Medizinrecht

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener strafgerichtlicher Entziehung

Aktenzeichen  M 26 K 18.2431

Datum:
29.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32441
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere gemäß § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des ablehnenden Bescheids erhoben worden. Der Ablehnungsbescheid wurde dem Kläger am 19. April 2018 zugestellt. Der 19. Mai 2018 war der Pfingstsamstag, der 21. Mai 2018 der Pfingstmontag. Die Klagefrist endete daher gemäß §§ 74 Absatz 1 Satz 2, Abs. 2, 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des 22. Mai 2018, so dass die Klageschrift, die am 22. Mai 2018 per Fax bei Gericht einging, die Klagefrist wahrt.
2. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 13. April 2018, mit dem der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger folglich nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung der begehrten Fahrerlaubnis für die Klassen B und BE einschließlich Unterklassen nach vorangegangener Entziehung.
Voraussetzung hierfür ist, dass der Kläger die gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – i.V.m. den §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 1 Satz 1 FeV erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt. Hieran fehlt es.
Für den Beklagten war der Schluss auf die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeuges gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV geboten. Nach dieser Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Behörde zu Recht geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dabei ist der Fahrerlaubnisbehörde trotz der Formulierung „darf“ kein Ermessen eingeräumt. Sie hat vielmehr auf die Nichteignung des Betroffenen zu schließen, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV erfüllt sind.
So liegt es hier. Der Kläger hat das vom Beklagten zu Recht geforderte Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) nicht beigebracht.
2.1 In formeller Hinsicht genügte die Beibringungsanordnung vom 13. Februar 2017 den an sie gemäß § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 2, Abs. 8 Satz 2 FeV zu stellenden Anforderungen. Die Anordnung enthält eine konkrete Fragestellung und ist mit einer angemessenen Frist versehen. Sie ist auch ordnungsgemäß begründet. In der Begründung muss die Behörde dem Betroffenen ausreichend verständlich den Sachverhalt, auf den sie ihre Zweifel an der Fahreignung stützt, darlegen und auch erklären, warum sie aufgrund der genannten Feststellungen Zweifel an der Fahreignung hat (MüKoStVR, Hahn/Kalus FeV § 11 Rn. 94). Dies ist durch die Anordnung vom 13. Februar 2017 in ausführlicher Weise geschehen. Insbesondere wird der Anordnungsgrund des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV, dessen Tatbestandsmerkmale sich auch in der Fragestellung wiederfinden, benannt und subsumiert.
Der Hinweis auf die Folgen der Nichtbeibringung genügt den Anforderungen von § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV. Die Frage, ob es zulässig ist, die gesetzliche Formulierung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV („darf“) wörtlich zu übernehmen oder ob gerade darauf hingewiesen werden muss, dass der Behörde kein weiteres Ermessen zukommt, kann vorliegend dahinstehen. Denn durch die Formulierung: „Sollte Ihr Mandant (…) das Gutachten nicht vorlegen, so können wir seine Nichteignung als erwiesen ansehen und müssten den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis kostenpflichtig ablehnen“ ist hinreichend klargestellt, dass der Antrag zwingend abzulehnen ist, falls das Gutachten nicht beigebracht wird.
2.2 Materiellrechtlich findet die Untersuchungsanordnung ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV. Nach diesen Vorschriften darf die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln im Rahmen der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Betroffenen anordnen, wenn der Betroffene eine erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, begangen hat, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
2.2.1 Das Landratsamt durfte sich bei seiner Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens auf die Feststellungen des Amtsgerichts … … … sowie des Landgerichts … stützen.
Gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kommt vorangegangenen Strafurteilen hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts, der Schuldfrage und der Fahreignung insoweit eine Bindungswirkung zu, als im Verwaltungsverfahren nicht zum Nachteil des Betroffenen von ihnen abgewichen werden darf. Zu seinen Gunsten darf die Behörde nach ihrer eigenen Einschätzung uneingeschränkt abweichen; insbesondere muss sie spätere Tatsachen, Rechtsänderungen und Gerichtsentscheidungen beachten. Trotz der gesetzlich nicht ausdrücklich angeordneten Bindungswirkung für das – hier streitgegenständliche – Erteilungsverfahren in § 3 Abs. 4 StVG müssen die Fahrerlaubnisbehörde oder das Verwaltungsgericht den in einem Straf- oder Bußgeldverfahren festgestellten Sachverhalt gleichwohl nicht jeweils neu ermitteln. Vielmehr können sie auch hier grundsätzlich von den für die Fahreignung relevanten strafrichterlichen Feststellungen ausgehen, an denen sich der Betroffene festhalten lassen muss, sofern nicht ausnahmsweise gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen, insbesondere neue Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen, die für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil sprechen (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 11 ZB 15.2682, Rn. 15 – juris). Vorliegend bestand kein Grund, warum entgegen des in zwei Tatsacheninstanzen in allen entscheidenden Punkten übereinstimmend und aufgrund in den Urteilen ausführlich dargestellter Beweiswürdigung festgestellten Sachverhaltes der Darstellung des Klägers gefolgt werden sollte. Neue Tatsachen oder Hinweise, die eine von der strafgerichtlichen abweichende Einschätzung des Geschehens hätten rechtfertigen können, wurden im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen.
Berücksichtigt werden durften auch die im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO) des Urteils des Amtsgerichts … … … vom … März 2016 wiedergegebenen Aussagen des Klägers in der Hauptverhandlung. Die entsprechenden Passagen stellen keine persönlichen Wertungen des Strafrichters dar, sondern geben vom Kläger getätigte Aussagen wieder.
2.2.2 Die Tatbestandsmerkmale des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV liegen vor. Der Kläger wurde aufgrund des Geschehens am 14. Mai 2015 wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Die Tat steht in direktem Zusammenhang mit der Kraftfahreignung und erfüllt beide Regelbeispiele des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Hs. 2 FeV.
Die Tat deutet auf ein impulsives Durchsetzen eigener Interessen durch den Kläger unter schwerwiegender Verletzung der Interessen anderer hin und gibt damit Anhaltspunkte für Aggressionspotential (vgl. insoweit Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 11 FeV Rdn. 35 m.w.N.). Aggressionspotential kann einen Bezug zur Kraftfahreignung haben. Bei Straftätern, deren Verhalten ein hohes Aggressionspotential und eine Neigung zu impulsivem Durchsetzen eigener Interessen zeigt, ist nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung (Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan (Hrsg.), Kommentar, 2. Auflage 2005, Ziffer 3.14, S. 209), denen verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 -, BVerwGE 148, 230, juris Rdn. 19), zu erwarten, dass sie auch in konflikthaften Verkehrssituationen (etwa bei Fahrfehlern anderer) emotional impulsiv handeln und dadurch das Risiko einer Verkehrssituation erhöhen, sowie eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen werden (OVG Lüneburg, U.v. 8.7.14 – 12 LC 224/13 -, juris). Die Tat wurde auch unstreitig unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen. Dies bedarf im Hinblick auf die oben wörtlich wiedergegebene Sachverhaltsschilderung durch das Landgericht … keiner näheren Begründung.
2.2.3 Bedenken gegen die Bestimmtheit der Anordnung bestehen nicht. Sofern in der Begründung als Rechtsgrundlage § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV ohne weitere Nennung des einschlägigen Regelbeispiels angegeben ist, kann sich das auf die Bestimmtheit der Anordnung an sich – die aus der Aufforderung und der jeweiligen Gutachtensfrage besteht – nicht auswirken. Hinzu kommt, dass vorliegend beide in der Vorschrift genannten Regelbeispiele erfüllt sind.
2.2.4 Die Anordnung des Gutachtens war auch frei von Ermessensfehlern, insbesondere war sie verhältnismäßig. Die Behörde hat vorliegend erkannt, dass ihr Ermessen eingeräumt ist und hat es in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
In eine Ermessensentscheidung im Rahmen der Gutachtensanordnung müssen alle im Einzelfall bedeutsamen Erwägungen eingestellt werden. Es sind auch die zugunsten des Betroffenen sprechenden Aspekte einzustellen, sofern sich solche ohne weiteres aus dem bekannten Sachverhalt ergeben oder vorgetragen wurden. Die Ermessenserwägungen sind, wenn sie zum Erlass einer Beibringensaufforderung führen, in der an den Betroffenen gerichteten Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens offenzulegen (VG München, B.v. 6.2.2018 – M 26 S 17.6095 Rn. 23 – juris – unter Verweis auf BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15).
Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Ermessensausübung. Die Fahrerlaubnisbehörde ist in Ansehung des strafrechtlich abgeurteilten Tatgeschehens und der Persönlichkeit des Klägers, wie sie sich in den strafgerichtlichen Feststellungen offenbart, in zutreffender Weise vom Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Verkehrssicherheit gegenüber dem privaten Interesse des Klägers an der Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis ohne Absolvierung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung ausgegangen. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens setzt dabei nicht etwa eine endgültige Prognose über die fehlende Fahreignung des Betroffenen voraus, sondern nur hinreichend gewichtige Anhaltspunkte, um von der Notwendigkeit weiterer Aufklärungsmaßnahmen auszugehen. Entsprechende Anhaltspunkte auf fehlende Fahreignung aufgrund charakterlicher Mängel ergeben sich aus dem von den Strafgerichten festgestellten Umständen ohne weiteres.
Das Landratsamt hat die für seine Entscheidung nach Lage der Dinge relevanten Umstände benannt und in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Insbesondere war es sachgerecht, dem uneinsichtigen Verhalten des Klägers auch nach der Tat und im Angesicht der strafgerichtlichen Verurteilung entscheidende Bedeutung beizumessen. Dass in der Ermessensbegründung demgegenüber keine zugunsten des Klägers sprechenden Umstände aufgeführt sind, ist nicht zu beanstanden. Die in der Klagebegründung im Einzelnen als für den Kläger sprechend aufgeführten Umstände, wie dass der Kläger viele Jahre lang mit hoher jährlicher Fahrleistung gefahren sei, es zu keinen weiteren Verkehrsverstößen in den vier Monaten zwischen dem Vorfall am 14. Mai 2015 und dem Einzug des Führerscheins am 29. August 2015 gekommen sei und der Kläger keine Einträge im Bundeszentralregister habe, sind nicht von einer solchen Bedeutung und einem solchen Gewicht, dass es notwendig würde, sie explizit in der Ermessensbegründung als für den Kläger sprechend aufzuführen. Die bloße Rechtstreue des Klägers vor und nach dem streitgegenständlichen Vorfall ist kein Umstand, der eigens in der Ermessensbegründung herausgestellt werden müsste, da er als bloße Selbstverständlichkeit die Ermessensbetätigung von vornherein nicht entscheidend steuern kann.
Besondere Umstände des Einzelfalls, welche die Rückfallwahrscheinlichkeit ausschließen, waren demgegenüber nicht ersichtlich und nicht vorgetragen.
Es verstößt dabei nicht gegen das Übermaßverbot, wenn der Betroffene sich neben einer psychologischen Untersuchung auch einer ärztlichen Untersuchung stellen muss, denn Straftaten können nicht nur auf einen charakterlichen Mangel, sondern auch auf psychische Erkrankungen hindeuten, die nur der Arzt und nicht der Psychologe diagnostizieren kann (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 17.11.2003 – 12 G 4391/03 – Rn. 7 – juris).
Das nach alldem berechtigterweise geforderte Gutachten hat der Kläger zu Unrecht nicht binnen der vom Beklagten gesetzten Frist beibringen wollen, so dass der Schluss auf seine Nichteignung im streitgegenständlichen Bescheid zwingend war und die Fahrerlaubnis versagt werden musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben