Medizinrecht

Soziales Entschädigungsrecht: Zur Anerkennung eines Impfschadens mit der Begründung einer Quecksilbervergiftung

Aktenzeichen  L 15 VJ 4/16

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15686
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 2 Nr. 60, § 2 Nr. 61, Nr. 11
SGG § 143, § 144, § 151

 

Leitsatz

1. Die gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung, d. h. die Impfkomplikation, muss neben der Impfung und dem Impfschaden, d. h. der dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein.
2. Eine Beweiserleichterung beim Primärschaden im Sinne der Beurteilung “des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe” anhand von “Mosaiksteinen” ist damit nicht vereinbar.
3. Ursachenzusammenhang bei Progredienz einer Hörstörung und connataler Infektion.

Verfahrensgang

S 9 VJ 4/11 2016-10-04 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 4. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können. Diese wurde über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 SGG, aber nicht begründet.
Streitgegenständlich ist ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung eines Impfschadens und auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem IfSG gegenüber dem Beklagten.
Verfahrensrechtlich ist der Anspruch im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenständlich. Gegenstand des Verfahrens ist der ablehnende Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 26.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2011 bezüglich des Bescheides vom 16.02.2009. Weil der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 20.09.2011 in die Sachprüfung eingetreten ist, ist die vollständige Überprüfung auch im gerichtlichen Verfahren eröffnet (vgl. BayLSG, Urteil vom 27.03.2015, L 15 VK 12/13, juris Rn. 68 f.) Das Berufungsgericht hat daher zu prüfen, ob die geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Impfschaden anzuerkennen sind und einen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG) begründen. Aufgrund von § 44 Abs. 4 SGB X ist der Anspruch auf Leistungen ab dem 01.01.2005 begrenzt.
Die auf die Anerkennung eines Impfschadens und auf die Gewährung einer Versorgungsrente gerichtete Klage ist zulässig. Der im Berufungsverfahren konkretisierend auszulegende Klageantrag (d.h. Gewährung einer Beschädigtenrente) ist als solcher auf ein zulässiges Begehren gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 24, BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, juris Rn. 13).
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch jedoch nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht vorliegen. Zum einen fehlt es mit dem SG schon am Nachweis einer Impfkomplikation, zum anderen aber auch an der Kausalität zwischen den Impfungen und der geltend gemachten gesundheitlichen Schädigung.
Das klägerische Begehren beurteilt sich dabei nach dem IfSG, weil Leistungen ab 01.01.2005 im Raume stehen und damit ab einem Zeitpunkt, als das – das Bundes-Seuchengesetz ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften v. 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) – IfSG (seit dem 01.01.2001) in Kraft war (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 10/10, juris Rn. 35).
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde (1.), auf Grund des IfSG angeordnet wurde (2.), gesetzlich vorgeschrieben war (3.) oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist (4.), eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen eines Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.
Nach § 61 Satz 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden, wobei die Zustimmung allgemein erteilt werden kann, § 61 Satz 2, 3 IfSG.
Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.
Die Entstehung eines Anspruchs auf Anerkennung eines Impfschadens und auf Versorgung verlangt demnach die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen (vgl. nur BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 36). Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation (Primärschaden im Sinne eines „Gesundheitserstschadens“), sowie eine – dauerhafte – gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden (Sekundärschaden), vorliegen. Die Schutzimpfung (1. Glied), die Impfkomplikation (2. Glied) und der Impfschaden (3. Glied) bilden dabei vorliegend die einzelnen Elemente der sog. – dem Versorgungsrecht generell zugrundeliegenden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 25.03.2004, B 9 VS 1/02 R, juris; BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 3/13 R, juris) – dreigliedrigen Kausalkette.
Die Schutzimpfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung im Sinne des Impfschadens müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, d.h. im sog. Vollbeweis, feststehen. Dagegen genügt für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit, vgl. § 61 Satz 1 IfSG (vgl. nur BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38).
Der erkennende Senat hat früher vereinzelt auf das Erfordernis des Vollbeweises bezüglich des Primärschadens (der Impfkomplikation) verzichtet (vgl. BayLSG, Urteil vom 28.07.2011, L 15 VJ 8/09, juris; BayLSG, Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, juris Rn. 36 m.w.N. auch zu a.A.). Diesen einzelfallbezogenen Ansatz verfolgen beide für das Versorgungsrecht zuständigen Senate des BayLSG (BayLSG, Urteil vom 18.05.2017, L 20 VJ 5/11, juris; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017, L 20 VJ 1/17 juris; BayLSG, Urteil vom 11.07.2018, L 20 VJ 7/15, juris; BayLSG, Urteil vom 06.12.2018, L 20 VJ 3/17; BayLSG, Urteil vom 26.03.2019, L 15 VJ 9/16, juris; BayLSG, Urteil vom 14.05.2019, L 15 VJ 9/17, juris; BayLSG, Urteil vom 02.07.2019, L 15 VJ 8/17) inzwischen ausdrücklich nicht mehr. Andere Landessozialgerichte hatten sich dem soweit ersichtlich von vornherein nicht angeschlossen (z.B. Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15, juris). Auch das BSG hat – z.T. in Rechtsmittelverfahren gegen diese Entscheidungen – das Erfordernis eines Vollbeweises auch bezogen auf den Primärschaden bekräftigt (BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris; BSG, Beschluss vom 18.06.2018, B 9 V 1/18 B).
Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38; BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris Rn. 7).
Das SG hat vorliegend zutreffend den Vollbeweis einer Impfkomplikation im Sinne des Primärschadens, also den Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, als nicht gegeben angesehen. Für den Beweisgrad des Vollbeweises muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (vgl. nur BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris Rn. 7; BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34; BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, juris). Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34 m.w.N.). Eine Tatsache ist damit nachgewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34 m.w.N.; Keller, a.a.O., § 128 Rn. 3b m.w.N.), wenn also eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben ist.
Vorliegend bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Impfkomplikation. Eine solche wäre mit Prof. Dr. K. in einer postvakzinalen Enzephalitis/Enzephalopathie oder auch denkbar einer Neuritis/Neuropathie zu sehen. Der Sachverständige hat hierzu jedoch in seinem nachvollziehbaren, vollständigen und von großem Sachverständnis geprägtem Gutachten vom 03.02.2014 samt ergänzender Stellungnahme vom 12.06.2016 auch für den Senat überzeugend dargestellt, dass derartige Impfkomplikationen bei der Klägerin nicht feststellbar seien. Der Senat folgt diesbezüglich auch den Entscheidungsgründen im Urteil des SG, die er sich nach umfassender Prüfung zu eigen macht und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 SGG.
Nachdem bereits ein Primärschaden nicht im Vollbeweis festzustellen ist, ist ein Anspruch der Klägerin nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht gegeben. Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt. Beweiserleichterungen auch in den Fällen besonders schwieriger Nachweiserbringungen sind abzulehnen, das Gesetz enthält bezüglich der Kausalitätsbeurteilung nach § 61 IfSG bereits Erleichterungen (vgl. etwa BSG, Beschluss v. 04.06.2018, B 9 V 61/17 B, juris; s.a. hinsichtlich der Blindheit bei zerebralen Schäden BSG, Urteil vom 14.06.2018, B 9 BL 1/17 R, juris).
Selbst wenn man, wovon der Senat ausdrücklich nicht ausgeht, einen Primärschaden annehmen würde, wäre die Anerkennung eines Impfschadens vorliegend dennoch nicht möglich. Denn die bei der Klägerin vorliegende Taubheit und Gleichgewichtsstörung sind zur Überzeugung des Senats nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfungen vom 13.06.1982 und 03.11.1982 zurückzuführen. Auch dies hat bereits das SG zutreffend unter Würdigung der vorliegenden Unterlagen und der Ermittlungsergebnisse festgestellt. Auch der erkennende Senat folgt dem überzeugenden Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. vom 03.02.2014 samt ergänzender Stellungnahme vom 12.06.2016.
Für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG reicht es nach § 61 Satz 1 IfSG aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung. Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (BSG, Urteil vom 22.09.1977, 10 RV 15/77, juris), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80; BSG, Urteil vom 26.06.1985, 9a RVi 3/83, juris; BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84; BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, juris und BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, a.a.O., § 128 Rn. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße – abstrakte oder konkrete – Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (BSG, Urteil vom 26.11.1968, 9 RV 610/66, juris; BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris).
Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der höchstrichterlichen versorgungsrechtlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 08.08.1974, 10 RV 209/73, juris) rechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris; BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R, juris) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige Senat des BSG (vgl. Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13, juris) zur annähernden Gleichwertigkeit festgelegt, dass diese dann anzunehmen ist, wenn eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R, juris). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).
Den dem Sachverständigen vorliegend zur Beurteilung vorgelegten medizinischen Unterlagen kann ein Zusammenhang zwischen den stattgehabten Impfungen, einer unterstellten Primärschädigung und den manifestierten Gesundheitsstörungen der Klägerin nicht entnommen werden. Der Senat folgt den Bewertungen von Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 03.02.2014 einschließlich ergänzender Stellungnahme vom 12.06.2016. In dem von großer Fachkenntnis geprägten Gutachten einschließlich ergänzender Stellungnahme, die beide umfassend das zugrundeliegende Material sowie den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausgewertet haben und zu nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ergebnissen gelangen, führt Prof. Dr. K. aus, dass Gesundheitsstörungen in Form einer Hörstörung und einer Gleichgewichtsstörung zwar grundsätzlich als Impfschaden in Frage kommen könnten. Unabhängig von der vorliegend ausdrücklich nicht feststellbaren Primärschädigung gebe es bei der Klägerin jedoch deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer connatalen Cytomegalie. Dies ausdrücklich inklusive der im weiteren Verlauf auftretenden Hör- und Gleichgewichtsstörung einschließlich deren Verschlechterung. Ferner spreche gerade der progrediente Verlauf gegen einen Impfschaden. Aufgrund des progredienten Verlaufs ist auch zur Überzeugung des Senats, wie bereits des SG, die erforderliche Wahrscheinlichkeit im oben genannten Sinn nicht gegeben. Aufgrund der gesamten Feststellungen ist bei der Klägerin ferner zur Überzeugung des Senats eine connatale Cytomegalie im Vollbeweis nachgewiesen. Diese stellt mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit die maßgebliche Ursache für den Eintritt und den Verlauf der gegenständlichen Gesundheitsstörungen der Klägerin dar.
Ein Anspruch der Klägerin kann ferner nicht auf die Vorgaben zur sog. „Kann-Versorgung“ gestützt werden, § 61 Satz 2, 3 IfSG. Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kann-Versorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitlichen, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, juris). Aber auch bei der Kann-Versorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, juris; BSG, Urteil vom 17.07.2009, B 9/9a VS 5/06, juris). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist. Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. nur BayLSG, Urteil vom 11.07.2018, L 20 VJ 7/15, juris Rn. 83 m.w.N.; BayLSG, Urteil vom 26.03.2019, L 15 VJ 9/16, juris Rn. 76 m.w.N.). Unter Heranziehung dieses Maßstabes kommt nach den vorstehenden Ausführungen ein Anspruch der Klägerin auch im Wege der Kann-Versorgung nicht in Betracht. Dies ergibt sich auch daraus, dass ein Anspruch bereits am Vollbeweis einer Primärschädigung scheitert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, vgl. § 160 Abs. 2 SGG.


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