Medizinrecht

Versorgung, Leistungen, Erkrankung, Krankenhausbehandlung, Krankenhaus, MDK, Berechnung, Anrechnung, Gutachten, betrug, Vorrichtung, Klinik, Behandlung, Beurteilung, Rechtsprechung des BSG, Anspruch auf Verzinsung

Aktenzeichen  S 5 KR 336/20

Datum:
24.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17015
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte hat der Klägerin 10.528,29 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit 15.05.2018 zu bezahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Die von der Beklagte durfte vorgenommene Aufrechnung war nicht rechtmäßig. Das Gericht ist zu der rechtlichen Auffassung gelangt, dass die von der Klägerin erstellte Rechnung vom 04.11.2016 (Rechnungs-Nr.: 1-0573975) betreffend den stationären Krankenhausaufenthalt der Versicherten E. vom 15.08.2016 bis 25.08.2016 auf der Grundlage der DRG A11I (Beatmung > 249 Stunden, ohne komplexe oder bestimmte OR-Prozedur, ohne IntK > 588 / 828 / 1104 Punkte, ohne komplizierende Konstellation, Alter > 15 Jahre, ohne komplexe Diagnose oder Prozedur, ohne schwerste CC, ohne äußerst schwere CC) mit einem Gesamterlös von 22.595,54 € den gesetzlichen Vorschriften entspricht und die Klägerin mehr als 249 Beatmungsstunden der Abrechnung zugrunde legen durfte.
Die äußeren Umstände der vollstationären Behandlung der Versicherten E. sind nicht streitig. Es handelte sich um eine Versicherte, die bereits von 20.05.2016 bis 20.06.2016 von der Klägerin vollstationär behandelt wurde (anschließend in der R. Klinik) und die am 15.08.2016 „mit Einweisung durch den Notarzt bei V.a. eine Pneumonie bei zunehmender Dyspnoe und Fieber bei tracheotomierter und heimbeatmeter Patientin“ erneut stationär aufgenommen und ab 21:00 Uhr auf die „Interdisziplinäre IST“ gelegt wurde, wo sie bis zur Entlassung verblieb. Die Versicherte hatte das Heimbeatmungsgerät CARAT dabei, die Beatmung erfolgte durchgehend und ausschließlich über dieses Gerät.
Zu Unrecht verlangt die Beklagte, dass eine intensivmedizinische Beatmung der Versicherten, für die das Heimbeatmungsgerät von vorneherein nicht geeignet gewesen sei, vorliegen müsse, Die seitens der Beklagten zutreffend genannten Bestimmungen der Kodierrichtlinien 1001 bestimmen:
Die für den Zeitpunkt der stationären Behandlung (2016) maßgeblichen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) von 2013 (2013-1001/Maschinelle Beatmung) lauteten:
Für den Sonderfall von heimbeatmeten Patienten, die über ein Tracheostoma beatmet werden, ist analog zur Regelung zu intensivmedizinisch versorgten Patienten, bei denen die maschinelle Beatmung über Maskensysteme erfolgt, vorzugehen.
Aktuell lautet die Bestimmung in den DKR zur maschinellen Beatmung (2021-1001/Maschinelle Beatmung):
Bei heimbeatmeten Patienten, die über ein Tracheostoma beatmet werden, sind die Beatmungszeiten zu erfassen, wenn es sich im Einzelfall um einen „intensivmedizinisch versorgten Patienten“ handelt.
Die Definition des „intensivmedizinisch versorgten Patienten“ findet sich aktuell in den DKR 2021-1001/Maschinelle Beatmung und lautet wie folgt:
„Beatmungsstunden sind nur bei „intensivmedizinisch versorgten“ Patienten zu kodieren, das heißt bei Patienten, bei denen die für das Leben notwendigen sogenannten vitalen oder elementaren Funktionen von Kreislauf, Atmung, Homöostase oder Stoffwechsel lebensgefährlich bedroht oder gestört sind und die mit dem Ziel behandelt, überwacht und gepflegt werden, diese Funktionen zu erhalten, wiederherzustellen oder zu ersetzen, um Zeit für die Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Das Grundleiden, das die intensivmedizinische Behandlung bedingt hat, muss in diesem Zusammenhang nicht mit der Hauptdiagnose identisch sein.“
Diese intensivmedizinische Versorgung umfasst mindestens ein Monitoring von Atmung und Kreislauf und eine akute Behandlungsbereitschaft (ärztliche und pflegerische Interventionen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen unmittelbar möglich).
In den Kodierrichtlinien 2013 (2013-1001/Maschinelle Beatmung) war diese Definition noch nicht enthalten; die entsprechende Regelung lautete:
Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung”) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.
Nach dieser (letztgenannten) Fassung der Kodierrichtlinien 2013 ergibt sich bereits direkt aus dem Wortlaut der DKR-Bestimmungen, dass tracheotomierte Patienten als „künstlich beatmete Patienten“ bzw. als maschinell beatmete Patienten gelten und somit die Beatmungsstunden bzw. die Verwendung eines Beatmungsgeräts (zwingend) zur maschinellen Beatmung gezählt werden müssen.
Nach der 2021-1001/Maschinelle Beatmung) kommt es – nicht auf die intensivmedizinische Beatmung, sondern – auf die intensivmedizinische Versorgung der Erkrankten an. Die intensivmedizinische Versorgung umfasst – entsprechend der Definition der DKR – mindestens ein Monitoring von Atmung und Kreislauf und eine akute Behandlungsbereitschaft (ärztliche und pflegerische Interventionen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen unmittelbar möglich). Eine solche intensivmedizinische Behandlung ist zwar nicht bereits (lediglich formal) mit der Aufnahme einer Patientin in einer IST (hier: die Interdisziplinäre ITS der Klägerin) gegeben, es lagen aber eindeutig – und aus der Patientenakte durchgehend zu entnehmen – die Voraussetzungen einer intensivmedizinischen Versorgung der Versicherten vor. In der mündlichen Verhandlung hat der ärztliche Vertreter der Klägerin noch einmal die bei der Versicherten vorgenommenen medizinischen Monitoringmaßnahmen geschildert (Herzfrequenz-Messen, Blutdruckmessen, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Kohlendioxid in der Ausatemluft).
Das Vorliegen einer – nach den Bestimmungen der DKR verlangten – Monitoringmaßnahme hängt im Übrigen nicht davon ab, dass durchgehend digitale Aufzeichnungen zu den Maßnahmen erfolgen; es genügt die regelmäßige, engmaschige Erhebung von Gesundheitsdaten bzw. Gesundheitsparametern und deren Dokumentation in der Patientenakte. Die Voraussetzungen der DKR-Definition der intensivmedizinischen Versorgung lagen somit nachweislich vor; dies hat auch der MDK offensichtlich so gesehen und so bewertet. Einer konkret intensivmedizinischen Beatmung bedurfte es zur Erfüllung der Definitions-Kriterien nicht; es kommt daher auch nicht auf eine diesbezügliche Leistungsfähigkeit des Heimbeatmungsgeräts an.
Streitig war im Kern – darauf hat die Klägerseite hingewiesen – ob die Entwöhnungszeiten bzw. die Zeiten der Spontanatmung der Versicherten zu den Beatmungsstunden gezahlt werden können. Auch dies ist auf der Grundlage der dazu vorliegenden Rechtsprechung zu bejahen. Das BSG hat im Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – entschieden: Ein Krankenhaus darf auch ohne Entwöhnungserfolg Spontanatmungsstunden in die Beatmungsvergütung einbeziehen, wenn es versucht hat, einen Patienten methodisch gezielt von maschineller Beatmung mit mindestens täglich sechsstündiger Maskenbeatmung zu entwöhnen. Berufungsinstanz zu diesem BSG-Verfahren war das Bayerische Landessozialgericht; es hatte im Urteil vom 12.03.2019 – L 5 KR 202/18 – entschieden: Spontanatmungsstunden sind auch dann als Beatmungszeit abzurechnen, wenn der Entwöhnungsversuch bis zur Entlassung des Versicherten nicht zu einer stabilen respiratorischen Situation geführt hat.
Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Spontanatmungszeiten waren gegeben; die Klägerin hat bei der Versicherten während des gesamten stationären Aufenthalts – im Ergebnis aber ohne Erfolg – versucht, die Versicherte von der maschinellen Beatmung zu entwöhnen. Wörtlich heißt es in den Entlassungsbericht der Klägerin vom 118.11.2016 (an den Hausarzt) diesbezüglich: „Im Verlauf war während des stationären Verlaufs der stete Wunsch der Patientin nach maschineller Beatmung auffällig (bei jedoch Normwerte gern pO₂ und pCO₂ in den bestimmten Blutgasanalysen). Aufgrund dessen führten wir ein erneutes Weaning durch, so dass Frau H. (Anm. d. Ger.: Name falsch, aber der Versicherten E. eindeutig zuordenbar) zum Einlasszeitpunkt lediglich zu den Nachtstunden noch beatmungspflichtig ist. Wir empfehlen die Beatmung weiter zu reduzieren, um im Verlauf eine durchgehende Spontanatmung zu erreichen. Als Behandlungsziel ist ein Zuwachsen des Tracheostomas durchaus realistisch“. Diese Angaben decken sich mit den in der Patientenakte dokumentierten Interventionen und Beatmungszeiten der Klägerin. Die Stunden des stationären Aufenthalts der Versicherten vom 15.08.2016, 21:00 Uhr bis 25.08.2016, 8:00 Uhr sind daher als sämtlich Beatmungsstunden zu berücksichtigen; es sind 251 Stunden und damit sind die Voraussetzungen des DRG A 11I erfüllt.
Der Anspruch auf Verzinsung ergibt sich aus § 12 Nr. 1 der Pflegesatzvereinbarung 2016. Danach ist die Rechnung innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen und sind ab Überschreitung der Zahlungsfrist Verzugszinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu entrichten. Mit Verrechnung der vermeintlichen Gegenforderung durch die Beklagten ergibt sich daher ein Anspruch auf Verzinsung ab den jeweiligen Aufrechnungstagen; es ergeben sich somit drei – gesondert geltend gemachte und auch zu berücksichtigende – Verzinsungszeiträume.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung erfolgt durch gesonderten Beschluss.


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