Medizinrecht

Zurückweisung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Behörde

Aktenzeichen  S 8 AS 378/16

Datum:
31.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 31, § 31a Abs. 2 S. 1, § 54 Abs. 1, § 131 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Zurückverweisung wegen Ermittlungsdefiziten (amtlicher Leitsatz)
Es ist nicht gerichtliche Aufgabe, anstelle der Behörde erstmals eine umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. (redaktioneller Leitsatz)
Für den Rechtsschutz gegen Sanktionsverfügungen eines Jobcenters ist keine kombinierte Verpflichtungsklage zu erheben, sondern es genügt die bloße Anfechtung (unter Bezugnahme auf BSG Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R). (redaktioneller Leitsatz)
Das Sanktionsregime des SGB II ist verfassungsgemäß. Das Grundrecht auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz beinhaltet nicht, dass voraussetzungslos Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden (vgl. BSG Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R; BVerfG BeckRS 2016, 46553). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 10. März 2016 wird aufgehoben und die Sache wird zur weiteren Sachaufklärung an den Beklagten zurückverwiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Für den Rechtsschutz gegen Sanktionsverfügungen eines Jobcenters ist – auch wenn diese in einem Bescheid mit einer die Leistungsbewilligung abändernden Umsetzungsverfügung geregelt sind – keine kombinierte Verpflichtungsklage zu erheben, sondern es genügt die bloße Anfechtung (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R).
Die Klage hat in der Sache im Umfang der Aufhebung des Widerspruchsbescheids und der Zurückverweisung an den Beklagten zur weiteren Sachaufklärung Erfolg.
Inwieweit der Bescheid des Beklagten vom 16. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, bedarf weiterer Sachaufklärung.
Das Gericht kann sich nicht der Überzeugung anschließen, dass das Sanktionsregime des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) verfassungswidrig ist. Nach Meinung des Gerichts beinhaltet das Grundrecht auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz nicht, dass voraussetzungslos Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R; LSG München, Beschluss vom 22. Dezember 2015, L 7 AS 782/15 B). Die vom SG Gotha in seinem Beschluss vom 26. Mai 2015, S 15 AS 5157/14, genannten Ausführungen vermögen demgegenüber nicht zu verfangen. Das gilt auch für die Entscheidung des SG Dresden vom 10. August 2015, S 20 AS 1507/14, soweit dort überhaupt diese Ansicht vertreten wird. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts erfolgte die Aufhebung einer Sanktion dort aus anderen, einzelfallbezogenen Gründen.
Als Rechtsgrundlage der streitigen Sanktion kommt allein § 31a Abs. 2 Satz 1 SGB II infrage. Danach ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II auf die für die Bedarfe nach § 22 SGB II zu erbringenden Leistungen beschränkt. Die hier im Raum stehende Pflichtverletzung fiele unter § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, also die Weigerung, in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen.
Ob eine solche Pflichtverletzung tatsächlich vorliegt oder ob der Kläger dafür einen wichtigen Grund im Sinn des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II hatte, ist mangels entsprechender Sachaufklärung nicht zu beurteilen.
Bereits frühzeitig hat der Kläger auf verschiedene gesundheitliche Einschränkungen verwiesen. Daraus folgert er, dass ihm deswegen schon die Teilnahme an der Maßnahme unzumutbar war. Dies leitet der Kläger vor allem aus einer Hauterkrankung ab, die zu gesundheitlichen Problemen beim Ausführen von Trockenbaumaßnahmen, die Inhalt der Maßnahme waren, geführt habe. Auch meint er, dass diese Beeinträchtigungen letztlich die Schwierigkeiten verursacht haben, die zu dem Maßnahmeausschluss durch das bfz geführt haben. Dieser wiederum war der Grund für die Sanktionierung durch den Beklagten.
Gerade aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten weiteren Unterlagen, insbesondere dem Bescheid über den Grad der Behinderung des Klägers, ist die Darstellung des Klägers für das Gericht nicht von der Hand zu weisen. Anders als die Terminsvertreterin des Beklagten meint, kann so auch plausibel erklärt werden, dass und warum es zu Problemen mit dem bfz und zum Ausschluss kam. Auch konnte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung seitens des Beklagten nicht ausreichend dargelegt werden, zu welchen konkreten Verstößen durch den Kläger es bei der Maßnahme überhaupt gekommen sein soll. Weitgehend ungeklärt ist außerdem, inwiefern die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Kläger sein Verhalten erklären bzw. rechtfertigen können – zu denken ist dabei namentlich an die als Behinderung festgestellte psychische Störung – und ob angesichts der verschiedenen Leiden die Teilnahme an der Maßnahme überhaupt zumutbar war. Dazu hat der Kläger etwa auf seine Hauterkrankung verwiesen, die sich infolge von Einwirkungen bei verschiedenen Trockenbaumaßnahmen verschlimmern würde.
Für das Gericht ist damit bislang nicht ausreichend belegt, dass der Kläger ohne wichtigen Grund die Maßnahme abgebrochen hat. Für das Vorliegen der Voraussetzungen trifft den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast.
Das Gericht hält jedoch den Sachverhalt für weiter klärungsbedürftig im Hinblick auf die bei Durchführung der Maßnahme vorliegende gesundheitliche Situation des Klägers, die tatsächlichen Vorkommnisse, die zum Maßnahmeausschluss geführt haben, sowie die Zumutbarkeit der Maßnahme. Hierzu fehlt es bislang weitgehend an Ermittlungen des Beklagten. Dieser hat sich darauf beschränkt, die Darmerkrankung des Klägers als Rechtfertigung auszuschließen. Das genügt angesichts der weiteren nachgewiesenen Leiden des Klägers und der Unklarheiten über die tatsächlichen Vorkommnisse nicht.
Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Allerdings ist es nicht gerichtliche Aufgabe, anstellte der Behörde erstmals umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Dies steht hier aber im Raum, weil die obigen Punkte noch aufzuklären sind. Denn die Verwaltung trifft primär eine Amtsermittlungspflicht und die Gerichte sind primär zur Nachprüfung behördlicher Entscheidung berufen. Gerade bei reinen Anfechtungsklagen, wie vorliegend, und einem erheblichem Ermittlungsdefizit tritt daher die Pflicht der Gerichte aus § 103 SGG hinter die Amtsermittlungspflicht der Verwaltung zurück (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rz. 17 ff.).
Angesichts dieser Umstände hält es das Gericht für zweckmäßig, nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG vorzugehen. Es besteht, wie dargelegt, noch erheblicher Ermittlungsbedarf und es handelt sich um die Situation einer isolierten Anfechtung einer behördlichen Entscheidung. Auch die Interessen des Klägers sprechen nicht dagegen, weil der Minderungszeitraum bereits verstrichen ist und der Kläger die Sanktion hingenommen hat, ohne um Eilrechtsschutz nachzusuchen.
Da eine umfassende Klärung am besten im Widerspruchsverfahren zu erwarten ist und der Kläger dort erstmals dem Beklagten seine vorgetragenen Beschwerden mit Attest auch belegt hatte, hebt das Gericht daher allein den Widerspruchsbescheid des Beklagten auf und verweist die Sache an diesen zur weiteren Sachaufklärung im Vorverfahren zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Eine Kostenerstattung durch den Beklagten hält das Gericht nicht für erforderlich, da auf Seiten des Klägers keine relevanten außergerichtlichen Kosten angefallen sind.


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