Medizinrecht

Unfallversicherung: Kein Arbeitsunfall bei Tätigkeit aufgrund Sonderbeziehung

Aktenzeichen  L 7 U 356/19

Datum:
7.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36482
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 2 S. 1, § 8, § 105

 

Leitsatz

Eine Tätigkeit aufgrund eines Freundschaftsverhältnisses schließt im Regelfall gesetzlichen Unfallversicherungsschutz aus. (Rn. 26)

Verfahrensgang

S 5 U 110/15 2019-10-10 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Dies gilt auch hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheiden konnte, ist nicht begründet.
1. Streitig ist das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.10.2019, mit dem die auf Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls des Klägers am 9.4.2005 bzw der Leistungsberechtigung des Klägers nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGB VII gerichtete Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 31.10.2013 idG des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 abgewiesen worden ist.
2. Die Berufung ist nicht begründet, da die angefochtenen Entscheidungen rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Weder ein Arbeitsunfall noch ein Versicherungsfall nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGB VII können festgestellt werden.
3. Zu Recht geht das Sozialgericht davon aus, dass ein Arbeitsunfall iS des § 8 Abs. 1 SGB VII nicht festgestellt werden kann, weil der Kläger weder als Beschäftigter noch als sog „Wie-Beschäftigter“ gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Eine solche Beschäftigung des Klägers scheidet vorliegend aus, weil seine Tätigkeit (am Unfalltag bzw bis zum Unfall) Merkmale einer Beschäftigung praktisch nicht erkennen lässt und auch im Rahmen des zuletzt vom Kläger und dem Beigeladenen noch eingeräumten Bekanntschaftsverhältnisses noch erwartet werden konnte.
a) Voraussetzung einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen und mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die in einer (abhängigen) Beschäftigung zu den Haupt- und Nebenpflichten des Beschäftigten gehören könnte und deshalb beschäftigtenähnlich ist. Dabei muss die Handlungstendenz auf die Belange des fremden Unternehmens gerichtet sein (vgl BSG, Urteil vom 20.8.2019 – B 2 U 1/18 R – RdNr. 16 mwN).
b) Der Kläger wurde nicht beschäftigtenähnlich für den Beigeladenen bzw dessen Unternehmen tätig, als er die (als solche nicht erkannte) ausgehängte Leiter zur Dachluke hochstieg und dabei stürzte.
Es ist bereits nicht festzustellen, dass die unfallbringende Tätigkeit des Klägers als Arbeit zu qualifizieren ist. Der Kläger gab im Verwaltungsverfahren an, bis zum Unfallzeitpunkt keine Arbeiten verrichtet zu haben. Es ist nicht klar, aus welchen Gründen der Kläger die Leiter hochstieg. Zwar lässt er vortragen, im Rahmen der Ausübung ‚der Hilfsdienste’ verunfallt zu sein. Allerdings bleibt unklar, welcher Hilfsdienst hier gemeint sein könnte, nachdem der Beigeladene zu diesem Zeitpunkt nicht an der Dachluke stand bzw weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich ist, dass der Beigelade um Hilfe gebeten hatte. Schließlich ließ der Kläger vor dem Sozialgericht betonen, nicht verpflichtet gewesen zu sein, beim Einbau der Treppe behilflich zu sein.
Es kann aber letztlich dahinstehen, ob der Kläger ggf mit dem Besteigen der Leiter eine als Arbeit zu qualifizierende Tätigkeit begann und dies mit dem Ziel getan haben mag, damit den Fortgang des Einbaus zu befördern. Selbst wenn man hiervon ausgehen wollte, ist im nächsten Schritt nicht nachzuvollziehen, dass diese Tätigkeit hinsichtlich des Zeitpunkts und der Art ihrer Ausführung fremdbestimmt war. Erforderlich ist, dass die Tätigkeit für ein fremdes Unternehmen und mit fremdnütziger Handlungstendenz erbracht wird. Dies ist vorliegend nicht festzustellen. Der Kläger hatte (zuletzt) immer wieder betont, dass der Beigeladende für ihn tätig geworden sei. Er, der Kläger, habe Art und Umfang der Tätigkeit bestimmt und hätte auch Anordnungen zum Arbeitsablauf treffen können. Darüber hinaus weist das Sozialgericht zu Recht darauf hin, dass der Einbau der Wohnraumtreppe ausschließlich im Interesse des Klägers stand. Es ist dem Vortrag des Klägers schließlich nicht zu entnehmen, dass und ggf welche Ziele des (Unternehmens des) Beigeladenen er verfolgen wollte, als er die Leiter hochstieg. Als über den Einbau der Wohnraumtreppe im eigenen Haus hinausgehende Handlungstendenz bleibt damit im Ergebnis lediglich eine solche aus der Sonderbeziehung zwischen dem Kläger und des Beigeladenen.
c) Es spricht alles dafür, dass die Tätigkeit des Klägers im Zusammenhang mit dem Einbau der Wohnraumtreppe wegen und im Rahmen des Freundschafts- bzw Bekanntschaftsverhältnisses mit dem Beigeladenen erfolgte, wie es sich am 9.4.2005 bis zum Zeitpunkt des Unfalls darstellte.
Eine Sonderbeziehung führt dann zum Ausschluss einer versicherten „Wie-Beschäftigung“, wenn die Handlungstendenz bei Ausübung der Tätigkeit wesentlich darauf gerichtet ist, Verpflichtungen oder Erwartungen aus einer solchen Beziehung zu erfüllen (vgl Spellbrink/Bieresborn, Die Wie-Beschäftigung in der Gesetzlichen Unfallversicherung, NJW 2019, 3745).
Dabei ist zunächst zu festzustellen, dass sowohl der Umfang als auch die Qualität der Beziehung zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen im Laufe des Verfahrens durchaus unterschiedlich beschrieben wurde. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Quantität der Kontakte (zwei- bis dreimal im Monat oder alle ein bis zwei Monate) zwischen den beiden, sondern auch hinsichtlich der Qualität. Insoweit fällt insbesondere auf, dass gegenseitige Hilfestellungen (zB unentgeltliches Beflocken von T-Shirts durch Kläger für den Beigeladenen bzw Hilfe des Beigeladenen beim Reinigen der Dachrinne des Klägers) vom Kläger zu Beginn des Verwaltungsverfahrens unaufgefordert als Bestandteil seiner Beziehung zum Beigeladenen dargelegt wurden. Im weiteren Verfahren wurden gegenseitige Hilfestellungen – mit Ausnahme der dem vorliegenden Streit zugrundeliegenden – sowohl vom Kläger als auch vom Beigeladenen verneint.
Letztlich kann für die vorliegende Beurteilung unterstellt werden, dass sich der Kläger und der Beigeladene nur alle ein bis zwei Monate getroffen und sich bis zum Wohnraumtreppeneinbau am 9.4.2005 auch zu keinem Zeitpunkt gegenseitig unterstützt haben. Denn auch dies zugrunde gelegt waren zur Überzeugung des Senats evtl Hilfestellungen des Klägers für den Beigeladenen darauf gerichtet, eine entsprechende (berechtigte) Erwartung aus diesem Freundschafts- bzw Bekanntschaftsverhältnisses zu erfüllen. Der Kläger gab gegenüber der Beklagten an, den Beigeladenen aufgrund dessen ihm bekannten Fachkenntnisse gefragt zu haben, ob er seine Wohnraumtreppe einbaue. Der Beigeladene habe sich dazu bereit erklärt, dies ohne jegliche Vergütung zu tun. Es erscheint bereits lebensfremd, dass diese Vereinbarung ohne jegliche Berücksichtigung des Bekanntschafts- bzw Freundschaftsverhältnisses zwischen den beiden zustande gekommen und letztlich auch ohne eine hieraus resultierende Erwartung des Beigeladenen bzw Verpflichtung des Klägers getroffen worden sein soll. Denn selbst wenn man dies unterstellen wollte, ist davon auszugehen, dass Grundlage der (niederschwelligen) Hilfestellung durch den Kläger beim Einbau der Treppe die zwischen den beiden zumindest bestehende langjährige Bekanntschaft war, insbesondere nachdem diese durch die Bereitschaft zu einem mehrstündigen Einsatz des Beigeladenen eine entsprechende Erwartung enthalten durfte.
d) Zeigt aber die zum Unfall führende Tätigkeit nur im geringen Umfang überhaupt Merkmale einer Beschäftigung, fehlt ihr insbesondere eine fremdnützige Handlungstendenz bzw ist diese in einer Sonderbeziehung zu erkennen, kann in der Gesamtschau eine Wie-Beschäftigung nicht festgestellt werden.
4. Auch die Voraussetzungen für einen mittelbaren Versicherungsschutz des Klägers nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGB VII sind vorliegend nicht erfüllt.
Nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGB VII werden, soweit nach Satz 1 der Vorschrift eine Haftung ausgeschlossen ist, Unternehmer wie Versicherte, die einen Versicherungsfall erlitten haben, behandelt, es sei denn, eine Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Unternehmer ist zivilrechtlich ausgeschlossen. § 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII erklärt § 105 Abs. 1 SGB VII für entsprechend anwendbar, wenn nicht versicherte Unternehmer geschädigt worden sind. Nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.
Der Kläger hätte danach einen Versicherungsfall nach dem SGB VII nur dann erlitten, wenn er durch eine betriebliche Tätigkeit des Beigeladenen als Versicherten desselben Betriebes geschädigt worden wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil der Beigeladene beim Aushängen der Leiter bzw dem Einbau der Wohnraumtreppe kein Versicherter im Betrieb des Klägers war. Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladene Beschäftigter des Klägers war, liegen nicht vor. Es ist auch nicht festzustellen, dass der Beigeladene beim Einbau der Treppe für den Kläger eine Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII ausübte.
Zwar hatte der Einbau der Wohnraumtreppe für den Kläger einen wirtschaftlichen Wert. Er diente auch dem Unternehmen des Klägers – dessen Haushalt – und entsprach dessen Willen. Der Einbau war hingegen nicht auf die Belange des klägerischen Unternehmens gerichtet.
Der Beigeladene war vielmehr selbst als Unternehmer bzw unternehmerähnlich tätig geworden. Er stellte nicht etwa dem Kläger seine Arbeitskraft zur Verfügung, sondern erklärte sich bereit, am 9.4.2005 die Wohnraumtreppe für den Kläger einzubauen. So war zwischen den Beteiligten klar, dass allein der Beigeladene über die Fachkunde zum Einbau verfügte. Allein dies war schließlich nach Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren der Grund dafür, dass er den Beigeladenen fragte, ob er den Einbau machen könne. Aufgrund seiner Fachkenntnisse hat der Beigeladene schließlich die Vorgehensweise beim Einbau bestimmt. Es überzeugt schließlich nicht, wenn der Kläger nunmehr im Klage- und Berufungsverfahren vortragen lässt, dass er Art und Umfang der Tätigkeit des Beigeladenen bestimmt habe und auch Anordnungen bzgl des Arbeitsablaufs hätte geben können. Denn dies widerspricht den insoweit überzeugenderen und in Übereinstimmung mit dem Beigeladenen getätigten Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger mitgeteilt, Zeit und Dauer der Tätigkeit nicht bestimmt zu haben. Einen „richtigen Auftraggeber“ habe es nicht gegeben und hinsichtlich der Absprachen zu Zeitraum, Arbeitsmaterial usw hätten er und der Beigeladene sich „ergänzt“. Dies gilt auch hinsichtlich der Vereinbarung des Einbautermins am 9.4.2005, wozu der Kläger und der Beigeladene übereinstimmend angaben, sich kurzfristig telefonisch verständigt zu haben.
Der Beigeladene war damit selbst unternehmerisch bzw unternehmerähnlich und nicht für den Betrieb des Klägers tätig. Er hatte dem Kläger nicht die Unterstützung beim Einbau der Wohnraumtreppe, sondern den Einbau selbst zugesagt. Hierüber waren sich der Kläger und der Beigeladene am 9.4.2005 einig, weil allein der Beigeladene über die erforderliche Fachkunde verfügte. Auf dieser Grundlage besteht kein Raum für die Annahme einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit des Beigeladenen für den Kläger bzw für den vom Kläger begehrten mittelbaren Versicherungsschutz nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Darauf, ob der Beigeladene am 9.4.2005 letztlich aufgrund des Freundschafts- bzw Bekanntschaftsverhältnisses zum Kläger tätig geworden ist und auch unter diesem Gesichtspunkt hier Versicherungsschutz nach dem SGB VII ausscheidet, kommt es damit an dieser Stelle nicht weiter an.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Bei der Entscheidung, dass außergerichtliche Kosten des Beigeladenen nicht zu erstatten sind, war zu berücksichtigen, dass dieser keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist. Eine Erstattung etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen entspräche damit nicht billigem Ermessen (vgl BSG, Urteil 20.8.2019 – B 2 U 1/18 R – RdNr. 24).
6. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.


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