Medizinrecht

Verkehrsunfall – Zurückverweisung wegen erheblich mangelhafter Beweiserhebung und -würdigung

Aktenzeichen  10 U 2443/17

Datum:
15.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Rom II-VO Rom II-VO Art. 17
ZPO ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Bei einem Verkehrsunfall in Italien ist wegen Art. 17 Rom II-VO jedenfalls hinsichtlich der geltenden straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten italienisches Sachrecht anzuwenden, bei dessen Beurteilung die Einholung eines Rechtsgutachtens in Betracht kommt. (Rn. 5 und 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine (erheblich) mangelhafte Beweiserhebung stellt ebenso wie eine nahezu völlig fehlende oder erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO berechtigen kann (vgl. BGH NJW 1957, 714). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 22066/15 2017-06-14 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 20.07.2017 wird das Endurteil des LG München I vom 14.06.2017 (Az. 20 O 22066/15), soweit die Klage abgewiesen wurde, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.108,55 € festgesetzt.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.
I.
Das Landgericht hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht einen weitergehenden Anspruch des Klägers auf Schadensersatz verneint. Es ermangelt einer Beweiswürdigung, von welchem Sachverhalt auszugehen ist, und der Beurteilung dieses derzeit nicht festgestellten Sachverhalts nach italienischem Recht.
1. Es fehlt eine Beweiswürdigung des Landgerichts, von welchem Sachverhalt überhaupt auszugehen ist. Der Kollisionsort ist nach dem Sachverständigengutachten in technischer Hinsicht ungeklärt. Der Unfall kann sich nicht bei der Überführung der SS 11 ereignet haben, wie der klägerische Zeuge dies behauptete. Andererseits gab dieser an, dass er wegen der Fahrbahnbegrenzung nicht weiter nach links ausweichen konnte. Ein derartiges Annäherungsverhalten hat das Gutachten nicht erörtert. Die Beklagten behaupteten, der Beklagte zu 1) habe links geblinkt, während der Beklagte zu 1) bei seiner informatorischen Anhörung angab, bereits zum Abbiegen nach rechts auf der rechten Fahrspur eingeordnet gewesen zu sein. Der Fiat Ducato wollte von hinten kommend am Beklagten zu 1) vorbeigelangen, eine Ankündigung eines Überholvorganges wird von der Klagepartei schon nicht behauptet.
2. Das Landgericht befasst sich nicht mit dem aufgrund einer Auslandsberührung (Unfallort in Italien) anzuwendenden Recht. Wegen Art. 17 der VO (EG) 864/2007 (Rom II) ist jedenfalls für die anzuwendenden straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten italienisches Sachrecht anzuwenden. Dieses ist folglich für die Beurteilung der Frage maßgeblich, ob den beteiligten Unfallfahrern Verursachungsbeiträge oder (Mit-) Verschuldensanteile vorzuwerfen sind.
II.
Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber – entgegen seiner sonstigen Praxis – aus folgenden Gründen dagegen entschieden: Eine (erheblich) mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (BGH NJW 1957, 714; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.7.2006 – 10 U 5624/05 (juris Rz. 33); NJW 2011, 396 [398] und Urt. v. 20.2.2015 – 10 U 1722/14 [juris Rz. 35]; OLG Bremen OLGR 2009, 352; OLG Hamm NJW 2014, 78 [83]; OLG Zweibrücken OLGR 2000, 221; OLG Köln NJW 2004, 521; OLG Bremen OLGR 2009, 352). Auch die vorliegend nahezu völlig fehlende oder erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellt einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (BGH NJW 1957, 714; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712).
Die durchzuführende Beweisaufnahme wäre für den Senat, da auch die erneute Anhörung der Unfallbeteiligten und Zeugen sowie die Ergänzung des technischen Gutachtens zur Klärung des Sachverhalts erforderlich wäre, um die diesbezüglichen Vorgaben für das zu erholende Rechtsgutachten zu ermitteln, umfangreich i.S.d. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO und würde den Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren Beweisaufnahme an Stelle der 1. Instanz nach vollständiger Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens zwingen.
Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil, dass eine gewisse Verzögerung und Verteuerung des Prozesses eintritt, muss hingenommen werden, wenn es darum geht, dass ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und dass den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge voll erhalten bleiben (Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.
Die Frage der Zurückverweisung wurde auch mit den Parteivertretern erörtert. Beide Parteivertreter haben hilfsweise eine Zurückverweisung beantragt.
Für das weitere Verfahren wird auf folgendes hingewiesen: Das Landgericht wird nach ergänzender Anhörung der unfallbeteiligten Fahrer in Gegenwart des Sachverständigen zu klären haben, von welchem Unfallhergang auszugehen ist und welche Vorgaben zunächst dem unfallanalytischen Sachverständigen zu machen sind, § 404 a III ZPO. Anschließend hat eine Beurteilung nach der italienischen Straßenverkehrsordnung zu erfolgen, in Betracht kommt die Erholung eines Rechtsgutachtens etwa von Prof. Dr. Dr. h.c. T. R., Institut für ausländisches und europäisches Privat- und Verfahrensrecht der Universität L., B.-straße …, L.
III.
Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., etwa VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat a.a.O.), allerdings ohne Abwendungsbefugnis.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben