Medizinrecht

Sofortvollzug, Verwaltungsgerichte, Entziehung der Fahrerlaubnis, Antragstellers, Befähigung zum Richteramt, Sofortige Vollziehbarkeit, Ärztliches Gutachten, Fahreignungsgutachten, Aufschiebende Wirkung, Nachbegutachtung, Gutachterliche Stellungnahme, Prozeßbevollmächtigter, Interessenabwägung, Entscheidungszeitpunkt, Antragsgegner, Bescheiderlass, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Führen von Kraftfahrzeugen, Anfechtungsklage, Wert des Beschwerdegegenstandes

Aktenzeichen  AN 10 S 19.02136

Datum:
13.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41301
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 46 Abs. 1
Ziffer 5.4 der Anlage 4 zur FeV

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über der Wirksamkeit der sofortigen Vollziehbarkeit der mit Bescheid des Antragsgegners vom 24. Oktober 2019 angeordneten Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen C und CE des Antragstellers sowie der Abgabeverpflichtung seines Führerscheins.
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid des Landratsamtes … vom 18. Oktober 2018 die Fahrerlaubnis der Klassen C und CE entzogen, weil ein vom Antragsteller vorgelegtes Gutachten des TÜV Süd vom 24. August 2018 zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei, aufgrund einer Erkrankung nach Ziffer 5.4 der Anlage 4 zur FeV den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisgruppe 2 gerecht zu werden. Es liege des Weiteren keine ausreichende Adhärenz beim Antragsteller vor. Allerdings werde der Antragsteller den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges der Fahrerlaubnisgruppe 1 gerecht.
Dagegen ließ der Antragsteller Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie Widerspruch, später Klage erheben.
Mit Beschluss des Gerichts vom 2. Januar 2019 im Verfahren AN 10 S 18.02059 wurde der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt. Nach der Auffassung des Gerichts war das Gutachten des TÜV Süd vom 24. August 2018 in sich schlüssig und inhaltlich nachvollziehbar.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2019 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch des Antragstellers zurück.
Mit Beschluss vom 19. März 2019 im Verfahren 11 CS 19.57 hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Februar 2019 auf und stellte die aufschiebende Wirkung der zwischenzeitlich erhobenen Klage des Antragstellers wieder her. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gutachten des TÜV Süd vom 24. August 2018 nicht nachvollziehbar sei. Es sei insbesondere nicht plausibel, allein von einem außerhalb des Zielbereichs liegenden HbA 1c-Wertes auf eine instabile Stoffwechsellage zu schließen. Des Weiteren lasse auch eine Überschreitung des HbA 1c-Zielbereichs nicht in relevanter Weise darauf schließen, dass während der Fahrt Hypoglykämien auftreten könnten. Das Gutachten des TÜV Süd vom 24. August 2018, das aus den HbA 1c-Werten auf eine instabile Stoffwechsellage schließe, sei daher unbrauchbar und könne aus diesen Gründen nicht dazu führen, auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zur Teilnahme am Straßenverkehr auch für die Fahrerlaubnisgruppe 2 zu schließen.
Mit einer Stellungnahme vom 9. April 2019 verteidigte der TÜV Süd das Gutachten vom 24. August 2018 und führt aus, dass das Gutachten ordnungsgemäß erstellt worden sei. Zum einen sei darauf hingewiesen worden, dass die gutachterliche Stellungnahme im Wesentlichen auf fehlende Compliance und Adhärenz gestützt worden sei, zum anderen handele es sich bei den vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Leitlinien „Diabetes und Straßenverkehr“, die erkennbar nicht als Begutachtungsleitlinien heranzuziehen seien, in ihrem Ansatz nicht um ein Regelwerk für die Begutachtung einer Fahreignung, sondern um eine Handreichung für behandelnde Ärzte. Es werde eingeräumt, dass die Begründung des Gutachtens ausführlicher hätte ausfallen können, letztendlich sei es aber in seinen Schlussfolgerungen nachvollziehbar und schlüssig.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2019 nahm das Landratsamt den Bescheid vom 18. Oktober 2018 zurück. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte es den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin und/oder Diabetologie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation beizubringen, um die Frage der Fahreignung trotz Vorliegens einer Erkrankung nach Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV abzuklären. Die vom Landratsamt gesetzte Frist an den Antragsteller wurde mehrfach verlängert.
Mit Fax vom 11. September 2019 wurde sodann das Fahreignungsgutachten der Diabetologischen Schwerpunktpraxis … vom 26. August 2019 vorgelegt. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der allgemeinen Instabilität des Antragstellers und der rezidivierend auftretenden, zum Teil beträchtlichen Unterzuckerungen des Antragstellers nur die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 gegeben sei. Eine neue Begutachtung sei erst nach erfolgtem Nachweis einer 3-monatigen Phase ohne schwere Unterzuckerungen, nach dem Nachweis der Durchführung einer Unterzuckerungsschulung und der Durchführung einer ausreichenden Anzahl von Messungen pro Tag durchzuführen. Des Weiteren seien in zwei- bis dreijährigen Abständen verkehrsmedizinische Nachbegutachtungen erforderlich. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass hinsichtlich der Fahrerlaubnisgruppe 2 eine entsprechende Hypoglykämie-Wahrnehmung derzeit nicht attestiert werden könne, insbesondere, da es sich zeige, dass unter Intensivierung der Messfrequenz mehr Unterzuckerungen dokumentiert wurden. Daraus lasse sich schließen, dass Unterzuckerungen, wenn sie nicht gemessen worden sind, nicht ausreichend wahrgenommen würden. Des Weiteren ergebe eine Analyse des Messgeräts ausgeprägte Schwankungen mit Blutzuckerwerten zwischen 28mg/dl und 591 mg/dl während der letzten drei Monate. Daraus allein ergebe sich, dass eine vorausschauende und langfristige Vermeidung starker Stoffwechselschwankungen nicht sichergestellt sei. Zweifel an der Krankheitseinsicht bestünden zwar nicht, aber es werde aufgrund der Messwerte davon ausgegangen, dass immer wieder Phasen mit unzureichender Tabletteneinnahme auftreten würden. Es seien die oben genannten Maßnahmen erforderlich. Des Weiteren sei aufgrund der Messwerte ein ausgeprägter Nikotinabusus sowie ein relevanter Alkoholkonsum gegeben, der Einfluss auf die Intensität von Unterzuckerungen haben kann, insbesondere im Zusammenhang mit einer Insulintherapie.
Aufgrund einer Nachfrage wurde das Gutachten mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 dahingehend erläutert, dass es sich bei der Erkrankung des Antragstellers um einen Grenzfall handle, da es sich bislang nicht um schwere Hypoglykämien mit Fremdhilfe gehandelt habe, welche einer Fahreignung für die Gruppe 1 entgegenstehen würden. Diesbezüglich sei eine Schulung und der Nachweis einer ausreichenden Messfrequenz durch ein Attest eines Facharztes ausreichend. Für die Fahreignung der Gruppe 2 sei allerdings zu fordern, dass keine Hypoglykämien kleiner als 50 mg/dl auftreten, was nachgewiesen werden müsse.
Am 24. Oktober 2019 erließ das Landratsamt … den streitgegenständlichen Bescheid, mit welchem dem Antragsteller die Fahrerlaubnisse der Klassen C und CE entzogen wurde und der Antragsteller aufgefordert wurde, seinen Führerschein abzugeben. Sofortvollzug wurde angeordnet, Zwangsgeld wurde angedroht.
Dagegen erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 31. Oktober 2019 Klage.
Des Weiteren beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. November 2019,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Entziehungsbescheid vom 24. Oktober 2019 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die nunmehr mit Gutachten des … festgestellte fehlende Hypoglykämie-Wahrnehmung bereits durch das Gutachten des TÜV Süd positiv bestätigt worden sei. Darüber hinaus sei die Hypoglykämie-Wahrnehmung des Antragstellers allein durch das vorliegende Entzugs-Verfahren erheblich gesteigert worden, was auch der Grund dafür sei, dass sich der Antragsteller nunmehr in einer Fachklinik für eine akutstationäre Diabetesbehandlung angemeldet habe. Darüber hinaus sei das Gutachten des … nicht richtig, weil der Antragsteller bislang zwei Blutmessgeräte benutzt habe, eines auf der Arbeit, das andere privat. Das dienstliche Gerät sei im Juni 2019 defekt gewesen, weswegen es der Antragsteller einfach weggeworfen habe. Aus diesen Gründe gebe die Auswertung des vom Gutachter ausgewerteten Geräts auch eine falsche Anzahl von Messungen wider. Darüber hinaus könne dem Antragsteller nicht vorgeworfen werden, dass alle Risikofaktoren noch nicht kontrolliert worden seien, denn dies sei doch Aufgabe der behandelnden Ärzte gewesen. Immerhin habe der Gutachter bereits für den Zeitraum Mai bis August 2019 nur 19 einzelne Ereignisse feststellen können, was im Schnitt nur 4 Ereignisse im Monat bedeute. Der Gutachter gehe darüber hinweg, dass der Antragsteller bei Feststellung von Hypoglykämien sofort intervenieren würde. Allein deshalb bestehe eine entsprechende Hypoglykämie-Wahrnehmung. Es sei auch über viele Jahre noch nie etwas passiert. Jedenfalls habe sich der Antragsteller für den 18. November 2019 in der Fachklinik … angemeldet.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 legte der Antragsteller beim Antragsgegner das Entlassungsschreiben der Fachklinik … vor. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller gegen Ende seiner Behandlung die Anzahl seiner Hypoglykämien deutlich habe reduzieren können und auch rechtzeitig auf etwaige Hypoglykämien reagieren habe können. Gleichzeitig wurde allerdings mitgeteilt, dass es während des Aufenthalts einige Male zu dokumentierten Unterzuckerungen mit Werten von bis zu 28 mg/dl gekommen sei, die vom Antragsteller zum Teil nicht wahrgenommen worden seien. Es bestehe daher eine schwere Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung.
Seitens des Landratsamtes wurde deshalb angeregt, ein Attest eines Diabetologen vorzulegen, um nachzuweisen, dass die Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen nunmehr überwunden seien. Mit Schreiben vom 28. Januar 2020 teilte der Facharzt für Allgemeinmedizin … mit, dass eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung nicht vorliege, da der Antragsteller Blutzuckerwerte ab 65 mg/dl abwärts durch ein Zittern bemerke. Auch sei sein Messsensor auf diesen Wert eingestellt.
Bezüglich der Fahreignung für die Fahrerlaubnisgruppe 2 regte das Landratsamt sodann eine Nachbegutachtung an. Es müsse auch noch ein Nachweis darüber vorgelegt werden, dass über einen dreimonatigen Zeitraum keine schweren Unterzuckerungen erfolgten.
Auf die Aufklärungsschreiben des Gerichts vom 21. Februar 2020 und vom 18. März 2020 reagierte der Antragsteller nicht mehr.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gutachten des … in sich schlüssig und nachvollziehbar sei. Es habe deshalb zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine Eignung für Fahrzeuge der Gruppe 2 bestanden. Sollte diese Fahreignung zwischenzeitlich wiederhergestellt sein, was allerdings durch eine Nachbegutachtung festgestellt werden müsse, so sei dies eine Frage der Neuerteilung der Fahrerlaubnis.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die vorgelegten Behördenakten sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit entspricht sowohl hinsichtlich des Entzugs der Fahrerlaubnis selbst, als auch hinsichtlich der Abgabeverpflichtung des Führerscheins den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO, da das besondere Interesse am Sofortvollzug in ausreichender Form begründet wurde. Es wurde ausgeführt, dass eine weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr, für den Fall, dass er nicht fahrgeeignet ist, zu einer unmittelbaren Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führen könnte. Dies habe zur Folge, dass auch schon vor einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis in der Hauptsache nicht mehr hingenommen werden könne, dass der Antragsteller weiter, d.h. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit Fahrzeugen der Fahrerlaubnisgruppe 2 am Straßenverkehr teilnehme. Diese Begründung ist nicht zu beanstanden. Da es sich beim Fahrerlaubnisrecht um einen besonderen Teil des Sicherheitsrechts handelt, entspricht es ständiger Rechtsprechung der Kammer, dass es für die Anordnungsbehörde ausreicht, die typische Interessenlage dieser Fallgruppe aufzuzeigen und auszuführen, dass im Fall möglicherweise ungeeigneter Fahrzeugführer ein Ausschluss an einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr wegen der davon ausgehenden akuten Gefahr schnellstmöglich anzuordnen ist. Dies gilt selbstverständlich auch für den Ausschluss der weiteren Teilnahme an Fahrzeugen der Fahrerlaubnisgruppe 2. Letztendlich entspricht auch die Verpflichtung des Antragstellers, seinen Führerschein abgeben zu müssen dem Erfordernis, da durch den Führerschein selbst ein Rechtschein dafür erweckt wird, dass die Befugnis weiterbesteht, am Straßenverkehr teilzunehmen.
Der Antragsgegner hat daher im streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Oktober 2019 den Sofortvollzug im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet.
Auch inhaltlich ist der streitgegenständliche Bescheid nicht zu beanstanden.
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Gericht in den Fällen, in denen, wie vorliegend, die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dagegen ganz oder teilweise dann wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Im Rahmen dieser Interessensabwägung haben die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erhebliche Bedeutung. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
Ausgehend von diesen Prämissen überwiegt das öffentlichen Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Entzugsbescheids vom 24. Oktober 2019. Nach einer in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV vor, sodass der Bescheid des Antragsgegners vom 24. Oktober 2019 zu Recht ergangen ist.
Aufgrund einer Erkrankung wurden beim Antragsteller Mängel nach der Anlage 4 zur FeV festgestellt, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ausschließen, sodass der Antragsteller zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Sinne von § 2 Abs. 2 StVG nicht geeignet ist, ein Fahrzeug der Fahrerlaubnisgruppe 2 sicher zu führen.
Das Landratsamt … bezieht sich bei der Prüfung der Geeignetheit des Antragstellers auf das von ihm selbst angeordnete Gutachten des … vom 22. August 2019. Darin stellt der Gutachter abschließend fest, dass beim Antragsteller nur noch die Fahreignung für Fahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 1 gegeben ist, dass damit für Fahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 2 erst nach einer erneuten Begutachtung und der Erfüllung weiterer Voraussetzungen die Fahreignung wieder bejaht werden könnte. Dieses Gutachten hat das Landratsamt zur Begründung der Ungeeignetheit des Antragstellers herangezogen, was auch mit Schreiben vom 8. Oktober 2019 im Rahmen einer Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis mitgeteilt wurde. In diesem Anhörungsschreiben ist auch die vom Gutachter aufgeworfene Frage der Fahreignung für Fahrzeuge der Führerscheingruppe 1 thematisiert, doch diese ist nicht streitgegenständlich. Bezüglich der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 erging eine Anhörung zur beabsichtigten Entziehung, die jedoch trotz Fristverlängerung ohne Reaktion des Antragstellers blieb.
Es ist des Weiteren davon auszugehen, dass der maßgebliche Entscheidungszeitpunk, d.h. der Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechts- und Sachlage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist, also der Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 24. Oktober 2019. Da es sich bei der in der Hauptsache erhobenen Klage um eine Anfechtungsklage handelt, weswegen der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch statthaft ist, ist die vom Gericht vorzunehmende Interessensabwägung sowie die, wie oben dargelegt, in deren Rahmen anzustellende Rechtmäßigkeitsprognose auf den Zeitpunkt hin vorzunehmen, der im Hauptsacheverfahren maßgeblich sein wird, d.h. auf den Zeitpunkt des Entzugsbescheids vom 24. Oktober 2019 (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. BVerwG, U. v. 27.9.1995, Az.: 11 C 34/94, juris). Fortschritte des Antragstellers hinsichtlich seiner Compliance, seiner Adhärenz und auch seiner Hypoglykämie-Wahrnehmung nach dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheides bleiben demzufolge einem möglichen Wiedererteilungsverfahren vorbehalten.
Unter Beachtung dieser Maßgaben ist die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht zu beanstanden, denn das dieser Entziehung zu Grunde liegende fachärztliche Gutachten der Diabetologischen Schwerpunktpraxis … in … vom 26. August 2019 begegnet keinen inhaltlichen Bedenken. Bereits aus formaler Sicht sind solche Bedenken weder ersichtlich, noch vom Antragsteller vorgetragen. Das Gutachten ist inhaltlich nachvollziehbar, von Behörde und Gericht nachprüfbar und in allgemein verständlicher Sprache abgefasst. Die wesentlichen Befunde sind schlüssig wiedergegeben.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Antragsteller seit spätestens 2013/2014 an Diabetes Mellitus Typ 1 erkrankt ist. Dies wurde im Rahmen des Verlängerungsverfahrens hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen C und CE im Dezember 2016 bekannt.
Nicht entscheidungserheblich ist dabei das TÜV-Gutachten vom 24. August 2018, das die Kammer in ihrem Beschluss vom 2. Januar 2019 (AN 10 S 18.02059) als schlüssig und nachvollziehbar betrachtet hat. Nach der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. März 2019 (Az.: 11 CS 19.57) kann dieses Gutachten keine Berücksichtigung mehr finden, da es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs gerade nicht schlüssig ist. Auch die Behauptung, dass dieses TÜV-Gutachten zwar maßgeblich nicht (nur) auf den HbA 1c-Wert abgestellt hat, sondern auf die nach seinem Dafürhalten mangelnde Compliance und Adhärenz des Antragstellers, ist somit unerheblich.
Auch das Landratsamt hat sich nicht (mehr) auf dieses Gutachten, sondern maßgeblich auf das diabetologische Fahreignungsgutachten gestützt. Soweit der Gutachter die Messungen aus dem patienteneigenen Messgerät des Antragstellers auslesen konnte, ergeben sich nach der Mitteilung des Gutachters 19 einzelne Unterzuckerungsereignisse. Der Gutachter stellte fest, dass die Glukoseeinstellung nach wie vor schlecht sei, ähnlich wie in den Vorquartalen, dass 50% der Messwerte oberhalb von 217 mg/dl Blutzucker liegen und dass Unterzuckerungen von beträchtlicher medizinischer Relevanz vorgelegen haben. Der Gutachter stellt weiter fest, dass die noch im Messgerät dokumentierten Unterzuckerungen von der Tageszeit im Zeitraum der Arbeitstätigkeit, teilweise auch in der Wegezeit liegen könnten. Er folgert hieraus, dass eine chronisch entgleiste Stoffwechsellage bestünde, kritisiert in diesem Zusammenhang die Einstellung und Vorgehensweise des Antragstellers und bemerkt, dass der letzte HbA 1c-Wert aus einer Diabetesschwerpunktpraxis vom 7. März 2019 datiere. Der Gutachter schlussfolgert daraus auch eine fehlende Medikamentencompliance. Gleichzeitig zweifelt der Gutachter deshalb die ausreichende Hypoglykämie-Wahrnehmung des Antragstellers an, wobei er davon ausgeht, dass bei dem Antragsteller aufgrund der von ihm durchgeführten Therapie sowieso eine hohe Hypoglykämiegefahr besteht. Er bezieht sich letztendlich auf einen Brief des Krankenhauses in …, in dem eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung beschrieben werde, was sich auch in einem Brief eines Arztes der Diabetesschwerpunktpraxis aus dem Jahr 2014 wiederfinde.
Der Einwand des Antragstellers, es habe noch ein zweites Messgerät gegeben, das nicht mehr zur Auswertung vorgelegt werden könne, sodass die Schlussfolgerungen des Gutachters nicht nachvollziehbar seien, kann insbesondere deshalb nicht durchgreifen, weil dieser Sachvortrag im diabetologischen Fahreignungsgutachten Berücksichtigung gefunden hat. Diese Phase bezieht sich nämlich auf den Zeitraum November 2018 bis zum März 2019, bei dem nur ca. 0,7 Messungen am Tag vom vorgelegten Messgerät erkannt worden waren. Auch seien nach dem Gutachten einige Tage dokumentiert, an denen überhaupt keine Messung stattgefunden habe. All dies wurde vom Gutachter aber berücksichtigt.
Es ist daher nachvollziehbar, wenn das Gutachten in Beantwortung der Fragestellungen des Landratsamtes zu dem Ergebnis kommt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Untersuchung (noch) nicht in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisgruppe 2 vollständig gerecht zu werden. Er führt weiter nachvollziehbar aus, dass zum sicheren Führen der Nachweis einer guten Stoffwechselführung bei entsprechend guter Hypoglykämie-Wahrnehmung zu führen sei und Unterzuckerungen (in der festgestellten Form) nicht vorkommen dürften. Erst dann könne eine ausreichende Hypoglykämie-Wahrnehmung attestiert werden. Der Gutachter nimmt Bezug auf die Intensivierung der Messfrequenz und der Tatsache, dass dadurch mehr Unterzuckerungen dokumentiert wurden. Der Schluss, dass Unterzuckerungen, die nicht gemessen werden auch nicht ausreichend wahrgenommen werden, liegt deshalb nahe. Auch soweit der Gutachter dem Antragsteller eine stabile Stoffwechselführung abspricht, ist dies nachvollziehbar und schlüssig. Immerhin konnte der Gutachter die Schwankung der Blutzuckerwerte zwischen 28 mg/dl und 591 mg/dl feststellen. Es ist nachvollziehbar, wenn der Gutachter aufgrund dieser ausgeprägten Zuckerschwankungen davon ausgeht, dass eine vorausschauende und langfristige Vermeidung starker Stoffwechselschwankungen nicht sichergestellt ist. Immerhin stellt der Gutachter auch fest, dass mittlerweile bei der Compliance hinsichtlich der Krankheitseinsicht keine Zweifel mehr bestünden und dass in den zurückliegenden zwei Quartalen bezüglich einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme gute Fortschritte gemacht wurden.
Letztendlich kommt der Gutachter aber zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gemäß Ziffer 5.4 der Anlage 4 zur FeV nicht geeignet ist, Kraftfahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 2 zu führen. Dies erscheint, wie dargelegt, folgerichtig. Gemäß Ziffer 5.4 der Anlage 4 zur FeV ist eine Eignung für die Gruppe 2 nur bei guter Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung gegeben, wobei der Zeitraum drei Monate betragen muss. Hatte der Antragsteller im Rahmen der Begutachtung beim TÜV Süd im Jahr 2018 noch angegeben, die letzte Hypoglykämie sei im Jahr 2014 aufgetreten, konnte der Gutachter aus dem Jahre 2019 durch einfaches Auslesen des Blutzuckermessgerätes des Antragstellers immerhin 19 einzelne Ereignisse feststellen. Es ist daher in Übereinstimmung mit der Begutachtung festzustellen, dass die Voraussetzungen der Ziffer 3.5 der Begutachtungsleitlinien zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben waren, nämlich eine ausreichende Einstellung stabiler Stoffwechselführung über mindestens drei Monate.
Letztendlich wird diese Einschätzung auch durch den Entlassungsbrief des Fachklinikums … vom 9. Dezember 2019 bestätigt. Dieser Brief ist bereits weit nach Bescheidserlass geschrieben worden, bezieht sich aber nicht nur auf den Behandlungszeitraum vom 18. November bis 29. November 2019, sondern stellt aufgrund eigener Anamnese eigene Diagnosen, die denknotwendig auch auf den Zeitpunkt vor Aufnahme ins Klinikum zurückwirken müssen. Wenn nämlich in diesem Entlassungsbrief die Rede davon ist, dass es noch im Zeitraum des Aufenthalts im Klinikum zu dokumentierten Unterzuckerungen mit Werten von bis zu 28 mg/dl gekommen war, die zum Teil vom Antragsteller nicht wahrgenommen wurden und deshalb aus Sicht des Klinikums eine schwere Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung bestünde, ist dieser Sachverhalt nicht mit der Aufnahme ins Klinikum neu entstanden, sondern eine Fortsetzung von bereits in der Vergangenheit bestehenden Problematiken. Ohne dass dieser Arztbrief vom 9. Dezember 2019 für die Entscheidung heranzuziehen wäre, bestätigt dieser doch die vom diabetologischen Fahreignungsgutachter festgestellten Diagnosen.
Damit ist nach summarischer Überprüfung der Rechtslage davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil das Landratsamt … zu Recht festgestellt hat, dass der Antragsteller – zumindest im Zeitpunkt des Erlasses des Entzugsbescheids – nicht fahrgeeignet für Fahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 2 ist. Damit ist dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des streitgegenständlichen Entzugsbescheids vom 24. Oktober 2019 der Vorzug zu geben vor dem Interesse des Antragstellers einstweilen weiter Fahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 2 zu führen.
Entsprechendes gilt dann auch für die Verpflichtung des Antragstellers, seinen Führerschein abzugeben, die nach § 3 Abs. 2 StVG ebenfalls rechtmäßig ist sowie das für den Fall der Nichtabgabe angedrohte Zwangsgeld. Auch hier überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse am einstweiligen Behaltendürfen des Führerscheins.
Auch wenn sich aus dem Verhalten des Antragstellers nach Entzug der Fahrerlaubnis, d.h. nach Bescheiderlass, offensichtlich eine wesentliche Verbesserung der Adhärenz des Antragstellers hinsichtlich seiner Erkrankung ergibt, wozu sicherlich der Aufenthalt des Antragstellers in der Diabetologischen Fachklinik … beigetragen hat und der sich letztendlich in dem ärztlichen Attest der Allgemeinarztpraxis … vom 28. Januar 2020 manifestiert, führt dies allerdings nicht dazu, dass die Interessensabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausfallen könnte, weil letztendlich dadurch noch nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine Schulungen ausreichend in die Tat umsetzt und die ihm mehrfach diagnostizierte Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung damit ausgestanden ist. Auch wenn eine Entziehung für mittlerweile wieder geeignete Fahrzeugführer keinen Sinn machen würde, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgrund des hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts dennoch abzulehnen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die Fahreignung zwischenzeitlich wiedererlangt haben könnte, geht der diabetologische Fachgutachter im Fahreignungsgutachten vom 26. August 2019 doch nachvollziehbar davon aus, dass eine Nachbegutachtung unter Auswertung des Blutzuckermessgerätes für einen Zeitraum von drei Monaten erforderlich sein wird. Diese Voraussetzungen hat der Antragteller nicht geschaffen. Das Schreiben des Gerichts vom 18. März 2020, welches darauf abzielte, blieb ohne Antwort.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist damit abzulehnen. Sowohl im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Oktober 2019 als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts wäre ausweislich der vorgelegten Gutachten die Gefahr, dass es bei einer Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr zu einer (unbemerkten) Unterzuckerung kommen könnte, zu hoch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwertbeschluss beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 46.4 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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