Medizinrecht

Zu den Voraussetzungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung hinsichtlich einer geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  M 21 K 16.31317

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, S. 2, § 60a Abs. 2 lit c S. 1, S. 2
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Regelungen des § 60a Abs. 2c AufenthG gelten nicht nur für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse in Bezug auf die Reisefähigkeit, sondern umfassen auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)
2 Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen „Behandlungszentren für Folteropfer“ stellen keine qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG dar. (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch bei Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung muss vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter glaubhaft gemacht werden, dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine posttraumatische Belastungsstörung stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage ist in der Hauptsache aufgrund der Beschränkung der Klage nur noch hinsichtlich der Ziffern 4 bis 6 des angefochtenen Bescheids und der Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden.
Soweit sich die Klage gegen die auf § 11 Abs. 2 AufenthG gestützte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der Abschiebung richtet (Nr. 6 des Bescheids), ist sie mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig. Eine schlichte Aufhebung (gerichtliche Kassation) beträfen lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches (Anfechtungs-) Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetzes geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Eine Anfechtungsklage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann mithin die Rechtsstellung des betroffenen Ausländers nicht verbessern (ausführlich m.w.N. VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S. 16.30019).
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 24. Mai 2016 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) in den angefochtenen Ziffern rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.). Derartige Ausnahmegründe liegen jedenfalls nach dem Ende der Ebola-Epidemie in Sierra Leone Anfang 2016 nicht mehr vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Entsprechend der Gesetzesbegründung zu der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I, 390 ff.) eingeführten Präzisierung in den Sätzen 2 bis 4 wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.
Ergänzend dazu wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren mit § 60a Abs. 2c AufenthG eine gesetzliche Vermutung zum Vorliegen gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, aufgenommen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 und 10 C 17.07 – juris jeweils Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer PTBS) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört (BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 8). Danach bedarf es angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome zur Substantiierung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 a.a.O. – juris jeweils Rn. 15).
Entsprechend diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen oder für weitere diesbezügliche Sachverhaltsermittlungen entsprechend dem gestellten Beweisantrag aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen nicht vor. Hinsichtlich der geltend gemachten PTBS ergibt sich dies (1) daraus, dass die vorgelegten Bescheinigungen nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung entsprechen, (2) daraus, dass die gestellten Diagnosen in wesentlichen Punkten hinsichtlich der traumaauslösenden Ereignisse wegen fehlender Glaubhaftmachung der Ereignisse auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen und (3) daraus, dass sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot ergeben würde, wenn man dem Vorbringen der Klägerin zu den traumaauslösenden Ereignissen in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen ausgehen würde.
(1) Durch die Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG, wonach Abschiebungshindernisse durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen sind, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, eine Bescheinigung eines approbierten Arztes erforderlich ist (vgl. dazu die ausdrückliche Klarstellung in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/7538 S. 19). Ungeachtet der Rechtslage vor der Änderung durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (vgl. insbesondere OVG NW, B.v. 19.12.2008 – juris) bleiben nach der Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen „Behandlungszentren für Folteropfer“ bei der Beurteilung der Reisefähigkeit grundsätzlich außer Betracht (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 – 2 O 31/16 – juris Rn. 9; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Nachtrag zur 11. Auflage 2016, AufenthG, § 60a Rn. N3). Allenfalls im Wege einer Gesamtschau können derartige Atteste ergänzend zu anderen Erkenntnissen, die nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erfüllen, zu anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d AufenthG beitragen (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 a.a.O.).
Die Regelungen in § 60a Abs. 2c AufenthG beschränken sich dabei nicht auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der Reisefähigkeit, sondern umfassen auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Die von Klägerseite geäußerte gegenteilige Auffassung, die ausschließlich auf der systematischen Stellung des § 60a Abs. 2c AufenthG als Teil der Regelungen in § 60a AufenthG über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung beruht, überzeugt entsprechend dem Wortlaut der Regelung, der Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Erwägungen sowie nach Sinn und Zweck nicht.
Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch die Gesetzesbegründung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung in § 60a Abs. 2c AufenthG die Abschiebung erleichtern und die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernisse insgesamt erschweren wollte. In der Gesetzesbegründung wird hierzu Folgendes ausgeführt:
„Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert, wie sie auch aus dem Bericht der unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund – Länder – Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015 hervorgehen.
Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren. Hierzu legt der Gesetzgeber nunmehr die in Absatz 2c genannten Qualitätskriterien fest, die die jeweilige ärztliche Bescheinigung insbesondere enthalten soll.“
Auch nach Sinn und Zweck umfasst die Regelung im § 60a Abs. 2c AufenthG auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Durch die zusammen mit der Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG vorgenommenen Einfügung der Sätze 2 bis 4 in § 60 Abs. 7 AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Entsprechend der Gesetzesbegründung erfüllt eine PTBS regelmäßig nicht die Anforderungen an ein Abschiebungsverbot, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (BT-Drs. 18/7538 S. 18). Die Behandlung akuter lebensbedrohlicher bzw. ähnlich schwerwiegender Zustände aufgrund einer PTBS erfolgt regelmäßig im Rahmen einer medikamentösen Behandlung. Antidepressiva nehmen in der Behandlung depressiver Symptome bei PTBS einen hohen Stellenwert ein (vgl. dazu das psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten in dem am gleichen Tag verhandelten und von der Bevollmächtigten vertretenen Verfahren M 21 K 13.30391). Insofern handelt es sich um klassische ärztliche Aufgaben. Auf die darüber hinaus für die vollständige Diagnose und Behandlung einer PTBS bedeutsamen psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Behandlungsansätze kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG vorgegebenen Maßstab nicht an.
Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die in einer Gesamtschau nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG auch ohne ausreichende ärztliche Bescheinigung Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten, bestehen nicht.
Der psychologisch-psychotherapeutische Befundbericht von Refugio entspricht insbesondere auch inhaltlich nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags zum Nachweis einer PTBS durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung.
Erforderlich für eine PTBS ist nach den im Befundbericht herangezogenen Kriterien der ICD-10 F43.1 ein traumaauslösendes Ereignis von kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung herbeiführen würde. Prädisponierende Faktoren sind dabei weder erforderlich noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Erforderlich ist dementsprechend eine Zuordnung konkreter traumaauslösender Ereignisse zu den festgestellten Symptomen. Eine Aufzählung einer Vielzahl von belastenden Ereignissen ohne Abgrenzung, ob es sich um lediglich dekompensierende (und damit unter Umständen für eine Prädisposition bedeutsame) oder bereits die Schwelle einer Traumatisierung überschreitende Ereignisse handelt, genügt insofern nicht. Diesen Anforderungen wird der Befundbericht nicht gerecht. Er beschränkt sich auf eine Darstellung des Lebenslaufs der Klägerin mit verschiedenen Episoden, angefangen von der Kindheit bis hin zu Geschehnissen in der Gemeinschaftsunterkunft, denen eine dekompensierende oder traumatisierende Wirkung zukommen kann, unterlässt jedoch eine eindeutige Benennung und Zuordnung konkreter traumaauslösender Ereignisse. Entsprechend den Aussagen in der Begründung der Diagnose scheinen im Mittelpunkt wohl die Erlebnisse der Klägerin im Rahmen ihrer Verschleppung im Bürgerkrieg zu stehen. In der Zusammenfassung wird dann jedoch wieder allgemein und ohne Bezug auf multiple Traumatisierungen verwiesen. Darüber hinaus geht der Befundbericht nicht darauf ein, dass die Erlebnisse aus der Kindheit der Klägerin und die Verschleppung durch Rebellen bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt nach den Kriterien der ICD-10 F43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis Monate. Insofern wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Klägerin vor ihrer Einreise nach Deutschland offenbar in der Lage war, ein durchaus eigenbestimmtes bzw. mit Perspektiven verbundenes Leben zu führen. Die Klägerin ging nach Ende der Zwangsehe eine familiäre Bindung ein. Nach ihrer Ausreise aus Sierra Leone nahm sie mit Hilfe entsprechender Kontakte eine Tätigkeit als Kindermädchen und Haushaltshilfe bei einem hochrangigen italienischen Diplomaten auf und arbeitete nach eigenem Bekunden darauf hin, ihr beim Vater in Guinea lebendes Kind nachholen zu können. Symptome aus der Zeit vor der Einreise nach Deutschland, die auf eine chronisch oder atypisch verlaufende PTBS hindeuten würden, sind in dem Befundbericht nicht thematisiert. Für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung wäre ein Eingehen auf diese Gesichtspunkte zumindest in Grundzügen erforderlich gewesen.
Die im Übrigen vorgelegten Bescheinigungen erfüllen hinsichtlich der geltend gemachten PTBS die Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erkennbar nicht.
(2) Der Befundbericht von Refugio bietet auch deswegen keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung, weil er auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruht. Die dort gezogenen Schlussfolgerungen beruhen in wesentlichen Punkten auf unglaubhaften Angaben der Klägerin.
Auch bei einer qualifizierten Bescheinigung hängt deren Tragfähigkeit und damit der Nachweis oder weiterer Ermittlungsbedarf hinsichtlich einer PTBS davon ab, dass die Anknüpfungstatsachen glaubhaft gemacht worden sind. Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse. Dass das behauptete traumatisierende Ereignistatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 18; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 8). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine PTBS zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 a.a.O. – juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 a.a.O. – juris Rn. 8). Werden im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben gemacht, die auch unter Berücksichtigung von Erinnerungsproblemen traumatisierter Personen nicht nachvollziehbar sind, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert, insbesondere wenn Tatsachen für das geltend gemachte Abschiebungsverbot ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt werden, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Als zentralen Punkt für die Traumatisierung der Klägerin benennt der Befundbericht Traumata aus dem Bürgerkrieg mit einer Verschleppung der Klägerin durch Rebellen und dem Erleben von entsetzlichen Grausamkeiten. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin sind nicht glaubhaft. Ein entsprechender Vortrag vor dem Bundesamt fehlt vollständig – dort stützte sich die Klägerin ausschließlich auf ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit ihrer Beschneidung und im Zusammenhang mit einer Zwangsheirat. Ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung dazu, sie sei bei der Anhörung sehr aufgeregt gewesen und habe die Dinge nicht so mitteilen können, wie sie es wollte, stellt – zumal vor dem Hintergrund, dass die Klägerin bereits bei der Anhörung anwaltlich vertreten war und ihre damalige Bevollmächtigte an der Anhörung teilnahm – eine unbeachtliche Schutzbehauptung dar, ebenso die weitere Version gegenüber der Psychotherapeutin von Refugio, sie habe sich geschworen, niemals mit irgendeinem Menschen über ihre Zeit bei den Rebellen zu sprechen. Im Übrigen sind auch die Angaben gegenüber Refugio hinsichtlich individueller Erlebnisse im Rahmen der behaupteten Verschleppung in vielen Punkten vage und unsubstantiiert und erschöpfen sich in einer stereotypen Schilderung von Gräueltaten, wie sie aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone bekannt sind. Individueller Vortrag – etwa zeitliche Angaben und Einzelheiten zur Gefangennahme und Flucht – fehlt weitgehend. Eine Konkretisierung des Vortrags ist trotz anwaltlicher Vertretung auch in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Die Tendenz zur übersteigerten Darstellung ihres Schicksals wird durch die widersprüchlichen Angaben der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt in Syrien und Argentinien bestätigt. Gegenüber Refugio gab sie an, sie habe bei dem italienischen Konsul unter sklavenähnlichen Bedingungen bei unzureichendem Essen und ohne jede Bezahlung gelebt. Andererseits behauptete sie bereits bei Refugio, sie habe in Syrien versucht, genug Geld anzusparen, um ihr Kind zu sich zu holen – der Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs habe aber ihre Pläne zunichte gemacht. In der mündlichen Verhandlung gab sie auf entsprechende Nachfrage an, sie habe für die Tätigkeit in ihrer Zeit in Syrien 300 EUR monatlich und in Argentinien 400 EUR monatlich bei freier Kost und Logis verdient.
(3) Im Übrigen ergäbe sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot, wenn man dem Vorbringen der Klägerin zu den traumaauslösenden Ereignissen und den geschilderten Beschwerden in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen ausgehen würde. Auf die zum Beweis gestellten Diagnosen als solches kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Maßstab für eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nicht an. Eine PTBS stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein ausreichend substantiierter Vortrag zu den von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geforderten lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheitsfolgen ergibt sich auch aus dem Befundbericht nicht bzw. die Begründung hierzu ist nicht ausreichend und beruht im Hinblick auf die Situation in Sierra Leone und die von der Klägerin geltend gemachten individuellen Umstände auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Eine nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.
Entsprechend dem Befundbericht von Refugio liegen bei der Klägerin eine akute Suizidalität oder psychotische Symptome mit einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung nicht vor.
Die Aussagen im Befundbericht lassen auch nicht darauf schließen, dass im Falle einer Abschiebung zielstaatsbezogene Umstände zu einer wesentlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands der Klägerin mit lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden – d.h. existenziell bedrohlichen Krankheitsfolgen – führen würden. Die Einschätzung, bei einer Rückkehr sei ein Kontrollverlust mit Fremd- und Selbstgefährdung wahrscheinlicher (als ein Kontrollerhalt), erfolgt ohne ausreichende Begründung und beruht auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zu begründen (vgl. zu Abschiebungsverboten wegen Reiseunfähigkeit BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 – 2 M 29/12 – juris Rn. 11 ff.). Entsprechendes gilt, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen in wesentlichen Bereichen unzutreffend sind. Insofern obliegt auch in diesem Zusammenhang die Feststellung der für die ärztliche Bewertung zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen ausschließlich dem Tatrichter. Der Befundbericht differenziert nicht danach, ob die Gefährdung im Wesentlichen im Zusammenhang mit – hier nicht maßgeblichen – inlandsbezogenen Umständen im Zusammenhang mit Unsicherheit und Furcht vor einer Rückkehr im Vorfeld der Abschiebung bzw. Umständen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abschiebung (Reisefähigkeit) steht, denen im Übrigen durch entsprechende Vorbereitung und Ausgestaltung der Abschiebung begegnet werden könnte, oder ob echte zielstaatsbezogene Gründe vorliegen. Die Ausführungen zur befürchteten Retraumatisierung beschränken sich im Wesentlichen auf den allgemeinen Hinweis der Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland. Insofern ist aber neben dem langen Zeitablauf seit den geltend gemachten traumaauslösenden Ereignissen zu berücksichtigen, dass sich die Situation in Sierra Leone zwischenzeitlich grundlegend verändert hat, ein Großteil der Flüchtlinge des Bürgerkriegs in ihr Heimatland zurückgekehrt sind und auch die Bekämpfung der Straflosigkeit für während des Bürgerkriegs begangene schwere Menschenrechtsverstöße Fortschritte macht.
Nach Beendigung des elfjährigen Bürgerkrieges im Jahre 2002 kehrt Sierra Leone immer mehr zu friedlichen und geordneten politischen Verhältnissen zurück. Die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen werden umfassend ermittelt und aufgearbeitet (vgl. Truth & Reconciliation Commission of Sierra Leone, final report, Vol 3a, Chapter 3, The Military an Political History of the Conflict). Auf Grundlage einer Vereinbarung mit den Vereinten Nationen wurde ein Sondergerichtshof für Sierra Leone eingerichtet, (Special Court for Sierra Leone – SCSL), der für eine juristische Aufarbeitung sorgt, vor dem bereits eine Vielzahl von Prozessen stattgefunden hat und durch den u.a. der ehemalige liberianische Staatspräsident Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt wurde (vgl. AI – Amnesty Report 2013 Sierra Leone; U.S. Department of State – Sierra Leone Country Report on Human Rights Practices 2006; Wikipedia – https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone und https: …en.wikipedia.org/wiki/Charles_Taylor_(Liberian_politician) – zitiert jeweils nach Stand 19.1.2017).
Ein von der UNHCR initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen und ein Großteil der Flüchtlinge ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Am 23. Juni 2006 wurde Sierra Leone als eines der ersten Länder vom UN-Sicherheitsrat auf die Agenda der 2005 ins Leben gerufenen Peacebuilding Commission (PBC) gesetzt. Nach Aussage des früheren UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon am 14. Juni 2010 in Freetown repräsentiert Sierra Leone einen der erfolgreichsten Fälle für Wiederaufbau, Friedenswahrung und Friedensaufbau nach einem Konflikt (Wikipedia – https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone – zitiert nach Stand 19.1.2017).
Ob eine Rückkehr traumatisierter Personen aus Krisenregionen trotz Aufarbeitung straffrei begangener Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland mit einer nicht hinnehmbaren Gefahr einer Retraumatisierung verbunden ist, hängt von den – einer ärztlichen Bescheinigung zu Grunde zu legenden – Einzelumständen, einerseits Art und Umfang einer erfolgten Aufarbeitung der Krise im Herkunftsstaat und andererseits Art, Dauer und Intensität des erlittenen Traumas ab. Der Befundbericht geht hierauf nicht ausreichend ein. Hinsichtlich der individuellen Umstände wird in dem Befundbericht selbst auf die Religiosität der Klägerin als stabilisierender Faktor hingewiesen. Die für die Herleitung eines dennoch drohenden Kontrollverlusts herangezogene Angst der Klägerin vor einer Rache der Bondo-Society wirkt konstruiert und weist im Hinblick auf die für die Traumatisierung in den Mittelpunkt gestellten Kriegserlebnisse auch keinen Zusammenhang auf. Unabhängig davon, dass eine entsprechende Gefahr für die Klägerin durch die Bondo-Society schon im Hinblick auf den Zeitablauf völlig unrealistisch ist, kann der Klägerin auch eine subjektive Angst vor landesweiter Bedrohung nicht abgenommen werden. Eine Angst (wohl eher vor sozialer Ächtung als vor Rache) wäre bei einer Rückkehr in die dörfliche Gemeinschaft, nicht aber bei einem – zumutbaren – Leben in einer der größeren Städte, z.B. Freetown, nachvollziehbar.
Im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten in Sierra Leone geht das Gericht davon aus, dass eine ausreichende therapeutische und psychiatrische Behandlung dort nicht sichergestellt ist und damit eine ausreichende Behandlung einer PTBS nicht möglich ist. Hierauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG gerade nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass eine zur Vermeidung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Krankheitsfolgen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone gewährleistet ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone erfolgen kann (vgl. Auskunft AA an VG Aachen vom 21.2.2007). Anhaltspunkte, dass sich hieran etwas geändert haben könnte, sind nicht substantiiert vorgetragen und – nach dem Ende der Ebola-Epidemie Anfang 2016 – jedenfalls im Hinblick auf große Städte wie Freetown nicht naheliegend. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerseite vorgelegten Entscheidungen des Bundesamts vom 1. Dezember 2016 sowie den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die in der mündlichen Verhandlung zu diesem und dem am gleichen Tag verhandelten und von der Bevollmächtigten vertretenen Verfahren M 21 K 13.30391 vorgelegt wurden. Dabei handelt es sich nur teilweise um Entscheidungen zu Sierra Leone. Bei den entsprechenden Entscheidungen standen im Mittelpunkt die therapeutischen und psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten. Soweit dort auch Fragen zur medikamentösen Versorgungslage angesprochen sind, handelt es sich um Fragen der individuellen Verfügbarkeit. Insoweit besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine medikamentöse Behandlung einschließt, zu erzielen. Die Klägerin verfügte zumindest bei ihrer Ausreise offenbar über gute Kontakte und konnte sich über mehrere Jahre in Syrien und Argentinien eine Beschäftigung als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei einem hochrangigen Diplomaten verschaffen. Zudem hat sie einen Sohn, der bei ihrem früheren Ehemann in Guinea lebt und – auch nach ihrer Ausreise – zeitweise in Sierra Leone gelebt hat, so dass im Rahmen der Reintegration notfalls eine Unterstützung durch diesen möglich ist.
Auch die geltend gemachte schwere depressive Episode ist nicht ausreichend durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung substantiiert worden, so dass auch insoweit eine Sachverhaltsermittlung im Rahmen der beantragten Beweiserhebung nicht veranlasst war. Insoweit gelten die Ausführungen unter (1) zum Erfordernis einer Bescheinigung eines approbierten Arztes entsprechend. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Diagnose und Behandlung einer depressiven Störung noch deutlich stärker medizinisch geprägt ist als die einer PTBS, bei der je nach den Gegebenheiten auch in erheblichem Umfang psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Ansätze eine bedeutende Rolle spielen (vgl. das o.a. Gutachten im Verfahren M 21 K 13.30391). Die Diagnose des Befundberichts stützt sich insoweit zudem auf unzureichende Befunde, belässt es bei einer allgemeinen Wiedergabe berichteter Beschwerden und nimmt insbesondere keine zeitliche Eingrenzung der aufgetretenen Symptome vor. Die Bescheinigung ist damit nicht als Grundlage einer abschiebungsrelevanten Diagnose geeignet (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 a.a.O. – juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 a.a.O. – juris Rn. 11 ff.). Zudem ist auch insoweit entsprechend den Ausführungen unter (3) davon auszugehen, dass sich im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG auch bei einer Wahrunterstellung der diagnostizierten schweren depressiven Episode kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergeben würde. Eine akut lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung der Klägerin liegt nicht vor, psychotische Symptome bestehen nicht. Eine ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.
Die im Übrigen vorgelegten Bescheinigungen erfüllen hinsichtlich der geltend gemachten schweren depressiven Episode die Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erkennbar nicht.
Die geltend gemachten körperlichen Beschwerden der Klägerin, insbesondere die in der ärztlichen Bescheinigung vom 27. Juni 2016 beschriebenen Diagnosen im Zusammenhang mit einer erlittenen Genitalverstümmelung, stellen für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG dar und sind insoweit nicht entscheidungsrelevant.
Schließlich folgt auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Sierra Leone kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Anhaltspunkte für eine extreme Gefährdungslage bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38), sind nicht erkennbar.
Nachdem auch die nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden ist, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO


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