Aktenzeichen M 5 E 17.1564
BayBG BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 44a, § 123
Leitsatz
1 Bei der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung handelt es sich nicht um eine selbständig nicht anfechtbare Verfahrenshandlung nach § 44a S. 1 VwGO. Zwar stellt die Untersuchungsanordnung eine behördliche Verfahrenshandlung dar; sie ist jedoch im Sinne von § 44a S. 2 VwGO vollstreckbar, weil ihre Nichtbefolgung mit disziplinarischen Mitteln sanktioniert werden kann (BayVGH BeckRS 2015, 42864). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine ohne nähere Erläuterung angeordnete „nervenärztlichen Untersuchung“ ist rechtwidrig, denn sie überlässt es allein dem durchführenden Amtsarzt, ob nur der körperliche Status von Gehirn und Nervensystem erhoben oder darüber hinaus auch umfassend der psychische Zustand exploriert werden soll und welche diagnostischen Untersuchungsmethoden zur Anwendung kommen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragsteller vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer anderen als einer allgemeinmedizinischen Untersuchung gemäß den Anordnungen der Technischen Universität München vom 23. November 2016 und 11. Januar 2017 freizustellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller und der Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur teilweise begründet.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung – vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen -notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gewährung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung am … April 2017 um 11:00 Uhr ist statthaft. Dabei handelt es sich nicht um eine nichtselbständig anfechtbare Verfahrenshandlung nach § 44a Satz 1 VwGO. Zwar stellt die Untersuchungsanordnung eine behördliche Verfahrenshandlung dar; diese ist jedoch im Sinne von § 44a Satz 2 VwGO vollstreckbar, denn deren Nichtbefolgung kann mit disziplinarischen Mitteln sanktioniert werden (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 3 CE 15.172 – juris Rn. 14).
3. Ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegt vor, da die streitgegenständliche Untersuchung am … April 2017 um 11:00 Uhr unmittelbar bevorsteht.
4. Der Antragsteller hat jedoch nur hinsichtlich der ergänzend angeordneten nervenärztlichen Untersuchung einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, im Übrigen nicht.
a) Der Beamte hat nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetztes (BayBG) die Dienstpflicht, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel hinsichtlich seiner Dienstunfähigkeit bestehen. Diese Zweifel des Dienstherren an der Dienstfähigkeit des Beamten müssen sich auf konkrete Umstände stützen, die eine derartige Untersuchung rechtfertigen und dürfen nicht „aus der Luft gegriffen“ sein. Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen. Sie hat zur Voraussetzung, dass aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände zweifelhaft ist, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen. Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Anordnung angeben. Der Beamte muss anhand der darin gegebenen Begründung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in der Anordnung Verlautbarte die Zweifel an seiner Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermag. Gleichermaßen muss es für den Beamten überprüfbar sein, ob die beabsichtigten Untersuchungsmaßnahmen verhältnismäßig sind, sodass diese nicht frei dem Amtsarzt überlassen werden dürfen. Dabei darf die Behörde nicht der Überlegung vorgehen, der Adressat „werde schon wissen, worum es gehe“.
Ferner muss die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll. Erhebungen des Psychiaters zum Lebenslauf des Beamten, wie etwa Kindheit, Ausbildung, besondere Krankheiten, und zum konkreten Verhalten auf dem Dienstposten stehen dem Bereich privater Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der angeordneten Untersuchung zu erheben sind. Deshalb sind die mit einer solchen Untersuchung verbundenen Eingriffe in das Recht des Beam ten aus Art. 2 Abs. 2 GG wie auch in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht regelmäßig weitgehend. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der Betroffene – auch nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit -ihre Rechtmäßigkeit überprüfen (vgl. insgesamt: BVerwG, U.v. 30.5.2013 -2 C 68/11; U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10, sowie BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 3 CE 15.1042 – jeweils juris).
b) Die Aufforderung zur Teilnahme an dem für den … April 2017 um 11:00 Uhr angesetzten Untersuchungstermin genügt diesen Anforderungen, soweit eine allgemeinmedizinische amtsärztliche Untersuchung vorgenommen werden soll.
Der diesbezüglichen Untersuchungsaufforderung vom … November 2016 ist zu entnehmen, dass Grund der vorgesehenen Untersuchung die seit dem *. November 2015 durchgehend bestehende Dienstunfähigkeit des Antragstellers ist und deshalb nach der Vorbegutachtung durch die MUS am … Mai 2016, wonach seinerzeit keine Leistungsfähigkeit vorhanden gewesen war, aber Aussichten auf deren Wiederherstellung innerhalb der nächsten 6 Monate bestanden, im Rahmen einer Nachuntersuchung diese Wiederherstellungsprognose überprüft werden solle. Die Überprüfung erfolge im Hinblick auf eine mögliche dauerhafte Dienstunfähigkeit/mögliche Ruhestandsversetzung bzw. zur Abklärung der weiteren Einsatzfähigkeit des Antragstellers. Nach der beabsichtigten Erhebung des Gesundheitszustandes mittels eines Fragebogens werde der Antragsteller aufgefordert, zu dem genannten Zweck an einer allgemeinmedizinischen Untersuchung (Befragung zu Erkrankungen bzw. Krankheitsgeschichte, körperliche Untersu chung, gegebenfalls Röntgen, gegebenenfalls Blutuntersuchung) teilzunehmen.
Damit lässt sich der Anordnung der konkrete Anlass der Untersuchung entnehmen; sie ist durch die Eingrenzung als allgemeinmedizinische Untersuchung mit den aufgezeigten Einzelbestandteilen auch hinreichend bestimmt und insbesondere nicht unverhältnismäßig (vgl. VG München, U.v. 11.5.2016 – M 5 K 15.4300 – sowie B.v. 27.12.2016 – M 5 E 16.5181 – jeweils juris).
c) Die Untersuchungsaufforderung genügt den rechtlichen Anforderungen jedoch nicht, soweit mittels ergänzender Anordnung vom 11. Januar 2017 auch eine nervenärztliche Untersuchung angeordnet wird.
Zwar wird auch insoweit noch ausreichend begründet, aufgrund welcher Tatsachen eine solche nervenärztliche Untersuchung vorgenommen werden soll. Die hier genannte Diagnose einer psychosomatischen Erkrankung durch die vorbegutachtende Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie der MUS und die durchgehend von einem Neurologen ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Antragsteller bilden diesbezüglich eine nachvollziehbare und ausreichende Grundlage.
Allerdings fehlt es an einer Konkretisierung von Art und Ausmaß der insoweit vorgesehenen Untersuchungsmaßnahmen. Mit der ohne nähere Erläuterung einzig vorgenommenen Umschreibung einer „nervenärztlichen Untersuchung“ wird es dem durchführenden Amtsarzt überlassen, ob hier nur der körperliche Status der Leistungsfähigkeit von Gehirn und Nervensystem erhoben werden oder ob darüber hinaus auch umfassend der psychische Zustand exploriert werden soll und welche diagnostischen Untersuchungsmethoden dabei gegebenfalls zur Anwendung kommen. Gerade weil hier auch der sensible Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders betroffen sein kann (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.2013 – a.a.O.) ist hier – gegebenfalls nach Vorabklärung mit dem Amtsarzt – eine Konkretisierung der beabsichtigten Untersuchungsmaßnahmen vorzunehmen.
5. Entsprechend dem Anteil des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils die Kosten des Verfahrens zur Hälfte zu tragen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.