Medizinrecht

Soziales Entschädigungsrecht

Aktenzeichen  S 12 VS 7/18

Datum:
7.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52462
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.  

Gründe

Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.
Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG kann ergehen. Die Parteien wurden hierzu angehört, die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt.
Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Die Gesundheitsstörung des Klägers „Sarkoidose I-II mit thorakalem und extrathorakalem Lymphknotenbefall, mukokutaner Beteiligung, Beeinträchtigung der Herzfunktion und fortschreitender allgemeiner Leistungseinbuße“ ist nicht nach § 81 SVG als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG besteht ebenso wenig wie ein Anspruch auf Versorgung nach § 80 SVG.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
I. Gemäß § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Soldaten erhalten zudem nach § 85 Abs. 1 SVG wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs. 1 und § 31 BVG.
Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Gemäß § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (ständige Rechtsprechung BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz: BSG, Urteile vom 22.06.1988, Az. 9/9a RVg 3/87 m.w.N. und Az. 9/9a BVg 4/87; zur Kriegsopferversorgung: BSG, Urteil vom 12.12.1995, Az. 9 RV 14/95; zum SVG: BSG, Urteile vom 24.09.1992 Az. 9a RV 31/90 und vom 15.12.1999, Az. B 9 VS 2/98 R und zum Impfschadensrecht: BSG, Urteile vom 19.08.1981, Az. 9 RVi 5/80 und vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84) soweit nichts anderes bestimmt ist.
Für Ansprüche nach den §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreistufige Kausalkette voraussetzt (BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az. B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten in GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt. Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az. B 9 VS 2/98 R). Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist.
Für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs und damit der geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit greift das BSG auf die im Sozialrecht allgemein geltende Theorie der wesentlichen Bedingung zurück. Danach ist eine Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie rechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges „annähernd gleichwertig“ sind (BSG, Urteil vom 08.08.1974, Az. 10 RV 209/73). Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung, ist dieser Umstand allein Ursache. Das heißt, eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber anderen Möglichkeiten ein deutliches Übergewicht zukommt (BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az. 10 RV 15/77). Nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung muss dabei mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang sprechen, ernste Zweifel müssen ausscheiden. Nicht ausreichend ist hingegen eine bloße – abstrakte oder konkrete – Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs.
II. Beim Kläger besteht unstreitig folgende Gesundheitsstörung: Sarkoidose I-II mit thorakalem und extrathorakalem Lymphknotenbefall, mukokutaner Beteiligung, Beeinträchtigung der Herzfunktion und fortschreitender allgemeiner Leistungseinbuße.
Die Anerkennung der Gesundheitsstörung als Folge einer WDB ist vorliegend nicht möglich, da der ursächliche Zusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung des Klägers und den wehrdienstlichen Einflüssen nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Die wehrdienstlichen Belastungen des Klägers stellen in diesem Zusammenhang keine wesentliche Teilursache dar, ihnen kommt also gerade nicht das geforderte deutliche Übergewicht bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zu.
1. schädigender Vorgang
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB ist zunächst, dass ein schädigender, das heißt zur Bewirkung von Schäden geeigneter Vorgang, der vom Schutzbereich des SVG umfasst ist, im Vollbeweis nachgewiesen ist.
Im vorliegenden Fall wird zugunsten des Klägers ohne nähere Prüfung davon ausgegangen, dass die Tätigkeiten des Klägers im Rahmen des Einsatzes in Afghanistan eine Wehrdienstverrichtung darstellten, die grundsätzlich dazu geeignet sind, gesundheitliche Schädigungen von nicht nur ganz kurzer zeitlicher Dauer nach sich zu ziehen.
2. primäre Schädigung und Schädigungsfolgen
Die unstreitig vorliegende Gesundheitsstörung „Sarkoidose I-II mit thorakalem und extrathorakalem Lymphknotenbefall, mukokutaner Beteiligung, Beeinträchtigung der Herzfunktion und fortschreitender allgemeiner Leistungseinbuße“ kann allerdings nicht in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit schädigenden Einwirkungen gebracht werden, denen der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes ausgesetzt war.
Bei dieser Einschätzung stützt sich das Gericht insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. D. vom 03.09.2019 und die Ausführungen von Dr. B. vom 02.08.2018 und Dr. N. vom 27.04.2018. Die Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen sind überzeugend und nachvollziehbar begründet. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen des Klägers wurden vollständig erfasst und umfassend gewürdigt. Alle Gesichtspunkte, die im Rahmen einer Begutachtung bzw. sozialmedizinischen Stellungnahme zu beachten sind, wurden aus Sicht des Gerichts bedacht und abgewogen.
Bei der Sarkoidose handelt es sich nach den begründeten Ausführungen von Prof. Dr. D., Dr. N. und insbesondere Dr. B. um eine Multisystemerkrankung mit derzeit unklarer Ätiologie, bei der es zur Bildung von nichtverkäsenden Granulomen in den betroffenen Organen (Befall der Lunge in etwa 90% und der Lymphknoten in über 60% der Fälle) kommt, die dadurch in ihrer Struktur zerstört werden. Es wird hierbei eine multifaktorielle Genese angenommen, bei der verschiedene Gene auf spezifische antigene Reize eine veränderte Immunantwort hervorrufen (vgl. Gutachten Prof. Dr. D. vom 03.09.2019, Seite 30). Die Sarkoidose zeichnet sich nach den Angaben von Dr. B. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.08.2018, Seite 2) letztlich durch eine erhöhte Immunreaktion des Körpers auf bisher noch unbekannte Auslöser aus. Sie beginnt nicht auf den Oberflächenstrukturen der Atemwege, sondern im Lungengerüst und in den Lymphknoten und damit von „innen“.
Das klinische Erscheinungsbild kann sich sowohl akut, subakut aber auch chronisch darstellen. Auch asymptomatische Verlaufsformen und spontane Remissionen werden in der Literatur beschrieben (vgl. Gutachten Prof. Dr. D. vom 03.09.2019, Seite 30 f.). Meist beginnt die Sarkoidose als chronische Form schleichend und symptomarm (90% der Fälle). Ein akutes Erscheinungsbild tritt in diesem Zusammenhang meist nur vorübergehend auf. In wenigen Fällen tritt die Sarkoidose als akute Verlaufsform auf (auch als Löfgren-Syndrom), wobei hier die Prognose, anders als bei der chronischen Verlaufsform, günstig ist (versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. B. vom 02.08.2018, Seite 7 f.).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt vor, dass sich die Sarkoidose des Klägers auch durch die langwierigen Therapien in Deutschland nicht dauerhaft verbessert habe, sondern schlimmer geworden sei. Daraus kann nach Dr. B. geschlussfolgert werden, dass es sich bei der Phase in Afghanistan um eine immer wieder vorkommende akute Exacerbation bei einer ansonsten chronisch, schleichend verlaufenden Sarkoidose handelt, wobei der tatsächliche Beginn dieser Erkrankung nicht aktenkundig zu belegen ist (versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. B. vom 02.08.2018, Seite 10).
Die medizinisch-wissenschaftliche Literatur diskutiert verschiedene Auslöser für die Entwicklung einer Sarkoidose. Mittlerweile lässt sich die Hypothese einer Infektionskrankheit nicht mehr aufrechterhalten, vielmehr scheint der Kontakt zwischen Immunsystem und antigenen Strukturen von Krankheitserregern eine mögliche Ursache für die Entstehung der Sarkoidose zu sein (siehe Gutachten Prof. Dr. D. vom 03.09.2019, Seite 31).
Auch die Inhalation von Stäuben als Umweltfaktor ist für die Entstehung der Sarkoidose nicht mehr verantwortlich zu machen. In den durchgeführten Studien haben sämtliche Röntgenuntersuchungen und CTs der Lunge sowie bronchoskopische Spiegelungen der Bronchien keine Ansammlungen von Stäuben in der Lunge eines an Sarkoidose erkrankten Patienten gezeigt. Selbst wenn vorliegend der Wüstensand zeitweise bis in die Lungenbläschen des Klägers vorgedrungen wäre, so wäre dieser mit großer Wahrscheinlichkeit auf physiologischem Wege aus den Atemwegen wieder entfernt worden (siehe versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. B. vom 02.08.2018, Seite 5 f.).
Im Ergebnis gibt es bezüglich eines Zusammenhangs zwischen der Entstehung der Sarkoidose und beruflichen Einflüssen vielfältige Publikationen, die mehrheitlich Einzelfallberichten entsprechen. Dies diskutieren Prof. Dr. D. (Gutachten vom 03.09.2019, Seite 31) und insbesondere Dr. B. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.08.2018, Seite 5 ff.) in ihren Ausführungen schlüssig und ausführlich. Die Übersichtsarbeiten im Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Lungenerkrankungen und den Terroranschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 zeigen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Sarkoidose und der stattgehabten Exposition gegenüber sehr hohen Konzentrationen irritativer anorganischer Stäube. Jedoch konnte laut den Ausführungen von Prof. Dr. D. (Gutachten vom 03.09.2019, Seite 31) in einer Studie aus dem Jahr 2001 ebenfalls nachgewiesen werden, dass trotz des Einflusses von Umweltfaktoren die genetische Veranlagung einen stärkeren Prädikator für die Entstehung einer Sarkoidose darstellt.
Beim Kläger konnte nach den Ausführungen des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr vom 11.07.2018 keine Exposition zu anorganischen Stäuben nachgewiesen werden. Gleiches gilt für eine Exposition gegenüber Schimmelpilzen, Beryllium oder kontaminierten Wasserquellen. Aussagekräftige Unterlagen, aus denen sich Anhaltspunkte für eine solche Exposition ergeben würden, liegen nicht vor. Zudem kann auch aus dem potentiellen Einatmen des feinen Wüstensandes über die Zeit des Auslandseinsatzes des Klägers keine Kausalität zwischen dienstlichen Einflüssen und der Sarkoidose abgeleitet werden (siehe oben).
III. Auch im Wege der Kann-Versorgung kann dem klägerischen Begehren nicht entsprochen werden.
Eine Kann-Versorgung setzt nach § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG voraus, dass die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen WDB und Gesundheitsstörung deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht (siehe hierzu u.a. BSG, Beschluss vom 11.09.1991, Az. 9a BV 147/90).
Auch bei der Anwendung der Kann-Versorgung muss aber der tatsächliche Beginn der Erkrankung bewiesen sein (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze Teil C, Ziffer 4 c)). Dies ist vorliegend nach den begründeten und schlüssigen Ausführungen von Dr. B. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.08.2018, Seite 10) nicht der Fall.
Zudem muss der ursächliche Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen werden. Ist die ursächliche Bedeutung bestimmter Einflüsse trotz mangelnder Kenntnis der Ätiologie und Pathogenese wissenschaftlich nicht umstritten, so muss gutachterlich beurteilt werden, ob der ursächliche Zusammenhang wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist (siehe Versorgungsmedizinische Grundsätze Teil C, Ziffer 4 b) bb)). Der ursächliche Einfluss von Wüstenstaub führt nach den derzeit medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zum Entstehen einer Sarkoidose, so dass – trotz mangelnder Kenntnis der Ätiologie zur Sarkoidose -dieser von Klägerseite als maßgeblich bezeichneter Einfluss (Einatmen des Wüstensandes) eben gerade keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen wehrdienstlichen Einflüssen und der Sarkoidose im Sinne der hier notwendigen Wahrscheinlichkeit begründen kann.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 193 SGG und orientiert sich am Ergebnis in der Hauptsache.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben