Medizinrecht

Plausibilitätsprüfung bei Honorarbescheiden

Aktenzeichen  S 38 KA 262/19

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9539
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BMV-Ä § 17, § 57
SGB V § 75, § 83
HKaG Art. 18 Abs. 1
Ärzte-ZV § 32

 

Leitsatz

1. Die Hinzuziehung eines medizinischen Fachexperten im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung ist unterstützender Art und als Internum anzusehen. Mögliche Unzulänglichkeiten, wie zum Beispiel fehlende Eignung des Fachexperten führen daher nicht zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. (Rn. 21)
2. Die Abrechnung der GOP 01100 setzt eine „unvorhergesehene Inanspruchnahme“ des Arztes voraus. Hierbei ist zweifelhaft, ob die bloße Mitteilung von Laborparametern, egal ob vom Patienten oder vom Arzt die Initiative ausgeht, den Ansatz der GOP 01100 rechtfertigt. Denn die Mitteilung der Laborparameter müsste im Rahmen der Sprechstunde darstellbar sein. (Rn. 33)
3. Bei der Erbringung der Leistungen der GOP 35100 und 35110 ist zu beachten, dass über die allgemeinen Dokumentationspflichten (§ 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3 Heilberufekammergesetz (HKaG) hinaus besondere Dokumentationspflichten bestehen, die sich zum einen aus dem EBM selbst, aber auch aus der Psychotherapie-Richtlinie (§ 23 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie aF.; § 24 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie nF.) ergeben. (Rn. 40 – 42)
4. Bei einer nur stundenweisen oder halbtägigen ersatzweisen Tätigkeit durch einen anderen Arzt handelt es sich nicht um eine Vertretung im Sinne der §§ 32 Ärzte-ZV, 17 BMV-Ä (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.06.2007, Az L 3 KA 9/07 ER). (Rn. 48)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind als rechtmäßig anzusehen.
Die Beklagte ist zuständig für die in den Quartalen 1/13 bis 4/15 vorgenommene Plausibilitätsprüfung. Rechtsgrundlagen des Bescheides der Antragsgegnerin vom 01.08.2017 sind §§ 75 Abs. 1, 83 Satz 1 SGB V, § 7 Abs. 1 Gesamtvertrag-Primärkassen bzw. § 8 Gesamtvertrag Ersatzkassen in Verbindung mit der Anlage 8 Gesamtvertrag-Ersatzkassen, § 106a Abs. 2 SGB V, § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (= BMV-Ä) bzw. § 42 Arzt/Ersatzkassen-Vertrag (= A-EKV) bzw. § 50 Abs. 1 SGB X. Danach ist die Beklagte generell berechtigt, die Abrechnungen der Vertragsärzte auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Im Fall der Klägerin hat eine solche Prüfung bezüglich der GOP´s 01100, 35100, 35110 in den Quartalen 1/13 bis 4/15 und bezüglich der Tätigkeit von Frau Dr. K. in den Quartalen 4/14 und 1/15 stattgefunden.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Plausibilitätsprüfung und der Umsetzung des Prüfergebnisses qua Verwaltungsakt um eine Aufgabe der beklagten Behörde handelt. Die Hinzuziehung eines medizinischen Fachexperten, wie hier geschehen, ist unterstützender Art und als Internum anzusehen. Mögliche Unzulänglichkeiten, wie zum Beispiel fehlende Eignung des Fachexperten führen daher nicht zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes.
Abgesehen davon ist eine Ungeeignetheit, geschweige denn eine Befangenheit von Dr. W. nicht ersichtlich. Dr. W. ist ebenfalls wie die Klägerin Kinderund Jugendarzt und nimmt ebenfalls an der psychosomatischen Grundversorgung teil. Auch wenn er noch nicht so lange wie die Klägerin als Vertragsarzt tätig ist, bestehen an seiner beruflichen Eignung und Urteilsfähigkeit keine Zweifel. Angesichts der Komplexität der Prüfung genügt es auch, die Patientenfälle plakativ (Markierung mit rot, gelb und grün) auszuwerten. Dass Dr. W. eine eigene Praxis im weiteren Umfeld der klägerischen Praxis führt und theoretisch als Konkurrent anzusehen wäre, führt ebenfalls nicht zu Ungeeignetheit des medizinischen Fachexperten. Denn es müssten sich noch weitere Anhaltspunkte ergeben, die auf eine Voreingenommenheit von Dr. W. hinweisen würden.
Eine Plausibilitätsprüfung findet grundsätzlich dann statt, wenn aufgrund von Aufgreifkriterien der Verdacht der Implausibilität besteht. Die Beklagte hat Zeitprofile erstellt und dabei festgestellt, dass die Klägerin im Quartal 1/15 eine Stundenzahl von 1.348,17 Stunden erbracht hat und an mehr als 15 Tagen/Quartal mehr als 12 Stunden tätig gewesen ist. Bei mehr als 780 Stunden/Quartal besteht der Verdacht der Implausibilität. Rechnet man die Quartalsstundenzahl auf die Tagesarbeitszeit um, ergibt sich eine Tagesarbeitszeit von 22,46 Stunden im Durchschnitt. Insofern besteht eine zeitliche Auffälligkeit, die eine Überprüfung nach sich ziehen muss. Unabhängig von dieser zeitlichen Auffälligkeit hat die Beklagte festgestellt, dass die Gebührenordnungspositionen 01100, 35100 und 35110 sehr häufig in Ansatz gebracht wurden. Bei der Leistung nach der GOP 01100 beträgt die Überschreitung der Fachgruppe teilweise über 1.000%. Auch insofern besteht eine Auffälligkeit.
Abrechenbar und vergütungsfähig sind nur solche Leistungen, die in Übereinstimmung mit den für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Vorschriften, vor allem dem EBM, dem HVV bzw. dem HVM und den sonstigen Abrechnungsbestimmungen erbracht werden. Wird eine Implausibilität festgestellt, erfolgt die Rückforderung der zu Unrecht abgerechneten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X.
Hinsichtlich der zur Rückforderung gestellten Leistungen nach GOP 01100 steht auch für das Gericht fest, dass der Leistungsinhalt nicht erfüllt ist.
Nach gefestigter Rechtsprechung der Sozialgerichte (BSG, Urteil vom 30.11.2016, Az B 6 KA 17/15 R) ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich. Hintergrund hierfür ist, dass es vorrangige Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä, des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V ist, die unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen zu einem Ausgleich zu führen und Unklarheiten zu beseitigen. Des Weiteren handelt es sich bei dem EBM-Ä um ein abschließendes Regelwerk, das keine Ergänzung, Lückenfüllung oder Analogie zulässt. Ist der Wortlaut nicht eindeutig und zweifelhaft, so dass es einer Klarstellung bedarf, sind andere Auslegungsregelungen, so eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren und ähnlichen Leistungstatbestände und eine entstehungsgeschichtliche Auslegung, anzuwenden.
Die GOP 01100 EBM-Ä lautet wie folgt:
„Unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten
– zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr
– an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 7:00 und 19:00 Uhr“
Die GOP ist mit der Anmerkung versehen, dass sie nicht berechnungsfähig ist, wenn Sprechstunden vor 07:00 Uhr oder nach 19:00 Uhr stattfinden oder Patienten zu diesen Zeiten gestellt werden.
Die Leistungslegende der GOP 01100 EBM-Ä ist zwar insofern klar und eindeutig, als sie zwar konkrete Tage bzw. Zeiten nennt, an denen die Gebührenordnungsposition nicht in Ansatz gebracht werden kann. Sie enthält aber mit der Begrifflichkeit „Unvorhergesehene Inanspruchnahme“ einen unbestimmten Rechtsbegriff, der unklar ist und deshalb nach Maßgabe der oben genannten Auslegungsregelungen auszulegen ist.
Gegenstand einer Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg war ebenfalls die Leistung nach der GOP 01100 EBM-Ä (LSG Hamburg, Urteil vom 25.04.2013, Az L 1 KA 5/12). Konkret wurde wie folgt ausgeführt: „Es ist keine unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes bzw. hier der ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtung durch Patienten, wenn diese das vorgehaltene Angebot der Einrichtung annehmen, sich dort zu Zeiten behandeln zu lassen, die ansonsten üblicherweise sprechstundenfrei sind. Da die Klägerin gerade und ausschließlich zu diesem Zeitpunkt ihre Dienste anbietet und ihr auf ihren Antrag hin auch nur für diese Zeiten die Ermächtigung erteilt worden ist, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, ist die Behandlung eines Patienten während dieser Zeiträume nicht unvorhergesehen, sondern beabsichtigt und geplant. Diese Zeiten sind die normalen Dienstzeiten der Klägerin, so dass die Inanspruchnahme nicht außerhalb von diesen Zeiten stattfindet.“
Auch das Sozialgericht München (Urteil vom 24.9.2014, Az S 21 KA 1354/12) hat in diesem Sinne entschieden. Es komme darauf an, ob sich der Kläger zum Zeitpunkt der Behandlung in einer Dienstsituation befunden habe und mit seiner Inanspruchnahme, etwa im Rahmen einer Sprechstunde gerechnet habe. Dabei seien nicht nur Sprechstundenzeiten zu berücksichtigen, die der Kläger der Beklagten gemeldet und auf seinem Praxisschild oder in anderer Weise veröffentlicht habe, sondern auch faktische Sprechstunden. Eine faktische Sprechstunde liege vor, wenn die Praxis generell für alle Patienten geöffnet gewesen sei. Die Initiative für die Inanspruchnahme des Arztes müsse allein von den Patienten ausgehen. Nur dann sei von einer unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Arztes im Sinne der GOP 01100 EBM-Ä auszugehen. Wenn dagegen vom Arzt Leistungen bewusst, geplant und organisiert außerhalb der Sprechstunde angeboten werden, die der Patient annimmt (beispielsweise Einrichtung eines organisierten Notfalldienstes), sei damit eine Dienstsituation verbunden. Der leistungserbringende Arzt müsse mit einer Inanspruchnahme rechnen, so dass für ihn die Inanspruchnahme vorhersehbar und dann der Leistungsinhalt der GOP 01100 nicht erfüllt sei.
Wie die Klägerin hat mitteilen lassen, hat sie den Eltern der Patientinnen und Patienten auch die private Handynummer bekannt gegeben und dies als Serviceleistung angesehen. Nach Auffassung des mit zwei Ärzten fachkundig besetzten Gerichts ist es nicht selten, dass die Behandler auch ihre privaten Telefonnummern an Patienten herausgeben; dies betrifft insbesondere die operativen Fächer, wo es an sich eine Selbstverständlichkeit darstellt, dass den Patienten für den Fall, dass Komplikationen postoperativ auftreten, die Möglichkeit eröffnet wird, mit dem Behandler/Operateur Kontakt aufzunehmen. Allerdings, so das fachkundig besetzte Gericht, erfolgt eine Inanspruchnahme außerhalb der Sprechstundenzeiten höchst selten.
Die hohe Inanspruchnahme außerhalb der eigentlichen Sprechstunde hängt nach Auffassung des Gerichts damit zusammen, dass die Klägerin offensichtlich gegenüber den Eltern der Patientinnen und Patienten nicht hinreichend deutlich gemacht hat, dass sie nur bei Notsituationen auch außerhalb der Sprechstunde zur Verfügung steht. Dafür spricht vor allem der Umstand, dass in den nachfolgenden Quartalen ein deutlicher Rückgang der Überschreitungen bei der GOP 01100 zu beobachten ist. Dass in einer Region mit einer einfachen Bevölkerungsschicht die Hemmschwelle für eine Inanspruchnahme außerhalb der Sprechstunde höher sein soll, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon kam das Gericht bei kursorischer Durchsicht der Unterlagen zu der Feststellung, dass in allen bzw. den meisten Fällen auch keine Uhrzeitangabe erfolgte, nicht zu ersehen war, ob von den Eltern der Patienten die Initiative ausging – dann Ansatz GOP 01100 – oder die Initiative von der Klägerin ausging. Auffällig war auch, dass oftmals im Zusammenhang mit der Mitteilung der Laborparameter die GOP 01100 von der Klägerin in Ansatz gebracht und auch nicht angegeben wurde, wegen welcher Erkrankung hier eine Inanspruchnahme erfolgte. Hierbei ist zweifelhaft, ob die bloße Mitteilung von Laborparametern, egal ob vom Patienten oder vom Arzt die Initiative ausgeht, den Ansatz der GOP 01100 rechtfertigt. Denn die Mitteilung der Laborparameter müsste im Rahmen der Sprechstunde darstellbar sein. Letztendlich ist die Auffassung der Beklagten zu bestätigen, wonach der Leistungsinhalt der GOP nicht erfüllt ist und eine Implausibilität besteht.
Für das Gericht steht auch fest, dass die Abrechnung der GOP´s 35100 und 35110 ebenfalls implausibel ist. Maßgeblich für den berechtigten Ansatz ist auch hier wieder der Wortlaut der Leistungslegenden.
Die GOP 35100 lautet wie folgt:
„Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände“
Zum obligatorischen Leistungsinhalt gehört
– differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände
– schriftlicher Vermerk über ätiologische Zusammenhänge
– Dauer mindestens 15 Minuten
Die GOP 35110 lautet wie folgt:
„Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen“
Zum obligatorischen Leistungsinhalt gehört
– Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen
– Systematische Nutzung der Arzt-Patienten-Interaktion
– Dauer mindestens 15 Minuten
Nach Durchsicht der Unterlagen in der mündlichen Verhandlung am 25.03.2021 durch das fachkundig mit zwei Ärzten besetzte Gericht ist zunächst festzustellen, dass die von der Klägerin in Ansatz gebrachten Leistungen (GOP 35100 und 35110) anhand der niedergelegten medizinischen Daten in vielen Fällen nicht nachvollziehbar sind. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass der Klägerin – wie auch von ihr eingeräumt wird – offensichtlich nicht klar war, was Leistungsinhalt dieser Gebührenordnungspositionen ist. Während es sich bei der GOP 35100 um eine diagnostische Leistung handelt, stellt die Leistung nach der GOP 35110 eine therapeutische Leistung dar. Abgesehen davon, dass hier häufig eine Verwechslung stattfand, ist der Leistungsinhalt dieser Leistungen nur dann erfüllt, wenn hierzu entsprechende Dokumentationen erfolgt sind.
Nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3. Heilberufekammergesetz (HKaG) besteht für alle erbrachten Leistungen eine allgemeine Dokumentationspflicht. Dies bedeutet, der Vertragsarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassen Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren. Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt große Bedeutung zu. Sie hat Beweisfunktion, beispielsweise dient sie dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Selbstverständlich dient sie auch dem Arzt als Gedächtnisstütze, aber auch als Informationsquelle für den Fall, dass Mitbehandler oder Nachbehandler die Behandlung des Patienten begleiten oder fortsetzen (SG Düsseldorf, Urteil vom 20.12.2006, Aktenzeichen S. 2 (17) KA 276/03). Folglich dient die Dokumentation auch der Qualitätssicherung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht (BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, Az L 3 KA 510/02; SG Marburg, Urteil vom 13.9.2017, S 12 KA 349/16; SG Stuttgart, Urteil vom 14.09.2016, Az S 24 KA 235/14; SG München, Urteil vom 25.07.2018, Az S 38 KA 645/16).
Bei der Erbringung der Leistungen der GOP 35100 und 35110 sind darüberhinaus besondere über die allgemeinen Dokumentationspflichten hinausgehende Dokumentationspflichten zu beachten, die sich zum einen aus dem EBM selbst, aber auch aus der Psychotherapie-Richtlinie ergeben. So ist Leistungsinhalt der GOP 35100 ein schriftlicher Vermerk über die ätiologischen Zusammenhänge (Anm.: ursächlicher Zusammenhang zwischen der somatischen Erkrankung und der Psyche). Die Leistung nach der GOP 35110 erfordert eine verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen und eine systematische Nutzung der Arzt-Patienten-Interaktion, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, zu dokumentieren, welchen Inhalt diese verbale Intervention hatte.
Die besonderen Dokumentationspflichten ergeben sich aber auch und insbesondere daraus, dass die Psychotherapie-Richtlinie zu beachten ist. Rechtsgrundlage der Psychotherapie-Richtlinie ist § 92 Abs. 6a SGB V. Nach § 23 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie aF. (§ 24 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie nF.) wird die Psychotherapie im Sinne dieser Richtlinie in der vertragsärztlichen Versorgung durch Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung ergänzt. Leistungen nach den GOP 35100 und 35110 stellen Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung dar. Ausdrücklich wird in § 38 Psychotherapie-Richtlinie eine schriftliche Dokumentation genannt. Danach erfordern Leistungen nach dieser Richtlinie für jede Patientin und jeden Patienten eine schriftliche Dokumentation des Datums der Leistungserbringung, der diagnostischen Erhebungen, der wesentlichen Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen sowie der Ergebnisse in der Patientenakte. Aufgrund des geschilderten Sinns und Zwecks der Dokumentation sind bei diesem Krankheitsbild die somatischen Befunde konkret zu dokumentieren. Nur dann ist der Ansatz der GOP 35100 gerechtfertigt. Bei der verbalen Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen nach der GOP 35110 sind auch Fortschritte und Misserfolge zu dokumentieren (vgl. SG München, Urteil vom 23.10.2019, Az S 49 KA 59/18, n.rk.).
Hintergrund für diese gesteigerten Dokumentationspflichten ist, dass es sich um einen äußerst sensiblen Bereich handelt, dem sich auch weitere Behandlungen durch andere Leistungserbringer anschließen können. Lediglich auf diese Weise ist gewährleistet, dass Mitbehandler oder Nachbehandler die Behandlung begleiten oder übernehmen, ohne dass es zu unnötigen Friktionen oder Verzögerungen kommt. Hinzuweisen ist auch darauf, dass beide Leistungen nicht von ungefähr, eben auch im Hinblick auf die Dokumentation eine Dauer von mindestens 15 Minuten voraussetzen.
Werden die oben genannten Anforderungen auf das streitgegenständliche Verfahren angewandt, ist festzustellen, dass die Dokumentationen der Klägerin große Defizite aufweisen und diesen Anforderungen nicht gerecht werden.
Es genügt nicht für den Ansatz der GOP 35100, dass irgendwie ein Organbezug (Herz, Darm, Lunge, Haut) vorhanden oder unter Berücksichtigung des gesamten Behandlungsfalls herstellbar ist. Denn die Dokumentation muss aus sich heraus klar und eindeutig sein, ohne dass es einer Zuhilfenahme anderer zusätzlicher Unterlagen bedarf. Keinesfalls ist die allenfalls rudimentäre Darstellung als Vermerk über die ätiologischen Zusammenhänge im Sinne der GOP 35100 zu werten.
Genauso wenig ist es für den Ansatz der GOP 35110 ausreichend, wenn aus der Dokumentation ein Behandlungskonzept nicht erkennbar ist. Bloße Ratschläge stellen keine verbale Intervention dar und rechtfertigen nicht den Ansatz der GOP 35110. Sie sind vielmehr Teil der regelmäßig stattfindenden Vorsorgeuntersuchungen.
Soweit in diesem Zusammenhang die Klägerseite darauf hinweist, die klägerische Praxis sei sehr groß mit vielen Behandlungsfällen, führt dieser Umstand nicht dazu, die Anforderungen, die mit dem Ansatz der GOP 35100 und 35110 verbunden sind, herabzusetzen zu können. Denn die Leistungen sind nur dann abrechnungsfähig, wenn ihr Leistungsinhalt erfüllt ist, unabhängig vom Praxiszuschnitt und Arbeitsanfall. Im Übrigen wäre dies auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG gegenüber anderen Vertragsärzten nicht vereinbar.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Beklagte Leistungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Frau Dr. K. in den Quartalen 4/14 und 1/15 in Abzug brachte. Deren Leistungen sind nur dann vergütungsfähig, wenn es sich entweder um eine genehmigte Vertretung nach § 32 Abs. 2 Ärzte -ZV handelte, oder die Voraussetzungen für eine genehmigungsfreie Vertretung nach § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV vorlagen. Bei einer Vertretung unter einer Woche sind Leistungen des Vertreters abrechenbar, ohne dass es einer Mitteilung oder einer Genehmigung bedurfte. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, besteht nach § 32 Abs. 1 S. 4 Ärzte-ZV eine Mitteilungspflicht. Eine genehmigungsfreie Vertretung ist innerhalb von zwölf Monaten bis zu einer Dauer von drei Monaten zulässig. Dabei werden die Vertretungstage aufaddiert (vgl. Andreas Ladurner, Komment. zur Ärzte-ZV und Zahnärzte-ZV, Rn 28 zu § 32). Den Vorschriften der § 32 Ärzte-ZV und § 17 Abs. 3 BMV-Ä ist zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber/die Vertragspartner des Bundesmantelvertrages zumindest von einer tageweisen Vertretung ausgehen. Bei einer nur stundenweisen oder halbtägigen ersatzweisen Tätigkeit durch einen anderen Arzt handelt es sich dagegen nach Auffassung des Gerichts nicht um eine Vertretung im Sinne der §§ 32 Ärzte-ZV, 17 BMV-Ä (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.06.2007, Az L 3 KA 9/07 ER). Denn derartige Fallkonstellationen werden – besteht ein dringender Behandlungsbedarf – durch andere Ärzte abgedeckt, die dann Notfallbehandlungen erbringen und über den Notfallschein abrechnen. Für dieses Ergebnis sprechen auch andere Praktikabilitätserwägungen. Nachdem die Höchstdauer der Vertretung drei Monate innerhalb von zwölf Monaten beträgt (§ 32 Ärzte-ZV) und eine Addition der Vertretungstage erfolgt, wäre eine Ermittlung der Vertretungszeit bei einer nur stundenweisen oder nur halbtägigen Vertretung kaum möglich. Letztendlich würde dies die Vertretungsregelungen des § 32 Ärzte-ZV und des § 17 BMV-Ä „ad absurdum“ führen. Insofern wurden die Leistungen, die von Frau Dr. K. an Tagen erbracht wurden, an denen auch Rezepte durch die Klägerin ausgestellt wurden, zu Recht abgesetzt.
Die Klägerin hat deshalb gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Hierbei handelt es sich um eine der Grundpflichten im Vertragsarztrecht.
Auch der Umfang der Rückforderung bleibt nach summarischer Prüfung rechtlich ohne Beanstandung. Der Beklagten steht nach gefestigter Rechtsprechung der Sozialgerichte ein weites Schätzungsermessen zu (vgl. BSG, Urteil vom 7.9.1997, Az 6 Rka 86/95). Davon hat sie auch Gebrauch gemacht und der Klägerin sogar einen Sicherheitsabschlag von jeweils 15% eingeräumt.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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