Medizinrecht

übereinstimmende Erledigungserklärungen, Klimacamp, Christkindlesmarkt, Verlegung des Versammlungsortes, Bereitstellungsfläche für Einsatz- und Rettungsfahrzeuge

Aktenzeichen  AN 4 S 21.01890

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39915
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

1. Das Verfahren wird, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 4. Oktober 2021 gegen die Ziffer 2.9 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. September 2021 beantragt wurde, abgetrennt und unter dem Aktenzeichen AN 4 S 21.01890 fortgeführt.
2. Das abgetrennte Verfahren AN 4 S 21.01890 wird eingestellt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens AN 4 S 21.01890 zu 70%, die Antragsgegnerin zu 30%.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist aktueller Veranstalter des „Klimacamps“ in …, das seit dem 3. September 2020 durchgängig auf dem S* … Platz in … stattfindet.
1. Der Antragsteller zeigte am 31. August 2021 die Verlängerung der Versammlung mit dem Thema „Klimakrise“ ab 1. September 2021 ohne Nennung eines Endzeitpunktes auf dem S* … Platz an.
Mit Bescheid vom 2. September 2021 bestätigte die Antragsgegnerin die Versammlung vom 1. September 2021 bis 31. Oktober 2021 auf dem S* … Platz und ab 1. November 2021 auf einer noch abzustimmenden Fläche. Der Bescheid enthält unter anderem folgende Auflage:
2.9 örtliche Verlegung
Das „Klimacamp“ muss spätestens ab 01.11.2021 bis zur Beendigung des Christkindlesmarktes vom S* … Platz auf einen noch abzustimmenden Platz verlegt werden. Sofern der Platz für den Christkindlesmarkt nicht benötigt wird, kann die Versammlung bis zum angemeldeten Termin auf dem S* … Platz verbleiben.
Zur Begründung der Ziffer 2.9 führte die Antragsgegnerin aus, dass das Recht des Veranstalters, den Ort der Versammlung zu bestimmen, durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt werde. Das Selbstbestimmungsrecht beinhalte kein unbegrenztes Beanspruchungsrecht für eine bestimmte Fläche. Das Recht zur Nutzung einer bestimmten Örtlichkeit im öffentlichen Raum stehe zunächst allen Rechtsträgern und Interessen im Rahmen der Gesetze in gleichem Maße zu. Eine öffentlich gewidmete Örtlichkeit könne auch nicht dauerhaft einem anderen Rechtsträger für eine widmungsgemäße Nutzung entzogen werden. Bei zeitlich und örtlich konkurrierenden Versammlungen dürfe eine Entscheidung zugunsten einer der kollidierenden Versammlungen nicht alleine nach der Erstanmeldung erfolgen, sondern es müssten auch andere wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und des Zeitpunktes für die konkurrierenden Versammlungen einbezogen werden. Diese Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts erstrecke sich auch auf andere mit einer Versammlung konkurrierende Rechtsgüter und berechtigte Interessen. Die Vergabe und Belegung des Platzes für den Christkindlesmarkt sei ein konkurrierendes Rechtsgut und berechtigtes Interesse.
Der … Christkindlesmarkt als einer der ältesten und größten Weihnachtsmärkte in Deutschland und eine der bedeutendsten Traditionsveranstaltungen in … finde seit 1933 auf dem H* …markt und den angrenzenden Straßen und Plätzen vom Freitag vor dem ersten Adventssonntag bis zum 24. Dezember statt. Er sei eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin im Sinne von Art. 24 GO und als Spezialmarkt nach § 68 Abs. 1 GewO festgesetzt (§ 1 Abs. 1 Jahrmarktsatzung). Zum Christkindlesmarkt gehöre auch der Markt der Partnerstädte auf dem R* …platz. Parallel werde die Kinderweihnacht auf dem H* …Platz betrieben. Das Sicherheitskonzept für den Christkindlesmarkt beinhalte unter anderem auch die Vorhaltung von ausreichenden Bereitstellungsräumen für Einsatz- und Rettungskräfte. Hierfür sei bisher die Insel … vorgesehen. Da jedoch dieses Jahr zum Infektionsschutz die Märkte auseinandergezogen und Teile der Märkte auf die Insel … verlegt werden sollten, solle der Bereitstellungsraum auf den S* … Platz verlegt werden. Eine andere geeignete Fläche in einer so erforderlichen Nähe sei nicht verfügbar.
Der Christkindlesmarkt sei eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises und eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin im Sinne von Art. 24 GO, die zum sozialen und kulturellen Wohl und zur Förderung des Gemeinschaftslebens ihrer Einwohner betrieben werde (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 Abs. 1 Satz 1 GO). Das Klimacamp finde seit einem Jahr an dieser Stelle statt. Durch eine Versammlung entstehe kein alleiniger Dauerbelegungsanspruch. Ein solcher wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Antragsgegnerin und würde den Platz, auf unbestimmte Zeit und nur den Wünschen des Versammlungsveranstalters unterworfen, dem Selbstverwaltungsrecht der Antragsgegnerin und dem Gemeingebrauch entziehen. Die Vorhaltung eines ausreichend großen und in unmittelbarer Nähe zum Christkindlesmarkt gelegenen Bereitstellungsraums sei bei einer solch großen Veranstaltung zwingender Bestandteil des erforderlichen Sicherheitskonzeptes. Dabei stehe es der Antragsgegnerin als Veranstalterin zu, den am besten geeigneten Platz festzulegen und Plätze für eine zum Infektionsschutz erforderliche Dezentralisierung des Marktes nach eigenen Überlegungen und Planungen festzulegen.
Die Verlegung der Versammlung beeinträchtige den Versammlungsanmelder in seinem Versammlungsrecht nicht in unverhältnismäßiger Weise. Die Verlegung sei geeignet, den Christkindlesmarkt sicher durchzuführen. Der Verlegung sei erforderlich, da der Christkindlesmarkt aus Infektionsschutzgründen dezentralisiert werden müsse und der S* … Platz als Bereitstellungsraum erforderlich sei. In dieser Nähe gebe es keinen gleich geeigneten anderen Platz. Die Verlegung sei angemessen. Das Klimacamp könne an anderer Stelle ebenso durchgeführt und nach Beendigung des Christkindlesmarktes auf dem S* … Platz neu angemeldet werden. Der Umzugsaufwand könne dem nicht entgegengehalten werden, da die Anmelder gewusst hätten, dass der S* … Platz regelmäßig für andere Veranstaltungen genutzt werde und sie das Klimacamp anders hätten ausgestalten können.
Die Vorschläge der Anmelder, das Klimacamp auf den H* …markt zu verlegen, in den Christkindlesmarkt zu integrieren oder die Aufbauten des Klimacamps für Marktzwecke zu nutzen, seien nicht annehmbar. Die Antragsgegnerin könne als Veranstalterin die Größe und Belegung des Christkindlesmarktes planen und regeln. Der H* …markt sei durch den Christkindlesmarkt unter Berücksichtigung der erforderlichen Verkehrsflächen und des Sicherheitskonzeptes ausgeschöpft, alle Standflächen seien vergeben. Das Klimacamp sei auch eine marktfremde Belegung (vgl. § 68 Abs. 1 GewO). Nach § 2 Abs. 5 der Jahrmarktsatzung seien auf dem Christkindlesmarkt unter anderem politische Veranstaltungen verboten. Darunter fielen auch politische Aufmachungen an Marktständen. Die Nutzung der Aufbauten des Klimacamps für Marktzwecke könne keinem Marktbeschicker vorgeschrieben werden. Die Aufbauten des Klimacamps entsprächen nicht den Vorgaben an Größe und Gestaltung der Marktstände (§ 10 Abs. 1 und 5 Jahrmarktsatzung).
2. Der Antragsteller ließ am 4. Oktober 2021 Klage gegen Ziffer 2.9 und andere Ziffern des Bescheides erheben und beantragte am 7. Oktober 2021 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes unter anderem, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 4. Oktober 2021 gegen die Ziffern 2.9 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. September 2021 wiederherzustellen.
Zur Antragsbegründung führte der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass Art. 8 Abs. 1 GG auch das Selbstbestimmungsrecht über Anlass, Ort und sonstige Modalitäten der Versammlung beinhalte. Hinsichtlich Ziffer 2.9 fehle es bereits an der erforderlichen tatsachenbasierten unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Nach der Beschränkung selbst stehe überhaupt nicht fest, dass der S* … Platz für den Christkindlesmarkt in Anspruch genommen werden solle. Ob und wie der Christkindlesmarkt stattfinden könne, stehe derzeit angesichts der Pandemielage nicht fest. Darüber hinaus sei die Erforderlichkeit von der Antragsgegnerin nicht ausreichend dargelegt worden. Als geeignete Bereitstellungsflächen für die Einsatz- und Rettungskräfte kämen in Betracht die Parkplätze auf dem O* …markt in Höhe der O* …gasse (ca. 25 Pkw), die Standplätze auf dem O* …markt zwischen H* …markt und E* …gasse und der E* …platz. Die ersten beiden Plätze befänden sich in größerer Nähe zum H* …markt als der S* … Platz. Auch die neben dem Klimacamp verbleibende Fläche des S* … Platzes könne als Bereitstellungsfläche ausreichen. Selbst wenn die Versammlungsfläche als Bereitstellungsfläche benötigt werde, sei die Verlegung mangels Festsetzung eines Alternativstandortes unverhältnismäßig. Eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Ortswechsels sei nicht möglich. Im Sinne des vorsorgenden Grundrechtsschutzes müsse unterstellt werden, dass die Antragsgegnerin nur einen für die Zwecke der Meinungskundgabe ungeeigneten Ort (z.B. am Stadtrand) zur Verfügung stellen werde. Schließlich sei Satz 2 der Ziffer 2.9 eine auflösende Bedingung im Sinne von Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG: Eine Bedingung mache den Eintritt oder Wegfall einer Vergünstigung oder Belastung vom ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig. Der Eintritt des zukünftigen Ereignisses müsse aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Beteiligten gleichermaßen ohne weiteres erkennbar sein, was bei Tatsachen der Fall sei, nicht aber bei zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörenden Vorstellungen (BVerwG, U.v. 16.6.2015 – 10 CS 15/14 – BVerwGE 152, 211 Rn. 12). Ob der Platz für den Christkindlesmarkt benötigt werde sei aber keine von der Außenwelt wahrnehmbare Handlung, Erklärung oder Geschehnis. Da die Inanspruchnahme noch nicht sicher feststehe, sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin Ziffer 2.9 Satz 1 nicht ohne Satz 2 erlassen hätte. Mangels Teilbarkeit sei die Regelung in Ziffer 2.9 insgesamt rechtswidrig.
3. Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2021, den Antrag abzulehnen und änderte Ziffer 2.9 dahingehend ab, dass das Klimacamp spätestens mit Ablauf des 25. November 2021 bis zur Beendigung des Christkindlesmarktes am 24. Dezember 2021 den S* … Platz als Versammlungsort verlassen müsse.
Nunmehr stehe fest, dass der Christkindlesmarkt in angepasster Form mit einem dezentralen Konzept durchgeführt werde und die Fläche am S* … Platz als Bereitstellungsfläche für Rettungskräfte zur Verfügung stehen müsse. Die entsprechende Bewertung ergebe sich zwingend aus den Stellungnahmen der Arbeitsgemeinschaft der … Hilfsorganisationen, der Polizei und der Feuerwehr in der Sicherheitsbesprechung zum … Christkindlesmarkt vom 14. Oktober 2021.
Die Antragsgegnerin verwies zunächst auf die beigefügte Stellungnahme des Marktamtes vom 23. August 2021 (Bl. 272 Behördenakt), die folgende Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft … Hilfsorganisationen wiedergibt: Im Fall eines Großeinsatzes (Massenanfall von Verletzten) würden ca. 140 bis 160 Fahrzeuge des Rettungsdienstes und Katastrophenschutzes zum Einsatz kommen. Die Kräfte aus …, …, …, … usw. würden den Bereitstellungsraum 2 O* …markt ansteuern, die Kräfte aus …, …, …, …, …, …, … usw. den Bereitstellungsraum 3 S* … Platz. Der Bereitstellungsraum 1 R* …platz könne nur wenige Fahrzeuge aufnehmen und sei als Durchfahrtsstrecke stark beansprucht. Der S* … Platz sei in der … Altstadt der einzige ausreichend große Platz für die Aufstellung der Rettungsdienst- und Katastrophenfahrzeuge. Bei Belegung durch das Klimacamp sei nur eine Durchfahrt möglich. Vom S* … Platz aus seien die Verletztenablagen im Rathaus, der …kriche usw. gut erreichbar.
Zusätzlich hätten in der Sicherheitsbesprechung für den Christkindlesmarkt am 14. Oktober 2021 die … Hilfsorganisationen, Polizei und Feuerwehr eine Freihaltung des S* … Platzes für unverzichtbar erklärt. Eine Anfahrt von Rettungskräften erfolge im Falle eines Großschadensereignisses überregional. Für die anrückenden Einsatzkräfte aus Nachbarstädten und -landkreisen müssten entsprechend situierte Bereitstellungsräume in der Altstadt geplant werden. Die Polizei habe insbesondere auf den Wegfall von Sammelflächen auf der Insel … durch die diesjährige dezentrale Durchführung des Christkindlesmarktes hingewiesen. Auch aus Sicht der Feuerwehr sei der Bereitstellungsplatz am S* … Platz unverzichtbar, da andere Bereitstellungsflächen eher „nur“ als reine Aufstellflächen für Einsatzfahrzeuge dienen könnten. Allein die große zusammenhängende Fläche auf dem S* … Platz ermögliche eine freie Bewegung. Auch für eine etwaig notwendige Hubschrauberlandung würde nur der S* … Platz hinreichend Fläche bieten. Die vom Antragsteller genannten Alternativen seien keine solche, da der E* …platz kumulativ notwendig und bereits verplant, der O* …markt kumulativ zum S* … Platz als Bereitstellungsfläche erforderlich sei und die O* …gasse und die E* …gasse aufgrund ihres engen Zuschnitts nicht geeignet seien. Die örtliche Nähe des S* … Platzes zu den am Rathaus situierten Einsatzleitungen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst machten diesen unverzichtbar. Die Verlegung schließe die spätere Rückkehr auf den S* … Platz nicht aus. Dass die Durchführung der Versammlung generell gewichtiger sei als die Durchführung des Christkindlesmarktes, der aus Sicht des Antragstellers „Kommerz“ darstelle, könne nicht nachvollzogen werden. Hier konkurrierten die Versammlungsfreiheit des Antragstellers und der Versammlungsteilnehmer mit den Grundrechten der Marktbeschicker (Art. 12, Art. 14 GG) und der Besucher des Christkindlesmarktes (Art. 2 Abs. 1 GG). Bei der Freihaltung des S* … Platzes als Bereitstellungsfläche gehe es mittelbar auch um den Schutz des Lebens und der Gesundheit Dritter (Art. 2 Abs. 2 GG).
4. Mit Schriftsätzen vom 21. Oktober 2021 erklärte der Antragsteller das Verfahren in Bezug auf die Beschränkung des Versammlungsortes in Ziffer 2.9 des Bescheides für erledigt, da die Antragsgegnerin die Regelung im Laufe des Verfahrens abgeändert habe. Die Antragsgegnerin stimmte der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom gleichen Tage zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit hinsichtlich der Ziffer 2.9 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. September 2021 übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren ist daher analog § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO insoweit deklaratorisch einzustellen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erfolgt gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands.
Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne Erledigung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre und den somit die Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO getroffen hätte (BVerwG, B.v. 24.4.2019 – 2 B 49.18 – juris Rn. 2; B.v. 16.11.2018 – 10 C 9.17 – juris Rn. 2). Danach hat vorliegend der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu 70% zu tragen, die Antragsgegnerin zu 30%.
Der Antragsteller hätte ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses, das von den Beteiligten in der Abänderung des Beginns der Ortsverlegung vom 1. November 2021 auf den 25. November 2021 gesehen wird, mit seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 2.9 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. September 2021 voraussichtlich obsiegt. Vor dem 25. November 2021 hätte kein Nutzungskonflikt hinsichtlich des S* … Platzes zwischen dem Klimacamp und dem Christkindlesmarkt bestanden, sodass die Ortsverlegung insoweit nicht erforderlich und damit rechtswidrig gewesen wäre.
Hinsichtlich der Zeit ab dem 25. November 2021 bis zur Beendigung des Christkindlesmarktes am 24. Dezember 2021 wäre die angeordnete Räumung des S* … Platzes hingegen wohl rechtmäßig gewesen und hätte der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung voraussichtlich keinen Erfolg gehabt.
Die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG gewährt dem Veranstalter und den Versammlungsteilnehmern das Recht der freien Wahl des Versammlungsortes (BVerfG, B.v. 12.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 17). Bei mehreren zeitlich und örtlich miteinander konkurrierenden Versammlungen ist nach dem Prioritätsprinzip grundsätzlich der zuerst angemeldeten Versammlung der Vorrang einzuräumen. Jedoch können gewichtige Gründe eine Abweichung vom Prioritätsprinzip legitimieren, z.B. die besondere Bedeutung des Ortes und des Zeitpunkts für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks oder das Zahlenverhältnis der Teilnehmer der betroffenen Versammlungen (BVerfG, B.v. 6.5.2005 – 1 BvR 961/05 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 16.9.2015 – 10 CS 15.2057 – juris Rn. 20; OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.11.2006 – OVG 1 S 143.06 – juris Rn. 14; Schneider in BeckOK, GG, 48. Ed. Stand: 15.08.2021, Art. 8 Rn. 55). Tendenziell wird die freie Ortswahl des Veranstalters mit zunehmender Dauer seiner Versammlung am selben Ort eine graduelle Schwächung gegenüber anderen Versammlungen erfahren (Schneider in BeckOK, GG, 48. Ed. Stand: 15.08.2021, Art. 8 Rn. 55.1). Diese für konkurrierende Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG entwickelten Grundsätze dürften in ähnlicher Form auch bei konkurrierenden Veranstaltungen, die nicht dem Versammlungsbegriff unterfallen, Anwendung finden.
Vorliegend befindet sich das Klimacamp seit 3. September 2020 auf dem S* … Platz in … Aktuell belegen die Aufbauten der Versammlung die südliche Hälfte des Platzes (siehe Plan zum Bescheid vom 2. September 2021). Vom Freitag vor dem ersten Adventssonntag, sprich dem 26. November 2021, bis zum 24. Dezember 2021 findet in … auf dem H* …markt der Christkindlesmarkt statt. Zum Christkindlesmarkt gehören der Markt der Partnerstädte auf dem R* …platz (ca. 50 m vom H* …markt). Parallel wird auf dem H* …Platz (ca. 170 m vom H* …markt) die Kinderweihnacht betrieben. Das Sicherheitskonzept für den Christkindlesmarkt beinhaltet die Vorhaltung von Bereitstellungsräumen für Einsatz- und Rettungskräfte. Auf der bisher zu diesem Zweck genutzten Insel … (ca. 300 m vom H* …markt) sollen dieses Jahr zur Entzerrung der Märkte aus Infektionsschutzgründen Markteile aufgebaut werden. Dementsprechend soll die Bereitstellungsfläche von der Insel … auf den S* … Platz (ca. 190 m vom H* …markt) verlegt werden.
Laut Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft … Hilfsorganisationen (ARGE HiOrg), die bereits in der Stellungnahme des Marktamts der Antragsgegnerin vom 23. August 2021 enthalten ist (Bl. 272 Behördenakte) und in der Sicherheitsbesprechung für den Christkindlesmarkt am 14. Oktober 2021 wiederholt wurde (Stellungnahme des Markamtes vom 15. Oktober 2021, Anlage zur Antragserwiderung), ist der S* … Platz in der … Altstadt der einzige ausreichend große Platz für die Aufstellung der Rettungsdienst- und Katastrophenfahrzeuge. Der vom Antragsteller als Alternative vorgeschlagene O* …markt zwischen O* …gasse und E* …gasse dient bereits als Bereitstellungsfläche für die Einsatz- und Rettungsfahrzeuge, die im Fall eines Großeinsatzes aus dem …, …, …, … usw. anrücken würden. Der ebenfalls vorgeschlagene E* …platz stellt laut Erklärung der Feuerwehr in der Sicherheitsbesprechung aufgrund der Entfernung zum H* …markt keine geeignete Alternative dar. Weiter wird der S* … Platz laut Feuerwehr ggf. als Hubschrauberlandeplatz benötigt.
Mithin besteht für die Zeit der geplanten Durchführung des Christkindlesmarktes ein Konflikt zwischen der Nutzung der Hälfte des S* … Platzes durch das Klimacamp und der Nutzung des S* … Platzes als Bereitstellungsfläche für Einsatz- und Rettungsfahrzeuge im Rahmen des Sicherheitskonzepts für den Christkindlesmarkt. Eine parallele Nutzung als Versammlungsfläche für das Klimacamp und als Bereitstellungsfläche scheidet aus. Laut ARGE HiOrg (Bl. 272 Behördenakte) würden im Fall eines Großeinsatzes (Massenanfall von Verletzten) die Einsatz- und Rettungsfahrzeuge aus …, …, …, …, …, …, … usw. in den Bereitstellungsraum auf dem S* … Platz geleitet werden. Durch die Belegung des S* … Platzes durch das Klimacamp wäre nur noch eine Durchfahrt möglich. Tatsächlich nimmt die Versammlung die südliche Hälfte des Platzes in Anspruch, sodass nur noch knapp die Hälfte des Platzes frei ist und die Fahrzeuge im Fall eines Einsatzes um das Camp herumfahren müssten, um zum südlich gelegenen H* …markt zu gelangen. Mithin kann der bestehende Nutzungskonflikt nur zu Gunsten einer Veranstaltung gelöst werden.
Zwar handelt es sich beim Christkindlesmarkt nicht um eine konkurrierende Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern um eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin im Sinne des Art. 21, 24 GO und einen Spezialmarkt nach § 68 GewO (§ 1 Abs. 1 der Satzung über die Jahr- und Spezialmärkte der Antragsgegnerin [JahrMS] vom 9. Oktober 1197 [Amtsblatt S. 456], zuletzt geändert durch Satzung vom 19. März 2010 [Amtsblatt S. 88]). Jedoch stehen auch hinter dieser Veranstaltung schützenswerte Rechtspositionen: Zum einen das Selbstverwaltungsrecht der Antragsgegnerin gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 1 BV, in dessen Ausübung sie den Christkindlesmarkt zum sozialen und kulturellen Wohl und zur Förderung des Gemeinschaftslebens ihrer Einwohner (Art. 57 Abs. 1 Satz 1 GO) betreibt. Zum anderen das von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht der Standbetreiber auf Ausübung ihres Berufes als Marktbeschicker (BVerfG, B.v. 15.8.2002 – 1 BvR 1790/00 – juris Rn. 16), das nur wahrgenommen werden kann, wenn der Christkindlesmarkt durchgeführt wird.
Der … Christkindlesmarkt hat für die Antragsgegnerin erhebliche kulturelle, touristische und wirtschaftliche Bedeutung. Die Anfänge des Marktes lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen, auf dem H* …markt findet er seit 1933 statt (https://www. … …, abgerufen am 27. Oktober 2021). Er lockt jährlich ca. 2 Mio. Besucher an und generiert einen Umsatz von ca. 180 Mio. EUR (https://www.br.de/nachrichten/bayern/ … …, abgerufen am 27. Oktober 2021). Zwar sind kommerzielle Aspekte grundsätzlich nicht geeignet, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zurückzudrängen. Vorliegend ist der wirtschaftliche Gesichtspunkt des Christkindlesmarktes aber nur einer unter mehreren.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Klimacamp seit September 2020 und damit bereits seit über einem Jahr auf dem S* … Platz stattfindet. Zwar ist die ununterbrochene Anwesenheit der Versammlungsteilnehmer auf dem S* … Platz ein Umstand, der dem Klimacamp fortwährende Aufmerksamkeit generiert und für die Darstellung seines Anliegens wichtig ist, jedoch wurde dem Recht der Veranstalter und Versammlungsteilnehmer auf freie Ortswahl durch diesen langen Zeitraum bereits umfangreich Rechnung getragen. Für eine Verlegung des Klimacamps spricht weiter, dass diese lediglich zeitlich befristet bis 24. Dezember 2021 erfolgen soll.
Die vom Klimacamp vorgeschlagenen Alternativen zur Ortsverlegung, das Klimacamp während des Christkindlesmarktes auf den H* …markt zu verlegen oder in den Christkindlesmarkt zu integrieren, kommen deshalb nicht in Betracht, weil die Fläche auf dem H* …markt laut Antragsgegnerin durch die erforderlichen Verkehrsflächen und das Sicherheitskonzept bereits ausgeschöpft ist und alle Standflächen vergeben sind. Dem hat der Antragsteller nichts entgegengesetzt. Im Übrigen würde es sich, wie die Antragsgegnerin auf Seite 19 des Bescheides ausführt, bei dem Klimacamp um eine marktfremde Belegung handeln. Auf einem Spezialmarkt werden gemäß § 68 Abs. 1 GewO durch eine Vielzahl von Anbietern bestimmte Waren feilgeboten. Das Klimacamp bietet aber keine Waren feil, sondern tut seine Meinung öffentlich kund. Außerdem sind gemäß § 2 Abs. 5 JahrMS politische Veranstaltungen auf allen Märkten verboten. Der Begriff „politische Veranstaltung“ ist nicht gesetzlich definiert. Politik ist „auf die Durchsetzung bestimmter Ziele besonders im staatlichen Bereich und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parlamenten, Parteien, Organisationen o.Ä.“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Politik). Das Klimacamp verfolgt das Anliegen, die Öffentlichkeit über die Klimakrise zu informieren und ein Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen. Damit zielt die Versammlung auf die Durchsetzung klimaschützender Maßnahmen im staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich, sodass die Versammlung zugleich eine (klima-)politische Veranstaltung darstellt. Als solche kann sie auf dem Christkindlesmarkt nicht zugelassen werden.
Auch das vom Klimacamp vorgeschlagene Stehenlassen der Aufbauten und Nutzen zu Marktzwecken ist nicht zielführend, da der S* … Platz gerade nicht als eigentliche Marktfläche, sondern als Bereitstellungsfläche für Einsatz- und Rettungsfahrzeuge genutzt werden soll. Dies erfordert aber eine vollständige Räumung des Platzes.
Nach alldem stellt sich die zeitlich befristete Verlegung des Klimacamps weg vom S* … Platz voraussichtlich als verhältnismäßiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers zur Lösung des bestehenden Nutzungskonfliktes dar.
Soweit in Satz 2 der Ziffer 2.9 bestimmt wird, dass die Versammlung bis zum angemeldeten Termin auf dem S* … Platz verbleiben kann, sofern der Platz für den Christkindlesmarkt nicht benötigt wird, handelt es sich um eine auflösende Bedingung zur Untersagung der Weiternutzung des S* … Platzes in Satz 1. Diese Nebenbestimmung ist für den Antragsteller begünstigend, da sie im Fall des Eintritts der Bedingung zum Wegfall der den Antragsteller belastenden Beschränkung des Satzes 1 führt. Insofern kann der Antragteller durch Satz 2 nicht in seinem Versammlungsgrundrecht verletzt sein.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und folgt der Empfehlung Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da die vorliegende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen hätte, wurde der Empfehlung in Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 folgend der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes angehoben.


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