Medizinrecht

Untersagung der Ausübung der Heilkunde

Aktenzeichen  Au 2 K 16.1500

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144331
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2
HeilPrG § 1, § 5

 

Leitsatz

1 Die Anwendung des Kryolipolyse-Verfahrens stellt die Ausübung von Heilkunde gemäß § 5 HeilPrG dar. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Anwendung der Kryolipolyse bedarf es bereits in Bezug auf die Entscheidung, ob eine solche Behandlung im konkreten Fall begonnen werden darf und durchgeführt werden kann, ärztlicher Fachkenntnisse. Damit handelt es sich um eine – erlaubnispflichtige – Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 HeilprG. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 10. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Untersagungsanordnung ist Art. 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 LStVG. Danach kann das Landratsamt … als zuständige Sicherheitsbehörde (Art. 3 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 GDVG) die notwendigen Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden und um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben oder Gesundheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Ein solcher Fall liegt hier vor, da die Klägerin durch die Anwendung der Kryolipolyse bei Kunden mittels des Geräts „Z Lipo“ des Herstellers … GmbH gegen § 5 HeilPrG verstößt. Nach § 5 HeilPrG wird derjenige, der ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 HeilPrG zu besitzen, die Heilkunde ausübt, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (s. hierzu BGH, U.v. 22.6.2011 – 2 StR 580/10 – NJW 2011, 3591).
Ausübung der Heilkunde nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen. Wegen der mit dem Erlaubniszwang verbundenen Beschränkung der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG fallen darunter nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur solche Heilbehandlungen, die nach allgemeiner Auffassung ärztliche Fachkenntnisse erfordern und gesundheitliche Schäden verursachen können. Ärztliche Fachkenntnisse können erforderlich sein im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit oder auch schon im Hinblick auf die Feststellung, ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf, ohne dass der Patient durch die Verrichtung selbst unmittelbar Schaden nimmt. Auch Tätigkeiten, die für sich gesehen ärztliche Fachkenntnisse nicht voraussetzen, fallen unter die Erlaubnispflicht, wenn sie nennenswerte Gesundheitsgefährdungen zur Folge haben können. Dazu zählen auch mittelbare Gefährdungen, wenn durch die Behandlung ein frühzeitiges Erkennen ernster Leiden verzögert wird und die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist. Eine solche Gefahr besteht dann, wenn die in Rede stehende Heilbehandlung als eine die ärztliche Berufsausübung ersetzende Tätigkeit erscheint (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 11.11.1993 – 3 C 45.91 – BVerwGE 94, 269 m.w.N.). Je weiter sich dabei das Erscheinungsbild des Heilkunde Ausübenden von der medizinischen Behandlung entfernt, desto geringer wird das Gefährdungspotential im Hinblick auf mittelbare Gefahren. Wenn Tätigkeiten nicht mehr den Eindruck erwecken, Ersatz für eine medizinische Behandlung sein zu können, weil sie nur auf eine spirituelle Wirkung angelegt sind, unterfallen sie nicht mehr dem im Heilpraktikergesetz geregelten Erlaubniszwang (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 2.3.2004 – 1 BvR 784/03 – NJW-RR 2004, 705; BVerwG, U.v. 26.8.2010 – 3 C 28.09 – NVwZ-RR 2011, 23).
Nach der Überzeugung der Kammer, die diese unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Studien und ärztlichen Stellungnahmen sowie aufgrund des Ergebnisses der in der mündlichen Verhandlung erfolgten informellen Befragung des gemäß Art. 8, Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GDVG als amtlichen Sachverständigen im Gesundheitswesen anzusehenden Leiters des Geschäftsbereichs „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ beim zuständigen Landratsamt …, Ltd. Medizinaldirektor Dr., gewonnen hat, stellt die Anwendung des Kryolipolyse-Verfahrens durch die Klägerin mit dem Gerät „Z Lipo“ des Herstellers … GmbH die Ausübung von Heilkunde gemäß § 5 HeilPrG dar.
Bei der Anwendung der Kryolipolyse handelt es sich um eine über eine bloße kosmetische Behandlung hinausgehende Heilbehandlung, die ärztliche Fachkenntnisse erfordert und in der Lage ist, gesundheitliche Schäden zu verursachen. Ärztliche Fachkenntnisse sind hier bereits im Hinblick auf die Feststellung erforderlich, ob im Einzelfall mit einer Kryolipolyse-Behandlung begonnen werden darf. Dies ergibt sich daraus, dass die Anwendung der Kryolipolyse bei generalisierender und typisierender Betrachtungsweise mit nicht vernachlässigbaren gesundheitlichen Risiken verbunden ist, da in erheblichem Umfang eine Kryolipolyse-Behandlung ausschließende Kontraindikationen zu beachten sind. Zu diesen Kontraindikationen zählen nach den u.a. unter Bezugnahme auf die Studien von Sandhofer u.a., Kosmetische Medizin 3.13, und Hauenstein, Kosmetische Medizin 4.14, getroffenen Feststellungen des Leiters des Geschäftsbereichs „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ beim Landratsamt …, Ltd. Medizinaldirektor Dr., in der mündlichen Verhandlung insbesondere Kälte- oder Druckurtikaria, Kryoglobulinämie sowie Fettgewebs- oder Herzerkrankungen.
Nach den Ergebnissen der genannten Studie von Sandhofer u.a. („Zur Kryolipolyse in der dermatologischen Praxis, Erfahrungsbericht seit 2009“, Kosmetische Medizin 3.13) seien bei der Anwendung der Kryolipolyse erhebliche Nebenwirkungen zu beobachten, die auch einer fachärztlichen dermatologischen Nachbehandlung bedürften. Es handele sich bei der Kryolipolyse-Behandlung um eine tiefgreifende Gewebeveränderung am Organsystem Haut-Subkutis, wobei auch benachbarte Strukturen betroffen sein könnten. Als Kontraindikationen müssten ausgeschlossen werden: Hernien, Rektusdiastasen, Fettgewebserkrankungen und damit assoziierte Grunderkrankungen, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Lupus Erythematodes und andere Kollagenosen. Zu beachten seien darüber hinaus Kryoglobulinämie, Kälteurtikaria, kutane und systemische Mastozytose, alle Formen von Blutungsstörungen, neuropathische Störungen und Sensibilitätsstörungen der Haut, Gerinnungsstörungen und Therapien mit Antikoagulantien, Dermatosen mit Köbner-Phänomen, Schwangerschaft und Stillzeit, Schrittmacherimplantation sowie Lipödem. Zusätzlich seien in der Anamnese die aktuelle Medikation und allfällige Allergien zu beachten. Zusammenfassend wird konstatiert, dass die Kryolipolyse-Methode nicht in sog. medizinische Spas und Kosmetikinstitute gehöre (Sandhofer a.a.O.).
Nach der oben ebenfalls zitierten zeitlich nachfolgenden Studie von Hauenstein („Zur Kryolipolyse unter besonderer Berücksichtigung allgemeinärztlich/internistischer Risikofaktoren: Erfahrungsbericht auf der Basis von 573 Behandlungszonen bei 274 Patienten“, Kosmetische Medizin 4.14), besteht bei der Anwendung der Kryolipolyse die Gefahr des Auftretens von Kollagenosen bei einer Stimulierung der Fibroblastenbildung. Als Nebenwirkungen werden darüber hinaus u.a. Pannikulitis (einer multiple Sklerose-Patientin mit regelmäßiger Cortison-Behandlung, die diesen Umstand verschwiegen hat), Wiedererwärmungsschmerzen, Kälteschäden der Haut vergleichbar einer dermatitis solaris Stadium 2 mit langanhaltenden andauernden Pigmentstörungen, myalgieforme Beschwerden sowie Zystitis und kardiale Probleme beschrieben. Als Kontraindikationen für die Anwendung der Kryolipolyse haben nach Hauenstein alle Fettgewebeerkrankungen und die damit assoziierten Grunderkrankungen, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa u.a., zudem auch Kollagenosen, zu gelten sowie alle Erkrankungen mit schubweise chronisch entzündlichem Verlauf, insbesondere alle Erkrankungen, bei denen im weitesten Sinne mit Autoimmunprozessen zu rechnen sei. Als Kontraindikationen seien auch Hypotonie und hochakute Immunthyreoiditis mit hohen TPO-Antikörpern anzusehen. Zusammenfassend kommt die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass die Kryolipolyse, wie auch schon von anderen Autoren beschrieben, keineswegs risikolos sei. Es sei auch beim menschlichen subkutanen Fettgewebe von tiefgreifenden durch Kryolipolyse induzierten Gewebeveränderungen auszugehen im Sinne von Zellmembranveränderungen, Zelluntergang subkutaner Fettzellen sowie konsekutiven inflammatorisch entzündlichen Folgen verbunden mit einer Stimulation der Fibroblasten und ggf. immunmodulierenden Prozessen. Hierdurch könnten unerwünschte Immunvorgänge getriggert werden, z.B. im Sinne einer Pannikulitis. Offen sei die Frage, ob nach Durchführung der Kryolipolyse neben lokalen Reaktionen im Sinne einer Pannikulitis auch schubweise Verschlechterungen von chronisch entzündlichen Erkrankungen, wie z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, multipler Sklerose usw. befürchtet werden müssten. Darüber hinaus seien kälteinduzierte reflektorische Durchblutungsänderungen im Sinne einer Prinzmetal-Angina sowie die Auslösung hypotoner Krisen zu beachten. Vor jeder Behandlung seien folgende Kontraindikationen auszuschließen: Hernien, insbesondere Bauchnabelhernien, Rektusdiastasen, Erkrankungen mit veränderter Entzündungsreaktion des Körpers, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Lupus Erythematodes und andere Kollagenosen, Kryoglobulinämie, Kälteurtikaria, kutane systematische Kollagenosen, neuropathische und sensible Hautstörungen, Gerinnungsstörungen, Antikoagulantientherapie, Dermatosen mit Köbner-Phänomen, Schwangerschaft und Stillzeit sowie Schrittmacherimplantation. Zu absoluter Vorsicht sei zu raten bei allen Erkrankungen mit schubweisem Krankheitsverlauf, wie multipler Sklerose oder Krebserkrankungen, ferner bei Patienten mit immunmodulierenden Therapien, Fibromyalgie sowie Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Da selbst bei Patienten mit schwerwiegenden Grunderkrankungen eine sehr niedrige Hemmschwelle bezüglich einer Kryolipolyse-Behandlung habe festgestellt werden können, habe der Behandelnde eine besondere Verantwortung hinsichtlich Indikationsstellung und strikter Risikoselektion. Ein genereller Effekt der Kryolipolyse auf den Stoffwechsel durch Nekrosen und Entzündungsprozesse sowie reflektorische Gefäßspasmen im Sinne einer Prinzmetal-Angina müsse diskutiert und anhand weiterer Studien evaluiert werden. Kritisch sei auch eine unkontrollierte Verwendung von Kryolipolyse-Geräten in Kosmetikstudios, Fitnesszentren usw. zu sehen, da dort ein korrekter Ausschluss von Risikopatienten sowie die Diagnostik und Behandlung von Komplikationen fraglich erscheine.
Bei der Entscheidungsfindung war auch zu berücksichtigen, dass sich die Feststellungen der Studien von Hauenstein und Sandhofer u.a. in wesentlichen Punkten mit dem Ergebnis der Dienstbesprechung beim Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit den Sachgebieten „Rechtsfragen, Gesundheit und Verbraucherschutz“ der Regierungen vom 5. Juni 2013 decken, auf das seitens des Beklagten ebenfalls hingewiesen wurde. In der Niederschrift zu der Dienstbesprechung ist als Ergebnis festgehalten, dass hinsichtlich der Kryolipolyse folgende Kontraindikationen vorliegen: Stark übergewichtige Patienten, Fettgewebserkrankungen, Kälte- oder Druckurtikaria (Nesselsucht), Kryoglobulinämie (Kältekrankheit), Schwangerschaft sowie Wunden, Blutungen oder Blutversorgungsstörungen und Hauterkrankungen im Behandlungsareal. Aufgrund der Kontraindikationen liege bei einer Kryolipolyse-Behandlung ein nicht unbeträchtliches Risiko vor. Für die ordnungsgemäße Anwendung seien medizinische Fachkenntnisse erforderlich. Bei der Kälteanwendung könnten neben Blutergüssen, Hautrötungen und Taubheitsgefühlen, die innerhalb einiger Tage nachlassen würden, möglicherweise Gewebeschäden bis hin zu Nekrosen auftreten. Damit dürfte die mögliche gesundheitliche Beeinträchtigung beim Kunden eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erreichen bzw. überschreiten. Aus diesen Gründen bestehe (bei den Teilnehmern der Dienstbesprechung) Einigkeit, dass die Anwendung der Kryolipolyse eine erlaubnispflichtige Ausübung von Heilkunde darstelle. Diese Auffassung wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in einer Stellungnahme vom 13. August 2015 (Antwort auf eine Anfrage der Regierung von Schwaben vom 6. August 2015) unter Verweis auf das Ergebnis der Dienstbesprechung mit den Sachgebieten „Rechtsfragen, Gesundheit und Verbraucherschutz“ der Regierungen am 5. Juni 2013 nochmals bestätigt. Es wurde mitgeteilt, alle Regierungen und das Staatsministerium seien sich einig gewesen, dass es sich bei der Durchführung einer Kryolipolyse-Behandlung mittels eines entsprechenden Gerätes um eine erlaubnispflichtige Heilkundeausübung handle. Insofern solle ein bayerneinheitliches Vorgehen sichergestellt sein. Als Problem in der Praxis könne gelten, dass den Kreisverwaltungsbehörden schlichtweg nicht alle Fälle bekannt seien, in denen Kosmetikerinnen Kryolipolyse anbieten würden. Nach der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme von Prof. Dr. med. Peter Elsner vom 24. September 2017 wird die Auffassung, dass es sich bei der Anwendung der Kyolipolyse um eine Heilbehandlung handelt, die erlaubnispflichtig im Sinn von § 1 HeilPrG ist, auch von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft geteilt.
In dem – im Behördenakt als Ausdruck enthaltenen – Internetauftritt der Klägerin wird im Übrigen ebenfalls auf folgende zu beachtende Kontraindikationen hingewiesen: starkes Übergewicht, Schwangerschaft/Stillzeit, konstante Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten, Cortison-Langzeittherapie (ab einem Jahr) oder erhöhte Zufuhr von Cortison (über 10 mg / Tag), blutverdünnende Medikamente, kardiovaskuläre Erkrankungen (Zustand nach Herzinfarkt, Angina Pectoris, Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Patienten mit Herzschrittmachern), Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen, Diabetes im Behandlungsgebiet, Kollagenosen bzw. Bindegewebserkrankungen (z.B. Lupus Erythematodes, Sklerodermie, Dermatomyositis), Gefäßerkrankungen/Gefäßanomalien (z.B. Cutis marmorata, Kryoglobulinämie, Raynaud-Symptom, Kälteunverträglichkeit), aktive Kälte- oder Druckurtikaria (Nesselsucht), eingeschränkte Gefühlsempfindung der Haut, Hautareale mit offenen oder infizierten Wunden, Blutungen, Hämorrhagie, beeinträchtigte periphere Zirkulation oder andere Hauterkrankungen, Narbengewebe oder Hautleiden wie Ekzeme oder Dermatitis im Behandlungsgebiet, bösartige Tumore.
Vor dem Hintergrund der zu berücksichtigenden zahlreichen Kontraindikationen, deren Nichtbeachtung nach den Feststellungen des Leiters des Geschäftsbereichs „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ beim Landratsamt … in der mündlichen Verhandlung und den Ergebnissen der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten wissenschaftlichen Studien z.T. gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. Nebenwirkungen zur Folge haben können, bedarf es zur Anwendung der Kryolipolyse bereits in Bezug auf die Entscheidung, ob eine solche Behandlung im konkreten Fall begonnen werden darf und durchgeführt werden kann, ärztlicher Fachkenntnisse. Damit handelt es sich um eine – erlaubnispflichtige – Ausübung der Heilkunde im Sinn von § 1 Abs. 2 HeilprG. Da die Klägerin keine Erlaubnis nach § 1 HeilprG besitzt, liegt bei der Anwendung der Kryolipolyse durch sie ein Verstoß gegen § 5 HeilprG vor, der durch die streitgegenständliche Untersagungsverfügung grundsätzlich unterbunden werden durfte bzw. die geeignet war, der Verhütung weiterer Verstöße gegen § 5 HeilprG zu dienen.
Diese Schlussfolgerung wird auch nicht durch die von Klägerseite herangezogene Stellungnahme von Dr. med. … vom 5. September 2016 in Frage gestellt. Die dort in Bezug auf zu beachtende Kontraindikationen getroffene Feststellung, dass bei Kunden mit etwaigen chronischen Erkrankungen, wie Herz- oder Niereninsuffizienz, (ohnehin) eine ärztliche Behandlung erfolge und die Erkrankungen deshalb bekannt seien bzw. zur Sicherheit eine Bescheinigung des Hausarztes gefordert werden könne, überlässt die Beurteilung des Vorliegens einer Kontraindikation letztlich dem zu behandelnden Kunden selbst, da (nur) auf dessen Wissen über eigene Erkrankungen, dessen Angaben hierzu und notfalls auf eine zu fordernde Bescheinigung des Hausarztes abgestellt wird. Dies wird jedoch den hier zu stellenden Anforderungen nicht gerecht, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die vor der Anwendung der Kryolipolyse zu berücksichtigenden Kontraindikationen in allen Fällen den Kunden – mit exakter ärztlicher Diagnose – bekannt sind bzw. bereits behandelt werden (vgl. VG Gera, U.v. 4.12.2012 – 3 K 133/12 Ge – juris Rn. 58 ff.). Zudem kann hier nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach den Ausführungen von Ltd. Medizinaldirektor Dr. … einige ernsthafte Erkrankungen für medizinische Laien nicht ohne weiteres erkennbar bzw. den Betroffenen oft gar nicht bewusst sind, wie z.B. Niereninsuffizienz oder Diabetes. Auch das Verlangen einer Bescheinigung des Hausarztes kann insoweit nicht als ausreichend erachtet werden, da diese z.B. mangels Aktualität keinen Schutz vor einer zeitlich später erfolgenden gesundheitsgefährdenden Behandlung gewährleistet. Soweit in der Stellungnahme von Dr. med. … (dauerhafte) Folgeschäden verneint werden, widerspricht dies den Feststellungen des Leiters des Geschäftsbereichs „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ beim Landratsamt … in der mündlichen Verhandlung und den Ergebnissen der Studien von Sandmann u.a. bzw. Hauenstein und lässt den praktisch naheliegenden Fall außer Acht, dass – mangels entsprechender Angaben des Kunden – eine Behandlung trotz gegebener Kontraindikation durchgeführt wird. Aufgrund der oben dargestellten Risiken liegt bei der Anwendung der Kryolipolyse eine Heilbehandlung vor, die ärztlicher Fachkenntnisse bedarf, da ansonsten mit der konkreten Gefahr des Eintritts von nicht unerheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Behandelten gerechnet werden muss (vgl. BVerwG, U.v. 26.8.2010 – 3 C 28.09 – NVwZ-RR 2011, 23). Damit verwirklicht die Klägerin den Tatbestand der unerlaubten Heilbehandlung im Sinn von § 5 HeilPrG und der Beklagte konnte die streitgegenständliche Untersagungsverfügung grundsätzlich auf Art. 7 Abs. 2 LStVG stützen.
Die Untersagung der Anwendung der Kryolipolyse durch die Klägerin ist auch unter dem Gesichtspunkt der Ausübung des Entschließungsermessens nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Der Beklagte war nicht gehalten, vom Erlass der Untersagungsverfügung wegen der Verwendung des Geräts „Z Lipo“ der Fa. … GmbH durch die Klägerin abzusehen. Die genannten Behandlungsrisiken sind auch nicht aufgrund der Verwendung speziell dieses Gerätes zur Durchführung der Kryolipolyse-Behandlung ausgeschlossen bzw. zu vernachlässigen. Bereits die nach dem Inhalt der Gebrauchsanweisung zu beachtenden Kontraindikationen und die zur Beachtung empfohlenen Sicherheitshinweise geben hinreichend Anlass, auch bei diesem Gerätetyp von Anwendungsrisiken auszugehen. Darüber hinaus zeigt die technisch gegebene Möglichkeit, zehn verschiedene Vakuumstufen (konstant oder gepulst) sowie den Temperaturbereich zwischen 5 °C und -10 °C frei auswählen zu können, das Bestehen eines breiten Anwendungsspektrums, das bei der Anwendung des Geräts einer individuellen Abstimmung auf den jeweiligen Kunden und dessen Bedürfnisse, aber auch auf dessen Gesundheitszustand bedarf und das nach den Darlegungen von Ltd. Medizinaldirektor Dr. … allein bei nicht sachgemäßer Einstellung des Geräts bereits negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Kunden zur Folge haben kann. Deshalb lassen sich auch bei der Verwendung des Gerätes „Z Lipo“ der Fa. … GmbH die aufgezeigten Gesundheitsrisiken nicht ausschließen.
Die Ausbildung der Klägerin als Ökonomin und Pharmareferentin führt ebenfalls nicht dazu, dass die angegriffene Untersagungsverfügung unter dem Aspekt der Ausübung des Entschließungsermessens als rechtswidrig anzusehen wäre. Wie oben bereits ausgeführt, erfordert bereits die Entscheidung, ob eine Kryolipolyse-Behandlung begonnen werden darf, medizinische Fachkenntnis, die zumindest durch den Besitz einer Heilpraktikererlaubnis nachgewiesen sind. Die nach Aktenlage ersichtlichen Inhalte der Ausbildung der Klägerin lassen nicht auf das Vorhandensein zumindest vergleichbarer (medizinischer) Fachkenntnisse schließen und sind daher nicht in der Lage, mögliche Gesundheitsgefährdungen von Kunden infolge der Anwendung der Kryolipolyse auszuschließen. Die von Klägerseite dargelegte und auch im Internetauftritt angegebene Kooperation mit Dr. med. … vermag gesundheitliche Risiken ebenfalls nicht auszuschließen, da dieser nach seinen Angaben gegenüber dem Landratsamt … am 13. Oktober 2016 (Blatt 53 der Behördenakte) nicht als Beratungsarzt für die Praxis der Klägerin fungiert hat und im Übrigen letztlich die Anwenderin entscheidet, ob im Einzelfall bei Zweifelsfragen eine Kryolipolyse-Behandlung erfolgt oder ob ein Arzt hinzugezogen werden muss.
Auch Anhaltspunkte dafür, dass das Auswahlermessen durch den Beklagten rechtsfehlerhaft ausgeübt wurde, sind weder konkret vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Ein milderes Mittel zur Erreichung des Ziels der Unterbindung von Verstößen gegen § 5 HeilPrG, als die Untersagung, die nicht erlaubte Tätigkeit auszuüben, ist nicht ersichtlich. Insbesondere war es nicht veranlasst, die Untersagungsverfügung auf Fälle zu beschränken, in denen von den Kunden keine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgelegt werden kann, da – wie oben ausgeführt – auch hiermit die Anwendungsrisiken nicht verlässlich beseitigt werden können.
Die Ausübung des Entschließungs- und des Auswahlermessens bzw. Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (Art. 8 LStVG) erweist sich auch unter dem Aspekt als rechtlich nicht zu beanstanden, dass bei Tätowierern vergleichbare Gesundheitsrisiken bestehen, gegen diese aber nicht eingeschritten wird. Dazu wurde jedenfalls nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass die Risikosituation bei Tätowierern mit der Anwendung der Kryolipolyse vergleichbar ist. Die Rechtswidrigkeit der Untersagungsanordnung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der Beklagte weitere Maßnahmen zur Aufklärung der speziell mit der Anwendung des Geräts „Z Lipo“ verknüpften gesundheitlichen Risiken unterlassen hat, da die dem Beklagten hierzu vorliegenden Erkenntnisse die Untersagungsverfügung inhaltlich zu tragen vermögen. Zur weiteren Begründung der Entscheidung wird im Übrigen auf die Ausführungen im Beschluss vom 9. Januar 2017 (Au 2 S 16.1501) verwiesen.
Die Fristsetzung mit Zwangsgeldandrohung beruht auf Art. 29, 31 und 36 VwZVG und ist ebenso wie die sich aus Art. 1, 2, 6 und 10 KG ergebende Kostenentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a, § 124 VwGO).


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