Medizinrecht

Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft: Wohncontainer in Einzel- anstelle von Doppelbelegung

Aktenzeichen  W 5 K 19.1650

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30651
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit des Klägers sowie eines Vertreters der Beklagten entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
1. Gegenstand der Klage ist bei sachgerechter Auslegung des Klageantrags (§ 88 VwGO) der vom Kläger geltend gemachte Anspruch, die Beklagte zu verpflichten, für die Unterbringung des Klägers im Rahmen der Obdachlosenfürsorge in einer angemessenen Unterkunft, genauer in einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Wohncontainer in Einzelbelegung – und gerade nicht in Doppelbelegung – zu sorgen.
2. Die Klage mit dem Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihn in der Stadt K. am Main in einem Wohncontainer in Einzelbelegung unterzubringen, ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits unzulässig. Das (allgemeine) Rechtsschutzbedürfnis fehlt grundsätzlich, wenn die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht (mehr) erforderlich ist, wobei die Frage, ob dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zusteht, von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen ist und es auch während des Prozesses entfallen kann (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 34 und Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 11). Der Kläger ist am 11. Mai 2020 aus der Obdachlosenunterkunft der Stadt K. am Main ausgezogen, hat den Schlüssel für den Wohncontainer in den städtischen Briefkasten eingeworfen und ist, ohne sich abzumelden unbekannten Aufenthalts, wohl – so jedenfalls seine schriftliche Erklärung vom 29. April 2020 – nach Rheinland-Pfalz verzogen. Damit hat er zu erkennen gegeben, dass er derzeit an einer Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft der Beklagten, sei es in Einzel- oder in Doppelbelegung, kein Interesse mehr hat.
3. Die Klage ist darüber hinaus unbegründet.
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Unterbringung in einer anderen als der ihm zugewiesenen Unterkunft in Doppelbelegung des Wohncontainers gegen die Beklagte zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch ein Anspruch auf (Neu-)Bescheidung seines Antrags auf Unterbringung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
3.1. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht dem Kläger schon kein Rechtsanspruch gegenüber der Beklagten auf Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft zu.
Nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sind die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Dazu gehört die Unterbringung unfreiwillig Obdachloser. Es sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder gar von Klägerseite vorgetragen, die dafür sprechen würden, dass der Kläger derzeit obdachlos ist oder ihm die Obdachlosigkeit droht.
3.2. Darüber hinaus stand dem Kläger zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Unterbringung in einer anderen als der ihm zugewiesenen Unterkunft in Doppelbelegung des Wohncontainers gegen die Beklagte zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch ein Anspruch auf (Neu-)Bescheidung seines Antrags auf Unterbringung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Bei der Auswahl unter den geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten verfügt die Gemeinde über ein sehr weites Ermessen, das nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände eingeschränkt ist. Die Anforderungen an die zur Verfügung zu stellende Unterkunft richten sich danach, was zur Abwendung der infolge der Obdachlosigkeit drohenden Gefahr erforderlich ist. Die zur Verfügung gestellte Unterkunft muss nicht den an eine Wohnung zu stellenden Anforderungen genügen, es besteht auch kein Anspruch des Obdachlosen auf Einweisung in eine bestimmte Unterkunft oder auf Einweisung in eine Pension. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2010 – 4 C 09.3073 und B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 – beide juris) ist es auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Da Obdachlosigkeit eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, ist die Gemeinde als Sicherheitsbehörde verpflichtet, diese Störung zu beseitigen (Art. 57 Abs. 1 GO, Art. 6 LStVG). Die Unterbringung kann dabei immer nur eine Notlösung sein, so dass ein Obdachloser auch eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche hinnehmen muss (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Mai 2018, Art. 7 Rn. 184). Die Grenzen zumutbarer Einschränkungen liegen erst dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 und B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Zur Mindestausstattung der zugewiesenen Räume gehört neben der Heizung ein Stromanschluss. Erforderlich sind außerdem ein Wasseranschluss bzw. eine Waschgelegenheit sowie die Möglichkeit der Mitbenutzung der Toilette bzw. einer Dusche oder eines Bades (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser, 4. Aufl. 2007, Nr. 10.5.4.4; jew. mit weiteren Nachweisen).
Ein Auswahlrecht unter mehreren diesen Voraussetzungen genügenden Unterkünften steht dem Obdachlosen dabei nicht zu. Die zugewiesene Unterkunft muss – selbst wenn diese nachgewiesenermaßen bestehen – nicht allen Unterbringungs- und Sorgebedürfnissen, die eine Person hat, gerecht werden. Den Ansprüchen an eine Obdachlosenunterkunft genügen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. B.v. 27.4.2001 – W 5 E 01.408 und B.v. 28.3.1996 – W 5 S 96.373 – beide juris) deshalb auch sog. Wohncontainer, wenn diese angemessenen Schutz vor der Witterung bieten (insbesondere also beheizbar sind) und die notwendigsten Bedürfnisse befriedigen, insbesondere die unerlässlichen Einrichtungen für die Körperhygiene vorhalten. Ausreichend zur Beseitigung der infolge Obdachlosigkeit drohenden konkreten Gefahren ist aber grundsätzlich auch die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer (vgl. VG München, B.v. 10.5.2015 – M 22 E 15.1818 und B.v. 10.11.2006 – M 22 E 06.4221 – beide juris; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 3. Aufl. 2019, S. 133). So hat auch das OVG Münster die Unterbringung von Einzelpersonen in Sammelunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen für zumutbar erklärt (vgl. B.v. 7.3.2018 – 9 E 129/18 – juris) und der VGH Mannheim die Unterbringung in einem Hochbunker in Gemeinschaftszimmern mit sechs bis acht Betten (B.v. 24.12.1993 – 1 S 279/93 – juris) ebenso für ausreichend erachtet wie die gemeinsame Unterbringung von 13 Einzelpersonen in einer aus insgesamt fünf Zimmern bestehenden Unterkunft im Souterraingeschoss einer ehemaligen Schule (B.v. 3.1.1994 – 1 S 3066/93 – juris).
Bei der Obdachlosenunterbringung sind zwangsläufig auch Einschränkungen hinsichtlich der Größe der zur Verfügung gestellten Räume gegenüber einer wohnungsmäßigen Versorgung hinzunehmen. So fanden auf die vorübergehende Unterbringung von Obdachlosen auch während ihrer Geltung die Vorschriften des (zum 31.12.2004 aufgehobenen) Wohnungsaufsichtsgesetzes mit der Forderung einer Wohnfläche von 10 m² für jeden erwachsenen Bewohner keine Anwendung (vgl. Art. 9 des Wohnungsaufsichtsgesetzes; so auch Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; BayVGH, B.v. 14.8.1990 – BayVBl 1991, 114).
Gemessen an diesem Maßstab ist die Zuweisungsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Es ist nichts Stichhaltiges dafür ersichtlich, dass der zugewiesene Wohncontainer in Doppelbelegung mit einer Wohn- und Nutzfläche von 18,098 m² und ausgestattet mit einem Tisch, zwei Stühlen, zwei Schränken (abschließbar), zwei Betten, einer Küchenzelle, einer Dusche, einer Toilette mit separatem Waschbecken und einer Waschmaschine den oben genannten Mindestanforderungen an eine Obdachlosenunterkunft nicht genügt. Die Kammer sieht im vorliegenden Fall selbst bei einer Orientierung an den Mindestwohnflächen des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Größenordnung des dem Kläger zur Unterbringung zur Verfügung gestellten Wohncontainers noch als ausreichend an, zumal es sich hier nur um eine vorübergehende Unterbringung handelt. Der Kläger hat zur Stützung seines Anspruchs auf einen Wohncontainer in Alleinbenutzung nichts vorgebracht, was dafür sprechen würde, dass die Unterbringung im Zweibettzimmer für ihn in einem so erheblichen Maße belastend wäre, dass im Hinblick auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit die Grenze zumutbarer Einschränkungen überschritten wäre. Das Vorbringen des Klägers, dass die weitere zugeteilte Person nur eingeschränkt Rücksicht auf ihn nehme, ihm ein derart beengtes Miteinander unzumutbar sei und er auch nicht ausreichend Schlaf finde, ist hierfür nicht ausreichend. Insbesondere hat der Kläger auch keine gesundheitlichen Gründe geltend oder gar glaubhaft gemacht, die einen Anspruch auf einen „Raum für sich allein“ begründen würden.
Nach alledem war der Antrag des Klägers, die Stadt K. a. Main zu verpflichten, ihn im Rahmen der Obdachlosenfürsorge in einer angemessenen Unterkunft, also in einer anderen Unterbringung als in dem ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Container in Doppelbenutzung unterzubringen, abzulehnen. Gleiches gilt für den darin enthaltenen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Neuverbescheidung.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Danach sind die Kosten des Verfahrens dem unterliegenden Teil aufzuerlegen; dies ist hier der Kläger. Eine Kostenüberbürdung auf dritte, nicht am Verfahren beteiligte, Personen – wie hier vom Kläger beantragt auf Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel – sieht das Gesetz nicht vor.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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