Medizinrecht

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Aktenzeichen  20 O 22654/15

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27917
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 9.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.12.2015 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, de Klägerin sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 9.1.2012 entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergeben werden.
3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 445,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 30.12.2015 zu bezahlen.
4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab 30.12.2015 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 11% und die Beklagten als Gesamtschuldner 89% zu tragen.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet. Gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V. m. 115 VVG und §§ 249. 253 BGB haften die Beklagten dem Grunde nach, denn die Haftung zu 100% ist unstreitig.
Der Klägerin steht ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 9000 €, insgesamt also 10.000 € zu.
Wie sich aus dem überzeugenden Gutachten des anerkannten Gutachters Dr. S3. ergibt, ist der unfallbedingte Tinnitus der Klägerin nach wie vor vorhanden und begründet eine Invalidität aus HNO-ärztlicher Sicht von 10%. Der Sachverständige führt auch aus, dass ein Tinnitus, der ständig vorhanden ist, depressive Verstimmungen auslösen kann und somit aus psychiatrischer oder psychosomatischer Sicht eine höhere Invalidität rechtfertigen kann.
Der beauftragte psychiatrische Sachverständige, Leiter der Abteilung forensische Psychiatrie der LMU, kam sodann in seinen Gutachten, in der Anhörung und auch im Ergänzungsgutachten nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass auch die Konzentrationsstörungen und Niedergeschlagenheit der Klägerin nach dem Unfall in Zusammenhang mit dem erlittenen Tinnitus unfallbedingt sind.
Er kommt damit zu anderen Ergebnissen als die im Parallelprozess beauftragten Gutachter, die aus ihrer Warte die Unfallbedingtheit der psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin nicht bejahten.
In der Anhörung hat der Sachverständige ausgeführt, dass seiner Ansicht nach, bei der Klägerin eine teilremittierte Depression vorliegt, die unfallbedingt ist.
Das war nachvollziehbar.
Der Beklagtenseite ist zuzugeben, dass es gewichtige Gegenstimmen gegen das hier erstattete Gutachten gibt. Hierzu ist anzumerken, dass auch auf dem Gebiet der Psychiatrie ebenso wie in der Rechtswissenschaft oder der Virologie verschiedene Strömungen vertreten sind. Der im hiesigen Verfahren beauftragte Gutachter kommt unter anderer Gewichtung der von ihm getroffenen Feststellungen zu der Annahme einer unfallbedingten Depression im Gegensatz zu den im Parallelverfahren beauftragten Gutachter. Diese legen weit strengere Maßstäbe an, bevor sie zu einer Kausalität zwischen einem Unfall und einer psychischen Beeinträchtigung kommen und sind deshalb von den Versicherungen geschätzt.
Dass das Gutachten von Prof. Dr. S2. deshalb unbrauchbar ist, trifft aber nicht zu. Er hat seine Ansicht sowohl in der Anhörung als auch schließlich im Ergänzungsgutachten nachvollziehbar verteidigt.
So hat er am Ende des Ergänzungsgutachtens ausgeführt, dass aus ärztlicher Sicht davon auszugehen ist, dass durch den beschriebenen Tinnitus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine fortbestehende rezidivierende depressive Störung zur Exazerbation gebracht werden kann. Deshalb geht er nachvollziehbar davon aus, dass das zeitliche Zusammentreffen der verschlechterten psychopathologischen Befindlichkeit im Verbund mit der anzunehmenden Beeinträchtigung durch psychoreaktive Veränderungen im Gefolge des Unfallerlebens aus seiner Sicht zur Annahme einer Ursächlichkeit führt.
Ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.000 € ist angemessen, denn die Klägerin hat durch den Unfall einen Tinnitus mit Konzentrationsstörungen und depressiven Verstimmungen erlitten, was sie nachvollziehbar erheblich beeinträchtigt. Zudem musste sie sich im Rahmen der Untersuchungen im Verfahren mehrfach Hals-Nasen-Ohrenärztlichen Untersuchungen unterziehen, die nach ihren eigenen Angaben sehr schmerzhaft waren. Die Unfallfolgen sind nicht unerheblich, denn die Klägerin ist vulnerabel und leidet nach wie vor unter den Unfallfolgen, wie sich unter anderem aus ihren Äußerungen in den mündlichen Verhandlungen ergibt.
Aufgrund der Gutachten steht auch fest, dass die Klägerin einen Dauerschaden erlitten hat, nämlich den Tinnitus und die daraus folgenden psychischen Beeinträchtigungen, die inzwischen wohl zurückgegangen sein dürften im Gegensatz zum Tinnitus.
Daher ist nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin weiterer materieller Schadensersatz zustehen könnte, zum Beispiel für die Behandlung ihres Tinnitus. Der Feststellungsantrag ist somit ebenfalls begründet.
Bezüglich der weiteren geltend gemachten materiellen Schäden war der ausgeurteilte Betrag zuzusprechen. Die ersatzfähigen Kosten für das Handy wurden auf 150 € geschätzt. Die Taxikosten in Höhe von 10,10 € sind ersatzfähig. Nach einem Unfall, bei dem man einen Schock erleidet, ist es nicht zuzumuten mit der U-Bahn oder S-Bahn zu fahren. Für den Haushaltsführungsschaden von 3 Wochen Arbeitsunfähigkeit wurden lediglich 80% der verlangten Kosten angesetzt, denn eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit bedeutet nicht eine 100-prozentige Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit.
Gemäß § 249 BGB sind auch die Rechtsanwaltskosten geschuldet als Schadensersatz.
Die Zinsen sind gemäß den §§ 291,288 BGB geschuldet.
Die Kostenentscheidung beruht auf die in §§ 91,92 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 709,708 Nummer 11,711 ZPO.


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