Medizinrecht

Sachlich-rechnerische Richtigstellungen in Bezug auf die Gebührenordnungspositionen eines Vertragsarztes

Aktenzeichen  S 38 KA 333/17

Datum:
22.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32415
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 106a Abs. 3, § 106d Abs. 3

 

Leitsatz

I. Die Regelung in der Präambel zum Abschnitt 31.5.3 S. 1 EBM, wonach für die Berechnung von Anästhesien des Abschnitts 31.5.3 EBM vorauszusetzen ist, dass ein anderer Vertragsarzt in diesem Zusammenhang eine Leistung entsprechend einer Gebührenordnungsposition des Abschnitts 31.2 erbracht und berechnet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. (Rn. 20)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind zulässig, erweisen sich jedoch als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind als rechtmäßig anzusehen.
Die mit den Bescheiden vorgenommenen sachlich-rechnerischen Berichtigungen beziehen sich im Quartal 4/13 auf die Gebührenordnungsziffern (GOP) 31821 und 31502 EBM in einem Behandlungsfall, im Quartal 1/14 auf die Gebührenordnungspositionen (GOP) 31821, 31822, 31502, 31503 und 31827 EBM in drei Behandlungsfällen, im Quartal 2/14 auf die Gebührenordnungspositionen (GOP) 31821 und 31502 in zwei Behandlungsfällen und im Quartal 3/14 auf die Gebührenordnungspositionen (GOP) 31822, 31503 und 31825 EBM ebenfalls in zwei Behandlungsfällen.
Mit Wirkung zum 01.01.2004 trat eine Änderung des SGB V in Kraft, wonach es nicht mehr alleinige Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung ist, Abrechnungen der Vertragsärzte auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit hin zu überprüfen. Nunmehr hat der Gesetzgeber ein eigenes Prüfungsrecht der Kassen in § 106d Abs. 3 SGB V (§ 106a Abs. 3 SGB V a.F.) vorgesehen. Die Beklagte ist in den Fällen des § 106a Abs. 3 Nr. 1 SGB V an das Ergebnis der von der Krankenkasse durchgeführten Prüfung gebunden und hat kein materiell-rechtliches-inhaltliches Letztentscheidungsrecht (BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R). Aufgabe der KÄV ist es, das Prüfungsergebnis der Krankenkasse durch Bescheid umzusetzen. Sie ist auf die Prüfung beschränkt, ob der sachlich-rechnerischen Richtigstellung Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis entgegenstehen, wie etwa eine Versäumung der Ausschlussfrist oder (andere) Vertrauensschutzgesichtspunkte.
Die beigeladene Krankenkasse hat festgestellt, dass in allen Quartalen entweder überhaupt keine Leistungen durch den Operateur oder Leistungen, die nicht im Abschnitt 31.2 des EBM (GOP´s 31101 ff.) aufgeführt sind, abgerechnet wurden. Nach der Präambel 31.5.3 S. 1 EBM setzt die Berechnung von Anästhesien des Abschnitts 31.5.3 voraus, dass ein anderer Arzt in diesem Zusammenhang eine Leistung entsprechend einer Gebührenordnungsposition des Abschnitts 31.2 erbringt und berechnet. Entgegen der Auffassung der Klägerseite sind nicht die Beklagte und/oder Beigeladene nachweispflichtig, sondern die Klägerin. Denn die Präambel zum Abschnitt 31.5.3 S. 1 EBM stellt eine anspruchsbegründende Voraussetzung dar, deren Nachweis der Klägerin obliegt (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 11.03.2009, Az. L 4 KA 26/08). Auch im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung gilt, dass derjenige, der sich auf für ihn günstige Tatsachen beruft, die Beweislast hierfür trägt. Dies ist hier die Klägerin, die die Vergütung der von ihr erbrachten anästhesiologischen Leistungen begehrt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2016, Az. L 11 KA 7/16 B ER).
Für die Auslegung einer Gebührenordnungsposition ist nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie der Wortlaut des EBM maßgeblich (vgl. BSG, Beschluss vom 17.02.2016, Az. B 6 KA 63/15 B). Der Wortlaut der o.g. Gebührenordnungspositionen – hierzu zählt auch die Präambel 31.5.3 S. 1 EBM – ist eindeutig. Für eine über den Wortlaut der Präambel hinausgehende anderweitige Auslegung, beispielsweise für eine systematische Auslegung oder für eine entstehungsgeschichtliche Auslegung ist deshalb kein Raum. Der Leistungslegende ist weder ein Wissenselement zu entnehmen, noch, dass Nachweise des Anästhesisten über eine durchgeführte Operation des Abschnitts 31.2 EBM ausreichen. Abgesehen davon reichen die Unterlagen der Klägerin, die zum Teil der Beklagten vorgelegt wurden, zum Nachweis operativer Leistungen nicht aus. Denn es handelt sich meist lediglich um Narkoseprotokolle und/oder Überweisungsscheine, die nur bedingt eine Überprüfung ermöglichen, ob eine operative Leistung des Abschnitts 31.2 EBM überhaupt stattgefunden hat. Soweit in manchen Fällen Leistungen der GOP 09351 und 09361 vom Operateur zur Abrechnung gebracht bzw. in der Abrechnung die Kennziffern 88115, 86999 und 99115 dokumentiert wurden, deutet dies sogar darauf hin, dass eben keine operativen Leistungen nach Abschnitt 3.2 EBM erbracht wurden und der Ansatz von operativen Leistungen des Abschnittes 3.2 EBM nicht bloß versehentlich unterblieb. Auch wenn die Beklagte zumindest zunächst schriftlich angedeutet hat, der Klägerin entgegenzukommen, indem dieser die Möglichkeit eingeräumt wurde, bestimmte Unterlagen bei der Beklagten zur erneuten Überprüfung einzureichen, ist dies mit dem eindeutigen Wortlaut des EBM nicht zu vereinbaren.
Einzuräumen ist allerdings, dass die Abrechnungsfähigkeit der von der Klägerin in Ansatz gebrachten anästhesiologischen Leistungen von der Erbringung und Abrechnung der Leistungen des Operateurs des Abschnitts 31.2 EBM abhängig ist, was nicht unmittelbar der Sphäre des Anästhesisten zuzurechnen ist und deshalb für den Anästhesisten eine Unwägbarkeit darstellt. Das Gericht geht aber davon aus, dass grundsätzlich jeweils die Zusammenarbeit zwischen Operateur und Anästhesisten geregelt ist und hierüber schriftliche Vereinbarungen bestehen. Zum Inhalt solcher Regelungen könnte auch gehören, dass sich der Operateur gegenüber dem Anästhesisten verpflichtet, die Operationsleistungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen und im Falle, dass dies nicht geschieht, Schadensersatzansprüche vorbehalten werden. Nicht zuletzt im Hinblick auf die eindeutigen Regelungen im EBM müssten derartige Vereinbarungen auch bei Operateuren auf Verständnis stoßen, ohne eine weitere Zusammenarbeit ernsthaft zu gefährden. Hinzu kommt, dass es bei der Klägerin nicht häufig zu solchen Abrechnungsproblemen kommt, sondern diese auf wenige Ausnahmefälle beschränkt sind. Dies spricht dafür, dass in den meisten Fällen der Operateur die Leistungen abrechnet und damit die Abrechnungsvoraussetzung für anästhesiologische Leistungen nach der Präambel 31.5.3 S. 1 EBM erfüllt wird.
Eine Entscheidung des Gerichts, den EBM in diesem Punkt anders auszulegen oder gar zu ändern, ist dem Gericht verwehrt. Die Gerichte dürfen nämlich grundsätzlich nicht mit punktuellen Entscheidungen in das Gefüge des EBM eingreifen (vgl. BSG Urteil vom 05.05.1988, Az. B 6 RKa 13/87). Hintergrund ist, dass dem Bewertungsausschuss als Selbstverwaltungsorgan ein weiter Regelungsspielraum zusteht. Nur bei Überschreitung des Regelungsspielraums oder missbräuchlicher Ausübung der Bewertungskompetenz sind die Gerichte befugt, ihrerseits gestaltend einzugreifen.
Auch wenn es sinnvoll sein könnte, den engen Zusammenhang zwischen operativen Leistungen einerseits und anästhesiologischen Leistungen andererseits abrechnungstechnisch zumindest teilweise aufzuheben, beispielsweise dem Anästhesisten zu erlauben, den Nachweis der operativen Leistungen durch aussagekräftige Unterlagen, wie zum Beispiel durch Vorlage des OP-Berichts zu führen, ohne dass es auf die Abrechnung dieser Leistungen durch den Operateur ankommt, ergeben sich für eine Willkür keine Anhaltspunkte. Der Bewertungsausschuss hat sich offenbar davon leiten lassen, dass operative und anästhesiologische Leistungen in einem notwendigen Zusammenhang stehen und als einheitliche medizinische Behandlungsleistung, erbracht von mehreren Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, aufzufassen sind, was als sachlich einleuchtend zu betrachten ist.
Im Übrigen sieht der EBM auch an anderen Stellen Abrechnungsvoraussetzungen vor, die nicht in der Sphäre des abrechnenden Vertragsarztes liegen. So kann die Komplexleistung für die Betreuung einer Schwangeren nach der GOP 01770 EBM nur von einem Vertragsarzt im Quartal abgerechnet werden, auch wenn diese von einem später in Anspruch genommenen Arzt komplett erneut erbracht wurde, ohne dass dieser wusste, dass die Leistung bereits vorher durch einen anderen Leistungserbringer alio loco stattfand (BSG, Urteil vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 15/14 R).
Die Regelung in der Präambel zum Abschnitt 31.5.3 S. 1 EBM, wonach für die Berechnung von Anästhesien des Abschnitts 31.5.3 EBM vorauszusetzen ist, dass ein anderer Vertragsarzt in diesem Zusammenhang eine Leistung entsprechend einer Gebührenordnungsposition des Abschnitts 31.2 erbracht und berechnet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Aus den genannten Gründen waren die Klagen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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