 Jahre beträgt. Somit kann das Argument des Beklagten nicht durchgreifen, die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens sei aus Versorgungsgründen nicht erforderlich (§ 103 Absatz 3a S. 3 zweiter HS SGB V). Vielmehr hätte sich für den Beklagten das Gegenteil aufdrängen müssen.
Der Beklagte wird gehalten sein, den Antrag der Beigeladenen zu 1 nochmals unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden, nachdem er den Sachverhalt von Amts wegen nach § 20 SGB X im vorgenannten Sinne (Untersuchungen in Form von Umfragen bei den anderen Psychotherapeuten im Planungsbereich, ob für das Patientenklientel (Traumapatienten), das die Beigeladene zu 1 behandelt, genügend Aufnahmekapazitäten dort bestehen) weiter aufgeklärt hat.
Aus den genannten Gründen war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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