Medizinrecht

Verletzung rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines Beweisantrags – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  9 ZB 19.33382

Datum:
1.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27574
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.46275 2019-05-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen der Ablehnung eines vor dem Verwaltungsgericht am 16. Mai 2019 unbedingt gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10 m.w.N.), Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 9 ZB 19.32441 – juris Rn. 4).
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass sie an einer HIV-Infektion erkrankt ist, eine lebenslange medikamentöse, antiretrovirale Therapie durch ausschließlich Genvoya oder ein vergleichbares Medikament und regelmäßige Kontroll- und Laboruntersuchungen benötigt, ein Abbruch der Behandlung oder eine unzureichende Behandlungsmöglichkeit zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zum Tode führt, ein internistisches Sachverständigengutachten einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass § 60a Abs. 2c AufenthG auch auf die Prüfung von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu übertragen sei. Die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens sei dann nicht veranlasst, wenn dem Gericht kein hinreichendes ärztliches Attest im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG vorliege und das Gericht keine hinreichenden konkreten Anhaltspunkte für eine doch erforderliche gutachterliche Befragung habe. Dem vorliegenden Attest sei zu entnehmen, dass die Klägerin einer antiretroviralen Therapie bedürfe und sich im Stadium A1 befunden habe. Ausführungen dazu, dass die Therapie nur durch das Medikament Genvoya erfolgen könne, ließen sich nicht entnehmen. Vielmehr sei im Attest sogar eine Umstellung auf ein anderes Medikament in Aussicht gestellt. Bezüglich der Erforderlichkeit von Kontroll- und Laboruntersuchungen und einer antiretroviralen Therapie lägen bereits ausreichende Erkenntnisse aus Sierra Leone vor. Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt die Klägerin vor, durch die Ablehnung des Beweisantrags sei es ihr verwehrt worden, wesentlichen Prozessstoff an das Gericht heranzutragen. Das Verwaltungsgericht habe den Beweisantrag auch nicht vollständig behandelt, weil es sich nur mit Genvoya, nicht aber mit einem vergleichbaren Medikament befasst habe. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs.
Das Verwaltungsgericht hat zwar sowohl in seinen in der mündlichen Verhandlung dargelegten Ablehnungsgründen als auch in den Entscheidungsgründen seines Urteils darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG die Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen an ärztliche Atteste nach § 60a Abs. 2c AufenthG zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2019 – 9 ZB 19.31230 – juris Rn. 4). Es hat im angegriffenen Urteil zudem ausgeführt, dass bei dem attestierten Anfangsstadium A1 im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung in § 60a Abs. 2c AufenthG nicht hinreichend fachärztlich dargelegt sei, dass und inwieweit ein Abbruch jeglicher Behandlung der Klägerin eine schwerwiegende und alsbaldige Verschlimmerung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Weise nach sich ziehen werde, dass die Abschiebung für die Klägerin bedeuten würde, sie quasi sehenden Auges einer alsbald zu erwartenden nahezu lebensbedrohlichen Situation auszusetzen. Es hat aber damit die HIV-Erkrankung der Klägerin und das eine solche Erkrankung unbehandelt zum Tode und ein Therapieabbruch zu einer stark verkürzten Lebenserwartung führt, nicht in Zweifel gezogen, sondern als gegeben unterstellt und in der Folge das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses auch mit der eigenständig tragenden Begründung verneint, dass die Klägerin nach den eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln in Sierra Leone eine antiretrovirale Therapie erhalten könne. Einer weiteren Beweisführung bedurfte es somit diesbezüglich nicht (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2014 – 8 B 15.14 – juris Rn. 8). Soweit der Beweisantrag, wohl im Hinblick auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. März 2019 an das VG Regensburg, wonach in Bezug auf das Medikament Genvoya – das die Klägerin erhält – oder einem vergleichbaren Medikament eine Versorgung als nicht sichergestellt angegeben ist, darauf abzielt, die Notwendigkeit einer antiretroviralen Therapie durch „ausschließlich Genvoya oder ein vergleichbares Medikament“ zu beweisen, hat das Verwaltungsgericht in seiner Begründung zur Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung sinngemäß und im Urteil noch einmal ausdrücklich darauf abgestellt, dass es sich mangels Anhaltspunkten hierfür um einen Ausforschungsbeweis handelt. Diese Einschätzung ist in Anbetracht der offensichtlichen Zielrichtung des Beweisantrags ohne weiteres auch auf mit Genvoya vergleichbare Medikamente bezogen zu verstehen und in der Sache zutreffend. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2014 a.a.O. Rn. 10). Die schlichte Behauptung der unter Beweis gestellten Tatsache genügt insofern nicht (BayVGH, B.v. 22.7.2019 – 8 ZB 19.31614 – juris Rn. 14).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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