Medizinrecht

Sozialversicherungsbeiträge für geringfügig Beschäftigte

Aktenzeichen  S 1 BA 22/18

Datum:
11.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6557
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a, § 24

 

Leitsatz

1 Ein GmbH-Geschäftsführer wie auch eine erfahrene Lohnbuchhalterin muss wissen, dass man bei der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung einer Tätigkeit nicht ohne Weiteres zwischen beitragspflichtiger Beschäftigung und beitragsfreier selbständiger Tätigkeit wählen kann, sondern dass hierbei zwingende gesetzliche Vorgaben zu beachten sind. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es kann auch im Rahmen bedingten Vorsatzes vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.407 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat zurecht festgestellt, dass die Beigeladene ihre Buchhaltungstätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 im Rahmen eines – geringfügigen – Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat. Die Klägerin ist als (ehemalige) Arbeitgeberin verpflichtet, die angefallenen Sozialversicherungsbeiträge (Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sowie Umlagebeiträge) in gesetzlicher Höhe nachzuentrichten. Auch die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Erhebung von Säumniszuschlägen sind erfüllt.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Die Voraussetzungen einer Beschäftigung i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV liegen vor.
Zu nennen sind insbesondere die Eingliederung in die organisatorischen Strukturen der Klägerin, die persönliche Leistungserbringung, die zeitabhängige Vergütung und das Fehlen jeglichen Unternehmerrisikos.
Für eine selbständige Tätigkeit spricht im Wesentlichen, dass eine solche zwischen den Beteiligten gewollt war und das Weisungsrecht der Klägerin nur in sehr abgeschwächter Form zum Tragen kam. Außerdem erledigte die Beigeladene Buchhaltungsarbeiten auch für andere Auftraggeber auf Selbständigenbasis.
Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 07.03.2018, denen sich die Kammer anschließt, sowie auf die Parallelentscheidung der erkennenden Kammer vom 11.03.2019 (S 1 BA 30/18) Bezug genommen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit abgesehen (§ 136 Abs. 3 SGG).
2. Den von Klägerseite vorgebrachten Bedenken gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen kann sich die Kammer nicht anschließen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuletzt Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R) ist zwar davon auszugehen, dass für die Bestimmung des Verschuldensmaßstabes in § 24 Abs. 2 SGB IV (ebenso wie nach § 14 Abs. 2 SGB IV und § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) auf bedingten Vorsatz abzustellen ist.
Ist eine juristische Person des Privatrechts Beitragsschuldnerin, kommt es zunächst auf die Kenntnis oder unverschuldete Unkenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs von der Beitragspflicht an. Wissen und Verschulden eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als dasjenige des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen. Das gleiche gilt nach dem Rechtsgedanken der §§ 166, 278 BGB für andere zum Vertreter der juristischen Person bestellte natürliche Personen, sofern sie eigenverantwortlich mit der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung einer Tätigkeit für die juristische Person und der Erfüllung ihrer Zahlungspflicht betraut sind. Auch die Kenntnis und das Verschulden weiterer verantwortlicher Personen kann der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (BSG a.a.O. juris RdNr. 24).
Für die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht trägt die Klägerin die objektive Beweislast. § 24 Abs. 2 SGB IV ist als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft. Dabei genügt der abgesenkte Beweisgrad der Glaubhaftmachung (BSG a.a.O. juris RdNr.25).
3. Bei Anwendung der vom BSG aufgestellten Grundsätze ist vorliegend von bedingtem Vorsatz auszugehen.
Die Beigeladene hat die hier streitige Tätigkeit jahrelang im Rahmen einer geringfügig entlohnten Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IV ausgeübt. Nachdem sie ab 01.04.2015 bei einem anderen Arbeitgeber auf Geringverdienerbasis eine Beschäftigung aufnahm, hat sie die Tätigkeit bei der Klägerin auf Selbständigenbasis umgestellt. Art und Umfang der Tätigkeit hatten sich nicht geändert. Unter diesen Umständen hätten bei den Verantwortlichen der Klägerin bzw. der Beigeladenen die Alarmglocken klingeln müssen, ob man dieselbe Tätigkeit – einfach so – nunmehr sozialversicherungsrechtlich unter einem anderen „Etikett“ weiterführen kann.
Nach dem Eindruck der Kammer lag bei der Klägerin bzw. den für sie handelnden Personen in der Vergangenheit ein grundsätzliches Missverständnis vor. Man ging offenbar davon aus, dass es zur Handlungsfreiheit des Betroffenen gehört, eine Tätigkeit entweder im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder als Selbständige auszuüben. Diese Sichtweise mag bei einem rechtlichen Laien verständlich sein.
Ein GmbH-Geschäftsführer und erst recht eine erfahrene Lohnbuchhalterin muss jedoch wissen, dass man bei der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung einer Tätigkeit nicht ohne weiteres zwischen beitragspflichtiger Beschäftigung und beitragsfreier selbständiger Tätigkeit wählen kann, sondern dass hierbei zwingende gesetzliche Vorgaben zu beachten sind.
Der Schutzbereich des Artikels 12 Abs. 1 GG ist schon deswegen nicht berührt, weil es nicht um die Wahl oder Ausübung des Berufs der Beigeladenen geht, sondern (an die Berufsausübung anknüpfende) Beitragspflichten des Arbeitgebers. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 SGB IV hat keine objektiv berufsregelnde Tendenz (vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 26.06.2007, 1 BvR 2204/00 u.a.).
Im Übrigen verfügt der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts über eine besonders weite Gestaltungsfreiheit, die nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (BVerfG, 23.01.1990, 1 BvL 44/86).
4. Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht hatte. Das Wissen bzw. Nichtwissen der Beigeladenen muss sich die Klägerin dabei zurechnen lassen.
Es kann auch im Rahmen bedingten Vorsatzes vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen (BSG vom 12.12.2018 a.a.O. – juris RdNr. 24).
Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.
5. Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und ergibt sich aus der streitigen Forderung.


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