Medizinrecht

Zulässigkeit von Arzneimittelverordnungen über PC-Bedarf

Aktenzeichen  S 38 KA 711/16

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9130
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayRDG Art. 2 Abs. 2 S. 2
SGB X § 35 Abs. 2 Ziff. 1

 

Leitsatz

1 Nach Abschnitt III 1 PC-Vereinbarung gelten als Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als einen Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der vom Vertragsarzt verordnete Sprechstundenbedarf hat den Bedürfnissen der Praxis zu entsprechen und muss zur Zahl der Behandlungsfälle bzw. zur Zahl der einschlägigen einzelnen Leistungen in angemessenem Verhältnis stehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid des Beklagten ist als rechtmäßig anzusehen.
Strittig zwischen den Beteiligten ist, ob die Verordnungen der Beigeladenen zu 1 über Fluspi-Ampullen, Opipramol und Pantoprazol über PC-Bedarf zulässig sind. Nach Auffassung des Gerichts hat der Beklagte zu Recht die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen hierfür nach der PC-Vereinbarung seien nicht gegeben. Nach Abschnitt III 1 PC-Vereinbarung gelten als Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als eine Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. Bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf ist die Anlage zu dieser Vereinbarung zu beachten. Ein ersatzweiser Bezug anderer Mittel oder Artikel ist nicht zulässig. Nach Ziff. 2 des Abschnitts III hat der vom Vertragsarzt verordnete Sprechstundenbedarf den Bedürfnissen der Praxis zu entsprechen und muss zur Zahl der Behandlungsfälle bzw. zur Zahl der einschlägigen einzelnen Leistungen in angemessenem Verhältnis stehen.
Nach Abschnitt III 1 Buchst. e PC-Vereinbarung sind als PCbedarf verordnungsfähig Injektionsund Infusionsmittel bei Serienbehandlungen (a)) und bei Notfällen und akuten Schmerzund Erregungszuständen (b)). Was Fluspi-Ampullen betrifft, so handelt es sich um keine Notfallbehandlung im Sinne von Abschnitt III 1 Buchst. e (a) PC-Vereinbarung. Eine Definition von Notfallpatienten ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG) vom 22. Juli 2008. Danach sind Notfallpatienten Verletzte oder Kranke, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. Notfallmedizinische Versorgung sind medizinische Maßnahmen zur Abwendung von Lebensgefahr und schweren gesundheitlichen Schäden … Unverzügliche Versorgung bedeutet, dass Maßnahmen zum Einsatz kommen, die einen möglichst raschen Wirkmechanismus mit sich bringen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts hier nicht der Fall, wenn die Wirkung bei FluspiAmpullen 4 Stunden später eintritt und die antipsychotische Wirkung erst nach ein bis drei Wochen. Dass bereits nach 24 Stunden nach Infusion der Spitzenplasmawert erreicht wird, ändert nichts daran. Denn das Erreichen des Spitzenplasmawertes bedeutet nur, dass der Arzneistoff im Blutplasma entsprechend hoch messbar ist, sagt aber nichts über die antipsychotische Wirkung aus, die sich erst zeitversetzt einstellt. Für diese Auslegung spricht auch, dass nach den Fachinformationen FluspiAmpullen nur bei akut produktiven und chronisch schizophrenen Psychosen (Langzeittherapie und Rezidivprophylaxe) zugelassen ist, nicht aber zur Akuttherapie. Ferner ist nach den Fachinformationen nicht zuletzt im Hinblick auf die Gegenanzeigen und die Risikofaktoren vor der Behandlung mit Fluspi-Ampullen das Blutbild (einschließlich des Differenzialblutbildes sowie der Trombozytenzahl) zu kontrollieren. Auch dies spricht gegen die Annahme einer Notfallmedikation. Ebenfalls ist die laufende Therapie mit FluspiAmpullen zu überwachen.
Soweit die Klägerin auf das Urteil des Sozialgerichts München (SG München, Urteil vom 02.04.1993, Az. S 42 KA 894/92) hinweist, hat dieses in seiner Entscheidung ausgeführt, dass Depot-Neuroleptika, darum handelt es sich bei FuspiAmpullen, „jedenfalls im Fachgebiet der Nervenärzte“ bei Notfällen bei mehr als einem Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. Diese Entscheidung ist nicht als Widerspruch zu der vorgenannten Entscheidung anzusehen. Denn im streitgegenständlichen Verfahren ist der PC-Bedarf für eine Allgemeinärztin, nicht aber der einer Nervenärztin strittig.
Offenbar gibt es gegenteilige Entscheidungen der Ausschüsse, auch aus jüngster Zeit. So zitiert die Klägerin den unparteiischen Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses bzw. einen seiner Beisitzer (beides Fachärzte für Neurologie). Den Ausführungen ist zu entnehmen, dass diese den sofortigen Einsatz von Depot-Neuroleptika statt eines schneller wirksamen Nicht-Depotpräparats bevorzugen. Dies mag zwar aus Sicht von Fachärztin für Neurologie sinnvoll sein, führt aber nicht dazu, insgesamt die Behandlung mit FluspiAmpullen, einem Depot-Neuroleptikum als Notfallmedikation zu klassifizieren.
Auch handelt es sich bei der Verordnung von FluspiAmpullen um keine Serienbehandlung (Abschnitt III 1 Buchst e PC-Vereinbarung). Typische Serienbehandlungen sind beispielsweise Chemotherapien und Strahlentherapien. Wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich nur dann um Serienbehandlungen, wenn der Behandlungserfolg zeitnah innerhalb einer bestimmten Anzahl von Terminen erreicht wird, was hier nicht absehbar und auch nicht der Fall ist.
Ebenfalls liegen die Voraussetzungen nach Abschnitt III 1 Buchst. f PC-Vereinbarung nicht vor. Danach sind verordnungsfähig alle Mittel, die nach dem Fachgebiet bei mehr als einem Anspruchsberechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung sofort oder in unmittelbarem ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff anzuwenden sind und üblicherweise mit einem nur geringen Teil einer Einzelpackung vom Arzt appliziert werden. Die Verordnungsfähigkeit ist somit fachgebietsabhängig. Nach Auffassung des Gerichts wäre es rechtlich nicht zu beanstanden, bei Fachärzten für Neurologie einen PC-Bedarf anzunehmen, zumal diese schwerpunktmäßig mit neurologischen/psychiatrischen Krankheitsbildern befasst sind und deshalb verstärkt Neuroleptika zum Einsatz kommen dürften. Die Verordnung über PC-Bedarf hat den Bedürfnissen der Praxis zu entsprechen (vgl. Ziff. 2 Abschnitt III PC-Vereinbarung. Anders stellt sich grundsätzlich die Sachlage bei Allgemeinärzten dar. Im Übrigen hatte die Beigeladene zu 1 nur 13 Patienten in diesem Quartal zu behandeln. Es bleibt in dem Zusammenhang offen, ob bei einer größeren Patientenzahl von einer Verordnungsfähigkeit im Rahmen des PC-Bedarfs auszugehen ist, zumal Abschnitt III 1 Buchst. f PC-Vereinbarung auf das Fachgebiet abstellt, nicht aber darauf, wie viele Patienten in der Praxis zu behandeln sind.
Der Umstand, dass der Beklagte Fluspi-Ampullen teilweise anerkannte, mag zwar widersprüchlich sein, wenn der Beklagte generell eine Verordnungsfähigkeit im Rahmen des PC-Bedarfs verneint. Ein Begründungsdefizit nach § 35 SGB X liegt jedoch nicht vor. Dies ergibt sich aus § 35 Abs. 2 Ziff. 1 SGB X. Danach bedarf es einer Begründung dann nicht, soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in die Rechte eines anderen eingreift. In Anwendung dieses Rechtsgedankens ist – soweit es sich um eine teilweise Anerkennung als PC-Bedarf zugunsten der Beigeladenen zu 1 handelt – eine Begründung entbehrlich.
Dafür, dass Opipramol und Pantoprazol PC-Bedarf verordnungsfähig sind, gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen nach Abschnitt III 1 PC-Vereinbarung vorliegen. Wenn nach der PC-Vereinbarung, gültig ab dem 01.01.2015 nunmehr Magensäure reduzierte Mittel als nach PC-Bedarf verordnungsfähig angesehen werden (Voraussetzung: nach diagnostischen/therapeutischen Eingriffen und perioperativ nur zur direkten Anwendung in der Praxis) ist daraus für den hier maßgeblichen Zeitraum nichts abzuleiten. Vielmehr spricht die Änderung dafür, dass vor Inkrafttreten dieser neuen PC-Vereinbarung eine andere Rechtslage bestand. Selbst wenn man die nunmehr neuen Regelungen heranziehen würde, ergäbe sich nichts Anderes. Denn fraglich bleibt, ob die Beigeladene zu 1 die Verordnung nach diagnostischen/therapeutischen Eingriffen vorgenommen hat.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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