Medizinrecht

Rechtswidrige Sanktion bei verspätetem Erscheinen zum Meldetermin wegen Erreichens des Meldezwecks noch am selben Tag

Aktenzeichen  L 7 AS 435/15

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143541
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 143,§ 144, § 151

 

Leitsatz

Ein verpätetes Erscheinen zum Meldetermin führt nur dann zu keinem sanktionsbewehrten Meldeversäumnis, wenn der Meldezweck am selben Tag noch erreicht werden kann. (Rn. 18)

Verfahrensgang

S 46 AS 1590/13 2015-03-27 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.3.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht München die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid vom 22.5.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 32 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II jeweils um 10% des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs, wenn Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis eine Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei dem ärztlichen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Ein Meldeversäumnis liegt bereits dann vor, wenn der Hilfebedürftige am vorgesehenen Tag nicht bei der in der Meldung bezeichneten Stelle persönlich erschienen ist bzw. den Untersuchungstermin nicht wahrgenommen hat. Der Kläger ist am 14.5.2013 nicht bei Dr. H. in dessen Praxis erschienen. Ein verspätetes Erscheinen ist dann unbeachtlich, wenn sich der Leistungsempfänger noch am selben Tag meldet und der Zweck der Meldung noch erreicht wird. Der Leistungsträger hat dann alle zumutbaren organisatorischen Anstrengungen zu unternehmen, um die verspätete Meldung noch entgegennehmen zu können (vgl. Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2015, § 32 Rn 30). Maßgebend ist also, dass der Meldezweck noch am selben Tag erreicht werden kann. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger ist am 14.5.2013 überhaupt nicht bei Dr. H. erschienen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Meldeversäumnis nicht deswegen unbeachtlich, weil er am 15.5.2013 erschienen ist. Denn am Folgetag konnte der Meldezweck einer ärztlichen Untersuchung am 14.5.2013 nicht mehr erreicht werden. Deshalb ist es irrelevant, aus welchen Gründen der Gutachter eine Untersuchung am 15.5.2013 ablehnt. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung diesbezüglich ist entbehrlich. Nicht entscheidungserheblich ist ferner bereits nach dem Wortlaut des § 32 SGB II die Frage des Klägers, wie viele Rechnungen der Gutachter dem Beklagten ausgestellt hat.
Ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen liegt nicht vor. Ein solcher muss objektiv gegeben sein. Ein Irrtum des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist nicht beachtlich und führt nicht zur Annahme eines wichtigen Grundes. Ein Irrtum über das Datum des Meldetermins stellt daher regelmäßig keinen wichtigen Grund dar (vgl. Schlegel/Voelzke, a.a.O. Rn 46). Der Kläger hat sich nach eigenen Angaben im Termin geirrt, was einen objektiv wichtigen Grund nicht zu begründen vermag.
Das Meldeversäumnis ist dem Kläger subjektiv vorwerfbar. Die subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen (vgl. BSG vom 9.11.2010, B4 AS 27/10 R, Rn. 28). Dabei ist ein fahrlässiges Verhalten ausreichend (vgl. Bay. LSG vom 17.2.2016, L 7 AS 776/15 NZB). Auf eine Absicht kommt es nicht an. Der Kläger hat den Termin schuldhaft versäumt, indem er keine Vorkehrungen getroffen hat, um den Termin einzuhalten. Jedenfalls hat der Kläger hierzu nichts vorgetragen. Damit hat er die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, die auch von ihm mit seinen beruflichen Vorkenntnissen im Geschäftsverkehr als gelernter Verkäufer erwartbar war.
Die Meldeaufforderung enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung bei Nichterscheinen zum ärztlichen Untersuchungstermin (vgl. BSG vom 16.12.2008, B 4 AS 60/07 R). Sie informierte konkret, einzelfallbezogen, verständlich, richtig und vollständig über die Folgen des Nichterscheinens zum Untersuchungstermin.
Nach § 32 Abs. 2 i.V.m. § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II tritt die Minderung in den Monaten Juni bis August 2013 ein. Der Sanktionsbescheid wurde im Mai dem Kläger bekanntgegeben.
Die Sanktionen aufgrund des Bescheides vom 18.4.2013 und vom 22.5.2013 führen zu einer Kumulation auf 20% in den Monaten Juni und Juli 2013. Nach § 32 Abs. 2 SGB II wird lediglich § 31 a Abs. 3 und § 31b SGB II in Bezug genommen, nicht dagegen § 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II. Folglich ist es möglich, Sanktionen für identische Zeiträume durch voneinander unabhängige Sanktionsbescheide festzustellen (vgl. BSG vom 29.4.2015, B 14 AS 19/14 R, Rn 41).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Sanktionen nach §§ 31a, 32 SGB II bestehen nicht. Auch das BSG hat in seiner Entscheidung vom 29.4.2015, B 14 AS 19/14 R, Rn 50 ff. keine durchgreifenden Bedenken hierzu geäußert. Die Vorlage des SG Gotha vom 26.5.2015 wurde vom BVerfG als unzulässig abgelehnt (BVerfG vom 6.5.2016, 1 BvL 7/15). Das SG Gotha hat zwar erneut eine Vorlage zum BVerfG gemacht (Beschluss vom 2.8.2016, S 15 AS 5157/14), jedoch teilt der Senat dessen Bedenken im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 29.4.2015, B 14 AS 19/14 R, nicht ersichtlich.


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