Medizinrecht

rechtswidrige Gutachtensaufforderung

Aktenzeichen  B 1 K 19.219

Datum:
29.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45588
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8
FeV Nr. 7 Anlage 4
VwGO § 84 Abs. 1 S. 3, § 113 Abs. 1 S. 1,§ 117 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamts … vom 6. Februar 2019 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
II.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 6. Februar 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bringt ein Fahrerlaubnisinhaber ein behördlich angeordnetes Fahreignungsgutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis darauf schließen, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt.
Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Auch der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort genannte Rechtsgrundlage gebunden; es ist nicht seine Aufgabe, die zutreffende Rechtsgrundlage und damit seine eigene Beurteilungsgrundlage selbst festzulegen (vgl. auch OVG NRW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – SVR 2013, 314). An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Kläger die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Daher kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten materiellen und formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (VG Augsburg, B.v. 4.6.2014 – Au 7 S 14.748 – juris, BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – ZfSch 2013, 177).
An einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung fehlt es hier. Im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Gutachtensanordnung am 16. Oktober 2018 lagen keine hinreichenden Tatsachen im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV vor, um diese zu rechtfertigen. Zwar bot der Sachverhalt vom 15. Juli 2018 und die darauf erfolgte Unterbringung Anlass, zu ermitteln, ob der Kläger als Inhaber einer Fahrerlaubnis den körperlichen und geistigen Anforderungen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Anlage 4 FeV entspricht. Zu Recht hat daher das Landratsamt das Ausfüllen des Gesundheitsfragenbogens und den Entlassbrief des Klinikums …gefordert. Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ergab sich aber kein weiterer Verdacht für das Vorliegen einer psychischen (geistigen) Störung im Sinne von Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV. So gab der Hausarzt des Klägers an, dass dieser an einer Depression erkrankt und im Juni 2016 in der UNI … behandelt worden sei. Das Klinikum … attestierte mit Schreiben vom 26. Juli 2018 lediglich eine Anpassungsstörung sowie keine oder leichte kognitive Funktionseinschränkung und keine oder geringe motorische Funktionseinschränkung. Der Verdacht auf eine Psychose konnte nicht bestätigt werden. Es lägen keine psychotischen Symptome vor. Hinweise auf eine Eigen- oder Fremdgefährdung lägen nicht vor. Diese Unterlagen haben somit den Verdacht auf das Vorliegen eines Krankheitsbildes im Sinne der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV nicht erhärtet.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten, bei dem regelmäßig der Charakter des Betroffenen zu erforschen ist, nur angeordnet werden darf, wenn die der Anforderung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BverfGE 89, 69 = juris Rn. 63). Zwar soll mit einem psychiatrischen Gutachten nicht der Charakter des Betroffenen bewertet werden, sondern es soll untersucht werden, ob psychische Störungen vorliegen. Gleichwohl stellt auch eine solche Untersuchung eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts dar (vgl. Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 75. EL 09/2015, Art. 2 Rn. 152) und wird regelmäßig als wesentlich belastender empfunden als eine Untersuchung, mit der nur körperliche Gebrechen aufgeklärt werden sollen. Zwar findet eine solche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts regelmäßig ihre Rechtfertigung in den Sicherheitsinteressen der übrigen Verkehrsteilnehmer. Gleichwohl ist sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf das dafür zwingend erforderliche Maß zu beschränken (BayVGH, B.v. 25.04.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 14).
Zum Zeitpunkt der Gutachtensaufforderung lagen weder Anhaltspunkte für organische Psychosen (Nr. 7.1. der Anlage 4 zur FeV) noch für affektive Psychosen (Nr. 7.5. der Anlage 4 zur FeV) vor. Es bestand nicht mehr als ein Verdacht auf eine Psychose, der gerade nicht bestätigt wurde (Schreiben der Sozialstiftung …vom 27. Juli 2018, welches vom Kläger vorgelegt wurde). Das Landratsamt unterstellt, dass es sich um einen Zustand nach Abklingen der organischen Psychose handelt (weshalb für die Beurteilung der Fahreignung die Prognose des Grundleidens entscheidend sei). Hierbei wird verkannt, dass sich ein solcher Sachverhalt aus den vorgelegten Akten nicht entnehmen lässt. Dass auf dem Fragebogen die Erkrankung „Depression“ bestätigt wurde, führt ebenso nicht zur Annahme einer affektiven Psychose im Sinne der Nr. 7.5. der Anlage 4 zur FeV, da in diesem Fall Anhaltspunkte für eine schwere Depression hätten vorliegen müssen. Derartige Anhaltspunkte finden sich aber nicht und hätten vor der Anordnung eines Gutachtens erst weiter aufgeklärt werden müssen, insbesondere durch Anforderung der Arztberichte der UNI Klinik- …, in welcher der Kläger vom 6. Juni bis 12. August 2016 untergebracht war (Angabe auf dem Fragebogen). Angemerkt werden muss, dass auch dort wohl nur eine mittelgradige depressive Episode festgestellt wurde (Seite 3 des Gutachtens des Dr. med. N. vom 30. Januar 2019, welches im Betreuungsverfahren eingeholt wurde). Das Gutachten des Dr. med. N. selbst lag zum Zeitpunkt der Gutachtensanforderung nicht vor und konnte somit keine fahreignungsrelevanten Zweifel für die Fahrerlaubnisbehörde liefern. Selbiges gilt für die im Gutachten genannte frühere Drogenproblematik.
Da das Landratsamt bei der Fragestellung insbesondere auf die Erkrankung (Depression bzw. Anpassungsstörung und auf das Vorliegen von psychischen und geistigen Störungen nach Nr. 7 der Anlage 4 FeV) abgestellt hat und nicht auf die Frage, ob auf Grund des verordneten Medikationsplans des Klinikums … ein Verdacht auf eine dauerhafte Arzneimitteleinnahme und somit auf eine darauf beruhende relevante Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen besteht, ist nicht streitentscheidend, ob die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV hätte ergehen können. Zwar weist das Landratsamt darauf hin, dass auf Grund der Einnahme von Venlafaxin und Trimipramin Fahreignungszweifel bestünden. Zu diesen Zweifeln wird aber in der Gutachtensaufforderung keine Frage gestellt. Besteht eine Gutachtensanordnung aus mehreren Teilen, so infiziert die Unrechtmäßigkeit eines Teils regelmäßig auch den anderen Teil. Die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus. Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, zu differenzieren und den Gutachter zu einer entsprechenden abschichtenden Untersuchung (z.B. hinsichtlich der Fahreignung auf Grund dauerhafter Medikamenteneinnahme) zu veranlassen. Dies ist nicht seine Aufgabe, sondern die Fahrerlaubnisbehörde selbst muss den Untersuchungsumfang klar festlegen (VGH BW, B.v. 2.12.2013 – 10 S 1491/13 – DAR 2014, 220 ff.; B.v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – DAR 2011, 3257 ff).
Nach alledem durfte der Beklagte aufgrund der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens nicht auf die Nichteignung des Klägers schließen. Vielmehr sind die Gutachtensaufforderung vom 16. Oktober 2018 und der Entziehungsbescheid vom 6. Februar 2019 rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Rechtswidrigkeitsfolge erstreckt sich auch auf die Aufforderung, den Führerschein abzuliefern, und die Zwangsgeldandrohung.
Unbenommen bleibt es dem Landratsamt aber zu prüfen, ob auf Grund der im gegenwärtigen Verfahren bekannt gewordenen neuen Tatsachen weitere Ermittlungen anzustellen sind (in Bezug auf die Medikamenteneinnahme, die angeordnete Betreuung oder die Angabe des Klägers in seiner Klagebegründung, dass er sich aktuell in Behandlung bei dem Psychiater Dr. med. F befindet – Blatt 2 der Gerichtsakte).
Es wird zudem darauf hingewiesen, dass die Klageerhebung auf Grund des angeordneten Sofortvollzugs im Bescheid keine aufschiebende Wirkung entfaltet und der Kläger vor Rechtskraft der Entscheidung nicht berechtigt ist, ein fahrerlaubnispflichtiges Fahrzeug zu führen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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