Medizinrecht

Wehrdienstbeschädigung und orthopädisches Hilfsmittel

Aktenzeichen  S 12 VS 5/18

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52470
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 80, § 81
BVG § 9 Abs. 1, § 10, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8
OrthV § 5, 16

 

Leitsatz

Diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen zählen nicht zu den orthopädischen Schuhzurichtungen, sondern zu den versorgungsfähiges Hilfsmittel der Orthopädieverordnung. (Rn. 34 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2018 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zwei diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen zu gewähren.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Gründe

Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.
Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.
Sie ist auch begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung der beantragten Hilfsmittel in Form zweier diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen. Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Gemäß § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.
Der Kläger hat unstreitig eine WDB aufgrund des Unfalls vom 20.09.1987 erlitten. Beim Kläger ist ein GdS unter Berücksichtigung von § 30 Abs. 1, 2 BVG mit 50 v.H. anerkannt und die WDB-Folgen sind nach § 81 SVG wie folgt bezeichnet: Gebrauchsminderung des linken Beines nach Oberschenkel- und Unterschenkelbruch, Teilverlust des linken Vorderfußes, geringe Restlähmung des Wadenbeinnerves links, Muskelminderung, Zirkulationsstörungen und Schädigung der Haut am linken Unterschenkel und Fuß, Teilkontraktur der verbliebenen Fußgelenke links, Knorpelschädigung und Innenmeniskusteilresektion linkes Kniegelenk; in leichter Fehlstellung und geringer Funktionsstörung knöchern verheilter Ellenbruch links; reizlose Narben Stirnbereich rechts, an beiden Beinen und an den Beckenkämmen, große empfindliche Narbe linker Unterschenkel und Fuß.
Die Versorgung des Klägers nach dem BVG umfasst nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BVG u.a. Heilbehandlungen (§§ 10 bis 24a BVG).
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG wird Heilbehandlung Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 SGB IX genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Heilbehandlung umfasst dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BVG auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, wobei nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BVG die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die Krankenkasse (§ 18c Abs. 2 Satz 1 BVG) ihren Mitgliedern verpflichtet ist, für die Leistungen nach Satz 1 entsprechend gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst auch die Ausstattung mit orthopädischen Hilfsmitteln (§ 13 Abs. 1 BVG).
Gemäß § 24a BVG wurde die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates u.a. Art, Umfang und besondere Voraussetzungen der Versorgung mit Hilfsmitteln einschließlich Zubehör sowie der Ersatzleistungen (§ 11 Abs. 3 BVG) näher zu bestimmen (§ 24a Buchst. a) BVG) bzw. näher zu bestimmen, was als Hilfsmittel und als Zubehör im Sinne des § 13 Abs. 1 gilt (§ 24a Buchst. b) BVG). Dies hat die Bundesregierung durch die Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmittel und über Ersatzleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Orthopädieverordnung – OrthV) getan. § 3 Nr. 3 OrthV bestimmt, dass orthopädische Hilfsmittel insbesondere orthopädische Schuhe sind, wobei orthopädisches Schuhwerk in § 5 OrthV näher bestimmt wird. Danach werden orthopädische Schuhe als Paar für den Straßengebrauch, in leichterer Ausführung für den Hausgebrauch, als Sportschuh oder als Badeschuh geliefert. Orthopädische Sportschuhe erhält, wer an entsprechenden Versehrtenleibesübungen (§ 10 Abs. 3 BVG) oder an entsprechendem Rehabilitationssport (§ 12 Abs. 1 BVG) regelmäßig teilnimmt (§ 5 Abs. 2 OrthV). Nach § 5 Abs. 4 OrthV sind Schuhe orthopädisch zuzurichten, wenn dies als Hilfe ausreicht; es sollen nicht mehr als vier Paar Schuhe jährlich zugerichtet werden. Nach § 16 Satz 2 OrthV werden andere Hilfsmittel auch als Hilfsmittel geliefert, deren Lieferung nicht durch andere Vorschriften dieser Verordnung geregelt ist oder für die nicht Ersatzleistungen zustehen, zu deren Lieferung jedoch die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BVG).
Vorliegend ist das vom Kläger begehrte Hilfsmittel – diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen – zwar nicht von § 5 OrthV im Sinne einer orthopädischen Schuhzurichtung umfasst, es gehört jedoch zu den anderen Hilfsmitteln im Sinne des § 16 OrthV.
Unstreitig leidet der Kläger an gesundheitlichen Einschränkungen die unteren Extremitäten betreffend. Diese Gesundheitsstörungen werden aus medizinischer Sicht ohne entsprechendes Training im Laufe der Zeit eine weitere Verschlimmerung erfahren, so dass auch weitere Operationen beim Kläger notwendig sein werden. Dies bestätigen im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren alle befragten Ärzte. Wie der gerichtliche Gutachter Dipl.-Med. W. in seinem Gutachten vom 25.01.2019 eindrucksvoll ausführt, sind aufgrund der Beinverletzungen des Klägers für ihn große Bereiche der sportlichen Betätigung verschlossen (Fußball, Skifahren, Wandern etc.). Ausdauerübungen, die den linken Fuß und das linke Kniegelenk des Klägers weniger durch Stöße oder äußere Einwirkungen belasten, sind jedoch medizinisch sinnvoll. Dies ist in erster Linie durch das Radfahren möglich. Medizinisch angezeigt ist bei der Benutzung von Rennradspezialschuhen mit Klickpedalsystem eine Weichbettung, analog einer diabetes-adaptierten Fußbettung, zur Druckentlastung des linken Fußes des Klägers.
Das Gericht hat sich im Rahmen des Studiums der Aktenlage gefragt, warum der Kläger nicht einfach mit den vorhandenen orthopädischen Sportschuhen Fahrrad fährt. Es hat sich dem Gericht bis zur mündlichen Verhandlung am 08.12.2020 nicht erschlossen, warum beim Kläger gerade Spezialschuhe für das Klickpedalsystem bei Rennrädern notwendig sind. Diese Fragestellung konnte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll klären. Hierbei schilderte und zeigte er, dass er mit normalen oder orthopädischen Sportschuhen aufgrund der bestehenden und anerkannten WDB kein Gefühl auf den Pedalen eines „normalen“ Fahrrades hat. Dies führt nach den Angaben des Klägers dazu, dass er von den Pedalen abrutscht und sich dadurch verletzt, was nicht zur Verbesserung der bereits bestehenden Schäden beiträgt. Durch das Klickpedalsystem bei Rennrädern ist er jedoch fest mit dem Fahrrad verankert und kann nicht von den Pedalen abrutschen. Er schützt sich so vor weiteren Verletzungen und kann die medizinisch erforderliche sportliche Betätigung zur Verhinderung der Verschlimmerung seiner Leiden ausüben.
Dipl.-Med. W. führt hierzu in seinem Gutachten für das Gericht aus, dass das Fahrradfahren insgesamt der Stabilisierung der Verletzungsfolgen am linken Bein des Klägers zugutekommt. Auch Dr. F. bestätigt in seinem Gutachten nach § 109 SGG, dass es nur durch die Ausübung ausdauersportlicher Tätigkeiten, insbesondere durch das Radfahren, möglich sei, eine ansonsten beim Kläger ausstehende korrigierende, sehr aufwändige und einschneidende und mit Gefahren verbundene operative Sanierung / Funktions- und Stellungsverbesserung aufzuschieben bzw. zu kompensieren. Die Verwendung der entsprechenden Einlagen in Sportschuhen / Radklickschuhen, wie sie vom Kläger zur sportlichen Betätigung und zum Erhalt der körperlichen Fitness notwendig sind, stellt eine Notwendigkeit dar, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Degeneration des Kniegelenks und die Muskelminderung. Auch der beratende Arzt der Beklagten führte bereits am 11.07.2018 dazu aus, dass beim Kläger ein Sonderfall besteht und die Übernahme von stützenden und bettenden Einlagen in Sonderanfertigung gemäß Position 08.03.07. der Produktgruppe 08 Einlagen anzuraten ist. Dies wurde durch Dr. Z. am 21.02.2020 ebenfalls bestätigt. Er gibt an, dass die Vorteile der optimierten Hilfsmittelausstattung für den Kläger überwiegen. Die Weichbettung des Stumpfes durch diabetesadaptierte Einlagen beugt eventuell unbemerkte Verletzungen vor. Prognostisch lohnt sich die Anschaffung von diabetes-adaptierten Schuheinlagen, sowie der Ersatz und die Erneuerung der Hilfsmittel bei Verschleiß nach § 13 Abs. 1 BVG, da die normale körperliche und sportliche Betätigung des Klägers mit harmonischen Bewegungsformen ((Renn)-Radfahren) das Risiko für eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen mindert.
Im Ergebnis bestätigen alle Mediziner – auch die Ärzte der Beklagten – die Notwendigkeit der Einlagenversorgung zusätzlich zur Notwendigkeit der orthopädischen Schuhzurichtung. Es ist beim Kläger gerade nicht so, dass aufgrund des unstreitig notwendigen, individuellen und bedarfsgerechten orthopädischen Schuhwerks eine Einlagenversorgung nicht notwendig und zweckmäßig ist. Die Versorgung mit den begehrten Einlagen ist vielmehr notwendig und auch zweckmäßig, denn nur so können die in § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG normierten Gründe für die Gewährung von Heilbehandlungen, zu denen auch die Gewährung von Hilfsmitteln gehört, nämlich die Zunahme des Leidens zu verhüten, die Folgen der Schädigung zu erleichtern und eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen, erfolgreich realisiert werden. Insoweit sieht das Gericht hier keinen Widerspruch zu den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, da sich die Notwendigkeit der Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel aus §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BVG ergibt. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auch die Mobilität und Fortbewegung gehört. Diesem Grundbedürfnis trägt die Gewährung des Hilfsmittels Rechnung.
Vorliegend handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung aufgrund der beim Kläger bestehenden besonderen Bedürfnissen, die medizinischen von allen Seiten befürwortet und als notwendig angesehen wird, so dass aus der Sicht des Gerichts die begehrten Fußbettungseinlagen zu gewähren sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Ergebnis in der Hauptsache.
Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben, da Streitgegenstand eine Klage ist, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, welche einen Wert von 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Ein Grund, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, ist für das Gericht nicht ersichtlich.


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