Medizinrecht

Pflichten des Grundstückseigentümers – Beachtung der Leichtigkeit des Verkehrs

Aktenzeichen  Au 8 K 19.673

Datum:
30.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18964
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 44 Abs. 2 Nr. 4
BayVwZVG Art. 31
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen  Anpflanzungen nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können (Rn. 24). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der verfassungsrechtliche Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG verlangt, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden; damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)
3 Mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers ist es nicht vereinbar, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. April 2019 ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die sicherheitsrechtliche Anordnung in Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, der entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Klägerin in den öffentlichen Verkehrsraum ragt, ist rechtmäßig.
a) Unabhängig davon, ob eine Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG oder unmittelbar auf Art. 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 BayStrWG gestützt wird (BayVGH, B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – juris Rn. 14; B.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 21; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2018, Art. 29 Rn. 28), erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als zutreffend, da der Beklagte die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung zutreffend am gesetzlichen Maßstab des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG gemessen hat. Am Ergebnis ändert die zusätzliche Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG nichts (BayVGH, B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – juris Rn. 14; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 22).
b) Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können.
Die Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG enthält eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 28).
Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 24; VG München, B.v. 6.12.2018 – M 2 S 18.2234 – juris Rn. 29).
Dies ist vorliegend der Fall, da im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung in Ziffer I. des angefochtenen Bescheids abgewehrt werden soll. Auch wenn das streitgegenständliche Grundstück der Klägerin im vorliegenden Fall in einer Sackgasse liegt, in der hauptsächlich Anliegerverkehr stattfindet, so hat das Gericht bei seinem Augenschein vom 26. Juni 2019 festgestellt, dass der Pflanzenbewuchs entlang der Nordgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks der Klägerin annähernd über dessen komplette Länge bis zu 1,40 Meter weit in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragt und etwas mehr als ein Viertel der Straßenbreite einnimmt. Da der Pflanzenbewuchs ausweislich der vom Gericht anlässlich des Augenscheins gefertigten Lichtbilder ab einer Höhe von weniger als einem Meter bis zu 1,40 Meter weit in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragt, stellen die überhängenden Äste nicht nur eine Sichtbehinderung dar, sondern gefährden konkret die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in der Gemeindestraße. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass die Verkehrsfläche nicht in Fahrbahn und Gehweg unterteilt ist, und es somit – zusätzlich zu den Gefahren im Begegnungsverkehr zwischen PKW – auch zu einer Gefahr für die körperliche Integrität von Fußgängern kommt. Daran vermag auch der Hinweis des Bevollmächtigten der Klägerin auf die Straßensituation im Winter nichts zu ändern. Tatsächlich ist die Nutzung der Gemeindestraße durch stärkeren Schneefall und den damit verbundenen Winterdienst des Beklagten nur an wenigen Tagen so eingeschränkt, dass die Straße nur noch einspurig befahrbar ist. Insofern konnte sich der Beklagte wegen des Vorliegens einer konkreten Gefahr für die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs auf Art. 29 Abs. 2 BayStrWG stützen und musste einen Rückschnitt des Pflanzenbewuchses nicht (aufgrund des optischen Eindrucks) zivilrechtlich durchsetzen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg. Darin wurde explizit festgestellt, dass die Verpflichtung der Klägerin zum Rückschnitt einer Hecke nicht Gegenstand des Verfahrens ist (VG Augsburg, U.v. 8.11.2017 – Au 6 K 17.631 – juris Rn. 12).
c) Der streitgegenständliche Bescheids ist in seiner Ziffer I. auch nicht gemäß Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG nichtig. Der Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ist nicht wegen Unerreichbarkeit des Grundstücks objektiv nicht durchführbar. Wie das Gericht bei seinem Augenschein vom 26. Juni 2019 festgestellt hat, ist der streitgegenständliche Pflanzenbewuchs zumindest von der Außenseite des Grundstücks der Klägerin für einen Rückschnitt hinreichend erreichbar.
d) Die seitens der Klägerin vorgebrachte Einrede der Verjährung kommt bei einer hoheitlichen Anordnung auf der Grundlage des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG nicht in Betracht, da es sich bei dem Hineinwachsenlassen von Anpflanzungen in den Straßenbereich um einen Dauervorgang handelt (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 29 Rn. 28).
e) Die Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs ist auch verhältnismäßig. Insbesondere die der Klägerin gesetzte Frist von drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids zur Durchführung des Rückschnitts ist nicht unangemessen kurz. Da die Anordnung des Sofortvollzugs diese Frist unberührt lässt, greifen die vom Bevollmächtigten der Klägerin geäußerten Zweifel an der Anordnung des Sofortvollzugs – unabhängig davon, ob es auf die Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs im Hauptsacheverfahren überhaupt ankommt – nicht. Auch die angeordnete Höhe von mindestens 4,50 Metern zum Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ist insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen Lieferverkehr bzw. die Müllabfuhr nicht unangemessen.
2. Die Androhung eines Zwangsgelds in Ziffer III. des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 5 BayVwZVG und ist als geeignetes und gleichzeitig mildestes Mittel rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere die Höhe der Zwangsgeldandrohung steht mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG in Einklang. Nach Satz 2 dieser Norm soll das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen. Nach Satz 4 der Vorschrift ist das wirtschaftliche Interesse nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigen, eine Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist regelmäßig nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 16.09.2010 – 1 CS 10.1803 – juris Rn. 23 m. w. N). Um den Adressaten zur Erfüllung seiner Pflichten zu veranlassen, soll das Zwangsgeld so bemessen werden, dass der Pflichtige keinen Vorteil aus der Nichterfüllung der Anordnung ziehen kann. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin bemisst sich vorliegend an den Kosten einer vorzunehmenden Beseitigung. Davon ausgehend ergibt sich ein wirtschaftliches Interesse der Klägerin, das in Höhe des angedrohten Zwangsgeldes liegen dürfte. Fehler bei der Ermessensausübung sind nicht ersichtlich.
3. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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