Medizinrecht

Rechtmäßiger Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund von Alkoholfahrten

Aktenzeichen  W 6 K 16.907

Datum:
1.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 6, Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2b
StVG StVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Gemäß § 13 S. 1 Nr. 2b FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Dies setzt mindestens zwei verwertbare Zuwiderhandlungen voraus, wobei ausreichend ist, dass es sich um Ordnungswidrigkeiten handelt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Inwieweit länger zurückliegende Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 S. 1 Nr. 2b FeV rechtfertigen, richtet sich nach den gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen (hier: § 29 StVG). (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Formulierung, wonach der Betroffene die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen „bis zur Vorlage der Einverständniserklärung“ einsehen könne, ist zwar so im Gesetzestext nicht vorgesehen, verfälscht jedoch nicht zulasten des Betroffenen den Hinweis, dass er die Möglichkeit der Einsichtnahme hat. (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Mitteilungspflicht des § 11 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 FeV ist dann genügt, wenn sich ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht auf die Willensentschließungsfreiheit des Betroffenen im konkreten Fall nicht ausgewirkt haben kann (ebenso VGH BW BeckRS 2015, 53373; über die beim BVerwG – Az.: 3 C 20.15 – anhängige Revision ist noch nicht entschieden). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
* * *

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Landratsamtes Rhön-Grabfeld vom 4. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger wurde zu Recht die Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung des geforderten Fahreignungsgutachtens entzogen. Die Gutachtensanforderung ist nicht zu beanstanden. Im Einzelnen:
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Im Regelfall ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV derjenige, der Alkohol missbräuchlich verwendet. Missbrauch liegt vor, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Die Berechtigung der Fahrerlaubnisbehörde, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung von Fahreignungszweifeln bei Alkoholproblematik anzuordnen, ergibt sich vorliegend aus dem vorrangig anzuwendenden § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV (siehe § 11 Abs. 3 Satz 2 FeV). Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden, ausgenommen Zuwiderhandlungen ausschließlich gegen § 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen, § 13 Satz 2 FeV). Dies setzt mindestens zwei verwertbare Zuwiderhandlungen voraus, wobei ausreichend ist, dass es sich um Ordnungswidrigkeiten handelt (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 13 FeV Rn 22). Der Schluss auf die Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers ist nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zulässig, wenn der Betroffene ohne ausreichenden Grund eine Untersuchung verweigert oder ein von der Behörde zu Recht gefordertes Gutachten nicht fristgemäß beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war. Dies setzt voraus, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens in materiell-rechtlicher und in formeller Hinsicht rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (Dauer in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 11 FeV, Rn. 55).
2. Die genannten Voraussetzungen liegen vor. Die beiden Alkoholfahrten am 18. Oktober 2014 und 18. März 2016 mit einer die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonzentration in der Atemluft von 0,46 mg/l bzw. einer Blutalkoholkonzentration von 0,60 Promille, die beim Kläger insbesondere schon zur Tagzeit (11:40 Uhr bzw. 14:00 Uhr) erreicht wurden, waren geeignet, Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen. Beide Alkoholfahrten wurden als Ordnungswidrigkeiten geahndet (§ 24a StVG). Zuwiderhandlungen im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV sind nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungswidrigkeiten, so dass die Gutachtensbeibringung bereits nach wiederholter Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a StVG zwingend vorgeschrieben ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2014 nicht mehr verwertbar wäre. Dies richtet sich nach den gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen, hier nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 3 StVG (in der ab 1.5.2014 geltenden Fassung). Ein Ermessen besteht weder im Rahmen der Gutachtensaufforderung nach § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV noch im Rahmen des Schlusses auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 13 FeV, Rn. 22; vgl. auch BayVGH, B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris; B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – juris; B.v. 28.7.2011 – 11 ZB 11.797 – juris; OVG NRW, B.v. 25.10.2013 – 16 B 856/13 – juris).
2.1 Der Gutachtensanordnung stand auch nicht das Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 StVG entgegen. Danach wird zum Schutz vor Gefahren, die von Inhabern einer Fahrerlaubnis ausgehen, die wiederholt gegen die die Sicherheit des Straßenverkehrs betreffenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften verstoßen haben, die Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 (Punkt-System) ergriffen. Für die beiden Alkoholfahrten waren im Fahreignungsregister jeweils 2 Punkte (somit insgesamt 4 Punkte) eingetragen worden. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG ist das Fahreignung-Bewertungssystem jedoch nicht anzuwenden, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer die Fahreignung betreffender Maßnahmen nach den Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG oder einer aufgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StVG erlassenen Rechtsverordnung ergibt. Ein Abweichen vom Fahreignung-Bewertungssystem stellt damit eine Ausnahme dar und bedarf aus Gründen der Gleichbehandlung einer eingehenden Begründung. Anders ist dies jedoch im vorliegenden Fall wegen wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zu sehen, da es sich bei der FeV um eine Verordnung auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1c StVG handelt und § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ohne Rücksicht auf den Punktestand als Spezialregelung vorsieht (Dauer in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 4 StVG Rn. 33 35). Da nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV missbräuchlicher Alkoholkonsum bereits regelmäßig die Fahreignung entfallen lässt, waren die beiden Alkoholfahrten somit auch geeignet, Zweifel an der Fahreignung des Klägers zu begründen und die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV zu rechtfertigen.
2.2 Die Gutachtensanforderung war sowohl in materiell-rechtlicher als auch in formeller Hinsicht rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig. Die Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festzulegenden Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind, und übersendet ihr die vollständigen Unterlagen, soweit sie unter Beachtung der gesetzlichen Verwertungsverbote verwendet werden dürfen (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt aufgrund eines Auftrages durch den Betroffenen (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung nach Abs. 6 hinzuweisen (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). An die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Folgen für den Betroffenen (Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, ggf. Entzug der Fahrerlaubnis) gravierend sind und ein Rechtsbehelf gegen die Gutachtensanforderung selbst als unselbständige Maßnahme der Beweiserhebung (§ 44a VwGO) nicht gegeben ist. Deshalb kann nur die Einhaltung der formellen und materiellen Voraussetzungen, insbesondere ein ausdrücklicher Hinweis auf die Konsequenzen der Nichtvorlage eines Gutachtens, die Entscheidung des Betroffenen umfassend gewährleisten.
2.2.1 Die genannten Voraussetzungen sind erfüllt. Wie bereits oben dargestellt, bestand aufgrund der beiden Alkoholfahrten für die Fahrerlaubnisbehörde hinreichend Anlass, an der Fahreignung des Klägers zu zweifeln. In der Gutachtensanforderung wurden dem Kläger die Eignungszweifel der Fahrerlaubnisbehörde und die Tatsachen, an die diese anknüpfen, unter Nennung der zutreffenden gesetzlichen Grundlagen mitgeteilt.
Die Fragestellung zur Gutachtensaufforderung ist im Hinblick auf die zu klärende Alkoholproblematik anlassbezogen, angemessen und verhältnismäßig und somit nicht zu beanstanden. Sie zielt im medizinischen Teil der Untersuchung darauf ab, ob etwaige alkoholbedingte fahreignungsrelevante Leistungsbeeinträchtigungen beim Kläger vorliegen, wozu insbesondere deshalb Veranlassung bestand, weil die Trunkenheitsfahrten bereits tagsüber (11:40 Uhr bzw. 14:00 Uhr) erfolgten, was auf einen unkontrollierten Alkoholkonsum hindeutet. Die Fragestellung im psychologischen Teil der Untersuchung zielt darauf ab, ob der Kläger das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV) und ist deshalb ebenfalls nicht zu beanstanden (VGH BW, B. v. 10.12.2010 – 10 S 2173/10 – juris).
Die in Frage kommende Begutachtungsstelle wurde benannt. Die gesetzte Frist für die Beibringung des Gutachtens (8.7.2016) war angemessen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, innerhalb dieser Frist das geforderte Gutachten beizubringen.
Der Kläger hat bis zum Ablauf der festgesetzten Frist das Gutachten zur Klärung seiner Fahreignung nicht vorgelegt. Ein zureichender Grund für die Verweigerung der Begutachtung wurde weder im behördlichen Verfahren noch im gerichtlichen Verfahren benannt. Die Angaben des Klägers im gerichtlichen Verfahren, er habe der Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht Folge geleistet, weil die Anordnung nicht rechtmäßig erfolgt sei, greifen nicht durch und stellen deshalb keinen berechtigten Grund zur Verweigerung der Fahreignungsuntersuchung dar.
2.2.2 In dem Hinweis in der Begutachtungsanordnung vom 31. Mai 2016, dass der Kläger die Möglichkeit habe, die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen bis zur Vorlage der Einverständniserklärung einsehen zu können, kann keine Einschränkung der Rechte des Klägers gesehen werden. Ein Verstoß gegen eine zwingende Verfahrensvorschrift, deren Verletzung ausnahmslos die Rechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung zur Folge hat, liegt deshalb nicht vor.
Dass der Kläger die Möglichkeit hat, die der der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen zu können, entspricht dem Gesetzestext (§ 11 Abs. 6 Satz 2, Halbs. 2 FeV). Die Formulierung, wonach dies „bis zur Vorlage der Einverständniserklärung“ erfolgen könne, ist zwar so im Gesetzestext nicht vorgesehen, verfälscht im vorliegenden Fall jedoch – bei Berücksichtigung des Zusammenhangs mit dem voranstehenden Text – nicht nicht zulasten des Klägers den Hinweis, dass er die Möglichkeit der Einsichtnahme hat. Im vorangehenden Text wird dem Kläger mitgeteilt, dass die Anmeldung bei der Begutachtungsstelle für Fahreignung durch das Landratsamt erfolgt, sobald die Einverständniserklärung des Klägers vorliegt. Des Weiteren ergibt sich aus dem Hinweis selbst, dass die Fahrerlaubnisunterlagen von der Fahrerlaubnisbehörde dann der Begutachtungsstelle zu übersenden sind („die zu übersendenden Unterlagen“), was der gesetzlichen Regelung in § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV entspricht, somit die Fahrerlaubnisunterlagen ab diesem Zeitpunkt bei der Fahrerlaubnisbehörde (vorerst) nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Einschränkung des Rechts auf Einsicht in die Fahrerlaubnisunterlagen bzw. der Verpflichtung zum Hinweis hierauf (neben dem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht gemäß Art. 29 BayVwVfG) kann in der angegriffenen Formulierung deshalb nicht gesehen werden.
Jedoch selbst dann, wenn man in der Formulierung eine zeitliche Einschränkung des Einsichtrechts sehen wollte, weil sich zwischen der Vorlage der Einverständniserklärung und der Übersendung der Unterlagen an die Begutachtungsstelle für Fahreignung eine zeitliche Lücke ergeben kann, führt dies im vorliegenden Fall nicht zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung. Ob es sich bei der Mitteilungspflicht des § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 FeV um eine zwingende Verfahrens- oder lediglich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt, deren Verletzung entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 46 BayVwVfG in jeden Fall ohne Auswirkung auf die abschließende fahrerlaubnisbehördliche Entscheidung bleibt, ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt und wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44 Aufl., a .a. O., § 11 FeV Rn. 47 mit Hinweis auf die unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechung). Selbst wenn man jedoch von der Annahme ausgehen wollte, dass es sich um eine zwingende Verfahrensvorschrift handelt, worauf die Formulierung „teilt mit“ hinweisen könnte und die Forderung nach Transparenz des Verwaltungshandelns berücksichtigt (s. die Begründung der Vorschrift in BR-Drs. 492/02 vom 31.5.2002), kann zumindest im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, dass sich die Formulierung des Hinweises auf die Einsichtsmöglichkeit („bis zur Vorlage der Einverständniserklärung“) zulasten des Klägers ausgewirkt hat. Sinn und Zweck des Rechts auf Einsicht in die Fahrerlaubnisunterlagen ist es, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, sich frühzeitig Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Gutachtensanordnung rechtmäßig ist oder ob er sich ihr verweigern kann, ohne der Gefahr der Fahrerlaubnisentziehung nach § 11 Abs. 8 FeV ausgesetzt zu sein. Der Betroffene muss damit konkrete Kenntnis davon haben (können), welche Unterlagen der Begutachtung zu Grunde liegen, um sich im Hinblick auf die zu klärende Fragestellung auf die Begutachtung ausreichend einstellen zu können. Die Hinweispflicht in § 11 Abs. 6 Satz 2, Halbs. 2 FeV dient somit dem Ziel, die Willensentschließungsfreiheit des Betroffenen zu gewährleisten. Die Hinweispflichten haben damit grundsätzlich eine Schutzfunktion zugunsten des Betroffenen, was gegen die Einordnung als bloße Ordnungsvorschrift spricht. Andererseits spricht gegen die Einordnung der Hinweispflicht als eine zwingende Verfahrensvorschrift, deren Verletzung als absoluter Verfahrensfehler zu sehen ist, der ausnahmslos und ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls immer zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung führen muss, dass Fälle – wie hier – denkbar sind, in denen sich ein etwaiger Verfahrensfehler gar nicht auf die Willensentschließungsfreiheit des Klägers ausgewirkt haben kann. Maßgeblich ist deshalb zur Überzeugung des Gerichts, ob sich ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 FeV auf die Willensentschließungsfreiheit des Betroffenen im konkreten Fall ausgewirkt haben kann (in diesem Sinne VGH BW, U. v. 3.9.2015 – 10 S 778/14 – juris, n. rk.; über die beim BVerwG – Az.: 3 C 20.15 – anhängige Revision ist noch nicht entschieden; Dauer in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV, Rn. 47).
Dies zugrunde gelegt, ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass sich auch bei Annahme einer zeitlichen Einschränkung des Hinweises auf die Einsichtsmöglichkeit des Klägers, sich dies nicht auf dessen Willensentschließungsfreiheit ausgewirkt haben kann. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen: Der maßgebliche Sachverhalt, an den die Eignungszweifel der Fahrerlaubnisbehörde anknüpften, wurde dem Kläger in der Begutachtungsanordnung vollständig mitgeteilt, so dass nicht ersichtlich ist, inwieweit die Einsicht in die Fahrerlaubnisunterlagen einen weiteren Erkenntnisgewinn für ihn gebracht hätte. Die Fahrerlaubnisunterlagen vor der Begutachtungsanordnung bestehen lediglich aus den Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes über die beiden Alkoholfahrten (Seiten 1 – 5 der Behördenakte). Im Anschluss daran erfolgt bereits die Anordnung der Fahreignungsbegutachtung (Seite 6). Auch der weitere relevante Akteninhalt besteht lediglich aus einer erneuten Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes über die beiden Alkoholfahrten, dem streitgegenständlichen Bescheid, Zustellungsurkunden, Kostenrechnungen sowie dem Übermittlungsschreiben der PI Bad Neustadt a. d. Saale mit dem Führerschein des Klägers. (Soweit die Fahrerlaubnisakte nach Bescheiderlass auch eine Mitteilung über die Fälligkeit eines Zwangsgeldes sowie die Androhung unmittelbaren Zwangs mit Bescheid vom 23.8.2016 – aufgehoben mit Bescheid vom 19. September 2016 – enthält, ist dies für das vorliegende Verfahren nicht relevant.) Eine Einsicht in die Unterlagen hätte deshalb für den Kläger im Hinblick auf die Frage, ob er der Gutachtensanforderung Folge leisten muss bzw. diese verweigern kann, ohne der Gefahr des § 11 Abs. 8 FeV ausgesetzt zu sein, keinen weiteren Erkenntnisgewinn gebracht. Auch hat der Kläger weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, woraus sich eine Rechtsbeeinträchtigung durch diese Formulierung in seinem Fall hätte ergeben sollen. Auch hat der Kläger weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren Akteneinsicht beantragt. Eine Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit des Klägers durch eine zeitliche Einschränkung des Einsichtrechts in die Fahrerlaubnisunterlagen und damit ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 FeV als absoluter Verfahrensfehler, der stets zur Rechtswidrigkeit der anschließenden fahrerlaubnisrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis führt, kann deshalb im vorliegenden Fall nicht gesehen werden.
2.2.3 Der Kläger wurde auch auf die Folgen der nicht fristgerechten Beibringung des geforderten Gutachtens zutreffend hingewiesen (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Eine drucktechnische Hervorhebung des Hinweises nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV ist weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung, nämlich dem Betroffenen die Folgen einer Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens vor Augen zu führen, erforderlich. Der Hinweis erfolgt vorliegend in der Gutachtensanforderung selbst unter „Hinweise“ (durch Unterstreichung hervorgehoben). Der Hinweis selbst ist durch Absätze vom vorstehenden und nachfolgenden Text getrennt, in normaler Schriftgröße ausgeführt sowie klar und unmissverständlich formuliert. Der Hinweis ist weder schwer lesbar (z. B. durch Kleindruck) noch in einem langen ungegliederten Text „versteckt“. Es ist deshalb zu erwarten, dass dieser Hinweis – auch ohne weitere drucktechnische Hervorhebung – vom Kläger auch wahrgenommen wird, der Kläger den nicht übermäßig langen Text der Gutachtensaufforderung vollständig zur Kenntnis nimmt.
Die Gutachtensanforderung war deshalb rechtmäßig und aufgrund der Nichtvorlage der geforderten Begutachtung innerhalb der gesetzten Frist durfte die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen. Anhaltspunkte dafür, dass die Eignungszweifel bezüglich der Fahreignung des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht mehr bestanden hätten, bestehen nicht. Die Fahrerlaubnis wurde dem Kläger deshalb zu Recht entzogen.
3. Soweit in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides die „Einziehung“ des Führerscheins verfügt wird, führt auch dies nicht zu einer Verletzung der Rechte des Klägers, die die Aufhebung dieser Regelung zur Folge hätte. Im vorliegenden Fall bezweckt diese Regelung – wie sich aus der Begründung des Sofortvollzuges ergibt und worauf auch die spätere Feststellung der Fälligkeit eines (tatsächlich nicht angedrohten) Zwangsgeldes mit Androhung unmittelbaren Zwangs (Bescheid vom 23.8.2016, aufgehoben mit Bescheid vom 19.92016) hindeutet – die Verpflichtung des Klägers zur Ablieferung des Führerscheins. Nach § 47 Abs. 1 FeV hat der Betroffene nach der Entziehung der Fahrerlaubnis den ausgestellten Führerschein unverzüglich der entscheidenden Behörde abzuliefern. Die „Einziehung“ ist dem Fahrerlaubnisrecht insoweit fremd. Zwar befand sich der Führerschein im Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht mehr in Händen des Klägers, sondern aufgrund eines erlassenen 3-monatigen Fahrverbots infolge der letzten Trunkenheitsfahrt bei der PI Bad Neustadt a. d. Saale, von wo aus dieser dann direkt an das Landratsamt übermittelt wurde (Schreiben der PI Bad Neustadt vom 19.9.2016). Dieser Umstand war dem Landratsamt jedoch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht bekannt. Bei Gesamtbetrachtung dieser Umstände ist es gerechtfertigt, die in Nr. 1 Satz 2 des Bescheidtenors verfügte „Einziehung“ des Führerscheins als Verpflichtung des Klägers zur Ablieferung des Führerscheins auszulegen (entspr. §§ 133, 157 BGB). Unabhängig davon wäre – wollte man die verfügte Einziehung des Führerscheins des Klägers als rechtswidrig betrachten – der Kläger in jeden Fall nicht in seinen Rechten verletzt, da infolge der rechtmäßigen Fahrerlaubnisentziehung die Ablieferungspflicht des Führerscheins nach § 47 FeV zwingend besteht und an diese Verpflichtung vorliegend keine weiteren rechtlichen Konsequenzen geknüpft wurden (weder Fristsetzung noch Androhung der Vollstreckung). Auch der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, dass sich aus dieser Regelung Rechtsbeeinträchtigungen ergeben. Eine Aufhebung dieser Regelung war deshalb nicht veranlasst.
5. Auch die sonstigen Regelungen des Bescheids sind nicht zu beanstanden. Es bestehen keine Anhaltspunkte, wonach die Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung des Bescheids fehlerhaft wären.
Die Klage konnte daher insgesamt keinen Erfolg haben.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. v. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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