Medizinrecht

Verpflichtung zur vorläufigen Erteilung einer Duldung und Anforderungen an fachärztliche Atteste zum Beleg der Reiseunfähikeit

Aktenzeichen  19 CE 17.657

Datum:
5.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG AufenthG § 25 Abs. 5 S. 3, S. 4, § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 2c S. 1, S. 2
ZPO ZPO § 920 Abs. 2
GG GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Legt der Ausländer fachärztliche Berichte vor, sind diese zum Beweis für eine Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Arzt, der ein Attest ausstellt, ist es untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen. ((Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 17.192 2017-03-20 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerden werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin dafür Sorge trägt, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1 medizinisch betreut und er im Zielstaat der Abschiebung an hinreichend qualifiziertes medizinisches Personal übergeben wird.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller zu 1 und 2, nach eigenen Angaben am 28. November 2004 eingereiste armenische Staatsangehörige, und die Antragsteller zu 3 und 4, ihre 2005 und 2012 in der Bundesrepublik geborenen Kinder ebenfalls armenischer Staatsangehörigkeit, begehren nach rechtskräftig negativem Abschluss der jeweiligen Asylerst- und Folgeverfahren, im Wege der einstweiligen Anordnung ihre von der Antragsgegnerin beabsichtigte Abschiebung nach Armenien zu untersagen.
Die Antragsteller zu 1 und 2 reisten am 28. November 2004 in die Bundesrepublik ein und beantragten am 8. Dezember 2004 unter Angabe falscher Personalien und Behauptung der russischen Staatsangehörigkeit Asyl, was mit Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. Januar 2005 abgelehnt wurde. Die dagegen gerichteten Klagen wurden durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2006 abgewiesen, die Berufungen durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 14. April 2011 zurückgewiesen und die Nichtzulassungsbeschwerden vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 verworfen.
Die Antragsteller zu 3 und 4 wurden am 22. Juni 2005 und am 18. September 2012 in der Bundesrepublik geboren. Der Asylantrag des Antragstellers zu 3 wurde mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 abgelehnt.
Die Antragsteller waren seit dem 26. Januar 2012 im Besitz von Duldungen. Asylfolgeanträge vom 26. und 29. Juli 2012 wurden mit Bescheiden vom 26. und 28. Juni 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, Klagen und Eilanträge gegen den Bescheid vom 28. Juni 2016 blieben vor dem Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 und Urteil vom 23. Januar 2017 erfolglos. Der Asylantrag der Antragstellerin zu 4 wurde mit Bescheid vom 2. Juni 2016 abgelehnt.
Im September 2012 stellte sich heraus, dass die Antragsteller entgegen ihrer Angaben im Asylverfahren armenische Staatsangehörige sind. Die Antragsteller zu 1 und 2 legten am 7. November 2012 Kopien armenischer Nationalpässe, am 2. März 2015 gültige armenische Nationalpässe vor; Anträge auf Erteilung von Passersatzpapieren für die Antragsteller zu 3 und 4 wurden seitens der Antragsteller zu 1 und 2 nicht ausgefüllt.
Der Antragsteller zu 1 ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Wegen Diebstahls wurde er mit Strafbefehl vom 7. Februar 2005 zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 10 Euro verurteilt; des Weiteren wurde er mit Strafbefehl vom 22. September 2005 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 10 Euro, wegen eines weiteren Diebstahls mit Urteil des Amtsgerichts O. vom 20. April 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit Strafbefehl vom 19. Dezember 2007 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 5 Euro, wegen Bedrohung durch Urteil vom Amtsgericht O. vom 8. Oktober 2008 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 5 Euro und wegen Diebstahls durch Urteil des Amtsgerichts A. vom 21. Juni 2010 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.
Der Antragsteller zu 1 steht seit 6. März 2015 unter gesetzlicher Betreuung. Ausweislich eines hausärztlichen Attestes vom 16. Januar 2014 leidet er unter einer schweren Depression. Im Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Mai 2013 nach einer ambulanten Vorstellung wurde eine „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Anhaltspunkte für Eigen- oder Fremdgefährdung“ diagnostiziert. Im ärztlichen Attest des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Januar 2014 nach einem stationären Aufenthalt vom 9. Januar bis 17. Januar 2014 in der Kriseninterventionsstation wird die drohende Abschiebung für die Erkrankung prognostisch ungünstig gesehen. Laut des Attestes eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie vom 28. Januar 2014 ist der Antragsteller zu 1 zu dieser Zeit wegen depressiver Störung in Behandlung gewesen; die Wohnheimsituation sei belastend. In der amtsärztlichen Untersuchung des Gesundheitsamtes des Landratsamtes A. vom 25. Februar 2014 wird eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung diagnostiziert; der Zustand sei stabil und Reisefähigkeit gegeben. Vom 27. November bis zum 22. Dezember 2015 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung im psychiatrischen Bezirkskrankenhaus L. mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung und einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, wobei eine artifizielle Störung vermutet wurde. Der Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Februar 2016 weist eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen bei rezidivierender depressiver Störung aus. Im ärztlichen Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Februar 2016 wurde wiederum eine depressive Episode mit psychotischen Anteilen diagnostiziert; eine artifizielle Störung wurde in Erwägung gezogen bzw. nach dem letzten stationären Aufenthalt vom 27. November bis 22. Dezember 2015 vermutet. Vom 1. März bis 14. März 2016 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses A.. Ein weiterer Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses A. vom 17. März 2016 weist als Diagnosen eine depressive Störung mit psychotischen Symptomen sowie Verdacht auf artifizielle Störung aus. Anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe kein konsistentes, zu seinen angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Vom 27. September bis zum 6. Oktober 2016 folgte ein stationärer Aufenthalt im Klinikum A. wegen Gastritis und Verdacht auf Morbus Crohn.
Mit Bescheid vom 21. April 2016 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. § 25a AufenthG mit der Begründung ab, es liege keine unverschuldete Verhinderung an der Ausreise vor, es bestehe ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen lägen wegen Nichterfüllung der Passpflicht nicht vor und der Antragsteller zu 3 sei nicht als Jugendlicher im Sinne von § 25a AufenthG anzusehen. Die dagegen gerichtete Klage vom 30. Mai 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.568).
Mit Bescheid vom 23. März 2016, zugestellt am 17. Mai 2016 wurden die Antragsteller zu 1 und 2 ausgewiesen; die hiergegen gerichtete Klage vom 7. Juni 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.593).
Die im Wege der einstweiligen Anordnung am 16. Februar 2017 begehrte Aussetzung von Abschiebemaßnahmen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. März 2017 mit der Begründung ab, ein Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe nicht, da die Abschiebung nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich sei. Eine effektive Rechtsverfolgung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 bzw. § 25a Abs. 1, Abs. 2 AufenthG werde nicht erschwert, da der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und die Antragsteller nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert seien. Der Antragsteller zu 3 weise nicht das nach § 25a Abs. 1 AufenthG erforderliche Mindestalter von 14 Jahren auf. Es bestehe keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung wegen gesundheitlicher Probleme, da keine ärztlichen Bescheinigungen vorgelegt worden seien, die eine Reiseunfähigkeit belegten, und damit von der Vermutung nach § 60a Abs. 2c Sätze 1 und 2 AufenthG auszugehen sei.
Mit der Beschwerde wird unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme eines psychiatrischen Facharztes der sozialpsychiatrischen Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge vom 30. März 2017 geltend gemacht, die Abschiebungen seien wegen akuter Lebensgefahr des Antragstellers zu 1 aus gesundheitlichen Gründen unmöglich. Ein Suizid des Antragstellers zu 1 sei entsprechend der psychiatrischen Begutachtung als sehr wahrscheinlich zu beurteilen. Die Verabreichung zwingend notwendiger Medikamente sei in Armenien nicht möglich. Der Antragsteller zu 1 sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht transportfähig. Die Suizidgefahr begründe eine Kindeswohlgefährdung. Das Fehlverhalten einer jahrelangen Identitätstäuschung sei wegen der gesundheitlichen Probleme nicht mehr für das Abschiebungshindernis ursächlich; das Verhalten sei im Lichte der psychischen Erkrankung zu betrachten.
Die Antragsteller beantragen,
unter Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Antragsgegnerin vorläufig zur Erteilung einer Duldung und zur Aussetzung von Abschiebungsmaßnahmen zu verpflichten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin verweist auf die jahrelange Identitätstäuschung der Antragsteller sowie die Nichterfüllung der Passpflicht und der Mitwirkungsverpflichtung. Das ärztliche Gutachten vom 30. März 2017 behandle entgegen des sozialmedizinischen Gutachtensauftrages durch das Sozialgericht ausschließlich die Frage einer möglichen Abschiebung, sehe die Ursache der Erkrankung in der behördlicherseits aufrecht erhaltenen Belastungssituation und stütze sich auf Informationen eines Helferkreises. Soweit der Gutachter die Erforderlichkeit einer stationären psychiatrischen Behandlung attestiere, sei verwunderlich, dass der u.a. für die Gesundheitsfürsorge gerichtlich bestellte Betreuer eine solche psychiatrische Unterbringung nicht veranlasse. Dies nähre die Vermutung, dass es nicht um eine möglichst zeitige Therapie der geltend gemachten Erkrankung, sondern um eine „Konservierung“ eines Krankheitsbildes zum Schutz vor Abschiebung gehe. Die Attestierung, eine Abschiebung sei aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, berücksichtige nicht die Möglichkeiten der Gesundheitsfürsorge und -sicherung von mit Suizidalität bedrohten Personen im Rahmen des Abschiebungsvorgangs. Dem Antragsteller zu 1 könnten alle benötigten Medikamente auch für einen längeren Zeitraum im Zielstaat mitgegeben werden. Vor Vollzug einer Abschiebung werde eine amtsärztliche Untersuchung der Reisefähigkeit erfolgen. Die Abschiebung werde durch medizinisches Begleitpersonal flankiert. Ein vom Sozialgericht in Auftrag gegebener ärztlicher Untersuchungsauftrag zum Behinderungsgrad des Antragstellers zu 1 sei planmäßig zum Zweck der Verhinderung einer Abschiebung missbraucht worden. Das ärztliche Gutachten sei entgegen von § 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG der Antragsgegnerin nicht unverzüglich vorgelegt worden.
II.
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Erteilung einer Duldung oder zum vorläufigen Absehen von einer Abschiebung abgelehnt hat.
Es ist kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) des Antragstellers zu 1 ist durch das im Beschwerdeverfahren vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 30. März 2017 nicht widerlegt (1.). Im Übrigen wäre selbst dann, wenn eine Suizidgefahr glaubhaft gemacht worden wäre, nicht zwangsläufig von einem krankheitsbedingten Abschiebungshindernis auszugehen; vielmehr genügt die Ausländerbehörde durch die von ihr angekündigten und vom Senat als Maßgaben in den Beschlusstenor aufgenommenen Sicherheitsvorkehrungen (wie die medizinische Begleitung im Abschiebungsvorgang und medikamentöse Versorgung für einen längeren Zeitraum im Zielstaat) ihrer Schutzpflicht, einer Suizidgefahr wirksam zu begegnen (2.).
1. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17; B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953; B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Wegen der Bindungswirkung nach § 42 AsylG der vorliegenden asylrechtlichen Entscheidungen betreffend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG können im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Betracht kommen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953). Nach den rechtskräftigen Urteilen des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2017 und den somit bestandskräftigen Bescheiden des Bundesamtes vom 28. Juni 2016 und 1. Juli 2016 droht den Antragstellern, insbesondere dem Antragsteller zu 1 keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Armenien. Danach sind depressive Störungen mit psychotischen Symptomen in Armenien bei kostenloser medizinischer Behandlung auf gutem Standard behandelbar. Damit geht der Beschwerdevortrag hinsichtlich einer fehlenden Krankenversicherung im Heimatland und der Verfügbarkeit von Medikamenten ins Leere, da er sich mit der Situation des Antragstellers nach erfolgter Abschiebung in seine Heimat und der ihn dort erwartenden medizinischen und sonstigen Situation befasst.
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 –) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen enthalten, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer fachärztliche Berichte vor, sind diese zum Beweis für eine Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7).
Der Zweck der gesetzlichen Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.) folgendermaßen umschrieben: „Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind. (…) Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 (die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf § 60 Abs. 7 AufenthG) darstellen. (…) Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert (…). Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren.“
Die von der Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 genügt diesen Anforderungen nicht hinreichend. Zwar handelt es sich bei Dr. F., dem Ersteller des Gutachtens, um einen Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie, so dass von der erforderlichen ärztlichen Qualifikation auszugehen ist. Gleichwohl ist das Gutachten vom 30. März 2017 keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG und somit keine taugliche Grundlage für eine Beschwerdestattgabe. Es leidet an einer Vielzahl von fachlichen Mängeln. Dieser Umstand, das Tätigwerden des Gutachters im Rahmen einer „Sozialpsychiatrische Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge“ sowie die Entstehungsgeschichte des Gutachtens erlauben es auch nicht, von einer Unvoreingenommenheit des Gutachters auszugehen. Wenngleich die fachärztliche Begutachtung vom 30. März 2017 anlässlich einer vom Sozialgericht beschlossenen sozialmedizinischen Beweiserhebung zum Grad der gesundheitlichen Einschränkungen im Sinne einer Behinderung erfolgte, bewegt sich die Begutachtung aber völlig außerhalb des vom Sozialgericht gestellten Beweisthemas und befasst sich ausschließlich mit den gesundheitlichen Konsequenzen einer drohenden Abschiebung. Das Gutachten ist insoweit als ein im Auftrag des Antragstellers zu 1 erstelltes Privatgutachten der Partei anzusehen. Die gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 sieht die bevorstehende Abschiebung als Ursache der Ausbildung eines depressiven Syndroms schweren Ausmaßes mit psychotischen Symptomen und Suizidandrohungen. Das psychische Störungsbild sei aufgrund der behördlich aufrechterhaltenen Belastungssituation therapieresistent. Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass das Krankheitsbild aus der Sicht des Antragstellers zu 1 mit sekundären Vorteilen verbunden und deshalb therapieresistent ist, erfolgt seitens des Gutachters nicht. Das Gutachten lässt nicht erkennen, welche ärztlichen Vorbefunde mit einbezogen wurden, vielmehr wird lediglich behauptet, es liege „unzweifelhaft“ eine schwere depressiv-suizidale Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen vor. Die Exploration stützt sich maßgeblich auf die Angaben der Anwesenden, insbesondere des gesetzlichen Betreuers und Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu 1. Somatische Beschwerden des Antragstellers zu 1 wie Hyperventilieren, Herzbeschwerden und Atemnot werden wiedergegeben und beschrieben, ohne dass hierzu medizinische Untersuchungen dokumentiert sind. Auch die angeführte psychotische Symptomatik in Form von paranoiden Phänomenen durch Verfolgungsideen und akustischen Halluzinationen stützt sich ausschließlich auf die vom Patienten angegebene Kommunikation mit einem „weißen Stein“.
Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass eine artifizielle Störung vorliegt, ist dem Gutachten vom 30. März 2017 nicht zu entnehmen. Zufolge Nr. F68.1 der ICD-10 werden bei der artifiziellen Störung körperliche oder psychische Symptome oder Behinderungen absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht; alternative Bezeichnungen sind „Münchhausen-Syndrom“ und „Hospital-hopper-Syndrom“. Hierzu hätte aufgrund der Vorbefunde ein gewichtiger Anlass bestanden. Nach einem stationären Aufenthalt vom 1. März bis zum 14. März 2016 in der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie in A., in dem sich der Antragsteller zu 1 seit dem 22. Januar 2016 in kontinuierlicher Behandlung befunden hat, führte der behandelnde Arzt im Arztbrief vom 17. März 2016 aus, anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe im Verlauf kein konsistentes, zu den angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Eine artifizielle Störung ist darüber hinaus auch schon vom Bezirkskrankenhaus L. nach dem stationären Aufenthalt vom 27. November 2015 bis 22. Dezember 2015 sowie im Bericht vom 29. Februar 2016 vermutet worden. Diese Vorbefunde beruhen überwiegend auf mehrwöchigen stationären Beobachtungen und somit auf einer breiten Befunderhebung, der die Befunderhebung des Gutachters vom 30. März 2017 nicht annähernd gleichwertig ist. Die Vorbefunde stehen darüber hinaus mit der Tatsache im Einklang, dass die Krankheitserscheinungen in der Bundesrepublik erst zu einem Zeitpunkt begonnen haben, zu dem eine Aufenthaltsbeendigung erstmals ernsthaft betrieben worden ist, und dass sie in der seither vergangenen Zeit, in der die Behörde ihre Bemühungen fortgesetzt hat, therapieresistent gewesen sind.
Die „unzweifelhafte“ Annahme der vom Gutachter gestellten Diagnose hat somit keine tragfähige Grundlage. Nach den Ausführungen des medizinischen Gutachters ist aufgrund der „zweifellos“ bestehenden Eigengefährdung, der instabilen Gesamtsituation, der anhaltenden psychiatrischen Therapieresistenz nicht von einer Transportfähigkeit auszugehen. Wegen des vorangegangenen Verweises auf defizitäre Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat (Belege für diese Annahme werden nicht genannt; der Gutachter beruft sich insoweit auf Angaben eines Helferkreises) erscheint darüber hinaus bereits unklar, ob der Begriff der „Transportfähigkeit“ tatsächlich im Sinne einer Reisefähigkeit im engeren Sinn gebraucht wurde. Die in der gutachterlichen Stellungnahme aufgestellte Behauptung, von einer Transportfähigkeit sei nicht einmal in Ansätzen auszugehen, lässt jedenfalls nicht erkennen, weshalb die depressive Störung mit den aufgeführten Symptomen eine Transportunfähigkeit (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) – auch unter begleitenden Vorsorgemaßnahmen – bewirken soll (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Die wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) wird unter Verweis auf Angaben des unterstützenden Helferkreises zur Möglichkeit einer Krankenversicherung im Heimatstaat und der Erhältlichkeit der Medikamente – und entgegen der bestandskräftigen Feststellungen des Bundesamtes – durch das fachärztliche Attest ebenfalls lediglich behauptet. Der Gutachter stellt keinerlei Erwägungen zu möglichen Sicherungs- und Begleitmaßnahmen an, mit Hilfe derer einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Abschiebungsvorgangs und nach Ankunft im Zielstaat begegnet werden könnte. Ungeachtet der Einbettung des Antragstellers zu 1 in familiäre Strukturen wird behauptet, es bestünden keine stabilisierenden oder präventiven Parameter, die das schwere psychische Störungsbild aufgrund der anhaltenden existentiellen und bedrohlichen Gesamtsituation in irgendeiner Weise deeskalierend beeinflussen könnten. Insgesamt ist auch für die Behauptung, dass bei Aufrechterhaltung der Abschiebebestrebungen ein Suizid des Patienten sehr wahrscheinlich sei, eine hinreichende Grundlage nicht zu erkennen, zumal trotz angenommener Eigengefährdung und der vom Gutachter gestellten Indikation zur stationären psychiatrischen Behandlung weder seitens des Arztes noch seitens des für die Gesundheitsfürsorge bestellten gesetzlichen Betreuers ein solcher stationärer Aufenthalt in die Wege geleitet worden ist. Die pauschale Negierung einer Transportfähigkeit in der ärztlichen Bescheinigung vom 30. März 2017 unter Verweis auf das „unzweifelhaft“ bestehende Krankheitsbild einer schweren depressiv suizidalen Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention, besondere Anforderungen an die Validität ärztlicher Bescheinigungen gerade bei behaupteter Suizidgefahr zu stellen, ungeeignet, die Annahme einer fehlenden Reisefähigkeit im engeren Rechtssinn zu begründen.
Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 2/2016, A 1, § 60a AufenthG, Rn. 61 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 6.2.2008 – 11 S 2439/07 – juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 10).
Entsprechend der Vielzahl an ärztlichen Vorbefunden, die im Wesentlichen aus dem vielfachen Aufsuchen psychiatrischer Einrichtungen seit dem Stadium einer drohenden Aufenthaltsbeendigung resultieren und denen zufolge der Antragsteller zu 1 eine Erkrankung depressiver Art mit begrenzten Auswirkungen (in der amtsärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt am 25. Februar 2014 wurde eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung bei stabilem Zustand und bestehender Reisefähigkeit attestiert; Suizidversuche in der Vergangenheit sind nicht belegt) hat, bei der mit Wahrscheinlichkeit eine artifizielle Störung mitwirkt, und unter Berücksichtigung der seit 2015 bestehenden gesetzlichen Betreuung des Antragstellers zu 1 steht mit der Gewissheit fest, die in Fällen der vorliegenden Art zu gewinnen ist, dass der Antragsteller zu 1 eine psychische Erkrankung hat, die allerdings einer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen steht. Zusätzliche Erkenntnisse (über diejenige aufgrund mehrwöchiger stationärer Beobachtungen hinaus) sind von einer weiteren Begutachtung nicht zu erwarten. Bei dieser Art der Erkrankung ist die Antragsgegnerin gehalten, im Rahmen der von ihr erkannten rechtlichen Schutzpflicht des Staates bei der Abschiebung – als einer besonderen Belastungs- und Ausnahmesituation – einer möglichen (Eigen-) Gefährdung des Ausländers entgegen zu wirken.
2. Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer behaupteten Reiseunfähigkeit und einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, a.a.O., Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).
Die Antragsgegnerin trägt dem hinreichend Rechnung. Neben Vorkehrungen vor Selbstgefährdung im Rahmen des von medizinischem bzw. ärztlichem Personal begleiteten Abschiebungsvorgangs hat sie die Bereitstellung der erforderlichen Medikation im Zielstaat über die deutsche Botschaft auch für einen längeren Zeitraum zugesagt.
Damit genügt die Antragsgegnerin ihrer staatlichen Schutzpflicht im Rahmen des Abschiebungsvorgangs sowohl im engeren als auch im weiteren Sinne in hinreichender Weise. Eine von Antragstellerseite geltend gemachte Kindswohlgefährdung durch eine Suizidalität des Antragstellers zu 1) ist nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Angabe einer falschen Identität und Nationalität und der fehlenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung für die Kinder eine unverschuldete Hinderung an der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 3, 4 AufenthG nicht vorlag und damit auch aus anderen rechtlichen Gründen die Abschiebung nicht unmöglich ist. Ein Ausreisehindernis ist auch dann verschuldet, wenn es auf einem Fehlverhalten in der Vergangenheit beruht. Auch unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 und ihrer besonderen Art ist die Angabe einer zutreffenden Identität und Nationalität eine zumutbare Anforderung. Es widerspräche Sinn und Zweck einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausländer, der sich den Aufenthalt in Deutschland von vornherein durch Täuschung erschlichen hat, dadurch zu privilegieren, dass nach Aufdeckung der Täuschung der Aufenthalt legalisiert wird (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C-3/10 – juris Rn. 19). Im Übrigen steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Darüber hinaus teilen auch gut in Deutschland integrierte Kinder grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern (vgl. OVG Saarl, B.v. 6.10.2015 – 2 B 166/15 – juris Rn. 8).
Die Beschwerden waren somit mit den getroffenen und im Wesentlichen von Antragsgegnerseite zugestandenen Maßgaben zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung entspricht § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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