Medizinrecht

Schadensersatz und Passivlegitimation bei menschenrechtswidriger nachträglicher Verlängerung der Sicherungsverwahrung

Aktenzeichen  III ZR 405/12

Datum:
19.9.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 67d StGB vom 26.01.1998
Art 5 Abs 1 MRK
Art 5 Abs 5 MRK
Art 7 Abs 1 MRK
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Leitsatz

Zum Schadensersatz und zur Passivlegitimation bei unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1, 5, Art. 7 Abs. 1 EMRK nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Karlsruhe, 29. November 2012, Az: 12 U 62/12vorgehend LG Karlsruhe, 24. April 2012, Az: 2 O 330/11, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. November 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von dem beklagten Land immateriellen Schadensersatz wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung.
2
Der Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts H.      vom 12. Februar 1981 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt; zugleich ordnete das Gericht anschließende Sicherungsverwahrung an. Diese wurde nach Verbüßung der Strafhaft ab dem 3. Juni 1988 in der Justizvollzugsanstalt F.    vollzogen.
3
Nach § 67d Abs. 1, Abs. 3 StGB in der im Zeitpunkt der Verurteilung des Klägers geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) durfte die Dauer der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen; nach Ablauf dieser Höchstfrist war der Untergebrachte zu entlassen. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160) wurde diese Regelung geändert. Die Höchstfrist von 10 Jahren entfiel; § 67d Abs. 3 StGB bestimmte nunmehr, dass nach Ablauf von zehn Jahren das Gericht die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Zugleich wurde in dem neu angefügten Absatz 3 des – mittlerweile (durch Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2300) in Gänze aufgehobenen – Art. 1a EGStGB festgelegt, dass § 67d StGB neuer Fassung uneingeschränkt Anwendung findet, also auch für Altfälle und damit für Straftäter gelten soll, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren (siehe auch § 2 Abs. 6 StGB sowie BT-Drucks. 13/9062 S. 12).
4
Aufgrund der Gesetzesänderung wurde der Kläger nicht am 2. Juni 1998 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Vielmehr ordnete das Landgericht F.    (Strafvollstreckungskammer) – jeweils auf der Grundlage eingeholter Gutachten von Sachverständigen – in Abständen von 2 Jahren, zuletzt mit Beschluss vom 7. Dezember 2009 an, dass die Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, da von dem Kläger weiterhin ein Risiko ausgehe.
5
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das Oberlandesgericht K.    am 15. Juli 2010 den Beschluss des Landgerichts F.    vom 7. Dezember 2009 auf und stellte die Erledigung der Sicherungsverwahrung fest. Der Kläger wurde noch am gleichen Tag aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Das Oberlandesgericht stützte seine Entscheidung maßgeblich auf das im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens eines anderen sicherungsverwahrten Straftäters ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) – V. Sektion – vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde-Nr. 19359/04), wonach die Änderung des § 67d Abs. 3 StGB mit Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar sei. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig, nachdem ein Ausschuss der Großen Kammer den Antrag der Bundesregierung auf Verweisung an die Große Kammer nach Art. 43 Abs. 2 EMRK abgelehnt hat (Art. 44 Abs. 2 Buchst. c EMRK).
6
Mit Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) erklärte das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig.
7
Der Kläger hat das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung für die ab 3. Juni 1998 weiter vollzogene Sicherungsverwahrung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten – unter Abweisung der weitergehenden Klage – zur Zahlung von 73.000 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des beklagten Landes hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.


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