Aktenzeichen S 5 SO 15/16
Leitsatz
1 Der Umstand, dass ein zweitangegangener Rehaträger seine Unzuständigkeit schon vor der Bewilligung der Leistung erkannt hat, steht einem Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX nicht entgegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Soweit § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX eine Erstattung der Aufwendungen des vorleistenden Trägers “nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften” vorsieht, bedeutet dies, dass der Fall von dem eigentlich zuständigen und damit erstattungspflichtigen Träger nicht noch einmal von Grund auf neu aufzugreifen ist (ebenso BSG BeckRS 2013, 70810), der erstattungspflichtige Träger somit an die Sachverhaltsaufklärung bzw. eine etwaige Ermessensbetätigung des vorleistenden Trägers gebunden ist (ebenso BSG BeckRS 2007, 46154). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte hat der Klägerin 8.511,33 Euro zu erstatten.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch in der beantragten Höhe zu.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Erstattungsanspruch auf der Grundlage des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Diese Vorschrift räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitationsträger ein. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX sind erfüllt.
Die Klägerin hat den Zuschuss zu technischen Arbeitshilfen als zweitangegangener Rehabilitationsträger bewilligt; denn die Deutsche Rentenversicherung Bund hat den Antrag von Frau C. auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Hilfsmittel in Form eines Vorlesegeräts unverzüglich an die Klägerin gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX weitergeleitet. Der Träger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, ist in jedem Fall zur Leistung verpflichtet und nicht berechtigt, den Antrag seinerseits weiterzuleiten; die Klägerin war daher gehindert, den Antrag an den Beklagten weiterzuleiten. Aus § 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX ergibt sich, dass dies selbst dann gilt, wenn der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, für die beantragte Leistung gar kein Träger nach § 6 Abs. 1 SGB IX ist und daher die Leistung selbst gar nicht erbringen kann (Knittel, SGB IX, § 14, Rn. 132). Der Umstand, dass die Klägerin als zweitangegangener Träger ihre Unzuständigkeit schon vor der Bewilligung der Leistung erkannt hat, steht einem Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX nicht entgegen; denn der Erstattungsanspruch besteht unabhängig davon, ob sich die Nichtzuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers vor oder nach Bewilligung der Leistung herausstellt (Knittel, SGB IX, § 14, Rn. 145). Frau C. hätte ohne die Regelung des § 14 Abs. 2 SGB IX nur gegen den Beklagten Anspruch auf Hochschulhilfen gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII i.V.m. § 13 der Eingliederungshilfe-Verordnung gehabt. Ihrer Art nach stimmten die von der Klägerin erbrachten und die von dem Beklagten zu beanspruchenden Reha-Leistungen überein (sachliche Kongruenz). Für die erforderlich sachliche Kongruenz genügt es, dass sowohl Klägerin als auch Beklagter eine entsprechende Leistung der Art nach hätten erbringen müssen. Unerheblich ist, dass die Leistungsgesetze des Beklagten die Prüfung einer Eigenbeteiligung bzw. eine Vermögensprüfung erfordern.
Die von der Klägerin vorgenommene Bewilligung von Leistungen gegenüber Frau C. hat der Beklagte hinzunehmen. Soweit § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX eine Erstattung der Aufwendungen des vorleistenden Trägers „nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften“ vorsieht, bedeutet dies, dass der Fall von dem eigentlich zuständigen und damit erstattungspflichtigen Träger nicht noch einmal von Grund auf neu aufzugreifen ist (BSG, Urteil vom 06.03.2013 – B 11 AL 2/12 R -), der erstattungspflichtige Träger somit an die Sachverhaltsaufklärung bzw. eine etwaige Ermessensbetätigung des vorleistenden Trägers gebunden ist (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 24.03.1983 – 8 RK 2/82 -). Das BSG hat im Urteil 20.04.2010 – B1/3 KR 6/09 R – entschieden, dass die erforderliche sachliche Anspruchskongruenz und damit ein Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers für eine nach dem Rentenversicherungsrecht zulässige stationäre medizinische Reha-Maßnahme im Ausland, auch besteht, wenn die betroffene Krankenkasse eine entsprechende Leistung der Art nach hätte erbringen müssen, unabhängig davon, ob der Krankenkasse nur eine Inlandsleistung möglich gewesen wäre. Die Rechtsprechung erkennt somit Erstattungsansprüche gegenüber Leistungsträgern an, die als erstangegangene Leistungsträger bei eigener Sachprüfung ggf. zu keiner Leistungspflicht gekommen wären.
§ 14 SGB XI räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitationsträger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch vor. Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB IX geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet.
Damit war im Ergebnis der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Beklagte hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Die Entscheidung der Kammer betrifft eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Gegenstandswert 10.000 Euro nicht übersteigt. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weicht nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung oder von der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts ab. Eine Zulassung der Berufung musste daher nicht erfolgen (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).