Medizinrecht

Zurückverweisung nach Gerichtsbescheid

Aktenzeichen  L 5 KR 477/21

Datum:
7.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43849
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 28e Abs. 2
SGG § 103, § 105, § 159 Abs. 1 Nr. 2, § 160 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Ist der Schverhalt nicht ermittelt, kann auf die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen werden. (Rn. 17)
2. Zur Ermessensausübung bei Zurückverweisung. (Rn. 27)
1. Eine Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides gem. § 105 SGG darf grundsätzlich nur ergehen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen § 105 SGG hat zur Folge, dass die Sache nicht durch den gesetzlichen Richter entschieden worden ist, denn es wäre die Kammer in ihrer Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern zur Entscheidung berufen gewesen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts der erheblichen Mängel an der Sachverhaltsaufklärung erfolgte die Zurückverweisung im Rahmen der Ermessensentscheidung des Gerichts. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 44 KR 1813/19 2021-09-07 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.09.2021 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht München zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist im Sinne einer Zurückverweisung erfolgreich, denn das Verfahren leidet an wesentlichen Mängeln, aufgrund derer u.a. eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig wäre, § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
1. Das Sozialgericht hat aus dem Verfahren AZ 30 BA 151/19 das vorliegende Verfahren abgetrennt dieses einem anderen Spruchkörper zugewiesen. Dieses Vorgehen begegnet wegen des engen Sachzusammenhangs der ursprünglichen Klagen erheblichen rechtlichen Bedenken, da dies zur Folge haben kann, dass über denselben Lebenssachverhalt divergierend entschieden wird. Es ist daher zunächst die Zuweisung der Klagen an den gesetzlichen Richter zu bestimmen.
2. Der der Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt ist nicht ausreichend ermittelt. Zudem weist die Sache Rechtsfragen auf, die keineswegs einfacher Natur sind. Eine Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides gem. § 105 SGG darf grundsätzlich nur ergehen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Nur wenn diese gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind, eröffnet sich dem Gericht ein Ermessen dahingehend, ob es einen Gerichtsbescheid erlassen oder mündlich verhandeln will (vgl. hierzu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 105 Rn. 7 ff.) Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ihr Einverständnis erklärt haben.
Ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 SGG hat zur Folge, dass die Sache nicht durch den gesetzlichen Richter entschieden worden ist, denn es wäre die Kammer in ihrer Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern zur Entscheidung berufen gewesen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 159 Abs. 1 Nr.2 SGG sind weiter erfüllt aufgrund eines Verstoßes gegen § 103 SGG. Dieser Mangel ist wesentlich wenn die Entscheidung darauf beruhen kann (allgemeine Meinung, stellvertretend Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13., § 159 Rn 3, 3a).
a) Bereits die Rechtsfrage, ob die Bekanntgabe eines Betriebsprüfungsbescheides entbehrlich ist aufgrund der vorherigen Löschung des Unternehmens im Handelsregister, wenn dieser Betriebsprüfungsbescheid gleichzeitig die Grundlage für die Entleiherhaftung darstellt gem. § 28 e SGB IV, ist in Rechtsprechung und Schrifttum bislang nicht geklärt. Der genannten Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist in derartigen Fällen ausgeschlossen. Denn eine grundsätzlich bedeutsame Rechtssache i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG weist „besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art“ auf und schließt deshalb eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid aus (BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R, Rn. 17 – juris).
b) Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt zudem vor, als das Sozialgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt entgegen der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) nicht hinreichend aufgeklärt hat. Das betrifft zB den Übergang von der S GmbH auf die „G“ erst im Laufe des Juni 2016, aber auch die Unterfütterung des Klagebegehrens einschließlich der Antragstellung nach Forderungstilgung. Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz ist ein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne der § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG und § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Weil die Beteiligten auf eine ordnungsgemäße Aufklärung des Sachverhalts nicht verzichten können, können Verstöße gegen § 103 SGG über § 202 Satz 1 SGG iVm § 295 ZPO nicht geheilt werden.
c) Es ist vorliegend weiter nicht geklärt, woraus sich die Zuständigkeit der Beklagten als Einzugsstelle ableitet, auch wenn sie sich selbst als zuständig betrachtet. Die für eine Prüfung erforderlichen Dokumente nach § 175 Abs. 3 S. 3 SGB V liegen nicht vor. Es findet sich allein ein Hinweis, dass die BKK wohl zuständig sein sollte, allerdings nicht welche BKK. Aktenkundig ist eine interne Klärung, ob die Beklagte zuständige Einzugsstelle ist, da kein echter Betriebsübergang stattgefunden habe von der „O“ auf die „G“. Allerdings waren die Beschäftigten Arbeitnehmer der Klägerin aufgrund der fehlenden AÜ-Erlaubnis. Dann kann die Betriebsnummer der Klägerin maßgeblich sein für die Bestimmung der zuständigen Einzugsstelle.
d) Da bei dem faktischen Geschäftsführer B mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auch eine Vermögensabschöpfung vorgenommen wurde, ist außerdem zu klären, inwieweit die streitgegenständlichen Forderungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 3) bereits tatsächlich befriedigt sind. Dasselbe gilt für die Inanspruchnahme von B aufgrund von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB. Denn die vorliegend strittigen Beiträge sind nur einmal zu entrichten. Insofern kommt Gesamtschuldnerschaft in Betracht.
e) Es fehlt schließlich an der notwendigen Beiladung der betroffenen Beschäftigten. Diese sind zu ermitteln, sofern dies nicht möglich sein sollte, ist eine Beiladung vorzunehmen nach § 75 Abs. 2a SGG oder nach § 75 Abs. 3, 63 SGG i.V.m. § 185 ff. ZPO.
3. Im Rahmen des bei der Entscheidung über die Zurückverweisung auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel der Sachverhaltsaufklärung durch das Sozialgericht für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 24.09.2021 bis zum Tag der Verkündung des Urteils am 07.12.2021 nur ca. 2 1/2 Monate in Anspruch genommen. Es erscheint deshalb prozessökonomischer, dem SG zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts in rechtskonformer Weise zu geben (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2020 – L 8 R 736/20, Rn. 48, juris).
Aufgrund der Zurückverweisung unterbleibt eine Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.


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