Medizinrecht

Pflegeversicherung – Verhinderungspflege – stationäre Pflege

Aktenzeichen  L 6 P 66/14

Datum:
13.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZS – 2016, 231
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XI SGB XI § 45b

 

Leitsatz

1. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen der Verhinderungs- bzw. Ersatzpflege, von Kurzzeitpflege wie auch von zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45 b SGB XI ist jeweils ein konkreter Bezug zu häuslicher Pflege. (amtlicher Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf genannte Leistungen ist nicht mehr gegeben, wenn der Pflegebedürftige dauerhafter stationärer Pflege bedarf und eine Rückkehr in häusliche Pflege prognostisch nicht mehr zu erwarten ist. (amtlicher Leitsatz)
3. Ein Wunsch und Wahlrecht des Pflegebedürftigen auf Gewährung dieser Leistungen zur ausschließlichen Finanzierung stationärer Dauerpflege besteht nicht. (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 P 28/11 2012-11-20 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Gründe

Leitsatz:
In dem Rechtsstreit
A., c/o Seniorenheim der A. GmbH, A-Straße, A-Stadt, vertreten durch C., C-Straße, C-Stadt
– Kläger und Berufungskläger –
Proz.-Bev.: B., B-Straße, B-Stadt
gegen
…-BKK Pflegekasse, Regionalgeschäftsstelle Süd, vertreten durch den Vorstand, … – –
– Beklagte und Berufungsbeklagte –
Der 6. Senat des Bayer. Landessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung in München am 13. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Vogl, die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Dr. Sandbiller und die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Hohlen sowie die ehrenamtlichen Richter Berschneider und Richter für Recht erkannt:
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. November 2012 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung bzw. Auszahlung von Leistungen nach dem SGB XI in Form von Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege sowie zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b zur Finanzierung von vollstationärer Pflege streitig.
Die Klägerin, geboren 1937, steht unter Betreuung. Sie lebte bis Januar 2011 im Rahmen des betreuten Wohnens in einer Seniorenwohnanlage der A. GmbH, zugleich Trägerin unter anderem eines ambulanten Pflegedienstes sowie einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Bereits mit Bescheid vom 14.12.2009 hatte die Beklagte Kombinationsleistungen nach Pflegestufe II gewährt. Die Klägerin wurde vom ambulanten Pflegedienst der A.-GmbH betreut. Ebenfalls bewilligte zusätzliche Betreuungsleistungen nach §§ 45a, 45b SGB XI waren von der Klägerin während der ambulanten Pflege nicht abgerufen worden. Ende 2010 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Klägerin. Mit Schreiben vom 22.12.2010 beantragte ihre Bevollmächtigte formlos Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. In den nachgereichten Formularen wurden unter dem 13.01.2011 nunmehr Kombinationsleistungen aufgrund vollstationärer Pflege ab Januar 2011 beantragt.
Nach mehreren Klinikaufenthalten wurde die Klägerin am 17.01.2011 in die vollstationäre Pflegeeinrichtungen der A. GmbH aufgenommen, der Platz im betreuten Wohnen wurde zum nächstmöglichen Termin (30.04.2011) gekündigt. Der auf unbestimmte Zeit geschlossene Vertrag über vollstationäre Pflege vom 17.01.2011 sah in § 2 Abs. 5 vor, dass die Klägerin zunächst zur Kurzzeitpflege/Verhinderungspflege aufgenommen werden sollte und die Dauerpflege erst nach Aufbrauch dieser Leistungen wie auch der bewilligten zusätzlichen Betreuungsleistungen aus den Jahren 2010 und 2011 beginnen sollte. Mit Datum vom 02.11.2011 teilte die A. GmbH der Beklagten mit, dass die Kurzzeitpflege bis 10.02. und anschließend die Verhinderungspflege bis längstens 07.03.2011 andauere; ab dem 08.03.2011 beginne die Dauerpflege. Die Bevollmächtigte der Klägerin übermittelte der Beklagten mit Datum vom 06.02.2011 erneut einen Antrag auf Leistungen für vollstationäre Pflege, nunmehr ab 08.03.2011. Sie gehe davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie auf zusätzliche Betreuungsleistungen aufgebraucht seien. Mit Bescheiden jeweils vom 07.02.2011 bewilligte die Beklagte entsprechend den mitgeteilten Zeiträumen von 17.01. bis 10.02.2011 Leistungen der Kurzzeit- sowie von 11.02. bis 07.03.2011 Leistungen der Verhinderungspflege. Mit Bescheid vom 11.03.2011 bewilligte sie weiter ab 08.03.2011 Leistungen für vollstationäre Pflege nach Pflegestufe II. Ausweislich der von der A. GmbH erstellten Rechnungen wurden für die Kurzzeitpflege Euro 890,85, für die Verhinderungspflege Euro 886,49 berechnet.
Gegen den Bescheid vom 11.03.2011 legte die Bevollmächtigte der Klägerin am 14.03.2011 Widerspruch ein. Sie habe Leistungen der vollstationären Pflege erst im Anschluss an den Bezug von Kurzzeit-, Verhinderungspflege und der zusätzlichen Betreuungsleistungen beantragt. Sie gehe davon aus, dass Beginn für Leistungen der vollstationären Pflege nicht der 08.03.2011 sei. Mit Bescheid vom 12.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege seien für das Kalenderjahr 2011 ausgeschöpft. Zusätzliche Betreuungsleistungen seien zweckgebunden und nur bei Nachweis entsprechender Aufwendungen auszuzahlen. Sie könnten nur ergänzend zu Leistungen der ambulanten, teilstationären oder Kurzzeitpflege erfolgen. Letztere Leistungen würden jedoch ab dem 08.03.2011 nicht mehr erbracht. Ab Beginn der vollstationären Pflege könne das Pflegeheim Vergütungszuschläge für besondere Betreuungsangebote geltend machen. Aufgrund der noch nicht ausgeschöpften zusätzlichen Betreuungsleistungen könne sich der Beginn der stationären Pflege nicht verschieben, weil durch diese der Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung nicht sichergestellt werden könne. Die Beklagte habe daher zu Recht ab 08.03.2011 Leistungen der vollstationären Pflege bewilligt.
Gegen diese Entscheidung erhob die Bevollmächtigte der Klägerin am 09.05.2011 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG). Der Klägerin stehe ein Wahlrecht hinsichtlich der begehrten Leistungen zu. Die Träger der Pflegeversicherung wie auch die Heimträger könnten nicht ohne Zustimmung des Versicherten über die Art der Pflege bestimmen. Die Festlegung des Beginns der Dauerpflege ab 08.03.2011 durch die A. GmbH sei daher für die Klägerin nicht bindend. Der Anspruch auf Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege für 2011 sowie der zusätzlichen Betreuungsleistungen für 2010 und 2011 von insgesamt Euro 6300 sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeschöpft gewesen. Der Beginn der Dauerpflege sei maßgeblich für die Eintrittspflicht des zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträgers. In der Folge wurden auf Wunsch der Klägerbevollmächtigten erstellte Rechnungen der A.-GmbH vom 31.12.2011 vorgelegt, mit welchen die in der Zeit von 08.03.2011 bis 29.04.2011 erbrachte stationäre Dauerpflege als „Leistung aus zusätzlichen Betreuungsleistungen aus 2010 und 2011“ in Rechnung gestellt wurde.
Der als überörtlicher Sozialhilfeträger zuständige Bezirk Unterfranken gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom 10.05.2012 und 26.06.2012 zur Deckung der für die Zeit von 08.03.2011 bis 30.06.2012 noch offenen Kosten der stationären Unterbringung bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Verfahrens unter dem Vorbehalt der Rückforderung einen Vorschuss in Höhe von insgesamt Euro 2110,64.
In der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2012 vernahm das SG den Geschäftsführer der A. GmbH als Zeugen. Mit Urteil vom gleichen Tage wies es die Klage als unbegründet ab. Gegen eine Leistungspflicht der Beklagten spreche nicht nur die Tatsache, dass die Bevollmächtigte und Betreuerin der Klägerin selbst Leistungen der stationären Dauerpflege ab 08.03.2011 beantragt habe, sondern zusätzlich der Umstand, dass dies auch mit der A. GmbH so vereinbart worden sei. Die Beklagte habe damit die begehrten Leistungen entsprechend der von der Klägerin getroffenen Wahl umgesetzt. Die vorgelegten Rechnungen vom 31.12.2011 seien sachlich unzutreffend, da im fraglichen Zeitraum ausschließlich Leistungen der vollstationären Pflege erbracht worden seien. Dies habe auch der Zeuge so bestätigt. Ein weitergehender Anspruch auf Verrechnung zusätzlicher Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI bestehe nicht, da diese Leistungen zweckgebunden für qualitätssichernde zusätzliche Betreuung und nicht zur Aufrechterhaltung der Pflege einzusetzen seien.
Gegen diese Entscheidung legte die Bevollmächtigte der Klägerin am 08.02.2013 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Das SG habe die Klage in rechtswidriger Weise abgewiesen. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass ambulante sowie teilstationäre Leistungen gegenüber solchen der vollstationären Pflege vorrangig seien. Die Klägerin habe ein Rechtsschutzinteresse an der Ausschöpfung sämtlicher vorrangiger Leistungen, da sie mit Beginn der vollstationären Pflege sozialhilfebedürftig werde. Die zeitliche Festlegung in den Anträgen bzw. dem Heimvertrag könne nicht maßgeblich sein, da das Wahlrecht über die Leistungen alleine den Versicherten zustehe und der Klägerin die jeweilige Höhe der noch verbleibenden vorrangigen Leistungen ohne entsprechende Aufklärung durch die Beklagte nicht bekannt gewesen sei. Die insoweit fehlerhafte Berechnung der Zeiträume, für welche die noch verfügbaren Leistungen der Verhinderung- und Kurzzeitpflege sowie der zusätzlichen Betreuungsleistungen angerechnet werden könnten, gehe zulasten der Beklagten. Der Klägerin stehe insoweit ein Kostenerstattungsanspruch bezüglich der noch nicht abgerufenen und insoweit von ihr verauslagten Leistungen zu.
Ein vom Vorsitzenden des vormals zuständigen 2. Senats im Termin vom 17.07.2013 vorgeschlagener Vergleich, wonach die Beteiligten von Dauerpflege ab 01.04.2011 ausgehen sollten, scheiterte an einer Einigung über die Frage der Erstattung außergerichtlicher Kosten. Die Beteiligten stimmten im Termin dem Ruhen des Verfahrens sowie einer Verweisung an den Güterichter zu. Nach Scheitern des Güterichterverfahrens wurde der Rechtsstreit am 07.10.2014 fortgesetzt. Nachdem für die Klägerin am 19.06.2015 ein neuer Betreuer bestellt worden war, legte die Bevollmächtigte der Klägerin eine aktuelle Prozessvollmacht vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2011 zu verurteilten, der Klägerin die beantragten Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege einschließlich zusätzlicher Betreuungsleistungen nach § 45 b SGB XI in zustehender Höhe vor Inanspruchnahme stationärer Pflegeversicherungsleistungen bis 08.04.2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des Sozialgerichts und die Akten Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG Ansprüche der Klägerin auf weitere Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege und auf zusätzliche Betreuungsleistungen verneint. Die Klägerin erfüllt für die hier streitige Zeit ab 08.03.2011 keine der für die o.g. Leistungen nötigen Anspruchsvoraussetzungen. Unbeschadet der Tatsache, dass zu keinem Zeitpunkt eine substantiierte Forderung/Berechnung vorgelegt wurde, aus welcher sich die Höhe möglicherweise noch offener Ansprüche entnehmen ließe, ist der Senat der Auffassung, dass die Beklagte bereits über ihre gesetzliche Verpflichtung hinaus Leistungen erbracht hat. Hierbei geht der Senat zunächst zugunsten der Klägerin davon aus, dass die Beklagte bereits mit dem ausschließlich angegriffenen Bescheid vom 11.03.2011 auch über die Versagung weitergehender Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie zusätzlicher Betreuungsleistungen entschieden hat. Eine ausdrückliche Aussage hierzu wurde erst im Widerspruchsbescheid vom 12.04.2011 getroffen. Mit der im Ausgangsbescheid vorgenommenen Bewilligung von Leistungen für vollstationäre Pflege ab 08.03.2011 hat die Beklagte aber jedenfalls konkludent auch die weitergehende Verrechnung nicht abgerufener zusätzlichen Betreuungsleistungen wie auch von noch nicht verbrauchten Leistungen der Verhinderungs- bzw. Kurzzeitpflege abgelehnt.
Diese Ablehnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte zunächst im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf sog. Verhinderungspflege. Nach § 39 Satz 1SGB XI übernimmt die Pflegekasse bei Erfüllung bestimmter weitere Voraussetzungen die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr, soweit eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Nach § 39 Satz 3 SGB XI in der hier maßgeblichen, bis 31.12.2014 geltenden Fassung, konnten im hier streitigen Jahr 2011 bis zu 1510 € pro Jahr übernommen werden. Entgegen der Überschrift des § 39 SGB XI „Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson“ muss die Verhinderungspflege nicht zwingend ebenfalls in häuslicher Umgebung erfolgen, sie kann entsprechend dem Wahlrecht des Versicherten auch in einer stationären Pflegeeinrichtungen erbracht werden. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall, dass durch die Verhinderungspflege häusliche Pflege unterbrochen wird und die Unterbrechung aufgrund einer tatsächlichen Verhinderung der Pflegeperson eingetreten ist. Die Verhinderungspflege ergänzt ausschließlich Leistungen der häuslichen Pflege nach §§ 36, 37 SGB XI (Schlegel in Hauck/Noftz SGB XI, Rn. 1 zu § 39).
Vorliegend stand bereits mit der stationären Aufnahme der Klägerin zu Beginn des Jahres 2011 fest, dass eine häusliche Pflege in der betreuten Wohneinrichtung nicht mehr erfolgen wird. Aufgrund des verschlechterten Gesundheitszustandes wurde bereits im Januar 2011 der Mietvertrag mit der betreuten Wohneinrichtung gekündigt und am 17.01.2011 ein unbefristeter Vertrag über vollstationäre Pflege mit der A. GmbH abgeschlossen. Grund für die Aufnahme in die vollstationäre Pflege im Januar 2011 war damit nicht – wie vom Gesetz gefordert – die Verhinderung einer häuslichen Pflegeperson, sondern alleine die medizinisch indizierte, dauerhafte stationäre Pflegebedürftigkeit der Klägerin. Dementsprechend sah auch der abgeschlossene Heimvertrag eine Rückkehr in die häusliche Pflege nicht mehr vor. Dass die Beteiligten in § 5 des Vertrages vereinbarten, die vollstationäre Pflege zunächst durch Abruf von bisher nicht in Anspruch genommenen Zusatzleistungen insbes. zur ambulanten Pflege zu finanzieren, vermag die fehlenden gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verhinderungspflege nicht herbeizuführen. Auch aus dem Bescheid vom 07.02.2011, mit welchem die Beklagte Leistungen der Ersatzpflege (Urlaubs- bzw. Verhinderungspflege) bewilligt hat, kann die Klägerin keine weitergehenden Ansprüche herleiten. Zwar ist diese – aufgrund der nicht erfüllten Anspruchsvoraussetzungen rechtswidrige – Leistungszusage gleichwohl bestandskräftig geworden, die Zusage erstreckt sich jedoch ausdrücklich nur auf die Zeit von 11.02.2011 bis 07.03.2011 und somit nicht mehr auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum.
Die Klägerin hatte auch keinen Anspruch auf weitere Leistungen der Kurzzeitpflege. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB XI besteht ein Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung, wenn häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und auch teilstationäre Pflege nicht ausreicht. Dies gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift
1. für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder
2. in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist.
Nach § 42 Abs. 2 SGB XI in der bis 31.12.2014 geltenden Fassung konnten im Jahr 2011 ebenfalls bis zu 1510 € für einen Zeitraum von bis zu 4 Wochen übernommen werden.
Die Klägerin erfüllte in der hier streitigen Zeit die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB XI nicht, da die vollstationäre Pflege weder für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung noch in sonstigen vorübergehenden Krisensituationen erfolgte, sondern – wie oben dargestellt – bereits im Januar 2011 sowohl von der Klägerin bzw. ihrer Betreuerin wie auch vom Heimträger den tatsächlichen Erfordernissen entsprechend als dauerhafte stationäre Aufnahme angelegt wurde. Ein Anspruch nach § 42 SGB XI ist aber nur gegeben, wenn es sich wenigstens in der Vorausschau nur um eine vorübergehende Unmöglichkeit häuslicher Pflege handelt, und nicht, wenn von Beginn an feststeht, dass auf Dauer vollstationäre Pflege nötig ist (vgl. Wortlaut „zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang“). Denn im Unterschied zu § 43 SGB XI ist die Pflege in einer vollstationären Einrichtung nach § 42 SGB XI nur für kurze Zeit gedacht; es soll nur für eine Übergangszeit ein vorübergehender besonderer Bedarf gedeckt werden (Juris-PK, Luik, SGB XI, Rn.67 zu § 42). Die von den Spitzenverbänden der Pflegekassen vertretene gegenteilige Auffassung, Leistungen der Kurzzeitpflege könnten auch bei bereits absehbarer dauerhafter stationärer Pflegebedürftigkeit Leistungen der vollstationären Pflege vorgeschaltet werden (vgl. gem. Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene vom 19.12.2014, S. 1 zu § 42 SGB XI), findet im Gesetz keine Stütze. Steht bereits bei stationärer Aufnahme die Unmöglichkeit einer weiteren häuslichen Pflege fest, so sind ausschließlich Leistungen der vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI zu gewähren (Schlegel in Hauck/Noftz, SGB XI, Rn. 3 zu § 42). Auch hier vermag die Klägerin aus dem Bescheid vom 07.02.2011, mit welchem Leistungen der Kurzzeitpflege bewilligt wurden, keine weitergehenden Ansprüche herzuleiten. Diese Leistungszusage erstreckte sich ausdrücklich nur auf die Zeit bis 10.02.2011 und somit nicht mehr auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum.
Die Klägerin hat letztlich auch keinen Anspruch auf Anrechnung nicht abgerufener Betreuungsleistungen nach §§ 45a, 45b SGB VI. Unstreitig hat die Beklagte der Klägerin entsprechende zusätzliche Leistungen neben den ursprünglich gewährten Kombinationsleistungen nach Pflegestufe II bewilligt. Nach § 45b Abs. 1 S. 5 SGB XI sind diese zusätzlichen Leistungen jedoch streng zweckgebunden. Sie können nur für qualitätsgesicherte Betreuungsangebote eingesetzt werden. Daneben dienen diese Leistungen nach Satz 6 der genannten Vorschrift ausschließlich der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen
1. der Tages- oder Nachtpflege,
2. der Kurzzeitpflege,
3. der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung und nicht um Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung handelt, oder
4. der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die nach § 45c gefördert oder förderungsfähig sind.
Die zusätzlichen Betreuungsleistungen müssen also in streng akzessorischem Sinne neben eine der genannten Leistungen treten.
Unbeschadet der Tatsache, dass die Klägerin jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum ab 03.08.2011 rechtlich keinen Anspruch mehr auf eine der in Ziff. 1 bis 4 genannten Leistungen hatte und solche auch tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen wurden – die rechtswidrigen Bewilligungen der Beklagten liefen am 07.03.2011 aus -, scheitert ein Abruf der Betreuungsbeträge aus 2010 und teilweise 2011 zum Zwecke der ausschließlichen Finanzierung der vollstationären Pflege auch an dem Umstand, dass es sich bei letzterer um keine zusätzliche, qualitätsgesicherte besondere Betreuungsleistung aufgrund der eingeschränkten Alltagskompetenz der Klägerin handelte, sondern ausschließlich der allgemeine Aufwand an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung im Rahmen der stationären Dauerpflege abgedeckt werden sollte. Die von der Klägerin ausdrücklich so begehrte Zweckentfremdung der Betreuungsbeiträge widerspricht nicht nur dem Wortlaut des Gesetzes sondern auch den gesetzgeberischen Motiven, ausschließlich den zusätzlichen Aufwand bei der ambulanten Versorgung Dementer, psychisch Kranker und geistig Behinderter abzudecken. Ab Beginn der stationären Aufnahme ggf. bestehende Ansprüche nach § 87b SGB XI stehen hier nicht im Streit.
Soweit sich die Bevollmächtigte der Klägerin auf den Grundsatz der Selbstbestimmung sowie das Recht auf Berücksichtigung von Wünschen der Versicherten bei der Gestaltung der Pflege nach § 2 SGB XI beruft, ist festzustellen, dass sich diese Ansprüche selbstverständlich nur im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten bewegen und kein Wahl- oder Wunschrecht auf Gewährung rechtswidriger Leistungen einräumen.
Nach alldem ist die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Einer notwendigen Beiladung des ggf. eintrittspflichtigen Sozialhilfeträgers nach § 75 Abs. 2 SGG bedurfte es mangels Identität des Streitgegenstandes nicht. Allein die Tatsache, dass der Sozialhilfeträger durch eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen von einer ihn treffenden Leistungspflicht (teilweise) entlastet wird, reicht insoweit nicht aus (BSG, Urteil vom 10.02.2000, Az.: B 3 P 12/99 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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