Medizinrecht

Zu den Anforderungen an den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  AN 3 S 17.34364

Datum:
17.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 3
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1

 

Leitsatz

Aus einem fachärztlichen Attest muss sich als Mindestanforderung nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (vgl auch § 60a Abs. 2c S. 3 AufenthG). Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf geben (Medikation und Therapie). Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG BeckRS 2016, 47723). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
2. Der Antrag wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller hat die Verfahrenskosten zu tragen.
4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben am …1997 in … geborene Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger.
Er stellte am 4. Februar 2016 Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland.
Er erklärte, er habe im September 2012 Äthiopien verlassen und sei über den Sudan und ein unbekanntes europäisches Land in die Niederlande gereist, wo er sich für ca. 2 ½ Jahre bis zu seiner Einreise nach Deutschland im August 2015 aufgehalten habe. Er habe seelische Probleme und habe in den Niederlanden auf der Straße schlafen müssen.
Mit Schreiben vom 2. März 2016 erklärte der „Immigratieen Naturalisatiedienst“ der Niederlande aufgrund einer Anfrage des Bundesamtes die Bereitschaft zur Rückübernahme des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d) der Dublin III-VO.
Mit Schreiben vom 19. April 2016 legte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers einen Bericht der Fachärztin für Psychiatrie und Psychtherapie …, …, vom 21. März 2016 vor, wonach bei dem Antragsteller eine mittelgradige depressive Episode bei dringendem Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (F32.1, F 43.1) bestehe. Diese Diagnose wurde in dem Entlassungsbericht vom 24. Juni 2016 der Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik, …, in der sich der Antragsteller vom 17. Mai 2016 bis 24. Juni 2016 stationär aufhielt, bestätigt.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 erklärte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers auf Anfrage dem Bundesamt gegenüber, neue Erkenntnisse über eine Veränderung der Situation in Äthiopien bestünden nicht, allerdings sei nach Abschluss des Asylverfahrens in Holland zwischenzeitlich eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Dies stehe wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten in Äthiopien bzw. wegen fehlender finanzieller Mittel einer Abschiebung entgegen.
Am 6. Dezember 2016 wurde der Antragsteller gemäß § 25 AsylG persönlich angehört. Auf die gefertigte Niederschrift wird Bezug genommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juni 2017, der am 16. Juni 2017 zur Post gegeben wurde, wurde der Antrag in Ziffer 1) als unzulässig abgelehnt und in Ziffer 2) festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. In Ziffer 3) wurde der Antragsteller unter Abschiebungsandrohung nach Äthiopien zur Ausreise aufgefordert und in Ziffer 4) wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, eine Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht geltend gemacht worden.
Der Antragsteller habe zwar angegeben, in Äthiopien von Polizisten geschlagen worden zu sein. Die Angaben hierzu seien jedoch vage und unsubstantiiert geblieben. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen beruhten auf den unzulänglichen Angaben des Antragstellers. Die Diagnose PTBS könne jedoch nur bei Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses gestellt werden, woran es hier fehle. Außerdem sei die Erkrankung in Äthiopien medikamentös behandelbar und könne auch vom Antragsteller durch eigene Arbeitsleistung finanziert werden.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 22. Juni 2017 ließ der Antragsteller Klage erheben und beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14, Juni 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2017 legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers ein Attest der Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik, … vom 26. Juni 2017 vor. Der Antragsteller gebe an, in Äthiopien Opfer von Polizeigewalt geworden zu sein. Er berichte von wiederholten Suizidgedanken. Eine explizite Traumaexploration sei nicht möglich, da der Zustand des Antragstellers psychisch instabil sei. Der Antragsteller befinde sich in einer unruhigen Wohnsituation mit an das Trauma erinnernden Elementen (Konflikte mit anderen Äthiopiern) und die ungeklärte Aufenthaltssituation sie dauerhaft belastend. Dass der Antragsteller über das Erlebte nicht sprechen könne, sei typisch für eine PTBS. Die Angaben und Symptome des Antragstellers seien als glaubhaft einzuschätzen. Es bestünden folgende gravierende Hindernisse für eine Ausweisung: als innerstaatliches Hindernis bestehe Reiseunfähigkeit und Suizidgefahr bei weiteren Belastungen. Zielstaatsbezogen sei bei einer Abschiebung nach Äthiopien die Gefahr einer Retraumatisierung durch weitere Polizeiwillkür gegeben. Im Falle einer Abschiebung sei von einer alsbaldigen deutlichen Verschlechterung des Befindens des Patienten auszugehen, welche durch die Suizidgefahr lebensbedrohliche Ausmaße annehmen dürfte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, insbesondere statthaft (vgl. BVerwG v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris), hat aber in der Sache keinen Erfolg, denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Es sprechen keine erheblichen Gründe dafür, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Denn die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG) ist aller Voraussicht nach ebenso rechtmäßig wie die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, so dass die ausgesprochene Abschiebungsandrohung den Vorgaben der §§ 34 und 36 AsylG, auf die § 71 a Abs. 4 AsylG verweist, entspricht.
1. Bei dem Asylantrag des Antragstellers handelt es sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Ein solcher liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder in einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stellt.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU durchgeführten Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren zur Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig, d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers, eingestellt worden ist (BVerwG v. 14.12.2016, a.a.O. – juris).
Nach der Mitteilung der niederländischen Behörden 2. März 2016 ergibt sich, dass der Antragsteller ein Asylverfahren in Holland erfolglos durchgeführt hat, da die Rückübernahmebereitschaft nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d) der Dublin III-VO erklärt wurde (erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren).
Das Vorliegen einer Sachentscheidung im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG ist demnach anzunehmen.
Der Antragsteller hat keine Gründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geltend gemacht. Er beruft sich lediglich auf eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und damit nicht auf Umstände, die in einem Asylverfahren relevant werden können.
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht bestehen, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Nach der hier relevanten Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr liegt demnach nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Ein Anspruch auf Heilung einer bestehenden Erkrankung besteht nicht.
Demnach können posttraumatische Belastungsstörungen oder andere schwerwiegende Erkrankungen nur in Ausnahmefällen bei unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung dann zu einem Abschiebungsverbot führen, wenn die konkrete erheblich Gefahr besteht, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat lebensbedrohlich verschlechtern wird (Hailbronner, AuslR, Stand August 2016, Rn. 90 zu § 60 AufenthG; OVG NRW, B.v. 6.9.2004 – 18 B 2661/03 – NVwZ-RR 2005, 359 m.w.N.). Die Gesetzesbegründung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geht davon aus, dass eine in diesem Sinn hinreichend schwere Erkrankung in Fällen einer PTBS regelmäßig nicht angenommen werden kann (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Zur Behandlung muss sich der Ausländer auf den in seinem Heimatland medizinische Standard und auch auf familiäre Unterstützungsleistungen verweisen lassen.
In Fällen einer PTBS ist daher die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, sie führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.
Das Vorliegen einer derartigen Erkrankung mit den dargestellten schwerwiegenden Folgen für Leib oder Leben wurde seitens des Antragstellers jedoch nicht substantiiert geltend gemacht.
Trotz der bestehenden Amtsermittlungspflicht ergibt sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 1. HS VwGO die Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken. Dies gilt insbesondere für Umstände, die in die Sphäre eines der Beteiligten fallen, wie z.B. für eine Erkrankung. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an die substantiierte Behauptung einer PTBS genügen die vorgelegten Atteste und ärztlichen Bescheinigungen nicht.
Denn aus einem fachärztlichen Attest muss sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Mindestanforderung nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, vgl. auch § 60 a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf geben (Medikation und Therapie). Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris).
Aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergibt sich schon kein schlüssiger Behandlungsverlauf. Auch sind sie hinsichtlich des als traumatisierend beschriebenen Ereignisses widersprüchlich und enthalten keine Angabe darüber, weshalb der Antragsteller sich erst 2016 in fachärztliche Behandlung begab, nachdem er davon berichtete, die Symptome bereits in den Niederlanden verspürt zu haben.
Während der Entlassungsbericht vom 24. Juni 2016 die Aussage enthält, der Zustand des Patienten sei verbessert und stabilisiert worden, er habe sich von Suizidgedanken distanziert und werde zur Weiterführung einer berufsfördernden Maßnahme entlassen, ist in der Stellungnahme derselben Klinik vom 26. Juni 2017 – die als „Reaktion“ auf den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 14. Juni 2017 auf diesen Bezug nimmt – von wiederholt geäußerten Suizidgedanken und großer psychischer Instabilität des Antragstellers die Rede. Eine Begründung für den nun verschlechterten Zustand trotz anhaltender fachärztlicher Behandlung und medikamentöser Therapie findet sich nicht.
In der Stellungnahme vom 26. Juni 2017 wird erstmals die vom Antragsteller vor dem Bundesamt behauptete erlittene Polizeigewalt als Trauma benannt. Die Atteste vom 21. März 2016 und vom 24. Juni 2016 enthalten, obwohl der Antragsteller sich zuvor fünf Wochen zur stationären Behandlung im …, …, aufhielt, keinerlei Hinweis auf ein solches Ereignis. Vielmehr gab der Antragsteller ausweislich der Anamneseerhebung an, ihn beschäftige vor allem der Verbleib der gemeinsam mit ihm ausgereisten Schwester in den Niederlanden und das anstrengende Leben in der Gemeinschaftsunterkunft. Erst nach der Anhörung vor dem Bundesamt berichtete er von der im Asylverfahren geltend gemachten erlebten Polizeigewalt.
Nachdem die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht den von der Rechtsprechung geforderten Mindestanforderungen entsprechen, ist eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegend nicht substantiiert durch den Antragsteller geltend gemacht.
Demzufolge ist auch die Schlussfolgerung, es bestehe für den Fall einer Rückkehr Suizidgefahr, nicht tragfähig, so dass derzeit nicht von einer beachtlichen konkreten Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers für den Fall seiner Rückkehr nach Äthiopien auszugehen ist.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Gegenstandswert: § 30 Abs. 1 RVG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung war abzulehnen, weil dem Antrag die für die Bewilligung erforderliche Erfolgsaussicht fehlt, §§ 166 VwGO i.V.m. 114 ff. ZPO.
Diese Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben