Medizinrecht

Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  L 19 R 565/15

Datum:
9.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10510
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die fehlende Compliance hinsichtlich der Medikamenteneinnahme und -optimierung, eine nachhaltige Ablehnung einer ambulanten Psychotherapie und ein insgesamt eher nicht schwerwiegender psychischer Befund erlauben den Schluss, dass der Versicherte noch über ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen verfügt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 R 90/13 2015-06-29 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.06.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144,151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2015 die Klage als unbegründet abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 30.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2013 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sowohl für eine volle als auch für eine teilweise Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin nur bis November 2013 vor. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten übersandten Versicherungsverlauf vom 22.12.2017 sowie dem neuen Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI vom 12.03.2018. Die letzte Pflichtbeitragszeit (DEÜV) wurde für den Monat Oktober 2011 entrichtet, anschließend findet sich erst ab dem 01.12.2016 eine Zeit des Leistungsbezuges nach dem SGB II.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine durchgehende Versicherung bei der Krankenkasse (…) seit November 2010 hinweist und angibt, die Klägerin sei immer über ihren Ehemann versichert gewesen, begründet dies keine Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung. Im Übrigen ist der Auflistung der … eine zeitliche Unterbrechung nach Ende des zweiten Rentenverfahrens ab dem 13.12.2011 bis 21.08.2012 mit einer Familienversicherung als Ehegatte zu entnehmen. Am 22.08.2012 hat die Klägerin dann den hier streitigen, dritten Rentenantrag gestellt und war von der Krankenkasse wieder als Rentenantragsteller nach § 189 SGB V zu erfassen. Im Versicherungsverlauf sind Zeiten der Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 24.08.2010 bis 21.09.2011 vermerkt. Weitere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit sind nicht enthalten. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.01.2018 vorgelegten ärztlichen Atteste von Dr. G., wonach die Klägerin vom 18.02.2010 bis 03.01.2015 wegen ihrer Depression arbeitsunfähig geschrieben worden sei und danach die Arbeitsunfähigkeit von Dr. N. oder Dr. D. bestätigt worden sei, reichen nicht aus, um den Nachweis einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit zu führen. Zum einen wurde die Klägerin aus der im Jahr 2012 stattfindenden Reha-Maßnahme in B. D. als arbeitsfähig entlassen, zum anderen hat Dr. G. in einem Befundbericht vom 14.01.2016 angegeben, dass die Klägerin nur gelegentlich vorbeigekommen sei, um sich eine neue Verordnung für Schmerzmittel abzuholen. Dr. D. hat in seiner „Ärztlichen Bescheinigung“ vom 16.01.2018 lediglich angegeben, dass die Klägerin wegen eines depressiven Syndroms und eines chronischen Schmerzsyndroms dort von Anfang 2009 bis 05/2017 „in regelmäßiger Behandlung“ gewesen sei. Dies stellt keinen Nachweis für das Vorliegen von durchgehender, ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit dar, zumal von Seiten des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Januar 2014 schriftsätzlich vorgetragen wurde, dass die Klägerin von ihren Nervenärzten Dr. N. und Dr. D. nur mit stützenden Gesprächen behandelt worden sei und sich jetzt bei einer türkisch sprechenden Therapeutin in Behandlung befinde. Die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin offensichtlich nicht vor, weil die erste rentenrechtliche Zeit erst ab dem 02.11.1984 vermerkt ist. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob durch das laufende Verfahren eine Hemmung im Sinne des § 198 SGB VI eingetreten sein könnte, weil die Entrichtung freiwilliger Beiträge nicht ausreichend wäre, um die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegend zu erfüllen.
Ausgehend von dem Umstand, dass der notwendige Leistungsfall im Sinne des § 43 SGB VI spätestens am 30.11.2013 eingetreten sein müsste, ist ein Nachweis eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens der Klägerin (unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen) nicht geführt.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin zumindest bis 30.11.2013 in der Lage war, leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden waren häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten ohne entsprechende Hilfsmittel, häufiges Bücken, anhaltende Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie aus nervenärztlicher Sicht Tätigkeiten mit ständigem Zeitdruck, Akkord- oder Schichtarbeit sowie Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, mit besonderer Verantwortung für Personen und mit überwiegendem Publikumsverkehr.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. N. vom 22.10.2012, den Reha-Entlassungsbericht der R.-Klinik B. D. vom 21.06.2012, die im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten auf nervenärztlichem bzw. sozialmedizinischem Fachgebiet von Dr. N. vom 17.04.2013 sowie von Dr. O. vom 08.04.2014 sowie ihre jeweiligen ergänzenden Stellungnahmen, die alle zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen der Klägerin gelangt sind, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Ob und inwieweit im weiteren Verlauf bis heute eine Verschlimmerung oder weitere Chronifizierung der psychischen Erkrankung der Klägerin eingetreten ist und ob diese noch einer Behandlung zugänglich wäre, kann dahingestellt bleiben, weil die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur bei Eintritt des Leistungsfalles spätestens im November 2013 gegeben wären.
Zu beachten ist vorliegend, dass trotz der festgestellten psychischen Erkrankung der Klägerin zum einen das Ausmaß dieser Erkrankung nicht so gravierend gewesen ist, dass bis November 2013 für mehr als 6 Monate ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen anzunehmen gewesen wäre. Die befragten Sachverständigen haben übereinstimmend die dringende Notwendigkeit zur Durchführung ambulanter psychotherapeutischer Behandlung sowie zur Änderung der Medikation oder auch zur Durchführung stationärer psychosomatischer Behandlungen oder Reha-Maßnahmen angemahnt, die Klägerin hat aber dennoch eine entsprechende Behandlung nicht durchführen lassen. Sie hat sich geweigert, stationäre Maßnahmen – sowohl Krankenhausbehandlungen als auch psychosomatische stationäre Rehamaßnahmen – durchzuführen. Einer Änderung der Medikation bzw. ein Abbau des Schmerzmittelgebrauchs wegen bestehender Suchtgefahr stand die Klägerin ebenfalls ablehnend gegenüber. Trotz dieser Behandlungsbedürftigkeit haben die Sachverständigen übereinstimmend festgehalten, dass eine quantitative Minderung der Erwerbsfähigkeit jedenfalls noch nicht auf Dauer gesehen werden konnte, sondern den Leistungseinschränkungen der Klägerin infolge der bestehenden Erkrankung durch Beachtung qualitativer Einschränkungen Rechnung getragen werden kann. Als Diagnosen wurden depressive Verstimmungen, Dysthymie oder leichte bis vereinzelt mittelschwere depressive Episoden beschrieben.
Zum anderen hat die Klägerin trotz der von den Sachverständigen angeregten Behandlungsmaßnahmen diese nicht ausgeführt. Sie hat in größeren Abständen stützende Gespräche durch ihren behandelnden Nervenarzt erhalten, wie der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin selbst mitgeteilt hatte. Der Behandlungskontakt zur türkisch sprechenden Psychotherapeutin hat sich in einem Einmalkontakt im Dezember 2013 erschöpft. Dipl. Psych. S. S. hat in ihrer Bescheinigung vom 14.01.2014 aufgrund der Angaben der Klägerin ausgeführt, dass eine Besserung durch ambulante oder stationäre Behandlungen nicht erzielt werden könne und es der Klägerin aus psychischer Sicht nicht zumutbar sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine nennenswerte Tätigkeit auszuüben, weil dies für sie eine zusätzliche Belastung sei, die ihren Zustand weiter verschlechtern würde. Eine weitere Behandlung hat dort nicht mehr stattgefunden. Demgegenüber hat Dr. O. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10.06.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aufgrund des Reha-Entlassungsberichts der Klinik B. D. und der weiteren Berichte in der Akte sicher davon auszugehen sei, dass die Klägerin aus einer sinnvollen Beschäftigung Kraft schöpfen könnte und dass insbesondere nicht davon auszugehen sei, dass das Krankheitsbild der Klägerin bereits vollkommen ihrem Willen entglitten sei. Vielmehr sei in dem Entlassungsbericht der Klinik B. D. lediglich eine subdepressive Verstimmung beschrieben. Gegen einen erheblichen Leidensdruck der Klägerin spreche auch, dass die in B. D. begonnene Gesprächstherapie in der Muttersprache der Klägerin von ihr abgebrochen worden sei. Dass keine durchgreifende Besserung habe erzielt werden können, sei unschwer durch das laufende Rentenverfahren zu erklären.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sie sich mehrfach in stationärer Behandlung befunden habe, ist festzuhalten, dass hier entweder nachdrücklich auf fehlende Behandlungsbereitschaft der Klägerin hingewiesen wurde oder dass die Klägerin vorzeitig auf eigenen Wunsch entgegen ärztlichem Rat entlassen wurde. Erstmals hatte sich die Klägerin nach Beendigung des zweiten Rentenverfahrens (Klagerücknahme am 07.12.2011 nach nervenärztlichem Gutachten von Dr. H. im Verfahren S 16 R 869/11) am 03.05.2012 in die stationäre medizinische Rehabilitation in B. D. begeben, aus der sie aber als arbeitsfähig und mit einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen entlassen worden war. Auf bestehende Behandlungsoptionen wurde die Klägerin ausdrücklich hingewiesen. Anschließend ist ein kurzer Aufenthalt in der Klinik E. in H-Stadt 04.07. – 07.07.2012 in den Akten zu finden. Der stationäre Aufenthalt erfolgte auf Überweisung von Dr. N. wegen Zunahme der seit 2 Jahren bestehenden Kopfschmerzen im Monat vor der Einweisung. Aus dem Entlassungsbericht ergibt sich, dass erst nach intensivem Nachfragen von der Klägerin ein Schmerzmittelabusus mit drei verschiedenen Schmerzmittelsubstanzen eingeräumt worden war. Eine Besserung des Schmerzzustandes konnte bereits innerhalb der 4tägigen Behandlung erzielt werden. Die von der Klinik angeratene stationäre psychosomatische Behandlung wurde von der Klägerin ausdrücklich nicht gewünscht. In einer weiteren, von Dr. D. und Dr. G. initiierten stationären Behandlung, erstmals hier in der Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik der Klinik E. H-Stadt in der Zeit vom 04.03. bis 08.04.2013 ist von einer leichten Besserung der Beschwerden bei fehlender Introspektionsfähigkeit und fremdmotiviertem Verhalten der Klägerin bei der Teilnahme an den Kursen die Rede. Empfohlen wird die sozialpsychiatrische Weiterbehandlung. Die Entlassung erfolgte auf Wunsch der Klägerin nach einer zufriedenstellenden therapeutischen Belastungserprobung. Auch aus der weiteren in den Akten dokumentierten stationären Behandlung in der Klinik E. in H-Stadt in der Zeit vom 29.04. bis 23.05.2014 (kurz nach der Begutachtung durch Dr. O.) wurde die Klägerin entgegen ärztlichem Rat auf eigenen Wunsch entlassen. Sie hatte sich freiwillig bei Zuspitzung der depressiven Symptomatik in die Behandlung begeben und gab an, sich durch den stationären Rahmen der Behandlung eher belastet zu fühlen. Sie würde ihr soziales Umfeld vermissen, vermehrt Alpträume haben, dass man sie umbringen wolle oder schlagen. Sie gab weiter an, dass das ungeklärte Rentenverfahren sie belaste. Aus den Klinikberichten wird deutlich, dass die Klägerin nur eine eingeschränkte Therapiemotivation gezeigt hat, dass aber auch andererseits die angefangenen Behandlungen durchaus eine Besserung bei der Klägerin bewirken konnten.
Eine fehlende Behandlungsmotivation – und damit ein Indiz für einen fehlenden Leidensdruck der Klägerin – lässt sich auch aus den Umständen folgern, dass die Klägerin offenbar die von den behandelnden Nervenärzten verordneten Medikamente nicht oder zumindest nicht in dem notwendigen Umfang für einen therapeutischen Nutzen eingenommen hat. Eine Umstellung der Schmerzmedikation ist nur innerhalb des stationären Aufenthalts erfolgt. Wenn die Klägerin aber eine weitere Behandlung, sei es medikamentös, sei es durch psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, nicht sucht, obwohl es ihr nach ihren eigenen Angaben immer schlechter gegangen sei, spricht dies ebenfalls nicht für einen erheblichen Leidensdruck der Klägerin.
Es ist nach Überzeugung des Senats auch davon auszugehen, dass die Einschätzung der Sachverständigen, dass sich bei entsprechender Behandlung der Klägerin in Form der Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Änderung der Medikation eine Besserung ihres Zustands in absehbarer Zeit einstellen würde, bis November 2013 auch zutreffend gewesen ist. Hierfür spricht, dass insbesondere in der stationären Reha-Maßnahme in B. D. im Jahr 2012 ein guter Behandlungserfolg erzielt worden ist, auch wenn die Klägerin dies selbst offensichtlich so nicht empfunden hat. Darauf haben sowohl Dr. N. als auch Dr. O. in ihren Gutachten bzw. ergänzenden Stellungnahmen hingewiesen.
Auch in der mündlichen Verhandlung am 09.05.2018 hat die Klägerin schließlich angegeben, dass sich ihre Familie und Verwandten um sie gekümmert hätten und ihr Nervenarzt ihr deswegen gesagt habe, dass sie keine andere Behandlung brauche. Deswegen sei sie nicht zum Arzt oder einem Therapeuten gegangen.
Das Ausmaß der psychischen Erkrankung der Klägerin ist nach Ansicht des Senats auch deshalb nicht nachgewiesen, weil sich in den Befundberichten und ärztlichen Sachverständigengutachten erhebliche Inkonsistenzen finden. Diese beginnen bereits bei den gezeigten Bewegungsmaßen während der Begutachtungen, auf die in verschiedenen Gutachten ausdrücklich hingewiesen worden ist (An- und Auskleiden, Gangbild, Beweglichkeit der Wirbelsäule, FBA etc). Nicht nachvollziehbar ist – wie vom Sozialgericht bereits ausgeführt – weshalb bis zum Jahr 2012 bzw. 2013 von einer Traumatisierung der Klägerin durch Erlebnisse in ihrer Kindheit, in ihrer ersten Ehe und vor allem im Hinblick auf den Suizid ihres Cousins nie berichtet worden ist, obwohl diese Ereignisse so einschneidend waren und spätestens nach dem Tod ihrer Tochter im Jahr 2010 wieder deutlich geworden seien. In den beiden 2007 und 2010 geführten Rentenverfahren war von diesen Ereignissen nicht die Rede. Insbesondere bei der Begutachtung durch Dr. H. am 26.04.2011 in noch unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Tode der eigenen Tochter standen die Umstände dieses Erlebnisses und die damit verbundenen Schuldgefühle der Klägerin im Mittelpunkt, weil sie die Impfung habe durchführen lassen, obwohl ihr Ehemann die Impfung nicht gewollt habe. Im Rahmen dieser Begutachtung ist weder von der ersten Ehe, noch vom Tode des Cousins die Rede und zu ihren Eltern schilderte die Klägerin ein gutes Verhältnis. Erstmals wurde in dem psychiatrischen Konzil 2012 in der Klinik H-Stadt von dem am Telefon miterlebten Selbstmord des Cousins berichtet. Die damalige Schilderung weicht erheblich von der Schilderung der Klägerin bei der Begutachtung von Dr. O. ab. Hier ist nicht nur von einem (erweiterten) Suizid die Rede, sondern von einem deutlich ausführlicheren Geschehen unter Einbeziehung weiterer Personen in einem Gasthaus, mit denen der Cousin angeblich verfeindet gewesen sei. Auch werden unterschiedliche Daten angegeben. Im Rahmen des psychiatrischen Konzils im Klinikum E. am 04.07.2012 wurde dieses Ereignis mit dem Jahr 2003 angegeben. Dr. N., bei dem die Klägerin seit 2007 bereits in Behandlung war, beschreibt dieses Ereignis erstmals in seinem „nervenärztlichen Gutachten“ vom 13.05.2013, nachdem die Klägerin ihm von dem Suizid im Rahmen einer Untersuchung am 03.05.2013 berichtet hat, und zwar für das Jahr 2004. Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid vom 29.06.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Ereignis von der Klägerin – obwohl sie es so stark belasten will – weder bei Dr. A. noch bei Dr. H., Dr. H., Dr. H. noch in der Klinik B. D. und auch nicht bei der Untersuchung durch Dr. N. geschildert worden war.
Auch hinsichtlich der Umstände, die zum Tod ihrer Tochter geführt haben, gibt es unterschiedliche Schilderungen der Klägerin. Gegenüber Dr. O. hatte die Klägerin angegeben, dass die Tochter in ihren Armen auf dem Weg ins Krankenhaus im Taxi verstorben und sie bereits tot im Krankenhaus angekommen sei. Dr. E. berichtet dagegen, dass die Klägerin angegeben habe, dass ihre Tochter in ihren Armen in Anwesenheit des Notarztes verstorben sei, also erst im Krankenhaus. Dies ist im Hinblick auf diesen doch sehr belastenden Moment mehr als verwunderlich. Ebenso verwunderlich ist, dass die Klägerin in früheren Gutachten von einer glücklichen, unkomplizierten Kindheit in der Türkei berichtete, dann aber gegenüber Dr. O. von erlebter Gewalt der Eltern ihr gegenüber im frühen Kindesalter, den psychischen Belastungen ihrer ersten Ehe infolge einer Zwangsverheiratung berichtet. Ihr Verhältnis zu dem gewalttätigen Vater, der ihre Mutter geschlagen habe, wird so belastet beschrieben, dass sie nicht auf Feste gehe, weil sie ihrem Vater nicht begegnen möchte. In einem anderen Gutachten wurde angegeben, dass ihr Ehemann keinen Kontakt mit ihrem Vater wollte, weil dieser Alkoholiker sei und ihn abgelehnt habe und man deshalb nicht auf Feste gehe.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf das ärztliche Attest von Dr. E. vom 09.05.2017 hinweist und insbesondere auf die dort genannte „Diagnose“ einer „durch verschiedene soziale Situationen getriggerte anhaltende posttraumatische Persönlichkeitsveränderung“, die die bislang tätig gewordenen Gutachter nicht zu erkennen vermocht hätten, ist festzuhalten, dass die Klägerin dort laut dem von Dr. E. übersandten Befundbericht vom 03.01.2018 erst seit 24.01.2017 in Behandlung befand, so dass eine Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Klägerin spätestens im November 2013 abweichend von den vorliegenden Gutachten darauf sicherlich nicht gestützt werden kann.
Hinsichtlich des Ausmaßes der psychischen Erkrankung der Klägerin ist weiter festzuhalten, dass sich auch aus dem bei Dr. O. geschilderten Tagesablauf keine entscheidende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit der Klägerin in ihrem Alltag ableiten lässt. Die Klägerin ist in der Lage ihren Haushalt zu versorgen, sie verlässt das Haus, um Einkäufe zu erledigen, sich in die Sonne zu setzen, in den Park zu gehen, Besuche abzustatten. Täglich wird sie von Verwandten oder Nachbarn besucht.
Unter Berücksichtigung der festgestellten fehlenden Compliance hinsichtlich der Medikamenteneinnahme und -optimierung, der nachhaltigen Ablehnung einer ambulanten Psychotherapie bis heute und dem insgesamt eher nicht schwerwiegenden psychischen Befund ist davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls bis November 2013 noch über ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen verfügt hat. Die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen durch den Senat ist nicht erforderlich.
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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